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Die Aufholjagd der Hydraulik

Fertigung
Die Aufholjagd der Hydraulik

Schon schien es so, als sei die vollhydraulische Spritzgießmaschine ein Auslaufsmodell – aus Effizienzgründen. Doch die Hydraulik hat stark aufgeholt: Moderne, servomotorische Antriebe reduzieren den Energiebedarf um bis zu 80 % und bewahren so die Vorteile des hydraulischen Spritzgießens.

Der Plastikbecher, der Griff der Kühlschranktür oder der Flaschenverschluss – viele Gegenstände des alltäglichen Lebens werden durch Spritzgießen hergestellt. Doch bis der Deckel die Getränkeflasche verschließt und aus dem Plastikbecher getrunken werden kann, sind sechs Schritte zu seiner Fertigstellung erforderlich: Plastifizieren, Dosieren, Einspritzen, Ausformen, Abkühlen und Entformen. Diese Produktionsschritte sind höchst unterschiedlich. Aus diesem diskontinuierlichen Charakter des Spritzgießverfahrens resultiert ein stark schwankender Leistungsbedarf. Aus diesem Grund haben klassische Spritzgießmaschinen in der Regel auch einen hohen Energieverbrauch beziehungsweise nutzen die bereitgestellte Energie schlecht aus: Schließ- und Einspritzvorgänge erfordern große Mengen an Hydrauliköl und hohe Drücke. Dagegen benötigen Kühlzeiten keine oder nur minimale Leistung. Klassische Antriebskonzepte werden diesen Schwankungen nicht ausreichend gerecht.

