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Montagetechnik: Forscher entwickeln flexibles Montagekonzept für Autos

Montagetechnik
Forscher entwickeln flexibles Montagekonzept für Autos

Der Name ist Programm: Die agile Low-Cost-Montage soll es ermöglichen, Autos trotz kleiner Stückzahlen und einer hohen Varianz wirtschaftlich herzustellen. ❧

Mona Willrett

Wie von Geisterhand bewegt rollen die Chassis durch die Montage. Gleich zu Beginn wurden die Rahmen der künftigen Elektroautos mit allem bestückt, was fürs selbstständige Fortkommen wichtig ist – Antrieb, Batterie, Fahrwerksteile und Steuerungstechnik. Danach rollen sie autonom von Station zu Station…

Wandlungsfähigkeit, Flexibilität und Agilität, verbunden mit einem geringen Investitionsbedarf – diese Merkmale sollen auf das neue Fertigungskonzept zutreffen, mit dem Aachener Forscher die Produktion von Autos revolutionieren wollen. „Unsere Motivation, ein Konzept für die Agile Low-Cost-Montage zu entwickeln, gründet auf dem klaren Trend in der Automobilproduktion hin zu einer größeren Modellvarianz“, sagt Sebastian Bertram. „Nicht nur aufgrund der Kundenerwartungen hinsichtlich einer stärkeren Individualisierung, sondern auch, weil für viele Märkte spezifisch angepasste Modelle und Ausstattungslinien gefragt sind“, ergänzt der Wissenschaftliche Mitarbeiter am Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen.

Sich verändernde Märkte erfordern neue Montagekonzepte

Anlässlich des Aachener Werkzeugmaschinen-Kolloquiums (AWK) im Mai wies Prof. Achim Kampker darauf hin, dass sich die Struktur der weltweiten Automobilmärkte grundlegend verändere. Unsichere Stückzahlenprognosen – gerade bei Elektrofahrzeugen –, die Verschiebung der Absatzmärkte hin zu global verteilten Mikromärkten sowie stark verkürzte Innovations- und Projektlebenszyklen stellten die Branche vor immer größere Herausforderungen, so der Leiter des Lehrstuhls für Production Engineering of E-Mobility Components (PEM) an der RWTH Aachen weiter. „Derzeit beliefern wenige große und produktspezifische Fabriken viele Märkte. Künftig werden aber lokale und produktflexible Fertigungsstandorte nötig sein. Und das erfordert ein neues Montagekonzept.“ Auch die Kosten für die Logistik sowie lokale Steuern und Zölle sprächen dafür, Autos in kleineren Produktionseinheiten in den jeweiligen Märkten zu produzieren oder zumindest zu montieren. Die klassische, starr verkettete Linienmontage bietet dazu aber nicht die erforderliche Flexibilität. Zudem ist sie mit hohen Investitionen für Produktions- und Fördersysteme verbunden. Um hier Abhilfe zu schaffen, arbeiten Forscher von WZL und PEM an einem neuen Produktionskonzept. Sie wollen

  • strukturelle Fixpunkte auflösen,
  • die erforderlichen Strukturinvestitionen minimieren,
  • die Informationsaufbereitung fokussieren,
  • den Betriebsmittelbau beschleunigen und
  • ein durchgängiges, automatisiertes Toleranzmanagement verwirklichen.

Im Zentrum des Forschungsprojekts LoCoMo, das im Juli 2017 startete, stehen flexible Low-Cost-Montage-Einheiten. Neben der theoretischen Entwicklung des Konzeptes arbeitet das Projektteam der beiden Lehrstühle gemeinsam mit Experten aus der Industrie an der praktischen Umsetzung der Lösungsbausteine.

Unabhängige Stationen lösen starre Verkettung ab

Im Gegensatz zur starren Verkettung einer klassischen Linienmontage, ist die Agile Low-Cost-Montage in unabhängigen und separierten Stationen organisiert, zwischen denen keine direkte Kopplung durch ein Fördersystem besteht. Dadurch ist die Prozessreihenfolge für ein Fahrzeug nicht starr vorgegeben, sondern abhängig von Fahrzeugtyp und -variante. Alle Betriebsmittel und Vorrichtungen sind so gestaltet, dass ein Höchstmaß an Flexibilität bei gleichzeitig geringen Investitionen erreicht wird.

