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Keine Angst vor der Klebtechnik

Aufs Know-how kommts an: Was ein modernes Fügeverfahren so alles möglich macht
Keine Angst vor der Klebtechnik

Wie kann es sein, dass sich die Vorbehalte gegen das Kleben so zäh halten und uns an dieser Zukunftstechnologie zweifeln lassen? Nun, weil es nicht „mal so nebenbei“ geht. Aber sorgfältig geplant lassen Klebungen kaum Wünsche offen. Das zeigen die kühnsten Anwendungsbeispiele – die wir nur deswegen nicht kennen, weil wir sie nicht sehen.

Wir alle kennen das Problem: Das Kinderspielzeug ist nach der Reparaturklebung wieder zerbrochen, vormals „unsichtbare“ Klebungen der Glasdekoration werden auf einmal gelb und unansehnlich und im Badezimmer fällt der frisch angeklebte Haken von der Wand… und schon sind sie da, die Vorbehalte gegen das Kleben. Wie kann es sein, dass uns solche Erfahrungen an dieser Zukunftstechnologie zweifeln lassen? Nun, weil es wie immer an der Qualität liegt und nichts „mal eben nebenbei“ geht. Der richtige Klebstoff für den spezifischen Anwendungsfall und ein sorgfältig durchgeführter Klebprozess führen zum gewünschten Ziel – und eröffnen Potenziale, die sich die ersten „Kleber“ (also unsere klebtechnisch aktiven Vorfahren) vor 120 000 Jahren nicht im Entferntesten vorstellen konnten!

