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Kunststoff verändert das Automobil

Der Gewichtsanteil von Kunststoffen könnte von 17 % auf 25 % steigen
Kunststoff verändert das Automobil

Wo über Gewichtsreduktion diskutiert wird, ist immer auch die Rede von Carbon – Carbonfaser-verstärktem Kunststoff (CFK). Doch das Leichtbaupotenzial von Kunststoffen geht weit darüber hinaus. BASF-Manager Dr. Hoven-Nievelstein hält einen Gewichtsanteil von 25 % am Auto für durchaus realistisch.

Ein Anteil von 25 % gegenüber den heutigen 17 bis 19 % im Auto bedeutet eine immense Steigerung, denn rechnerisch fällt der leichte Kunststoff ja kaum ins Gewicht. Dr. Willy Hoven-Nievelstein, Senior Vice President Engineering Plastics Europe bei BASF, nennt denn auch die Anwendungen beim Namen, die sich als Hebel anbieten: „Standen früher Saugrohre und Ölwannen aus Aluminium oder Stahl im Fadenkreuz der kurzglasfaserverstärkten Kunststoffe, so geht es nun an Motorlager, B-Säulen und Stoßfängerabstützungen, aber auch an Sichtteile.“ Die BASF SE selbst ist zum Treiber geworden. Beispielsweise entwickelte sie zusammen mit Daimler für das Concept Car „Smart forvision“ eine spritzgegossene Vollkunststoff-Felge, die 3 kg pro Rad einspart und sich nachweislich in Großserie fertigen ließe.

