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Keramisch und komplex – der Spritzguss machts möglich

Projekt CarCIM: Automobilbau testet Keramik-Keramik-Verbundbauteile
Keramisch und komplex – der Spritzguss machts möglich

Durch Spritzgießen wird es noch einfacher, die exzellenten Eigenschaften von Keramik für technische Teile zu nutzen, nämlich Verschleißbeständigkeit, hohe Härte, Hochtemperaturstabilität und Korrosionsbeständigkeit bei geringer Dichte. Die Maßabweichungen liegen unter 0,3 %.

In der Regel werden keramische Bauteile über pulvertechnologische Routen aus synthetischen Pulvern herstellt. Die Auswahl eines geeigneten formgebenden Verfahrens ist dabei für die Wirtschaftlichkeit der Komponente entscheidend. Sie richtet sich nach der Komplexität der zu fertigenden Bauteile und der umzusetzenden Stückzahl. So werden relativ einfache Geometrien über Pressverfahren mit anschließender Grünbearbeitung realisiert. Stränge mit konstantem Querschnitt werden über Extrusion produziert und Bauteile mit komplexer Form über das Spritzgießen. Anschließend erfolgt eine Wärmebehandlung des Grünkörpers, bei der sich das Gefüge verdichtet und die endgültigen Werkstoffeigenschaften ausbildet. Dabei tritt ein Schwund von 16 bis 20 % auf, der von der zuvor eingestellten Pulverpackungsdichte abhängt. Die mechanische Nachbearbeitung ist einer der kostenintensivsten Schritte, weil auf Grund der hohen Härte des keramischen Materials beim Schneiden, Bohren, Schleifen oder Polieren diamantbesetzte Werkzeuge eingesetzt werden müssen.

