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Größtenteils Neuland

Patentstrategien im Bereich der Elektromobilität
Größtenteils Neuland

Mit der Elektromobilität wird sich die Wertschöpfungskette bei der Autoherstellung in den nächsten Jahren verändern. Vor allem deutsche Firmen sollten angesichts der Vielschichtigkeit der neuen Technologien und der strategischen Herausforderungen bei Schutzrechten rechtzeitig Maßnahmen ergreifen, um sich auch bei einem sich rasch vollziehenden Technologiewechsel eine starke Marktposition aufbauen und sichern zu können.

In den nächsten drei Jahren wird die deutsche Wirtschaft bis zu 17 Mrd. Euro in die Forschung und Entwicklung im Bereich der Elektromobilität investieren. Dies dürfte zu geschätzten 6000 Patentanmeldung jährlich führen*. Zum Vergleich: In Deutschland werden jährlich circa 60 000 Patente angemeldet. Ein signifikanter Anteil wird also zukünftig auf die Elektromobilität gerichtet sein.

Hinzu kommt, dass von der Entwicklung elektrischer Antriebskonzepte die gesamte Wertschöpfungskette der Fahrzeugherstellung betroffen ist. Oft wird dazu technologisches Neuland betreten. Damit ergibt sich im Hinblick auf Patente eine völlig neue Situation: Zum einen sind wieder „Basispatente“ möglich, das heißt solche Patente, um die man nicht herumkonstruieren kann. Ferner werden die auf die Verbrennungstechnologien gerichteten Patente zunehmend wertlos. Eine an diese Randbedingungen angepasste Patent-Strategie ist daher für den zukünftigen Unternehmenserfolg von entscheidender Bedeutung.
Unter einer Patent-Strategie ist die geplante Verhaltensweise eines Unternehmens zur Erreichung seiner Ziele in Bezug auf Patente zu verstehen. Der Begriff Patente lässt sich vorliegend natürlich auch auf die anderen gewerblichen Schutzrechte, wie etwa Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster und eventuell sogar Marken, ausdehnen.
Bei der Entwicklung einer Patent-Strategie müssen in einem ersten Schritt Ziele definiert werden, also beispielsweise welche Technologien sollen auf welchen Märkten geschützt werden oder wie viele Patente will man in X Jahren halten. Hiernach sind Maßnahmen festzulegen, mit deren Hilfe diese Ziele erreicht werden können. Diese können beispielweise darin bestehen, für die Entwickler Anreize zu schaffen, Erfindungsmeldungen abzugeben.
Welche Auswirkungen hat nun das Aufkommen der Elektromobilität auf die Patent-Ziele? Zunächst einmal bringt das Aufkommen der Elektromobilität einen dramatischen Wandel der Wertschöpfungskette mit sich. Insbesondere Leistung und Kosten der Antriebsbatterie sind entscheidend für den Erfolg von Elektromobilität. Die Weiterentwicklung der Batterietechnologie konzentriert sich dabei auf Energiedichte, Nutzungssicherheit, Zyklenbeständigkeit und Lebensdauer. Bei einer dezidiert „grünen“ Technologie gehören auch Life-Cycle-Betrachtungen dazu, von der Rohstoffverfügbarkeit bis hin zur Recyclingfähigkeit. Diese Themen sind für Automobilhersteller größtenteils Neuland. Bisher konnten die OEMs mit ihrer Expertise in der konventionellen Antriebstechnologie den Löwenanteil der Wertschöpfung am Automobil für sich beanspruchen. Doch das Wissen um Verbrennungsmotoren oder Getriebe ist beim Elektrofahrzeug nicht mehr gefragt. In der Batterietechnologie, etwa im Bereich der Lithium-Ionen-Akkus, haben andere Unternehmen, etwa aus der Chemie- und Elektronikbranche, rund 20 Jahre Erfahrungsvorsprung. Diese Unternehmen drängen jetzt in den sich elektrifizierenden Automobilmarkt und verändern dadurch die Wertschöpfung für die OEMs dramatisch. Statt eines derzeitigen Know-how-Anteils von 63 % könnten in den Antriebstechnologien zukünftig nur noch 15 % auf die Automobilindustrie entfallen (siehe Bild oben links).
