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Die Großen der Industrie stürzen sich auf die additive Technik

Additive Manufacturing
Die Großen der Industrie stürzen sich auf die additive Technik

Der 3D-Druck ist nicht bloß im Aufbruch, er boomt: Die Großen der Industrie investieren massiv, es werden völlig neuartige Technologien vorgestellt – und die Welt beobachtet die Entwicklung mit größtem Interesse. ❧ Olaf Stauß

General Electric (GE) Aviation gehört zu den wichtigsten Treibern des metallischen 3D-Drucks. In Auburn, Alabama, betreibt der Triebwerkhersteller eine additive Produktion, die mit 28 Anlagen rund um die Uhr läuft. Die Maschinen drucken Einspritzdüsen für das neue Triebwerk Leap-1. Diese additiven „fuel nozzles“ entstehen an einem Stück und lösen die 20 Einzelteile früherer Düsen-Konstruktionen ab. Im Vergleich zu ihnen sind sie um 25 % leichter und erreichen die fünffache Lebensdauer. Jede Leap-1-engine erhält 19 solcher additiv gefertigter Injektoren.

Einige dieser Triebwerke sind schon in der Luft, im Sommer wurde ein erster Airbus A320 neo an die türkische Pegasus Airlines ausgeliefert. Das laut Unternehmensangaben besonders sparsame und mit etlichen technologischen Neuerungen ausgestattete Leap-1 schreibt Erfolgsgeschichte: Beim Hersteller CFM International, einem 50-50-Jointventure von GE mit der französischen Safran Aircraft Engines, sind bereits über 11 000 Order eingegangen.
Dies bedeutet auch einen Schub für die additive Fertigung: Rund 6000 Leap Fuel Nozzles will GE Aviation bis zum Jahresende 2016 durch Laserschmelzen produzieren, ab 2020 sollen es jährlich 40 000 Injektoren sein. Und bei diesem additiven Bauteil wird es nicht bleiben, wenn es nach den Plänen des Triebwerksbauers geht. Die für ein neues Cessna-Modell entwickelte Advanced Turboprop Engine (ATP) soll beispielsweise zu 35 % additiv produziert werden. Erste Tests des neuen Triebwerks sind für Ende 2017 angesagt.
Dem nicht genug möchte GE „die additive Revolution beschleunigen“ und selbst ins Geschäft mit Additive Manufacturing (AM) einsteigen. 10 000 Maschinen will der US-Gigant in den nächsten zehn Jahren verkaufen und zielt damit auf einen Umsatz von 1 Mrd. US-Dollar im Jahr 2020.
Dass der Triebwerkshersteller dieses Ziel konsequent verfolgt, sorgte auf der Branchenmesse Formnext im November für einen Paukenschlag. Es hatte sich schon herumgesprochen, dass die 75%-Übernahme der SLM Solutions Group AG gescheitert war. Nun gab die Concept Laser GmbH bekannt, dass sie 75 % ihrer Anteile an GE abgibt, Kaufpreis 599 Mio. US-Dollar. Und zwar ohne wirtschaftliche Not: Im laufenden Geschäftsjahr erwartet der Pionier für das Metall-Laserschmelzen einen Umsatzrekord von rund 100 Mio. Euro mit etwa 200 verkauften Anlagen.
Frank Herzog, Geschäftsführer des Familienunternehmens, begründete den Schritt so: Man habe eine strategische Partnerschaft erwogen, um „durch den Zugriff auf zusätzliche Ressourcen unangefochtener globaler Marktführer zur werden“. GE wolle am Standort Lichtenfeld „kurzfristig erhebliche Investitionen im dreistelligen Millionenbereich“ tätigen, so Herzog.
Zeitgleich brachte GE die Übernahme der schwedischen Arcam AB zum Abschluss. Arcam ist Pionier für das Electron Beam Melting (EBM). Die Amerikaner verfehlten die angestrebte 75%-Beteiligung zwar knapp, griffen aber trotzdem zu.
