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Kratzfest – und doch weich und nachgiebig

Polyurethane: Vom StoSSfänger BIS zum selbstheilenden Lack
Kratzfest – und doch weich und nachgiebig

Polyurethane sind sehr vielseitige Werkstoffe. Im Auto verbessern sie Komfort und Sicherheit durch ihre vorzüglichen Dauergebrauchseigenschaften und senken den Spritverbrauch durch ihr geringes Gewicht. Außerdem lassen sich die Bauteile kostengünstig fertigen.

Neue Fertigungsmethoden wie das SkinForm-Verfahren erweitern die Einsatzmöglichkeiten. Damit lassen sich auch große thermoplastische Bauteile in einem Schritt mit Polyurethan beschichten. Die erzeugten PUR-Schichten haben eine extrem kratz- und abriebfeste Oberfläche und können mit unterschiedlicher Weichheit, auch „Softtouch“ genannt, ausgestattet werden. „Wir haben das Verfahren insbesondere für die Automobilindustrie entwickelt. Denn sie möchte auch Klein- und Mittelklassewagen mit hochwertiger aber kostengünstiger Innenausstattung anbieten“, erklärt Martin Würtele, Leiter des Zentrum Funktionsintegrativer Leichtbau bei der KraussMaffei Technologies GmbH, in München.

