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Leichte Kost für Umformer

Leichtbau: Umformprozesse für neue Werkstoffe – praxisgerecht oder visionär
Leichte Kost für Umformer

Magnesiumlegierungen, Sandwichbleche oder ultrahöchstfeste Stähle: Viele Leichtbauideen basieren auf neuartigen Werkstoffen und Halbzeugen. Die dahinterstehende Umformtechnik steht allerdings oft noch im Prototypenstadium, ihre industrielle Umsetzung noch am Anfang.

So leicht die Bauteile aus modernen Werkstoffen auch sind, ihre Herstellung ist es nicht. Viele innovative Leichtbauideen mit metallischen Werkstoffen von Magnesium bis zum Verbundhalbzeug befinden sich noch im Projektstadium. Die Frage ist, welche Leichtbaustrategien sich industriell umsetzen lassen und wie sich Umformunternehmen auf eine Leichtbauzukunft einstellen können.

Magnesium erlebt derzeit eine Renaissance. Das Leichtmetall mit einer Dichte von 1,7 g/cm3 wiegt nur ein Viertel so viel wie Stahl, kommt sehr häufig vor und erreicht als Knetlegierung Festigkeiten in der Größenordnung von Stahl. Magnesiumgussteile gelten in der Industrie als Stand der Technik und werden beispielsweise mit Wanddicken von etwa 3 mm als Instrumententräger in der Automobilindustrie eingesetzt. Noch mehr Gewichtsersparnis erwarten sich die Entwickler von dünnen Blechen aus Magnesium-Knetlegierungen.
Das Vorurteil von der brandgefährlichen Verarbeitung von Magnesium, räumt Sascha Festing vom Magnesium-Druckgusswerk Metallgießerei Funke in Alfeld aus. In zehn Jahren habe er einen einzigen ernstzunehmenden Unfall erlebt und der sei mit einer großen Stichflamme und ohne Verletzungen abgegangen. Problematisch sei der Magnesiumstaub, weshalb mit einem guten Maß an Sauberkeit problemlos alle herkömmlichen Druckgießverfahren eingesetzt werden könnten. Hergestellt werden so Teile von der halbmeterdicken Druckwalze bis zu Mittenkonsole für Pkw.
Anders verhält es sich bei der Kaltumformung von Magnesiumlegierungen. Die hexagonale Kristallstruktur des Metalls lässt nur geringe Bruchdehnungen zu und steht so einer Kaltumformung entgegen. Bevorzugt wird Magnesium deshalb bei Temperaturen oberhalb von 225° C warmgeformt. Die Kennwerte für viele der üblicherweise eingesetzten Knetlegierungen wurden in mehreren Forschungsprojekten bereits aufgenommen, die Grundlagen für Simulation und Prozessauslegung sind damit vorhanden.
Mehrere Initiativen und Firmenpartnerschaften treiben gezielt den industriellen Einsatz der Magnesiumblechumformung voran und haben mittlerweile einen Stand erreicht, der über das Prototypenstadium hinausgeht. ThyssenKrupp beispielsweise hat in der konzernübergreifenden InCar-Studie ein Magnesium-Dachmodul aus der Knetlegierung AZ 31 konzipiert und die zugehörigen Methoden für eine Serienfertigung entwickelt. „Bei der Herstellung der realen Bauteile wurde auf eine seriennahe Prototypfertigung geachtet“, sagt Oliver Hoffmann, Leiter Anwendungstechnik bei der Thyssen Krupp Steel Europe AG in Duisburg. So sei für die Herstellung der Außenhaut ein beheizbares Schiebernachformwerkzeug konzipiert worden, mit dem Fragen bezüglich des Nachformens und Abkantens von Flanschen geklärt werden konnten. Verschiedene Verbindungstechniken wurden erprobt und das Rückfederungsverhalten sowie das Umformverhalten nach dem Ziehvorgang untersucht. Für sämtliche Einzelteile seien Serienmethoden entwickelt worden und die Umformbarkeit sowie die Herstellung der Bauteile mit Hilfe der FEM-Simulation abgesichert.
Die an der TeMaK -Technologieplattform zum Einsatz von Magnesium-Knetlegierungen beteiligten Firmen und Institute, darunter das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Chemnitz, präsentierten eine komplette 4,7 kg leichte Fahrzeugtür aus Magnesiumlegierungen. Das Demonstratorbauteil diente vor allem dazu, die für Magnesiumlegierungen einsetzbaren Umformtechniken für verschiedene Geometrien zu untersuchen. In dem seit 2007 laufenden Projekt wurden dazu die technologischen Grenzen für verschiedene Verfahren wie das Streckziehen für die Außenhaut, das Tiefziehen für das Innenblech, Rohr- und Rollbiegen für den Rahmen sowie das Fließpressen für Scharnierverstärkungen ermittelt und Parameter für die Umformung verschiedener Magnesium-Knetlegierungen erarbeitet. Zudem wurden Fügetechnologien wie Innenhochdruck-Fügen, Falzen sowie Clinchen, Nieten und thermische Fügeverfahren wie das Laserschweißen erprobt.