Viele Unternehmen betreten also mit der Elektromobilität technologisches Neuland, weshalb ganz offensichtlich Know-how und damit natürlich auch Schutzrechte noch fehlen. Erschwerend kommt teilweise hinzu, dass im Bereich der Elektromobilität bereits Unternehmen aus anderen Branchen Patente halten. Beispielsweise besitzt etwa die Chemie- und Elektronikbranche Patente für Batteriesysteme, die nun auch für Automobilhersteller an Bedeutung gewinnen. Im Einzelfall kann dies bedeuten, dass hohe Lizenzgebühren fällig werden oder sogar ein Markeintritt verwehrt ist. Auch kann sich ein Imageverlust und damit ein Verlust des Marktwertes der betroffenen Unternehmen einstellen.
Überdies werden die auf die überkommenen Verbrennungstechnologien gerichteten Patente zunehmend an Wert verlieren. Damit verringert sich die Markmacht der Firmen, die solche Patente halten. Dies führt nicht zuletzt dazu, dass diese Unternehmen zusehends auf Augenhöhe mit vergleichsweise jungen Firmen, etwa aus China, agieren,
Der Ausgangspunkt für die Erreichung der Patent-Ziele kann anhand einer Soll-/Ist-Analyse definiert werden. Bild oben rechts illustriert beispielhaft und rein quantitativ einen typischen OEM heute, der eine Vielzahl von Patenten hält, die auf herkömmliche Verbrennungstechnologien gerichtet sind. Demgegenüber hält ein Mittelständler nur eine kleine Zahl von Patenten, ebenfalls im Bereich der Verbrennungstechnologien. Start-Ups sind üblicherweise an technologisch vorderster Front tätig, weisen aber mitunter auf Grund ihrer beschränkten finanziellen Mittel nur eine geringe Anzahl von Patenten auf. Gemeinsam ist allen das Ziel der Sicherung und Ausweitung der Marktanteile durch eine große Zahl stabiler Patente in den zukunftsrelevanten Technologien. Aufgrund der unterschiedlichen Ausgangspunkte bedürfen allerdings die verschiedenen Unternehmen einer jeweils angepassten Patent-Strategie.
Im Rahmen der Soll-/Ist-Analyse kann neben der reinen Anzahl der Patente in den jeweiligen Technologiebereichen auch deren Schutzbereich betrachtet werden. Ferner können bei der Zieldefinition Schlüsseltechnologien identifiziert werden, die zukünftig besetzt werden sollen. Schließlich darf auch auf ein Benchmarking mit der Konkurrenz nicht verzichtet werden.
Die offensichtlichste Maßnahme, die entsprechenden Patent-Ziele zu erreichen, besteht wohl darin, die eigene Innovationsfähigkeit zu steigern und daran angepasst, die Patentanmeldeaktivität zu verstärken oder verändern. Im Einzelfall kann dies bedeuten:
  • Entwicklungstätigkeit verstärken oder verändern
  • Sensibilisierung der Entwickler für Patente
  • Anreize zur Abgabe von Erfindungsmeldungen schaffen
  • Benennung eines Patent-Verantwortlichen im Unternehmen
  • größeres Budget dem Patentbereich zuordnen
  • Kooperationen mit relevanten Technologiepartnern initiieren
Eine weitere Maßnahme kann darin bestehen, neue Standards (mit-)zu definieren. Wird beispielweise von einem Unternehmen (oder einem Konsortium) ein System Stecker/Steckdose für das Laden von Elektrofahrzeugen entwickelt, so sollte dieses Unternehmen versuchen, diese Technologie zu patentieren und als Standard zu etablieren. Andererseits sollte die Technologie die Schutzrechte der Mitbewerber umgehen. Zukünftige Lizenzeinnahmen sind dann so gut wie garantiert.
Eine Vielzahl von Unternehmen ist bereits den Weg einer Partnerschaft gegangen. So sind beispielsweise Daimler und der Chemie- und Energiekonzern Evonic an dem Lithiumzellen-Hersteller Li-Tec Battery GmbH beteiligt und haben gemeinsam das Joint Venture Deutsche Accumotive gegründet. Eine solche Partnerschaft kann darauf ausgerichtet sein, Entwicklungen in Schlüsseltechnologien voranzubringen. Dabei erscheint es besonders produktiv, wenn sich die Unternehmen in ihren Kernkompetenzen ergänzen, im obigen Fall Daimler mit seinem Know-how im Bereich der Fahrzeugtechnik und Evonic mit seiner Kompetenz bei der Energietechnik. Eine solche Kooperation wird in der Regel mit entsprechenden Erfindungen verbunden sein, die dann als Patente geschützt werden können.