Vor diesem Hintergrund werden die Vorteile des Pulverspritzgießens (PIM) deutlich: Die endkonturnahe Fertigung mit Maßabweichungen unter 0,3 % minimiert den Aufwand für die mechanische Bearbeitung. Geometrien, die sich bisher in keramischen Bauteilen nicht wirtschaftlich realisieren ließen, werden rentabel.
Ein seit mehreren Jahrzehnten in der Kunststofftechnik weit verbreitetes Sonderverfahren ist das Mehrfarbenspritzgießen, über das nicht nur unterschiedliche Farben kombiniert werden wie zum Beispiel für abriebfeste Computer- oder Handytastaturen. Auch unterschiedliche Materialeigenschaften wie weich / hart oder opak / transparent können kombiniert werden. Im Pulverspritzguss lassen sich darüber hinaus Verbindungen aus elektrisch leitfähigen / isolierenden, magnetischen / nicht magnetischen oder verschleißfesten / zähen Werkstoffen realisieren.
Der größte Vorteil liegt darin, dass das Fügen beider Partner in den Formgebungsschritt integriert wird und das Verbundbauteil nach dem Sintern keiner weiteren Fügeverfahren bedarf. Damit entfällt der hohe Zeit- und Kostenaufwand für die mehrstufigen Fügeprozesse (wie etwa dem Aktivlöten), die bisher für keramische Werkstoffe notwendig waren. Auch müssen nicht mehr Fügeflächen bearbeitet werden, die sich aufgrund der aufwändigen Oberflächenbearbeitung oftmals auf planparallele Geometrien beschränkten. Demgegenüber können im 2-Komponenten-Keramikspritzguss (2K-CIM) nicht nur komplexe Außenkonturen umgesetzt werden, sondern auch vielgestaltige Fügeflächen.
Die Entwicklung von Keramik-Keramik-Verbundbauteilen über 2K-CIM steht im Mittelpunkt eines seit 2006 laufenden europäischen Projektes, das von der Europäischen Kommission im 6. Rahmenprogramm gefördert wird *). Im Projekt CarCIM erarbeiten 14 Partner aus sieben europäischen Ländern vier Fallstudien für Anwendungen im Automobil- und Eisenbahnbau. Dabei geht es um drei im mehrkomponentigen Hochdruckspritzguss hergestellte Bauteile: ein keramisches Innenzahnrad für Treibstoffpumpen, einen Ventilsitz als Gegenstück für keramische Ventile in CNG-Motoren und keramische Bremsklötzchen, die für Bremsscheiben von Hochgeschwindigkeitszügen konzipiert sind. Hinzu kommt eine keramische Glühkerze für Dieselmotoren, die durch Niederdruckspritzgießen gefertigt wird.
Das Innenzahnrad besteht aus einem harten, verschleißfesten Innenring aus Aluminiumoxid (Al2O3) und einem zäheren Außenring aus Al2O3 mit Zirkonoxid-Verstärkung. Der Ventilsitz ist aus SiAlON für die Kontaktfläche mit dem Ventil und aus Siliziumnitrid für den Basiskörper aufgebaut. Das Bremsklötzchen wird aus Al2O3 und ZrO2-verstärktem Al2O3 zusammengesetzt. Und bei der Glühkerze werden sowohl für die leitfähige als auch für die isolierende Komponente Pulvermischungen aus Siliziumnitrid und Molybdändisilizid verwendet, wobei die Leitfähigkeit über das Verhältnis der beiden Pulver zueinander eingestellt wird.
Bei der Materialauswahl ist zu berücksichtigen, dass die beiden Partner nicht nur chemisch kompatibel sein müssen und einen ähnlichen Wärmeausdehnungskoeffizient haben sollten. Sie müssen sich auch in einem gemeinsamen Prozess verarbeiten lassen. Das gilt insbesondere für das Sinterverhalten. So sind beim Innenzahnrad zwei oxidische Materialien kombiniert, die gemeinsam in Luftatmosphäre gesintert werden. Ihre thermischen Ausdehnungskoeffizienten liegen mit 9,35*10-6 K-1 und 9,48*10-6 K-1 in einem ähnlichen Bereich, so dass beim Abkühlen von der Sintertemperatur 1600 °C keine kritischen Spannungen entstehen.
Um eine spritzgießfähige Masse, den sogenannten Feedstock, zu erzeugen, wird das Pulver mit einem thermoplastischen Bindersystem gemischt, das nach der Formgebung über Lösungsmittelextraktion, katalytische Verfahren oder thermische Zersetzung ausgetrieben wird. Über den Pulvergehalt kann die Partikeldichte und damit die Schwindung während des Sinterns beeinflusst werden. Allerdings lässt sich die Pulverbeladung nicht frei wählen, da Binderüberschuss zu Pulver-Binder-Entmischungen führt und Bindermangel die Fließfähigkeit des Feedstocks beeinträchtigt. Ausschlag gebend für den Binderbedarf ist die Partikelgröße beziehungsweise die Pulveroberfläche, die von den Bindermolekülen vollständig benetzt werden muss.
Im Fall der Glühkerze erfolgt das zweistufige Niederdruckspritzgießen über ein Umsetzen der vorgespritzten Komponente in eine zweite Werkzeugkavität, in die dann die zweite Komponente eingespritzt wird. Im Gegensatz dazu wurden die 2K-Hochdruckspritzguss-Bauteile auf 2-Komponenten-Spritzgießmaschinen mit Hilfe von Drehtellerwerkzeugen gefertigt.
Untersucht wurden die Prototypenteile mit zerstörungsfreien Prüfmethoden wie Röntgen-Computertomografie, Thermografie und 3D-Koordinatenmesstechnik. Sie ermöglichen es, eventuelle Bauteilfehler in Form von Maßabweichungen, Einschlüssen, Rissen, Lunkern oder Bindenähten bereits direkt nach dem Spritzgießen im so genannten Grünteil zu erkennen. Erste Funktionalitätstests der gesinterten Prototypen unter praxisrelevanten Bedingungen werden gegenwärtig durchgeführt.
Das Projekt CarCIM zeigt, dass sich komplex geformte, keramische Verbundbauteile mit dem großserientauglichen 2-Komponenten-Spritzgießen herstellen lassen und damit eine kostengünstige Fertigung von multifunktionellen Bauteilen möglich wird.
Anne Mannschatz, Dr. Tassilo Moritz Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS, Dresden

Neue Technologien
Der Fahrzeugbau ist Pionier-Anwender, die Ergebnisse des Projektes CarCIM gelten jedoch für alle Branchen: Sie zeigen, dass sich komplexe Verbundbauteile aus verschiedenen Keramiken sehr rationell durch Spritzgießen herstellen lassen. Aufwändige Nachbearbeitungen entfallen ebenso wie aufwändige Fügeprozesse mit anspruchsvollen Fügeflächen. Die „Grünlinge“ entstehen im 2K-Spritzguss in ähnlich schnellen Abläufen wie in der Kunststoffverarbeitung – nur, dass sich an das Spritzgießen noch der Sinterprozess anschließt.
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