Dass bis heute Blechformteile aus Magnesium-Knetlegierungen kaum in Großserien verbaut werden, hängt unter anderem mit dem hohen Preis des Materials zusammen. Eine Folge auch des Herstellprozesses. Fortschritte erwarten sich die Branchen vor allem von der Gießwalztechnik, die beispielsweise von der MgF Magnesium Flachprodukte GmbH in Freiberg eingesetzt wird, die das Gießen und Walzen des Bandes in einer Anlage kombiniert.
Die getrennte Herstellung des Bandes im Walzwerk, das Aufwickeln zum Coil, das Abwickeln von Coil samt Besäumen und wieder Erwärmen zum Umformen hält die Stolfig-Group in Geisenfeld nach Aussagen von Maximilian Stolfig, Prokurist des Unternehmens, für energetisch ungünstig und teuer. Ihr Konzept basiert auf der neuen Magnesiumlegierung MnE21, die sich durch hohe Druck-, Hitze- und Korrosionsbeständigkeit auszeichne. Der Herstellprozess dieser Legierung, das Erzeugen des Bandes, die Blechumformung und das Verwerten der Reststücke sind in einer Anlage verkettet. Magnesium, Mangan und seltene Erden werden in der ersten Stufe erschmolzen und zu Strangpressbolzen gegossen, aus denen im anschließenden Schritt stranggepresste Rohre entstehen. Diese werden gespalten und zum Band aufgeweitet und gewalzt. Nach dem Trennen entstehen Bleche, die direkt zum Endteil warmgeformt und beschnitten werden. Die Produktionsabfälle transportiert die Anlage direkt zur Eingangsstufe zurück, wo sie, noch warm, wiederverwertet werden.
Die Umformung erfolge nahezu ohne Rückfederungseffekt, die Dämpfungseigenschaften der Bauteile sind nach Angaben von Stolfig ebenso wie die Schweißbarkeit gut und die energetische Bilanz der Anlage klingt überzeugend. Das Verfahren sei über mehrere Jahre hinweg für Einzelteile erprobt worden, eine Prototypenanlage soll in diesem Jahr in China entstehen.
Wie Magnesiumbleche stecken auch die vielen Ansätze zum Leichtbaueinsatz von Verbundwerkstoffen anstelle von Blechen eher im Prototypenstadium. Interessant ist ein ebenfalls im Rahmen von InCar vorgestelltes Projekt eines sogenannten Leichtbaublechs. Es besteht aus einem 0,4 mm dicken, schersteifen Polymerkern, der von zwei Blechen in den Dicke von 0,2 und 0,3 mm eingeschlossen ist. Das Blech lässt sich nach Angaben von Oliver Hoffmann wie herkömmliches Blech umformen und soll bei vergleichbarer Steifigkeit unwesentlich dicker sein als ein herkömmliches Blech. In der prototypischen Dachkonstruktion lag die Gewichtseinsparungen bei 38 % gegenüber der Stahlkonstruktion. Für den Sommer 2011 plant Thyssenkrupp den Bau einer Prototypenanlagen zur Herstellung der Composite Bleche in Duisburg.
Abgesehen von den fertigungstechnisch beherrschten Tailored Blanks und weiterer tailored Produkte sind hybride Produkte vor allem im Baubereich bekannt. Dort sind sie eine Alternative zu Holz und werden auch ähnlich durch Sägen und Fräsen bearbeitet. Umformungen sind dabei kaum möglich. Anders bei einigen geschäumten Materialien wie beim AFS (Aluminium Foam Sandwich). Dabei handelt es sich um ein flächiges, blechförmiges Material, dessen aufgeschäumter Aluminiumkern nach außen von zwei Aluminiumdeckellagen abgeschlossen ist. Die Deckschichten sind metallisch, ohne Klebemittel mit der Kernschicht verbunden. Hergestellt wird das Teil pulvermetallurgisch, indem Aluminiumpulver mit dem Schäumungsmittel Titandihydrid gemischt und verdichtet wird. Anschließend wird es zusammen mit den Deckschichten zum Blech gewalzt, das wie herkömmliches Blech geformt wird. Eine Erwärmung über 500 °C bringt den Kern zum Schmelzen und Aufschäumen. Mit dem Material, das auf der Bau vorgestellt wurde, lassen sich ebene und komplex geformte Sandwichstrukturen herstellen.