Die Entwicklung ist ein Gemeinschaftsprojekt des Maschinenbauers KraussMaffei mit dem Kunststoffhersteller Rühl Puromer GmbH in Friedrichsdorf, der die geeignete Gießhaut liefert, und dem Automobilzulieferer Schenk Plastic Solution GmbH in Esslingen, der die Teile fertigt.
Das Verfahren basiert auf einer Kombination von Spritzgieß- und Reaktionstechnik. Sein Vorteil: es ist ein einstufiger Prozess. Er besteht aus dem Spritzgießen eines thermoplastischen Bauteils und dem anschließenden Umschäumen mit einer PUR-Schicht, die eine hochwertige Oberfläche hat. Da eine Nachbearbeitung der Bauteile entfällt, wird die Fertigung kostengünstiger.
Wegen der hohen Kratz- und Abriebfestigkeit eignet sich das Verfahren zur Herstellung von Bauteilen mit stark beanspruchten Oberflächen, die gleichzeitig hochwertig wirken sollen, zum Beispiel von aufwändig kaschierten Rückenschalen und Kopfstützenabdeckungen oder Türverkleidungen, aber auch von chrashrelevanten Teilen wie Lenkstockverkleidungen.
Vergleichende Tests an Türverkleidungen mit lackierten und mit Folie kaschierten Oberflächen ergaben, dass die mit dem SkinForm-Verfahren gefertigten Türverkleidungen deutlich bessere Oberflächeneigenschaften besitzen. „Dabei liegen die Produktionskosten etwa zwischen denen der Lackierung und denen des Folienkaschierens“, sagt Würtele.
Inzwischen ist die Produktionsmethode auch im Serieneinsatz: Seit Frühjahr 2007 stattet Daimler seine Mittelklasse-Modelle mit Kopfstützenabdeckungen aus, die mit SkinFormgefertigt werden.
Selbst für Bauteile von Premium-Karossen kommen Bauteile aus Polyurethan zum Einsatz, bei denen höchste Ansprüche an Oberflächenqualität und Passgenauigkeit gestellt werden. So besteht der Heckstoßfänger des R8 von Audi aus einem partikelverstärkten PUR. Die eingelagerten, nadelförmigen Partikel aus Wollastonit, einem Calciumsilikat, tragen zu einer sehr guten Oberflächenqualität und einem ausgezeichneten Lackbild bei. Gleichzeitig sorgen sie für hohe Zähigkeit im Temperaturbereich von -30 bis 150 °C. Sie macht den Stoßfänger unempfindlich gegen Bagatelleunfälle und Steinschlag.
Der Stoßfänger ist ein komplexes Bauteil. Er besteht aus dem so genannten Überzug und dem Diffusor mit integrierter Nebelschlussleuchte. Im Überzug sind die Blenden der beiden Doppelendrohre und die Aufnahmen für die Querlamellen der beiden Luftöffnungen integriert.
Die ganze Baugruppe hat eine Fläche von etwa 2 m². Dabei beträgt die Wanddicke des Stoßfängers im Durchschnitt 3,3 mm, im Bereich der Befestigungen variiert sie zwischen 2 und 5 mm. Schon die Größe ist eine konstruktive und verarbeitungstechnische Herausforderung. Das eingesetzte Polyurethan besitzt jedoch ein sehr gutes Fließverhalten, so dass der Stoßfänger mit dem R-RIM-Verfahren (Reinforced Reaction Injection Molding) wirtschaftlich realisiert werden kann.
Die hohe Wärmeformbeständigkeit des Werkstoffes von über 150 °C erlaubt es außerdem, die Heckverkleidung sehr nahe an die heißen Abgasrohre heranzubringen. Audi hat dieses Bauteil in Zusammenarbeit mit Bayer Material Science und dem Bauteilhersteller Wayand aus Idar-Oberstein entwickelt.
Lacke auf der Basis von Polyurethan sind nichts neues an sich, doch auf dem 78. Automobilsalon in Genf im März dieses Jahres hatte der erste selbst heilende 2K-Polyurethan-Decklack seine Premiere. Er kommt in dem Concept Car „i-mode“ von Hyundai zum Einsatz. Ein besonders dichtes molekulares Netzwerk macht ihn sehr kratzfest. Damit der Lack nicht spröde wird, sind die Bereiche zwischen den Verknüpfungspunkten des Netzwerkes elastisch ausgelegt. Dies erreicht der Hersteller durch Modifizieren der Lackkomponenten. Kleine Kratzer verformen den Lack zwar plastisch. Doch schon Temperaturen zwischen 50 und 60 °C genügen, um die Verformung wieder rückgängig zu machen. So verschwinden Kratzer an schönen Sommertagen von alleine.
Für Dämpfungssysteme im Automobil werden schon seit einigen Jahren mikrozellige Polyurethan-Elastomere eingesetzt. Die Bauteile aus diesem Material sind volumenkompressibel und dehnen sich anders als Gummi bei Stauchungen nur wenig in Querrichtung aus. Daher eignet sich der Werkstoff besonders für dynamisch hochbelastete Bauteile zur Schwingungsdämpfung. So werden Zusatzfedern im Fahrwerk, Dämpferlager, Stahlfederunterlagen, Anschlagpuffer und Drehmomentstützen daraus hergestellt. Die Komponenten des Dämpfungssystems CeoDS von Elastogran bestehen aus einem solchen PUR-Elastomer. Das System ist modular aufgebaut und setzt sich je nach Achskonzept eines Fahrzeuges aus zwei oder drei Teilen zusammen. Die dreiteilige Version integriert eine Zusatzfeder, Stoßdämpferlager und die Stahlfederentkopplung. Ein solches Dämpfungssystem fängt Schwingungen und Geräusche von Motor, Fahrwerk und Karosserie ab und verbessert damit Fahrkomfort und Sicherheit.
Dr. Barbara Wantzen Fachjournalistin in Ulm
PUR-Heckstoßfänger schützt Premium-Fahrzeuge

PUR – die Werkstoffeigenschaften
Polyurethane (PUR) sind sehr vielseitig einsetzbare Kunststoffe. Sie werden aus Dialkoholen oder Polyether und Diisocyanaten durch eine Polyadditionsreaktion synthetisiert. Dabei bilden sich thermoplastische Polyurethane. Sie sind wenig vernetzt und lassen sich gut formen, insbesondere wenn sie erhitzt werden. Bei einer bestimmten Temperatur schmelzen sie.
Benutzt man statt den Dialkoholen höherwertige Alkohole, erhält man Duroplaste. Diese stark quervernetzten Kunststoffe sind wesentlich härter und spröder als Thermoplaste und lassen sich nur schwer bearbeiten. Sie schmelzen nicht, da sie sich vor Erreichen ihrer Schmelztemperatur zersetzen. Unter anderem eignen sie sich als Anstriche für Möbel, Fußböden und Boote und für Druckfarben.
Daneben gibt es noch die elastomeren Polyurethane. Das sind formfeste, elastische Kunststoffe, die sich unter Druck- oder Zugbeanspruchung verformen, bei Entlastung aber wieder ihre Ausgangsform annehmen. Elastomere finden Verwendung als Material für Reifen, Gummibänder, Dichtungsringe etc.
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