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Gestatten: DAS Exponat

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Gestatten: DAS Exponat

Meilensteine | Sie sind die eigentlichen Stars der Messen, sie verkörpern das Innovative und sie sind in großer Zahl präsent: die Exponate und Anwendungen. Zehntausende Ingenieurs- und Techniker-Stunden sind in sie geflossen, bevor die Schau beginnt. Und so manches „Exponat“ löst ungeahnte Entwicklungen aus… § Olaf Stauß

Mit 45 Sattelschleppern rückte Engel Austria zur letzten Kunststoff-Messe an. Der Maschinenbauer aus Linz errichtete einen Stand mit zwölf produzierenden Fertigungszellen. Drei Wochen vor Start begannen die Arbeiten, eine Woche vorher das Verkabeln der IT mit 5 km Netzwerkkabeln, 200 verschiedenen WLANs und 250 Schnurlos-Telefonen. Am letzten Tag wurde noch das Maschinenpersonal geschult, dann gings los. Am Ende der K 2013 waren 22 t Granulat verbraucht, mehr als 1000 belegte Brötchen verspeist, beinahe 1900 l Bier getrunken und vor Ort hatten sich 694 Firmenmitarbeiter engagiert – auf dem Stand eines einzigen Ausstellers.

Der Aufwand ist immens, insbesondere für die Exponate. „Exponate“, das muss man wissen, sind im Jargon der Kunststoffleute nicht die Teile. Gemeint sind die Anlagen auf der Messe, die diese Teile live produzieren. Bevor eine neue Technik ins Rampenlicht rückt, stecken Ingenieure, Techniker und Vertriebsleute viele Stunden in ein solches Exponat. Wochen und Monate läuft der Countdown bis zum Tag X, dem Messebeginn. Wird es funktionieren? Kommt das Exponat beim Besucher an, springt der Funke über? Die Spannung lässt erst nach, wenn der Vorhang fällt und die Anlage zu produzieren beginnt.
So war es auch, als Engel die erste holmlose Spritzgießmaschine auf der K 1989 präsentierte. Die Innovation wurde bestaunt und belächelt – ohne Holme, das könne nicht gutgehen. Heute gehören die Holmlosen zu den wichtigsten Umsatzträgern der Oberösterreicher. Engel baut die Reihe immer noch aus und präsentiert auf der Fakuma 2014 wieder ein neues, vollelektrisches Modell (Seite 10).
„Beim Planen fragt man sich, welche Botschaft man auf der Messe rüberbringen will und welches Exponat sich dafür eignet“, erklärt Georg Tinschert, Geschäftsführer des anderen großen österreichischen Spritzgießmaschinenbauers, Wittmann Battenfeld. Er kennt die Gepflogenheiten der Branche als Insider in- und auswendig. „Der Messebesucher will etwas sehen. Deswegen muss auch Show dabei sein, die Eindruck macht und in den Köpfen haften bleibt“, sagt er. „Und die Show kommt über die Anwendungen.“
Für die Hersteller heißt das, dass sie sich vor den Messen nach cleveren Spritzgießanwendungen umschauen. Kein leichtes Unterfangen. Denn nicht jeder Werkzeugbauer will seine jüngste Innovation öffentlich machen. Um seine neue „SmartPower“-Reihe auf der Fakuma zu präsentieren, hat sich Wittmann Battenfeld beispielsweise ein Werkzeug von Greiner Packaging, Division Assistec, ausgeliehen. Mit ihm produziert die hybride Spritzgießmaschine, die erstmals serienmäßig mit servohydraulischen Achsen ausgestattet ist, ein Pleuel aus glasfaserverstärktem Polyamid für Kompressoren (Seite 9). „Und das schafft sie in einer Zykluszeit von nur zwölf Sekunden“, sagt Tinschert. „Mit diesem Exponat wollen wir die Präzision und Dynamik der neuen SmartPower demonstrieren.“
Die Botschaft einer anderen Messe-Anwendung von Wittmann Battenfeld heißt „leicht und schön“. Das mit Engineering-Dienstleister Schaumform entwickelte Exponat will dem Besucher vor Augen führen, was durch die Schäumtechnologie Cellmould möglich wird: das Spritzgießen von Leichtbauteilen, die trotz ihrem geschäumten Inneren eine tadellose Oberfläche haben und nicht lackiert werden müssen.
