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Faserverbundtechnik: Automatisierter Prozess macht Carbon-Bauteile für Großserie interessant
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Leichtbau wird in vielen Technikbereichen immer wichtiger. Aachener Forscher entwickeln deshalb derzeit einen Prozess, mit dem sich extrem leichte und steife Carbon-Bauteile wirtschaftlich in Serie fertigen lassen. Sie binden dabei auch gängige Anlagen zum Umformen von metallischen Blechen ein.

2013 soll es in Serie gehen, das 1-l-Auto, das VW auf der IAA im letzten Jahr vorgestellt hat. Es ist nur 1,2 m breit, hat zwei hintereinander angeordnete Sitze und wiegt nur 380 kg. Um trotz des geringen Gewichts alltagstaugliche Fahrleistungen bieten zu können und hinsichtlich Komfort und vor allem Sicherheit auf der Höhe der Zeit zu sein, setzen die Wolfsburger auf Technologien, die im Serienautomobilbau Neuland sind. So bestehen die tragende Zelle – das Monocoque – und die Karosserie des L1 genannten Fahrzeugs aus Kohlenstoff-Faserverbund-Kunststoffen. Dieses Material ist bislang vor allem aus der Luft- und Raumfahrt sowie dem Rennsport bekannt. Es ermöglicht nicht nur sehr leichte, sondern auch extrem steife und stabile Strukturen. So wiegt das Monocoque des L1 lediglich 64 kg. Allerdings war die Fertigung von Carbon-Bauteilen in der Vergangenheit mit viel Handarbeit verbunden und dadurch extrem teuer – alles andere als großserientauglich also. Das soll sich nun ändern, getrieben durch den Zwang, Energieverbrauch und Schadstoffausstoß massiv zu reduzieren.