In Gegensatz zu den prototypischen Leichtbaumaterialien wie Magnesium oder Verbundwerkstoffen kann beim Einsatz von Stahl als Leichtbauwerkstoff auf eine jahrhundertealte Umformerfahrung mit dem Werkstoff zugegriffen werden. Die Werkzeug- und Werkzeugmaschinentechnik ist ausgereift und die Verfahren besitzen einen hohen Reifegrad, so dass auch die zahlreichen neuentwickelten Leichtbaustähle relativ schnell in der Serienproduktion eingesetzt werden können. Der Einsatz moderner Stähle mit höheren und höchsten Festigkeiten gilt zwar als umformtechnisch anspruchsvoll, lässt sich aber in den meisten Fällen auf den verfügbaren Maschinen und Anlagen durchführen. Diese Praxisnähe ist ein Grund für den wachsenden Einsatz höherfester Stähle. Und zwar in allen Bereichen, auch über die Automobilindustrie hinaus, wie Ralph Bartos vom Stahl-Informationszentrum feststellt.
Höherfeste Stähle mit Festigkeiten bis 450 MPa werden auf heute herkömmlichen Pressen problemlos umgeformt, sie können mechanisch geschnitten werden und per Schweißverfahren gefügt. Mit den Bake-Hardening- und IF-Stählen stehen im Ausgangszustand relativ weiche Materialien für hohe Umformgrade zur Verfügung, die bei Bake Hardening-Stähle erst beim Einbrennlackieren ihre endgültige Festigkeit erreichen.
Bei höchstfesten Stähle mit Festigkeiten um 1000 MPa handelt es sich meist um Werkstoffe, die ihre Festigkeit durch die Kombination verschiedener Gefüge im Material erreichen. In solchen Mehrphasenstählen, aber auch bei TRIP- und TWIP-Stählen wandeln sich während der Umformung Gefügeinseln in martensitisches Gefüge um. Mit zunehmendem Umformgrad steigt ihre Festigkeit und die Bruchdehnung nimmt ab. Diese Stähle werden beispielsweise für sicherheitsrelevante Strukturbauteile aber auch im Interieur wie bei Sitzstrukturen eingesetzt. Ihre Umformung ist aufwändiger und stellt hohe Anforderungen an die Methodenplanung. In der Regel sind für ihre Kaltumformung mehrstufige Umformprozesse vorzusehen.
Was damit zusammenhängt, dass höchstfeste Stähle erst dann zur Gewichtsminderung beitragen, wenn durch konstruktive Maßnahmen am Bauteil die Wanddicken dünner werden. Da die Bauteilsteifigkeit aber maßgeblich durch die Geometrie bestimmt ist, entstehen so erst die komplexen Bauteilgeometrien, deren umformtechnische Umsetzung schwierig ist. Zudem ist angesichts der erheblichen Rückfederung der Werkstoffe eine Auslegung der Umformprozesse ohne Simulation kaum möglich. Von der Maschinen- und Werkzeugseite zeigt sich die Kaltumformung dieser Stähle problemlos und reduziert sich auf die Frage nach Presskräften und Verschleiß der Werkzeuge. Verschleißmindernde Werkzeugbeschichtung sind aber verfügbar. Da einfaches Umformen wie das Biegen dieser Stähle kein Problem darstellt, finden sich bereits breite Anwendungen.
Anders ist es bei den ultrahochfest Stählen mit Festigkeiten bis 1950 MPa, die durch Warmumformen in andere Gestalt gebracht werden. Dazu werden die Mangan-Borstähle auf etwa 950 °C erwärmt, im Werkzeug geformt und dort auf rund 150 °C gekühlt und gehärtet. Mit diesem Press- oder Formhärten werden sicherheitsrelevante und tragende Strukturteile geformt. So aufwändig das Verfahren klingt, komplette, ausgereifte Anlagentechnik wird heute samt Unterstützung beim Verfahrens-Know-how von verschiedenen Anbietern wie Schuler, AP&T aber auch Lasco angeboten. Standardisierte Formhärteanlagen sind beispielsweise die PCH-Linie von Schuler in Göppingen, die als komplettes System vom Ofen über Roboter, Pressen und wassergekühlte Werkzeuge sowie speziellen Beschneidpressen oder 3D-Laserzellen umfasst. PCH steht bei dieser Baureihe für „Pressure Controlled Hardening“, eine Technik, die zu kürzeren Zykluszeiten führt.
Zum Thema Leichtbau gibt es viele innovative Ideen, wie leichte Materialien eingesetzt werden könnten. Die Herstellverfahren aber auch die Umformtechnik selbst sind meist noch im Forschungs- oder Prototypenstadium. Zwar deuten die jüngsten Entwicklungen bei Magnesium an, dass ein industrieller Serieneinsatz von Blechformteilen in absehbarer Zeit möglich ist, aber damit wird das Leichtmetall noch nicht zum Standardwerkstoff. Das werden auch in Sachen Leichtbau vorerst Stahl und Aluminium bleiben. Entsprechend klar fällt der Hinweis von Oliver Hoffmann aus, worauf sich Fertigungsbetriebe beim Leichtbau einstellen sollten: „Auf das Bearbeiten höherfester und höchstfester Stähle.“
Volker Albrecht freier Journalist in Bamberg
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