Der Flugzeugbau bringt Dynamik in die Additiv-Branche, schon seit Jahren. Neben General Electric engagieren sich noch weitere Global Player im 3D-Druck, etwa Airbus und Boeing (aktiv im Kunststoffsegment, über den Metalldruck bei Boeing ist nichts bekannt). Die Marktzahlen steigen. So geht SLM Solutions von einem Umsatzplus zwischen 13 und 21 % in diesem Jahr aus. EOS berichtet von einem Zuwachs von 20 % auf 315 Mio. Euro – die Münchner liefern in diesem Jahr rund 450 Metall- und Kunststoff-Systeme aus. Und Trumpf, erst kürzlich wieder in die additive Technik eingestiegen, holt bei Maschinen und Peripheriegeräten mit Riesenschritten auf. Sind heute 80 Mitarbeiter im Bereich Laserschmelzen tätig, so sollen in den nächsten zwei Jahren noch 200 Stellen hinzukommen. Ein weiterer Newcomer ist das niederländische Unternehmen Additive Industries. Es lässt aufhorchen, indem es renommierte Kunden wie Airbus und GKN mit der Beta-Version seiner Anlage MetalFab1 beliefert.
Im 3D-Druck spielt die Musik. Die additive Technik ist zur Chefsache geworden in der Industrie. Die Großen investieren, um ihre Chancen wahrzunehmen – darunter Firmen wie Siemens, HP, Autodesk, SAP, BASF, Phoenix Contact, Michelin und Heraeus. Teils verbünden sie sich zu diesem Zweck mit Additiv-Spezialisten. Siemens kooperiert zum Beispiel mit Firmen wie Stratasys, Trumpf und EOS, um umfassende Software-Lösungen für die additive Fertigung bereitstellen zu können.
Ein weiteres Indiz für die Aufbruchstimmung im 3D-Druck sind die Aktivitäten der Maschinenhersteller im Metallbereich. Sie mühen sich um die Industrialisierung ihrer Technik, indem sie Tools zur Qualitätssicherung und Konzepte für die automatisierte Serienfertigung entwickeln. Concept Laser stellte zum Beispiel auf der Formnext die neuartige Maschinenarchitektur „M Line Factory“ vor, bei der Produktion und Auf- und Abrüstvorgänge unabhängig voneinander parallel ablaufen. In Kooperation mit Swisslog soll ein fahrerloses Transportsystem entwickelt werden, das entsprechende Maschinenmodule und -komponenten automatisiert zu- und abführt. Wettbewerber EOS nennt sein korrespondierendes Konzept „Shared Modules“ und sieht vor allem die Notwendigkeit, AM in bestehende Produktionsumgebungen zu integrieren.
Auch die Maschinen selbst verändern sich in Richtung Serienfähigkeit. SLM Solutions etwa hat die mittlere Anlage SLM 280 komplett überarbeitet und Version 2.0 vorgestellt: Sie ist nun wahlweise mit einem oder zwei Lasern in variablen Stärken von 400 W, 700 W oder 1000 W erhältlich. Zwei Laser können unabhängig voneinander operieren und mehrere Pulverschichten in einem Schmelzvorgang bearbeiten. Das Pulver lässt sich bidirektional auftragen. Eine 2+1-Filterkonfiguration minimiert die Stillstandszeiten. Alle diese Maßnahmen erhöhen die Produktivität. Größere Anlagen – bei SLM und anderen – arbeiten optional schon mit vier Lasern.
Inkjet-Printer fertigt Metallteile
Der explosionsartige Boom ereignet sich vor allem im Metalldruck. Bei FIT, mit 230 Mitarbeitern einer der größten unabhängigen additiven Fertiger, hat der Metalldruck das Kunststoffsegment überflügelt. FIT betreibt 18 additive Anlagen für Kunststoff- und inzwischen 22 für Metallteile, darunter vier EBM-Anlagen. Der wichtigste Kunde ist der Automobilbau. „In zehn Jahren wird es keinen Verbrennungsmotor mehr ohne additive Teile geben“, prognostiziert Finanzvorstand Albert Klein. Er denkt dabei an die geometrischen Vorzüge additiv gefertigter Wärmetauscher-Elemente.
Trotz der Dominanz des boomenden Metalldrucks ist die Dynamik im Kunststoffbereich nicht zu unterschätzen. Industrialisierung bedeutet hier noch viel mehr, die Augen der Anwender für die Vorteile zu öffnen und ihre Kreativität anzustacheln. EOS greift diesen Ansatz mit dem Programm „Additive Minds“ auf, das von Beratung über Innovationsunterstützung bis hin zur eigenen Akademie reicht.