An einem wirtschaftlichen Verfahren, das Carbon-Bauteile in großen Stückzahlen liefert, arbeiten unter anderem auch Forscher des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie (IPT) in Aachen.
Bauteile aus faserverstärkten Kunststoffen wurden bislang im Wesentlichen aus Glas- oder Kohlenstofffasergeweben in Verbindung mit einem duroplastischen Matrixsystem aufgebaut. Diese Harze lassen sich bei Raumtemperatur mit hohem manuellem Aufwand verarbeiten. Anschließend müssen die Teile im Autoklaven ausgehärtet werden. Eine automatisierte Fertigung ist jedoch wegen der honigartigen Konsistenz der Harze nur eingeschränkt möglich. Deshalb nutzen die Aachener Wissenschaftler und ihre Partner im InnoNet-Projekt 3D-ThermoLay mit einer Thermoplastmatrix ummantelte Endlosfasern, so genannte Tapes.
Ziel des vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technik geförderten Forschungsprojekts ist ein automatisiertes und wirtschaftliches Verfahren, das Leichtbau-Komponenten mit erhöhter Qualität und Reproduzierbarkeit ermöglicht. Dazu haben die Forscher vom IPT einen robotergeführten Legekopf entwickelt, der undirektional faserverstärkte Tapes nebeneinander platzieren und verarbeiten kann. Durch Absorption von Laserstrahlung wird die thermoplastische Tapematrix sowie das Substrat kurz vor dem Ablegen aufgeschmolzen und im Konsolidierungsbereich unter Druck miteinander verschweißt. „Ablegen, Aufschmelzen, Andrücken und Konsolidieren der Tapes erfolgt in einem Arbeitsschritt“, beschreibt Markus Dubratz. „Dadurch erreichen wir Legeraten von bis zu 160 Metern pro Minute“, ergänzt der Diplomingenieur, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Faserverbund- und Lasersystemtechnik am IPT tätig ist. „Wir nutzen für unseren Prozess gestreckte undirektionale Endlosfasern, weil sie die höchsten gewichtsspezifischen Festigkeiten und Steifigkeiten der Strukturkomponenten ermöglichen“, erläutert Dubratz. „In klassischen Gewebehalbzeugen liegen die Fasern typischerweise gewellt und nur in zwei festen Richtungen vor, sodass das Potential der Faserverstärkung nicht vollständig ausgeschöpft werden kann.“
Der Legekopf kann die Tapes und damit die Fasern in einem frei einstellbaren Winkelbereich ablegen. Dadurch lassen sich die für den jeweiligen Lastfall ideale Orientierung jeder einzelnen Lage einstellen und lokale Verstärkungen dort einarbeiten, wo sie belastungsbedingt erforderlich sind. Dadurch können Leichtbaukomponenten mit minimaler Wanddicke und damit gewichtsoptimiert realisiert werden. Des Weiteren können durch den reduzierten Materialbedarf die Zykluszeiten signifikant verkürzt werden.
Das Tapelegen ist umso wirtschaftlicher, je größer das Bauteil ist. Für das Verfahren prädestiniert sind große Strukturteile wie Flügel und Holme von Flugzeugen oder Zugchassis. Nebenzeiten, in denen der Legekopf verfährt oder die Fasern ansetzt, fallen bei längeren Bahnen deutlich weniger ins Gewicht.
Hinsichtlich der räumlichen Formgebung sind die Möglichkeiten des Tapelegens allerdings eingeschränkt. Deshalb kombinieren die Aachener zwei Verfahren zu einem Prozess. Zunächst baut der Legekopf ebene oder leicht gebogene Platten aus Faserverbundmaterial auf, so genannte Organobleche. Der Lagenaufbau berücksichtigt bereits die Anforderungen ans fertige Bauteil. Im zweiten Schritt werden diese „Bleche“ dann – ähnlich wie heute metallische Bleche – umgeformt. Beide Prozessschritte, das Tapelegen wie das Thermoformen – werden in bestehende Roboter- und Umformsysteme integriert, sodass bereits vorhandene industrielle Systemtechnik weiter genutzt werden kann. „Das ist ein entscheidender Punkt unseres Ansatzes“, sagt Alexander Kermer-Meyer, wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Faserverbund- und Lasersystemtechnik am IPT. „Wenn sich die Technologie durchsetzen soll, dürfen wir nicht auf teueren Sonderanlagen aufbauen. Potenzielle Interessenten, die heute etwa im Karosseriebau tätig sind, sollen ihre vorhandenen Systeme weiter nutzen können.“ Gerade beim Thermoformen sei das kein Problem. „Weil das Umformen von Metallen größere Kräfte erfordert, sind heutige Pressen für unsere Zwecke ausreichend.“
Während das Tapelegen bei möglichst großflächigen, ebenen Bauteilen am effizientesten und wirtschaftlichsten funktioniert, entstehen mittels Thermoformen vergleichsweise kleine und geometrisch komplexe Strukturen, die eine definierte Oberfläche haben. Ein Handhabungssystem gibt das passgenaue Organoblech an die Thermoformingstation weiter, wo das erwärmte Halbzeug in seine Endkontur umgeformt wird. Auch die Entnahme des Bauteils und eventuell erforderliche Nacharbeiten sind automatisiert möglich. Dieser Prozess führt zu kurzen Zykluszeiten und einer hohen Produktivität. Derzeit eignet er sich vor allem für Funktionsbauteile und tragende Strukturen.
Alexander Kermer-Meyer benennt den Umformprozess als begrenzenden Taktgeber dieser Fertigungskette. „Die erforderliche Zykluszeit fürs Formen ist abhängig von der Wärmeleitfähigkeit und der Wärmekapazität des Werkstoffs sowie der Wanddicke des Bauteils. Die erforderliche Heiz- und Kühlzeit bis zur Entnahme aus dem Formwerkzeug nimmt proportional zum Quadrat der maximalen Wanddicke zu. Deshalb sollte der Lagenaufbau so dünn wie möglich sein.“ Der belastungsgerechte Lagenaufbau ist ein erheblicher Vorteil tapegelegter Organobleche gegenüber deren konventionellen Pendants, die in vielen Bereichen überdimensioniert sind. Durch zum Teil deutlich geringere Wanddicken fallen die Zykluszeiten signifikant kürzer aus. Bei einem Faserverbund-Bauteil mit einer Polyamid-Matrix und einer Wanddicke von 2 mm ergibt sich laut dem Wissenschaftler eine Zykluszeit von rund 70 s bei einer variothermen Prozessführung.
Konzipiert ist das Verfahren für kleine bis mittlere Losgrößen. „Die Prozesskette eignet sich sowohl fürs Fertigen von Einzelteilen als auch für Serien von bis zu 250 000 Teilen pro Jahr. Die Adaption an die Großserienfertigung folgt in einem späteren schritt“, erläutert Alexander Kermer-Meyer und ergänzt: „Wir wollen Prozesse entwickeln, die flexibel sind und sich schnell und einfach an sich ändernde Produktionsanforderungen anpassen lassen und die damit insbesondere für Mittelständler interessant sind.“
Das Verfahren erlaubt sehr flexible Produktionspfade, was ein breites Produktportfolio eröffnet. Neben Vorteilen in der Massenfertigung bietet es auch ein großes Potenzial für mittlere Serien. Wird fürs Umformen das Diaphragmaverfahren genutzt, lassen sich selbst Einzelteile und Prototypen wirtschaftlich herstellen. Beim Diaphragmaverfahren werden nur ein Werkzeugunterteil und eine Folie benötigt. Weil Umformdrücke von etwa 10 bar genügen, reichen bereits einfache Gipsformen für den Herstellungsprozess aus. Der Clou: Einsatzfähige Prototypteile können in einem Verfahren hergestellt werden, das dem der späteren Serienfertigung entspricht.
Für ebene Anwendungen steht der Tapelegeprozess bereits zur Verfügung. Im nächsten Schritt arbeiten die Wissenschaftler nun daran, die Ergebnisse auf räumlich gekrümmte Bauteile zu übertragen. Dazu ist ein kompakterer Tapelegekopf erforderlich, der sich flexibel an die Erfordernisse der gekrümmten Strukturen anpassen lässt. „Sowohl die Entwicklung des Tapelegekopfes als auch das Bestimmen von Prozessparameter für möglichst allgemeine Bearbeitungsaufgaben ist anspruchsvoll. Ein erster Prototyp des 3D-Systems soll Mitte kommenden Jahres laufen. Den Zeitrahmen bis zur Serienreife schätzt der Wissenschaftler auf zwei bis drei Jahre. „Dann werden wir das System in einem überschaubaren Umfang der Industrie zur Verfügung stellen können.“ Überschaubar bedeutet hier: Standardbauteile werden sich zwar automatisiert fertigen lassen, bei speziellen Geometrien und komplexeren Formen wird allerdings noch die Hilfe der Aachener Forscher beim Ausarbeiten der Prozessparameter nötig sein.
Im Frühjahr 2011 startet auch ein vom IPT geleitetes EU-Forschungsprojekt, dessen Ziel eine komplette, integrierte Prozesskette ist, mit der ebene und räumliche Bauteile aus Faserverbundstoffen automatisiert herstellbar sind. Dabei soll der Prozess so flexibel sein, dass sowohl ebene Produkte wie Organobleche als auch räumliche – etwa tragende Strukturteile, Holme oder Flugzeugrümpfe – damit hergestellt werden können. Auch Durchbrüche wollen die Aachener Wissenschaftler gleich automatisiert beim Aufbau der faserverstärkten Strukturen einbringen. „Es ist hinsichtlich Materialbedarf und Bearbeitungsaufwand ein erheblicher Unterschied, ob beispielsweise bei einem Flugzeugrumpf die Fenster anschließend ausgeschnitten werden müssen, oder der Rumpf gleich entsprechend aufgebaut wird und die Öffnungen nur zu besäumen sind.“
Den Grund dafür, dass thermoplastische Kunststoffe im Bereich der Faserverbundmaterialien noch vergleichsweise jung sind, sieht Alexander Kermer-Meyer in der bislang fehlenden Anlagentechnik. Die Fasern müssen beim Legen möglichst homogen erwärmt und entsprechend verarbeitet werden. Dafür ist der Laser prädestiniert.
Durch die steigenden Forderungen hinsichtlich Gewichtsreduktion und Leistungsfähigkeit von Bauteilen und Komponenten wird der Werkstoff Carbon für verschiedene Branchen immer interessanter. Neben der Automobilindustrie gibt es zunehmend Ansätze im Maschinen- und Anlagenbau, der Energie- oder der Medizintechnik. Aufgrund ihrer Chemikalien- und Korrosionsbeständigkeit sind Carbon-Komponenten bereits seit einiger Zeit in Chemieanlagen sowie der Off-Shore-Industrie im Einsatz. Welche Bedeutung der Leichtbau für den Fahrzeugbau hat, verdeutlicht Diplomingenieur Dubratz an einem Beispiel: „Wenn es gelingt an einem Zug 100 Kilogramm einzusparen, dann lässt sich der CO2-Ausstoß pro Jahr dadurch um 17 000 Tonnen reduzieren.“