Damals klebten die Jäger die Steinspitzen mittels Birkenpech auf ihre Speere; somit war der erste Verbundwerkstoff geboren. Und heute staunen wir, dass wir bei der Analyse dieser Klebungen noch immer eine nahezu perfekte Funktionalität vorfinden, ohne dass die vielen Jahrtausende dem etwas anhaben konnten. Diese Dauerhaftigkeit wünschen wir uns natürlich auch heute bei klebtechnischen Anwendungen und müssen dennoch feststellen, dass unsere Bemühungen bisweilen scheitern. Dies liegt sicherlich zum einen an der Komplexität moderner Anwendungen, zum anderen am unterschiedlichen Horizont der Anwender: Windeln müssen als Einwegprodukt nicht tausend Jahre klebfähig sein und selbst unsere Gebäude und Autos werden dereinst kaum mehrere hundert Jahre alt werden. Aber für die Zeit ihrer Nutzung und Anwendung sollen die geklebten Produkte keine ihrer Funktionalitäten verlieren, dabei optisch ansprechend bleiben und vor allem nur wenig kosten. Für unsere Vorfahren war die Funktion und Stabilität des Verbundes überlebenswichtig. Dies gilt nach wie vor auch für den modernen Menschen in vielen Lebensbereichen.
Umso mehr stellt sich die Frage, wie wir gemessen an unseren heutigen Anforderungen vergleichbar erfolgreich sein können wie unsere oben angeführten Vorfahren. Worauf kommts an? Wir sind heute in der Lage, Klebstoffe auf der Basis unterschiedlichster chemischer Rohstoffe anwendungsspezifisch punktgenau zu entwickeln. Spezielle Eigenschaften und Funktionalitäten sind einstellbar, von hochfesten strukturellen Klebstoffen bis hin zu hochelastischen, dichtenden Materialien, von der Leitfähigkeit bis hin zur Farbe. Beim Anwender bleiben kaum noch Wünsche offen. Viele hochsicherheitsrelevante Komponenten oder ganze Baugruppen werden allein durch Kleben optimal gefügt. Ein gutes Beispiel stellt der ICE dar, in dessen Außenbereich neben den Fenstern auch die Bugmaske und weitere GFK-Strukturen durch Kleben befestigt werden.
Aber was macht nun eine prozesssichere, reproduzierbare Klebung aus? Diese Frage können einerseits die Fachleute beantworten. Aufschluss gibt aber auch ein vertiefter Blick in die zahlreichen Normen und Richtlinien. Um die Antwort vorweg zu nehmen: Eine Qualitätssicherung ist unumgänglich, um sicherzustellen, dass die gewünschte Funktionalität und Qualität für die avisierte Lebensdauer eingehalten wird.
Die Richtlinie DVS 3310 „Qualitätsanforderungen in der Klebtechnik“ gibt einige Hilfestellungen, um den Aufwand für erfolgreiches Kleben in der Fertigung realistisch einzuschätzen. Die Geschäftsleitung sollte danach im Vorfeld unter anderem festlegen, welche Relevanz die Klebtechnik für das Unternehmen besitzt, wie groß der Umfang des Klebprozesses (bezüglich seines Wertschöpfungsanteils) sein soll und welche höchste klebtechnische Anforderung im Unternehmen realisiert werden soll. Die Anforderungen werden in vier Stufen Q1 (höchste Anforderung) bis Q4 (geringste Anforderung) untergliedert, die hinsichtlich Sicherheit, Funktion oder kommerzieller Folgen definiert und dokumentiert werden.
Nach den Normen der Reihe DIN EN ISO 9000 für die Qualitätssicherungssysteme stellt das Kleben einen „speziellen Prozess“ dar: Damit die geklebten Bauteile, Komponenten oder Konstruktionen zweckentsprechend verwendet werden können, müssen alle Prozessschritte vom Konstruktionsstadium über die Werkstoff- und Klebstoffauswahl, die Oberflächenbehandlung, den Klebstoffauftrag und die -härtung in der Fertigung bis hin zur nachfolgenden Prüfung einer durchgehenden Überwachung unterzogen werden. Die Prozesse sind dabei eindeutig zu beschreiben und Unregelmäßigkeiten zu vermeiden. Eine Qualitätssicherung ist unumgänglich, um die gewünschte Qualität und Funktionalität sicher zu erreichen.
Welche Möglichkeiten die Klebtechnik bei einer sachgemäßen Anwendung bietet, verdeutlichen nachfolgende Beispiele.
Klebungen großer Bauteile: Sie stellen besondere Anforderungen an die Prozessführung. Besonders in Windenergieanlagen müssen die Klebungen mitunter auch unter rauesten Bedingungen (auf See, in den Tropen oder in eiskalten Gebieten) ohne Einbußen für viele Jahre funktionieren. Beispielhaft seien die Rotorblätter genannt, die aus zwei Halbschalen aus faserverstärkten Kunststoffen zusammengeklebt werden (Bild oben). Diese werden, ebenso wie Stege und Gurte, mit Strukturklebstoffen aus zwei Komponenten auf Polyurethan- oder Epoxidharzbasis dauerhaft verbunden. Die für die Rotorblätter verwendeten 2K-Klebstoffe zeichnen sich durch eine hohe Festigkeit, gute Schlagzähigkeit, eine optimierte Fließfähigkeit und ein an den manuellen Applikationsprozess angepasstes Aushärteverhalten aus.
Höchste, sicherheitsrelevante Anforderungen an den Klebstoff werden auch bei Produkten gestellt, die zum alltäglichen Leben zählen, nämlich in Chipkarten und allen Arten von Ausweisdokumenten. Hier wird die Klebung erst sichtbar, wenn man sie mutwillig zerstört (siehe Fotos). Klebstoffe für eine solche Anwendung sind in der Regel thermisch nachvernetzende Systeme auf Acrylat- oder Polyurethanbasis. Ihre Eigenschaften werden so eingestellt, dass die Klebung nur unter Substratbruch versagt, um einen Missbrauch auszuschließen. Gleiches gilt für die Laminate in Ausweisdokumenten, die zudem höchste Anforderungen an die Optik erfüllen müssen.
Vielfach wird in der Produktspezifikation jedoch auch gewünscht, dass ein Klebverbund einfach zu lösen ist. Das Prinzip des Schraubensicherungs-Klebstoffes, der unter Luftabschluss im Gewinde zu einem hochfesten Verbund aushärtet und bei Bedarf wieder gelöst werden kann, ist da nur eines der bekannteren Beispiele. Dasselbe Prinzip wird auch beim Aufbau neuartiger Implantate angewendet, die kau- und speichelfest sind, sich bei Bedarf jedoch unproblematisch lösen lassen.
Die Beispiele lassen sich beliebig ergänzen. Allein in einem modernen Auto sorgen mindestens 15 kg Klebstoff für Sicherheit, Funktionalität und Design. Glas wird zum beliebten Bauwerkstoff, ob er als (geklebte) Verbundsicherheitsscheibe verwendet wird oder aber mit anderen Werkstoffen zu neuartigen Konstruktionen durch Kleben verbunden wird. Alles in allem eine Technologie, von der auch in Zukunft noch Vieles zu erwarten ist.
Elisabeth Stammen Geschäftsführerin der LKT GmbH, Aachen
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