Außerdem kann die Partnerschaft auch die Nutzung bereits bestehende Patente des jeweils anderen Nutzen beinhalten (Stichwort: Patentpools). Solche Partnerschaften dürften aus der Sicht deutscher Unternehmen gerade im Hinblick auf Fernost-Firmen interessant sein, da diese bereits einen gewissen Vorsprung im Bereich der Elektromobilität haben, jedoch bei den Verbrennungstechnologien eventuell noch Defizite aufweisen.
Eine weitere Strategie, um an die entsprechenden Patente zu gelangen, kann darin bestehen, ein anderes Unternehmen zu kaufen, das eine Reihe relevanter Patente hält. Auch dies wurde in der Vergangenheit vielfach praktiziert, etwa im Bereich der IT-Technologie. Natürlich besteht auch die Möglichkeit, Patente zu kaufen oder die geschützte Technologie zu lizenzieren. Dies dürfte aber in der Regel Kostennachteile mit sich bringen.
Nachfolgend wird die Anmeldeaktivität auf Basis der jeweils beim Europäischen Patentamt eingereichten Patentanmeldungen (hiernach „EP-Anmeldungen“) von Daimler und ElringKlinger kurz analysiert. Die Analysen von Toyota, Li-Tec, Tesla und BYD lesen Sie im Online-Magazin des Industrieanzeigers.
Die Beschränkung auf EP-Anmeldungen bedeutet, dass die Anmeldestrategie der Unternehmen in Bezug auf nationale (zum Beispiel nationale deutsche Patentanmeldungen beim Deutschen Patentamt) oder internationale Anmeldungen (Patentanmeldungen nach dem PCT) und deren Weiterverfolgung nicht erfasst ist. Dadurch wird die Komplexität der Analysen vorliegend auf ein handhabbares Niveau beschränkt.
Weiterhin werden für die Untersuchung EP-Anmeldungen berücksichtigt, die in einem der genannten Kerngebiete klassifiziert sind. Es wird dabei auf das Patent-Klassifikationssystem ECLA des Europäischen Patentamts zurückgegriffen, da die ECLA-Klassifikation eine große Präzision und eine im Vergleich zur Internationalen Patentklassifikation IPC größere Granularität aufweist. Die ECLA-Klassifikation definiert – wie im übrigen auch die IPC- Klassifikation – technische Gebiete (EC-Klassen), in welche die EP-Anmeldungen einklassifiziert werden. Eine einzige EP-Anmeldung kann dabei, wenn die beschriebene Erfindung mehrere technische Gebiete betrifft, auch mehreren EC-Klassen zugeordnet werden.
Da Patentanmeldungen erst 18 Monate nach ihrem Anmeldetag offengelegt werden, reicht der betrachtete Zeitraum nur bis zum Jahr 2009. Weiterhin sind nur Patentanmeldungen berücksichtigt, die unter dem Unternehmensnamen als Anmeldenamen erfolgten, das heißt eventuelle Patentanmeldungen unter dem Namen von Unternehmenstöchtern oder Joint Ventures sind nicht erfasst.
Die untersuchten Fallbeispiele betreffen dabei Unternehmen mit gleichen, aber auch sehr unterschiedlichen Ausgangspunkten im Bereich der für die Elektromobilität relevanten Technologien. Weiterhin spiegeln die Analysen auch sehr unterschiedliche Herangehensweisen der Unternehmen im Bereich der Schutzrechte wider.
Es sei angemerkt, dass Analysen von Anmeldeaktivitäten in bestimmten Technologiefeldern, wie die hier in kurzer Form dargestellten, für Unternehmen ein Hilfsmittel sein können, ihre Situation im Wettbewerb zu erkennen. Allerdings sollten für die Bewertung solcher Analysen auch die Unternehmensstrukturen der Wettbewerber und andere Faktoren bekannt sein.
Michael Schmid-Dreyer Patentanwalt in der Kanzlei Horn Kleimann Waitzhofer, München Dr. Hanno Schombacher Prüfer Bereich Fahrzeugtechnik, Europäisches Patentamt, München
Geschätzt auf Basis der Annahme, dass eine Investition in F&E von circa 1 Mio. Euro zu einer Patentanmeldung führt. Dieses Verhältnis konnte etwa bei Bosch in den Jahren 2008 bis 2010 beobachtet werden
Die Fallbeispiele aus der Praxis von Toyota, Li-Tec, Tesla und BYD finden Sie auf www.industrieanzeiger.de, Suchwort: Anmeldeaktivität
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