Automatisiertes Fertigen belastungsoptimierter Carbon-Komponenten

Verfahrensvorteile

Aus unidirektionalen endlosfaserverstärkten thermoplastischen Bändern (Tapes) aufgebaute Organobleche haben gegenüber ihren konventionellen Pendants eine Reihe von Vorteilen. Sie erlauben den Aufbau von Halbzeugen mit endkonturnahem, multidirektionalem und multimateriellem Lagenaufbau. Diese Bauteile sind genau dort verstärkt, wo die höchsten Lasten wirken. Laut dem Aachener Fraunhofer-IPT lassen sich dadurch gegenüber konventionellen Organoblechen mit nicht belastungsgerechter Faserverstärkung rund 50 % des Gewichts, 50 bis 75 % des Verschnitts und etwa 30 % der Bauteilkosten einsparen. Zudem sind kleinere Umformradien möglich. Im Vergleich zu Metallbauteilen sind aus Organoblechen umgeformte Komponenten leichter, steifer und sie können beispielsweise im Crashfall deutlich mehr Energie aufnehmen.
Betrachtet man den gesamten Lebenszyklus von Fahrzeugbauteilen aus faserverstärkten Thermoplasten, so ergibt sich eine günstige Ökobilanz: Signifikante Gewichtsvorteile tragen dazu bei, die CO2-Emission und den Energieverbrauch des Fahrzeugs zu reduzieren. Außerdem lassen sich aus Thermoplasten aufgebaute Komponenten gut recyceln. Und nicht zuletzt helfen die guten Dämpfungseigenschaften und die hohe Schlagzähigkeit thermoplastischer Matrixsysteme dabei, sowohl den Fahrkomfort als auch die Sicherheit moderner Fahrzeuge zu steigern.
Durch die Kombination des laserunterstützten Legeprozesses thermoplastischer Tapes mit dem Thermoformen lassen sich solche extrem leistungsfähigen Leichbaustrukturen vollautomatisch mit kurzen Zykluszeiten und damit sehr wirtschaftlich herstellen. hw
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