Vom Erfolg der Exponate hängt unheimlich viel ab. Manchmal sogar, ob eine Technologie Fuß fasst oder nicht. Als Battenfeld auf der K 2004 ein großes, spritzgegossenes Autoglasdach aus Polycarbonat produzierte, horchte die Fachwelt auf. Bis dahin hielt das keiner für möglich – obwohl die Technologie bekannt war. Summerer Technologies lieferte damals das Werkzeug. „Das Exponat auf der K 2004 hat einen entscheidenden Impuls für das PC-Dach gegeben“, ist sich Mitgesellschafter Anton Summerer sicher. Inzwischen konnte der bayerische Formenbauer die Technik zu einem eigenen Geschäftsfeld ausbauen. Beispielsweise ist der neue Smart wieder mit einer solch schicken und transparenten Dachhaube unterwegs – halb so schwer als aus Glas, schlagfest und mit großer Designfreiheit geformt.
Doch wer „erfindet“ eigentlich, was gezeigt wird, und was passiert dann? Arburg plaudert aus dem Nähkästchen: Im Frühsommer vor der K 2010 kam Werkzeugbauer Haidlmair zu Besuch in den Schwarzwald. „Gemeinsam überlegten wir, was auf unserer nun größten hybriden Spritzgießmaschine Allrounder 920 H mit neu konzipierter servoelektrischer Kniehebel-Schließeinheit gezeigt werden könnte“, erinnert sich Jürgen Schray aus der Anwendungstechnik.
Auch der Technikgeschäftsführer von Arburg und der Vertrieb waren mit dabei. Die zündende Idee kam Josef Haidlmair, als ihm die Einkaufstüte einer Supermarktkette einfiel. Ein „Arburg-Bag“ aus recycliertem Polypropylen im Knitter-Look einer gebrauchten Papiertüte – das wäre ein Hingucker. Und eine technische Herausforderung, da war sich die Runde einig. Rund zwölf Wochen dauerte es, bis die Aufgabe gelöst war. Galt es doch, für das maximal 2 mm dicke Teil ein Fließweg-Wandstärken-Verhältnis von 240 zu meistern und unebene Flächen zu realisieren.
Haidlmair stattete das Werkzeug mit Einfallkernen und aufwendiger Kernschiebertechnik aus. Eine Abstreifplatte steuerte mechanisch die einwärts fahrenden vier Kernschieber.
Fünf Wochen vor Messestart fand die erste Abmusterung statt. Ergebnis: Im Prinzip funktionierte alles. Nun mussten noch Details optimiert werden. Kugelstrahlen half zum Beispiel, die Mattoptik von Papier zu imitieren. Zwei Wochen vor der K brachte die finale Abmusterung dann das ersehnte Okay.
Das Exponat wurde zum Publikumsmagnet. Auf der K 2010 und der Fakuma 2011 standen sich Besucher die Füße platt, um eine „Tüte“ zu ergattern, trotz Zykluszeit von nur 25 s. Vor Messeschluss stellte sich ein Arburg-Mitarbeiter mit dem Schild „letzte Tüte“ in die Schlange, um den zu spät Kommenden einen Frust zu ersparen. Zu guter Letzt hat es die Haidlmair-Arburg-Bag bis in den Baumarkt geschafft, wenn auch unter anderem Namen.
Exponate haben das Zeug, die Fachwelt zu elektrisieren. Welcher Anwendung gelingt das im Messe-Oktober? Dr. Reinhard Schiffers, Leiter Maschinentechnologie bei KraussMaffei, würde wohl auf die Adaptive Prozessführung (APC) tippen. Sie wird in jeder Spritzgießmaschine auf dem Stand enthalten sein. Eine davon ist als Exponat ausgelegt und führt das Tool vor: Die Maschine wird live mit Granulat gefüttert, dessen Qualität sichtlich schwankt – und soll trotzdem Schuss für Schuss gute Teile produzieren (Seite 8). Sie braucht dafür keine zusätzliche Sensorik, nur APC. „Revolutionär ist, dass die Bauteilqualität die ausschlaggebende Regelgröße ist“, sagt Dr. Schiffers.
Die Anfänge dieser Entwicklung liegen fünf Jahre zurück. Schiffers und seine Kollegen „spielten“ damals an den Anlagen, um herauszufinden, welche Störungen sich wie auswirken. Mit der Zeit kreisten sie die Zahl der relevanten Parameter von anfänglich Hunderten auf immer weniger ein – und begannen mit der APC-Entwicklung.
Wird das Exponat die Technik verändern? Schiffers erwartet einen Paradigmenwechsel: „Die Spritzgießer werden sich darauf einstellen, dass die Maschine selbstständig den Prozess stabilisieren kann.“ Klingt spannend. Man wird sich das Exponat ansehen. Und dann sehen. •
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