Bislang kommen zur Regelung von Druck und Volumenstrom in konventionellen Spritzgießmaschinen zwei verschiedene Lösungsansätze zur Anwendung: Auf der einen Seite werden ausschließlich ventilgesteuerte Antriebe mit Standard-Normmotor und Konstantpumpe eingesetzt. Die zweite Lösung sind elektro-hydraulische Verstellpumpen (bei denen das Verdrängervolumen verstellt werden kann), angetrieben ebenfalls durch Standard-Normmotoren. Dabei läuft der Motor immer mit konstanter Drehzahl. Effizient arbeitet der Motor aber nur, wenn er mit seiner Nennlast betrieben wird. Im Teillastbereich, im Überlastbereich oder wenn gar keine Energie benötigt wird, verbraucht der Asynchronmotor viel ungenutzte Energie. Der Nachteil beider Antriebslösungen ist daher, dass sie den wechselnden Leistungsbedarf nicht oder nur ungenügend berücksichtigen: Hohe Energie- und Lebenszykluskosten der Anlage sind die Folge.
Ein Thema, das uns nicht erst seit gestern beschäftigt und nach den jüngsten Entwicklungen in der Atompolitik noch an Relevanz gewinnt: Energie ist und bleibt Zukunftsthema. Dass die Entwicklung der Energiepreise nach oben zeigt, lässt sich nicht bestreiten. Umso wichtiger werden jetzt Maschinen und Anlagen in der Produktion, die neben höchster Produktivität eine maximale Energieeffizienz versprechen.
Neuere Lösungsansätze für Spritzgießmaschinen, die eine höhere Effizienz und damit niedrigere Energiekosten versprechen, sind zum einen elektrische oder hybride Maschinen – aber zum anderen auch vollhydraulische Maschinenkonzepte mit drehzahlvariablen Pumpenantrieben, die gleichzeitig mit energieeffizienten Komponenten arbeiten. Zahlreiche Vorteile dieses Konzepts sprechen dafür, die Hydraulik nicht aus der Spritzgießmaschine zu verbannen, sondern die hydraulische Leistungsübertragung mit drehzahlgeregelter Leistungsbereitstellung zu kombinieren: Hohe Leistungsdichten, geringe Trägheiten sowie kostengünstige und robuste Antriebselemente sind die Vorzüge der hydraulischen Leistungsübertragung. Dynamisches und präzises Regeln der Drehzahl einer Konstantpumpe zeichnet die elektrische Leistungsstellung mit Hilfe der Servotechnik aus. Weitere Vorzüge der Servotechnik sind geringe Geräusch- und Wärmeentwicklung, hoher Wirkungsgrad sowie überdurchschnittliche Dynamik und Präzision.
Die Kombination von hydraulischer Leistungsübertragung und elektrischer Leistungsstellung mittels Servotechnik ergibt eine energieeffiziente und kostengünstige Lösung in Form einer dynamisch regelbaren Servopumpe. Das Antriebspaket, wie es die Baumüller Nürnberg GmbH anbietet, besteht aus einer Konstantpumpe, einem Servomotor, einem Umrichter b maXX 4000 und der im Umrichter integrierten Servopumpen-Regelungsfunktion. Die umfassende Palette an dynamischen Motoren und Umrichtern in verschiedenen Kühlungsvarianten bietet hier zu jedem Lastprofil die passende Antriebslösung, die im Bereich bis 300 kW für eine energieeffiziente Prozessgestaltung sorgt.
Die komplexen Anforderungen der dynamischen Druck- und Volumenstromregelung lassen sich über das standardisierte Antriebsparametrier-Tool ProDrive einfach und optimiert abbilden. Jede hydraulische Achse kann, abgestimmt auf den jeweiligen Verbraucher, mit eigenen Regelparametersätzen im Regler hinterlegt werden. Da die Servopumpenregelung direkt im Antriebsregelungszyklus bei schnellen Zykluszeiten von 125 µs abgebildet wird, operiert sie sehr dynmisch und genau. Sie lässt sich an die Maschinensteuerung über alle gängigen Feldbusse oder auch analog anbinden. Da die Regelung die bestehenden Vorgabewerte der Maschinensteuerung nutzt, muss diese nicht angepasst werden.
Je nach Zyklusschritt erfolgt durch das Verstellen der Motordrehzahl die Mengen- oder die Druckregelung der Pumpe. In prozessbedingten Zykluspausen der hydraulischen Verbraucher wird der Antrieb demzufolge stillgesetzt und verbraucht dann auch keine Energie. In Phasen der Druckregelung dreht der Motor nur mit geringst notwendiger Drehzahl und verbraucht dann nur ein Minimum an Energie. Dies ist wiederum auf die energieeffizienten Komponenten zurückzuführen, da sowohl die kompensierte Konstantpumpe als auch der Servomotor nicht nur am Nennpunkt sehr gute Wirkungsgrade aufweisen, sondern auch im Teillastbereich.
Da der Antrieb durch Einsatz der Servopumpe nur dann Leistung erbringt, wenn sie tatsächlich genutzt wird, verbraucht die Maschine deutlich weniger Energie. Im Vergleich zu den herkömmlichen Ansätzen kann die Servopumpe den Energieverbrauch nicht selten um die Hälfte reduzieren. Bei langen Zyklen oder Kühlzeiten sind sogar bis zu 80 % Einsparungen möglich.
Eine weitere Folge des verbesserten Wirkungsgrads und der bedarfsgerechten Leistungsbereitstellung ist der geringere Wärmeeintrag in das System, woraus unter anderem eine geringere Ölerwärmung resultiert. Dadurch lässt sich die erforderliche Kühlleistung und die Größe des Kühlers und des Tanks verringern, was zudem einen kompakteren Maschinenaufbau ermöglicht.
Aus beiden Faktoren ergeben sich deutlich reduzierte Lebenszykluskosten, die sich zum Großteil aus Energiekosten zusammensetzen. Höhere Initialkosten amortisieren sich oft innerhalb eines Jahres. Dieser Trend wird mit steigenden Energiekosten noch deutlicher werden.
Ein weiterer Aspekt, der für eine Spritzgießmaschine mit Servopumpe spricht, ist die geringe Lärmbelastung. Die konventionelle Spritzgießmaschine verursacht durch den permanent laufenden Hauptantrieb und die hohen Pulsationen der Kolbenpumpen ein deutlich höheres Geräuschniveau.
Die Spritzgießmaschine ist jedoch nicht das einzige Einsatzgebiet für die Servopumpe. Überall dort, wo es diskontinuierliche Maschinenzyklen gibt, beispielsweise in Gummi-, Druckguss-, Press-, Stanz- oder Biegemaschinen, zahlt sich die bedarfsgerechte Energiebereitstellung mittels Servopumpe aus.
Verena Rathmann-Eisele Baumüller Holding, Nürnberg

