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Leichtbau wird serienreif

Neue Produktionstechnologien öffnen Schranken für gewichtsreduzierte Konstruktionen
Leichtbau wird serienreif

Im Produktionsalltag ist radikaler Leichtbau nicht immer leicht umzusetzen, weil dafür häufig geeignete Fertigungsmethoden fehlen. Doch dies ändert sich: Zunehmend schaffen es stark gewichtsreduzierte Bauteile in die Serie, die auf neuartigen Leichtbauweisen und Fügetechnologien beruhen.

Kohlenstofffaser-verstärkte Kunststoffe, kurz CFK, sind zwar um 60 % leichter als Stahl und rund 30 % leichter als Aluminium. Sie eignen sich somit besonders für Leichtbau-Produkte. Bislang ist es allerdings noch recht aufwändig, Bauteile aus den verstärkten Kunststoffen herzustellen – viele Arbeitsschritte müssen per Hand gemacht werden und bei den automatisch durchgeführten Schritten bedarf es oft manueller Nacharbeit.

„Die moderne Serienfertigung reproduzierbarer Faserverbundbauteile ist bisweilen so komplex, dass sie nur schwer von einzelnen Firmen alleine zu lösen ist“, heißt es in der Studie „Leichtbau in Mobilität und Fertigung“, die das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) gemeinsam mit dem Institut für Werkzeugmaschinen (IfW) der Universität Stuttgart und dem DLR durchgeführt hat. Sie kommt daher zu dem Ergebnis, dass „eine branchenübergreifende Zusammenarbeit zwingend erforderlich“ ist.
Leichtbau kann demnach nicht alleine durch moderne Werkstoffe realisiert werden. Die Fertigungstechnologien und Konstruktionsprinzipien müssen ebenso eingeschlossen und angepasst werden. Als Beispiel wird hier die Carbon-Keramik-Bremsscheibe der SGL-Group angeführt, die aus Kohlenstofffaser-verstärktem Verbundwerkstoff aufgebaut ist und das Gewicht im Vergleich zur konventionellen Graugussbremsscheibe um rund 50 % reduziert.
Auf der Leichtbaumesse JEC 2013 in Paris, die in diesem Jahr das besondere Augenmerk auf die automatisierte Produktion von Kohlenstofffaser-verstärkten Kunststoff-Bauteilen legte, war auch das DLR mit Forschungs-Highlights vertreten: Das DLR-Zentrum für Leichtbauproduktionstechnologie (ZLP) zeigte ein Roboterwerkzeug mit einem speziellen Greifsystem, das die Vorstufen von CFK-Bauteilen in der Composites-Herstellung sicher greifen, transportieren und ablegen kann. Dies stellt in der Produktion einen entscheidenden Qualitätsfaktor für die Bauteile dar. Der von DLR-Wissenschaftlern in Augsburg entwickelte so genannte Streifengreifer kann sowohl einzelne streifenförmige Zuschnitte handhaben als auch große Zuschnitte mit Hilfe von zwei kooperierenden Robotern bewerkstelligen.
Einen großen Schritt vorwärts bei der Serienfertigung der Leichtgewichte macht BMW mit dem neuen Modell i3, das Ende dieses Jahres vom Band rollen soll und dessen Karosserie nahezu komplett aus CFK besteht. Die Spitzenclusterinitiative MAI Carbon, an der Firmen wie BMW und Audi beteiligt sind, will CFK nun auf breiter Basis fit machen für die Serienreife. „Unser Ziel ist es, die Herstellungskosten von CFK-Bauteilen um 90 % zu reduzieren“, sagt Prof. Klaus Drechsler, Leiter der Fraunhofer-Projektgruppe und Inhaber des Lehrstuhls für Carbon Composites an der TU München. „Das wollen wir vor allem über neue Herstellungsverfahren erreichen, die sich auch für Großserien eignen.“
So entwickeln die Forscher gemeinsam mit ihren Kollegen von Premium Aerotec und Eurocopter unter anderem ein vollautomatisches, roboterisiertes Fertigungsverfahren für große CFK-Bauteile wie etwa Stringer, die dem Flugzeugrumpf in Längsrichtung die erforderliche Steifigkeit verleihen. Kern der Technologie ist ein Roboter mit einem Legekopf: Er greift die mit Harz ummantelten CFK-Strukturkomponenten und legt sie in eine vorgefertigte Schale, die schon die Form des Flugzeugrumpfes haben. Anschließend werden die Fasern hier ausgehärtet. Bisher wurde dieser Schritt per Hand bewerkstelligt – gute Chancen, künftig in die Serienfertigung eines Verkehrsflugzeugbaus aufgenommen zu werden, die in etwa zwei Jahren startet, freut sich Drechsler.