Noch weiter geht Ilan Levin, neuer CEO von Stratasys. Auf der Formnext deutete er einen Paradigmenwechsel im Denken an. „Die großen Chancen liegen alle noch vor uns“, sagte er auf der Messe. „Anders als früher wissen die Firmen heute Bescheid über den 3D-Druck und suchen nach Business Cases. Wir müssen die Anwender und ihre Problemstellungen in der Tiefe verstehen, um ihnen Lösungen zugänglich zu machen.“ Das Gesagte stellt den bisherigen Ansatz auf den Kopf: Nicht mehr die Anwender müssen sich an den begrenzten Möglichkeiten der Geräte orientieren, sondern Stratasys sieht sich als Anbieter gefordert, die Systeme an den branchenspezifischen Bedarf der Kunden anzupassen. „Wir wollen Lösungsplattformen für Branchen erarbeiten“, sagte Levin in Frankfurt. „Dazu stehen uns das Know-how unserer Mitarbeiter und Anwendungserfahrungen von 18 000 Kunden zur Verfügung.“
Wie flexibel die Systeme heute schon sind, demonstriert Stratasys mit einem „Robotic Composite 3D Demonstrator“: Ein Industrieroboter führt eine Extrusionsdüse als Endeffektor und produziert ein kuppelförmiges Teil aus faserverstärktem Polyamid, das an eine Raketenspitze erinnert. Dieser Robotic Demonstrator löst sich von den Limitierungen des schichtweisen Aufbaus und von werkstofflichen Limitierungen. Er zeigt, wie sich künftig Composites mit variablen Faserrichtungen drucken lassen. Ein kontinuierlicher Prozess wird möglich. Stratasys will diese Idee gemeinsam mit Siemens umsetzen, basierend auf der NX-Software und der Steuerung Sinumerik 840D sl CNC von Siemens.
Derartig neue Ansätze gab es auf der Formnext in großer Fülle. Das ist ein drittes Indiz dafür, dass sich der 3D-Druck in einer boomenden Aufbruchsphase befindet. Die Akteure präsentierten Prozesse, die vor fünf Jahren noch niemand für möglich gehalten hat. Häufig ist ihre Markteinführung erst für 2017 oder später geplant. Ihrer sind so viele, dass sie sich hier nur kurz streifen lassen.
HP stellt mit „HP Multi Jet Fusion 3D“ ein Verfahren vor, das zehnmal schneller und halb so teuer sein soll wie das Lasersintern von Kunststoffen. Es bringt die Inkjet-Technik zu neuer Blüte: Es werden zweierlei Tinten auf die Schichten im Pulverbett aufgetragen: die erste infiltriert die Stellen, an denen das Pulver unter Infrarotstrahlung verschmelzen soll, die zweite sorgt für scharfe Details und Kanten. Die mechanischen Eigenschaften des additiven Teils lassen sich voxelweise steuern, heißt es. Arkema, BASF, Evonik sowie Lehmann & Voss sind Partner und entwickeln Materialien für die offene Plattform.
XJet ist es sogar gelungen, Metallteile mit Inkjet-Technologie zu produzieren – und zwar fünf Mal schneller als durch Laserschmelzen, berichten die Israelis. Die Basis bilden Metall-Nanopartikel, die sicher in Cartridges verpackt sind. Eingebettet in Tröpfchen als Trägermaterial versprüht sie der Drucker wie Tinten. Ein 300 °C heißer Bauraum sorgt dafür, dass die Flüssigkeit am Zielort verdampft und die Metallpartikel verschmelzen. Niemand kommt mit dem Material direkt in Kontakt.
Evo-Tech will mit BASF ein Filament für das FDM-Verfahren entwickeln, das zu 80 % aus Metall besteht. An das Drucken schließt sich ein Sinterprozess an. Das Ergebnis sind vergleichsweise günstige Metallteile. Ihre Qualität soll jener von MIM-Teilen entsprechen.
3D Systems etwa denkt über ein automatisiertes Konzept für die Serienproduktion von hochpräzisen Stereolithographie-Teilen nach. Heraeus macht amorphe Metalle wie Gold und Wolfram zugänglich für den 3D-Druck. Auch das Unternehmen O.R. Lasertechnologie und das französische Jointventure Fives Michelin bringen nun Geräte für das Laserschmelzen auf den Markt. BigRep arbeitet mit Kühling & Kühling an einem FDM-Drucker für Polycarbonat. Und Voxeljet druckte große Schalungen aus Sand, mit denen Testmodelle für die parabolischen Säulen von Stuttgart 21 betoniert wurden. Nichts scheint mehr unmöglich.
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