„Der hydraulische Servo-Antrieb kommt dem elektrischen sehr nahe“

Philipp Teepe von Baumüller bricht eine Lanze für den servohydraulischen Pumpenantrieb

Servotechnik-Spezialist Baumüller liefert nicht nur vollelektrische Achsen sondern auch Servopumpen für Spritzgießmaschinen. Business Development Manager Philipp Teepe erklärt die Vorzüge dieses Hydraulik-Antriebs.
Stimmt es, dass Spritzgießmaschinen mit Servopumpen-Antrieb so effizient sein können wie vollelektrische Anlagen?
Das kann ich bejahen: Früher war der hydraulische Antrieb ja viel ineffizienter als der elektrische. Heute operiert er mit derselben Servotechnik. Damit verbleibt nur noch der Effizienzunterschied aus der Übertragung der Leistung – also entweder auf hydraulischem oder auf mechanischem Wege über Getriebe und Spindeln. Der hydraulische Antrieb kommt damit dem elektrischen schon sehr nahe.
Die vollelektrische Maschine behält aber die Nase vorn in Sachen Effizienz?
Nun, am Ende des Tages interessieren den Betreiber letztlich nur die Kosten pro Teil. Und da ist die Servopumpe sehr wettbewerbsfähig. Denn bei einer hydraulischen Spritzgießanlage gibt es nur einen Servomotor und einen Servoumrichter, wogegen vollelektrische Maschinen für jede ihrer fünf Achsen einen eigenen Antrieb benötigen – mit entsprechend höheren Investitionskosten. Es kann aber auch eine Kombination beider Konzepte sinnvoll sein, um die Effizienz der hydraulischen Maschine weiter zu steigern. Beispielsweise indem hybride Anlagen einen elektrischen Antrieb für das Plastifizieren nutzen und für die restlichen Achsen den hydraulischen Antrieb mit Servopumpe.
Was spricht dann noch für eine vollelektrische Maschine?
Die vollelektrischen Spritzgießmaschinen haben dort große Vorteile, wo es auf hohe Genauigkeit oder auf Reinraumbedingungen ankommt. Zum Beispiel möchte man in der Medizintechnik in der Regel nicht mit Hydraulik umgehen. Oder bei technischen Teilen im Automobilbau wird aus Genauigkeitsgründen häufig auf elektrische Anlagen gesetzt. Auch bei der Herstellung von sehr dünnwandigen Teilen, bei denen sehr genau eingespritzt werden muss, wird gerne die Vollelektrik gewählt, zum Beispiel in der Verpackungstechnik.
Bleiben wir bei der Hydraulik: Lohnt sich ein Servopumpen-Antrieb immer oder reicht zuweilen die „alte“ Hydraulik aus?
Die elektrohydraulische Verstellpumpe hat einen Vorteil: Auf sehr lange Haltezeiten kann sie sich besser einstellen, indem sie hohen Druck mit einem geringen Moment bereitstellt. In solchen Fällen lässt sich der Servoantrieb aber auch mit einer Verstellpumpe kombinieren, so dass er beide Vorteile erfüllt, höhere Energieeffizienz und geringes Moment. Eine konventionelle Hydraulik rechnet sich außerdem in den eher seltenen Fällen, in denen die Anlage nur eine geringe Betriebsstundenzahl erreicht und die Einsparungen darum nicht ausreichend ins Gewicht fallen.
Bedeutet der Servopumpen-Antrieb einen Rückschlag für die Atraktivität der vollelektrischen Spritzgießmaschine?
Hierzu gibt es interessante Untersuchungen, wonach bis 2020 der Anteil der elektrischen Spritzgießmaschinen für Schließkräfte bis 4000 kN bei 50 Prozent liegen soll. Bei Maschinen über 4000 kN sollen dagegen zu 100 Prozent hydraulische Maschinen zum Einsatz kommen – immer aber mit Servomotor.
Wie sollte ein Verarbeiter vorgehen, wenn er vor der Wahl des Antriebs steht?
Der Verarbeiter sollte sich zunächst über die wichtigsten Kriterien für seine Anwendung klar werden: Wirtschaftlichkeit, Genauigkeit, Lärmpegel… An seiner Stelle würde ich dann mit meinem Teilespektrum zum Maschinenanbieter gehen und ihn ausrechnen lassen, mit welcher Anlage sich welche Produktionskosten ergeben.
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