Doch die Steuerung einer solchen flexiblen Fertigung ist deutlich komplexer als bei der heute üblichen Linienmontage. Letztere ist zwar mit einem hohen Planungsaufwand verbunden, aber nach dem Einfahren der Serie hält sich der Steuerungsaufwand in Grenzen. Andererseits lassen sich Arbeitsumfänge, die nicht in den Takt passen, kaum integrieren. Das wiederum ist bei der agilen Montage kein Problem. Da das Leitsystem das rollende Chassis frei zum nächst verfügbaren Montageplatz lenkt, ist es problemlos möglich, unterschiedliche Taktumfänge oder neue Varianten in die Fertigung einzusteuern. Wie sich die Pfade der einzelnen Fahrzeuge optimieren lassen, wird derzeit untersucht. Ebenso die Möglichkeit, diese Abläufe zu visualisieren.

Intralogistik nutzt alle drei Dimensionen

Auch das Konzept für die Intralogistik – wie, wann und wo Teile, Komponenten und Werkzeuge bereitgestellt werden – müssen die Aachener komplett neu entwickeln. Um auf sich ändernde Arbeitsinhalte möglichst flexibel reagieren zu können, nutzen sie dazu auch die dritte Dimension: Drohnen fliegen kleinere Bauteile zur jeweiligen Montagestation. Werkzeuge und größere Komponenten werden mittels autonomer Werkzeugwagen und fahrerloser Transportsysteme bereitgestellt. Welche Herausforderungen und Grenzen mit einer solchen Just-in-time-Bereitstellung gegenüber dem klassischen Konzept verbunden sind und wie sie sich beherrschen lassen, ist ebenfalls Teil der Forschungsarbeiten.

3D-Drucker fertigen Komponenten just-in-time

Hinter dem Begriff „Rapid Fixture“ verbirgt sich ein modularer Betriebsmittelbau. Die Grundstruktur von Ladungsträgern und Vorrichtungen entsteht aus einem Modulbaukasten. Sie werden nicht länger für jede Variante eines Bauteils individuell angefertigt. Lediglich die eigentlichen Aufnahmepunkte werden – auf Basis der CAD-Daten des Werkstücks – bauteilspezifisch angepasst und generativ aufgebaut. So gelingt es, diese Betriebsmittel schnell und kostengünstig anzupassen.

Generative Fertigungsverfahren spielen aber auch bei der 3D-Justage eine zentrale Rolle. Toleranzausgleichselemente mit deren Hilfe sich beispielsweise das Spaltmaß von Türen oder Hauben einstellen lässt, senken sowohl den Justageaufwand in der Montage als auch die Kosten für die Werkzeuge im Karosseriebau. Den Ablauf zeigten die Forscher in ihrem Demonstrator beim AWK am Beispiel der Türmontage. Zuerst wurde das Bauteil vermessen und mit dem realen Einbaubild verglichen. Anschließend berechnete das System ein passendes Ausgleichselement, das additiv gefertigt und von einer Drohne just-in-time angeliefert wurde.

Wie sich bei diesem Vorgehen der Aufwand im Servicefall oder bei der Reparatur von Unfallschäden in akzeptablen Grenzen halten lässt, das sei ebenfalls noch Gegenstand der Untersuchungen, gesteht Bertram. „Einfache Montage und hohe Servicefreundlichkeit – das sind vielfach gegenläufige Interessen, die im Einzelfall gegeneinander abgewogen werden müssen.“

Bietet nicht nur in der Montage von E-Mobilen Vorteile

Das Konzept der Agilen Low-Cost-Montage ist prädestiniert für die Produktion von Elektrofahrzeugen, die sich problemlos mittels des eigenen Antriebs durch eine Montagehalle bewegen können. Der flexible Charakter biete aber auch in der Montage von Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor Vorteile, so der Forscher weiter. Allerdings müssten dann fahrerlose Transportsysteme (FTS) die Autos von Station zu Station bewegen.

Eingesetzt werden soll das neue Produktionskonzept zunächst beim neuen Aachener Elektro-Autobauer e.GO, der aus Initiativen verschiedener Institute der RWTH Aachen entstanden ist. Mitte kommenden Jahres will das junge Unternehmen die ersten Exemplare seines Stadtautos Life ausliefern. Doch auch mit klassischen OEMs sind die Wissenschaftler im Gespräch über die Vor- und Nachteile sowie Potenziale und Grenzen des Konzepts. Ob und wann es von einem etablierten Autobauer aufgegriffen wird, steht laut Bertram noch in den Sternen. Am ehesten denkbar wäre das bei Klein- und Sonderserien, die bereits heute außerhalb der Linie in einer Manufakturfertigung entstehen.

„Die Stärke der Agilen Low-Cost-Montage liegt bei kleineren Stückzahlen und einer hohen Varianz“, sagt Bertram. „Wir gehen derzeit davon aus, dass sich unser Konzept für Serien bis zu 100 000 Einheiten pro Jahr eignet.“ Die Großserie bleibe eine Domäne der klassischen Linienfertigung. Das sei aber auch nicht verwunderlich, schließlich werde sie seit über 100 Jahren kontinuierlich optimiert.

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