Weil entsprechende Fertigungstechnologien noch nicht überall zur Verfügung stehen, lassen sich optimale Leichtbaukonstruktionen oft noch nicht umgesetzen. Abhilfe schaffen teilsweise auch additive Fertigungsverfahren wie das Laserstrahlschmelzen: Der Prozessablauf ermöglicht die wirtschaftliche Fertigung diffiziler Bauteile in kleinen Stückzahlen. Als besonders geeignet erweist sich diese Methode beim Einsatz bionischer Leichtbaustrukturen wie Waben- oder Gitterstrukturen.
Eine neue Methode zum strukturellen Fügen kommt vom Fraunhofer-Institut für Lasertechnik ILT, Aachen. Konventionell werden Leichtbaukomponenten durch Kleben oder Nieten verbunden. Beide Verfahren benötigen jedoch eine Reihe von Vorverarbeitungsschritten, sind teuer und mit langen Prozesszeiten verbunden. Um diese Nachteile zu vermeiden, verbindet das ILT die Komponenten durch Laserschweißen, einem Verfahren, bei dem die Energie direkt in die Fügezone eingebracht wird und das mit einem Minimum an Bearbeitungszeit einhergeht. Eine Erweiterung stellt das Fügen von Kunststoff mit Metall in einem speziellen zweistufigen Prozess mit Laserstrahlung dar.
Neben dem Fügen von FVK-Bauteilen und der Herstellung von Kunststoff-Metall-Verbindungen fällt das Schneiden an vielen Stellen der Prozesskette an: Vormaterialien müssen zugeschnitten, Bauteile besäumt und mit Löchern und Abschnitten versehen werden. Und dies ohne Kantenschädigung. „Bisherige Laserschneidtechniken erzielen durch eine zu große Wärmeeinflusszone noch ein unsauberes Bearbeitungsergebnis“, erklärt Andreas Rösner vom ILT. Die Aachener Forscher entwickeln daher neue Schneidverfahren unter anderem mit einem innovativen Kurzpuls-CO2-Laser, der die thermische Schädigung des Materials durch den geringen Wärmeeintrag erheblich reduziert.
Der Trend zum Leichtbau stellt auch Massivumformer vor Herausforderungen: Innovative Verarbeitungsmethoden und Werkstoffe müssen integriert werden. Dazu zählen neuartige Sandwichmaterialien für den Serieneinsatz im Automobilbau wie etwa Litecor von ThyssenKrupp Steel – ein modernes Leichtbaumaterial für flächige Bauteile wie Reserveradmulden, Türen, Klappen und Dächer. Der Clou: Der biege- und beulsteife Stahl-Polymer-Werkstoffverbund vereint die hohe Festigkeit von Stahl mit dem niedrigen Gewicht moderner Kunststoffe. Litecor besteht aus drei Schichten: zwei extrem dünnen Stahldeckblechen mit Dicken von 0,2 bis 0,25 mm und einem 0,3 bis circa 1 mm dicken Polymerkern. Dieser Querschnitt sorgt dafür, dass das Stahlsandwich biegesteif ist, gleichzeitig leicht, kostengünstig und nur geringfügig dicker als die bislang für die Karosserieaußenhaut eingesetzten monolithischen Bleche. Der Start der großvolumigen Serie ist für das Jahr 2014 geplant.