Kunststoff wird in den nächsten Jahren zum Leichtbau einen extrem wichtigen Beitrag leisten. Das vieldiskutierte Carbon spielt dafür vorerst noch keine große Rolle. „Faserverstärkte Kunststoffe, im Besonderen CFK, sind eine sehr wertvolle Ergänzung im Portfolio der Leichtbauwerkstoffe“, erklärt vorsichtig Heinrich Timm, Technologie Netzwerke Audi. Die Voraussetzung für den Durchbruch dieser Technologie für Volumenmodelle seien aber automobilbaugerechte Zykluszeiten und drastisch gesenkte Prozesskosten. Timm ist zugleich Vorstand des Carbon Composites e. V. in Augsburg (CCeV), der die Entwicklung des Superleichtbau-Materials vorantreibt und im Januar den Zuschlag zum Spitzencluster für die Initiative „MAI Carbon“ erhalten hat (s. Seite 32). „Im CCeV haben wir uns das Ziel gesetzt, die Prozesskosten innerhalb von fünf Jahren um 90 Prozent zu senken“, betont Timm.
Beide, Timm und Hoven-Nievelstein, äußerten sich auf dem VDI-Kongress „Kunststoffe im Automobilbau“, der traditionell die Branche zur Diskussion über den Stand der Technik in Mannheim versammelt. Dort dämpften selbst die Vorreiter der automobilen CFK-Technologie überzogene Erwartungen an das Super-Leichtbaumaterial.
So stellte Dr. Jochen Töpker von BMW das „Megacity Vehicle“ vor, das als erstes Großserienauto mit einer Carbon-Fahrgastzelle gebaut wird. Töpker ließ keinen Zweifel daran, dass der elektrisch angetriebene BMW i3 schon 2013 auf die Straße kommt, betonte aber, dass das „project i“ vor fünf Jahren ursprünglich als „Thinktank“ angelegt wurde. Dabei ging es primär um die Frage, wie eine möglichst ausgeprägte Nachhaltigkeit erreicht werden könne. „Das Ergebnis ist ein ganzheitliches und nachhaltiges Mobilitätskonzept und zeigt einen Weg, wie sich die BMW Group künftig individuelle Mobilität vorstellt.“ Die Umsetzung kann sich sehen lassen: Der BMW i3 wird beispielsweise zu 100 % mit regenerativer Energie produziert. Das Leergewicht des Fahrzeugs (inklusive Batterie) beträgt 1250 kg. Ein Pionierauto in vierlei Hinsicht – nicht nur für den CFK-Einsatz. Aber doch zunächst ein Nischenfahrzeug.
Krino Bornemann von Volkswagen stellte den aktuellen Entwicklungsstand des CFK-Monocoques für das Einliter-Auto XL1 vor. „Wir haben zwei Teams für Konstruktion und Fertigung, die in einem permanenten Tauziehen das Gewicht und die Fertigungskosten reduzieren“, berichtet er. Inzwischen ist das Gewicht von Karosserie- und Innenraumstruktur zusammen bei nur 110 kg angekommen. 24 CFK-Monocoques kann das XL1-Team pro Tag produzieren. Hergestellt werden sie „in einem Schuss“ durch das bei VW entwickelte „advanced RTM“-Verfahren, bei dem wiederverwendbare, formgebende Trägerschalen genutzt werden. Allerdings sind 37 Preforms und viele Inserts, Schaum- und Blaskerne dafür nötig, außerdem gibt es über 400 Bearbeitungspositionen. Als Herausforderung nennt Bornemann unzugängliche Klebestellen, für die zerstörungsfreie Prüfmöglichkeiten gefunden werden müssen.
Letztlich spiegelt das ehrgeizige Entwicklungsprojekt den heutigen Stand der CFK-Technologie wider – mit all ihren Chancen und Schwierigkeiten. Bornemann sieht das Konzept als vielversprechend an, hält den CFK-Einsatz momentan aber eher in „Insellösungen“ für realistisch. Schon in wenigen Jahren könnte dies anders aussehen.
Noch ist CFK ein Zukunftsmaterial im Automobilbau. Dies gilt jedoch nicht für die Fülle der Kunststofftechnologien. Auf welch unterschiedliche Weise sie schon heute zum Fortschritt beitragen können und müssen, machte Dr. Frank Welch auf dem VDI-Kongress deutlich, bei Volkswagen zuständig für den Markenaufbau.
Der VW-Konzern produziert über 200 Modelle an weltweit 94 Fertigungsstandorten, darunter mehr als 60 VW-Marken. „In diesem Konglomerat können wir nur erfolgreich sein, wenn wir viele Synergien generieren, auch auf der Produktionsseite“, sagt Welsch. VW lässt dazu die Plattformstrategie hinter sich und definiert Baukästen, die Fahrzeugklassen-übergreifende Standards enthalten. Sie sollen die Werke in die Lage versetzen, markenübergreifend zu produzieren. Der „Modulare Querbaukasten“ (MQB) zum Beispiel bringe eine um 30 % verkürzte Fertigungszeit, reduziere die Kosten um 20 % und das Gewicht um 40 %. Dieser Ansatz verschärft die durch den Leichtbau ohnehin hohen Werkstoffanforderungen noch weiter, gerade auch an die Kunststoffe.
Beispiele: Im Nebelschlusslicht des VW Touran entfallen aus Gewichtsgründen die Wärmeleitbleche, gleichzeitig schrumpft die Höhe der Kammer. In der Folge muss der Kunststoff eine Temperatur von 185 °C statt bisher 103 °C ertragen. Naturfaserverstärkte Kunststoffe senken das Gewicht in der Türseitenverkleidung um 5 %, dafür werden die Prozessfenster in der Fertigung enger. Als Ersatz für Glas reduzieren Kunststoffe das Gewicht der festen Seitenscheibe um 40 % – was zur Folge hat, dass die Entwickler eine Lösung für die niedrigere UV- und Kratzbeständigkeit finden müssen. Ein Problem insbesondere bei Frost auf den Scheiben.
Viel Potenzial sieht Dr. Welsch im Thermoplast-Schaumspritzguss. Im Beispiel einer Instrumententafel senkt der geschäumte Kunststoff das Gewicht um 20 %, die Kosten um 15 % und erhöht die Steifigkeit um 20 %. „Von dieser Technik sind wir sehr überzeugt und wünschen uns, noch mehr Anbieter zu finden.“ Als weitere Herausforderungen nennt der VW-Manager hochglänzende ABS/PMMA-Oberflächen, Linsen in Scheinwerfern, mehrfunktionale Klebstoffe und – generell – bessere Simulations-Tools.
Endlos gerichtete, (glas)faserverstärkte Thermoplaste haben ein hohes Leichtbaupotenzial. Bei Sitzstrukturen aus Polypropylen können sie das Gewicht um 30 % reduzieren. An diesem Beispiel erklärt der Marken-Experte, worauf es bei der teuren Technologie ankommt: Das Endlosglasfaser-PP-Material als eine Art von „Verstärkungs-Inserts“ nur dort unterzubringen, wo es benötigt wird.
Das Fazit des VW-Managers: Großserientauglicher Leichtbau hat höchste Priorität. Daneben müssen jedoch insbesondere das Temperaturverhalten, optische Eigenschaften und die Simulationsfähigkeit von Kunststoffen weiterentwickelt werden.
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