Gemeinsam mit dem Spritzgießmaschinenbauer Engel Austria haben die Forscher des Fraunhofer-Instituts für Chemische Technologie (ICT) jetzt eine Technologie zur Produktreife gebracht, die eine Fertigung Endlosfaser-verstärkter thermoplastischer Verbundstrukturen durch effizientes Spritzgießen in Serie ermöglicht. Bislang war es sehr aufwändig, Endlosfaser-verstärkte Compositesmit thermoplastischer Matrix in großen Stückzahlen herzustellen. Textilähnliche, dichte Endlosfaserstrukturen lassen sich einerseits nur schwer in Form bringen, zum anderen ist das Zusammenbringen mit einem hoch viskosen thermoplastischen Matrixwerkstoff ein sehr komplexer Prozess.
„Solche Endlosfaser-verstärkten Verbundstrukturen mit thermoplastischer Matrix werden immer beliebter und zukünftig immer häufiger etwa im Automobilbereich zum Einsatz kommen“, erläutert Dr. Lars Fredrik Berg, zuständiger Projektleiter am ICT. „Der Prozess, der vorher auf mehrere Anlagen verteilt war, ist nun in Serie auf einer einzigen möglich“, ergänzt Peter Egger, Leiter des Technologiezentrums für Leichtbau-Composites bei Engel. Ihre erste Feuertaufe hat die Innovation bereits bestanden: Für den Zulieferer ZF Friedrichshafen fertigte Engel exemplarisch einen Bremspedal-Einleger aus Glasfaser-verstärktem Polyamid.
Sogar bisherige massive Gussteile sollen von Serien-Leichtbauprodukten abgelöst werden. ZF Friedrichshafen konzentriert sich neben dem Antriebsstrang vor allem auf das Lkw-Fahrwerk. Hier helfen weniger Kilos nicht nur beim Spritsparen, sondern erhöhen zudem die Ladekapazität.
In einer Studie über Vierpunktlenker aus Faserverbundwerkstoff arbeitet ZF daran, dieses Bauteil statt in Guss aus Glasfaser-Kunststoffverbund (GFK) herzustellen und es so im Vergleich zur Gussvariante um rund 25 % leichter zu machen – dies entspricht etwa 11 kg. Das klingt zwar nach wenig, die Einsparungen summieren sich bei Lkw-Fahrleistungen von mehreren hunderttausend Kilometern aber auf.
Und die Gewichtseinsparung pflanzt sich fort. Durch den Vierpunktlenker als Teil eines gewichtsoptimierten Lkw-Aufhängungssystems für die hintere Doppelachse können die Dreiecklenker, der Stabilisator und andere Komponenten zur Fahrwerkanbindung entfallen. Der Vierpunktlenker ist hier dafür zuständig, die nicht angetriebene Vorlaufachse in gewichtsoptimierter Hohlgussausführung zu führen. Bei der angetrieben Hinterachse kommt ein Stabilenker mit neuartiger Polygonfügetechnik zum Einsatz: Zusammen mit einem Dreiecklenker aus leichtem Aluminium und einem Federbalgträger übernimmt er die Achsführung in Längs- und Querrichtung sowie die vertikale Abstützung der Achslast. Auch das Kabinen-Dämpfungsmodul gibt es bald in Leichtbauweise: Eine Balgfeder aus Faserverbundwerkstoff (GFK) ersetzt die konventionelle Stahlfeder.
„Durch die Umsetzung neuer Fertigungstechnologien werden zudem viele Arbeitsplätze entstehen“, erläutert Christian Gauggel, Projektingenieur Forschung und Entwicklung bei der Gühring oHG, einem Mitglied im Kompetenzzentrum Carbon Composites e.V. „Das gilt insbesondere in der endkonturnahen Fertigung von Bauteilen aus faserverstärkten Materialien und deren spanenden Nachbearbeitung.“
Edgar Lange Fachjournalist in Düsseldorf
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