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Mit Induktion zu Hochglanz

Induktionsheizung: Highspeed-Werkzeugtemperierung für Qualitätsteile
Mit Induktion zu Hochglanz

In fünf Sekunden von 70 °C auf 160 °C: Dies macht eine induktive Werkzeugheizung möglich und schafft damit die Voraussetzung, um ein 14 g schweres Polycarbonatteil in Klavierlack-Oberfläche in nur 25 s Zykluszeit zu spritzgießen. Die induktive Temperierung erweist sich vielfach als Hightech-Ansatz – hier ein Überblick.

Tiefschwarze Hochglanz-Kunststoffteile in Klavierlack-Qualität („piano black“) werden häufig mit Lacken oder edlen Folien erzeugt. Dazu dienen Spritzgieß-Sonderverfahren wie IMD/FIM* oder IML*. Doch obwohl Folien auch Spezialeffekte wie etwa eine besondere Tiefenwirkung ermöglichen, wird schon lange versucht, Klavierlack-Optik günstiger direkt in der Spritzgießform zu erzeugen.

Dies gelingt durch Verfahren, in denen die Kunststoffschmelze in eine relativ heiße Form spritzgegossen wird und dadurch nicht so schnell einfriert. Die Schmelze fließt leichter und die Formoberflächenstruktur überträgt sich besser auf das Teil. Um andererseits zu lange Zykluszeiten zu vermeiden und eine hohe Oberflächengüte sicherzustellen, muss die Form sehr schnell aufgeheizt und abgekühlt werden. Dieses schnelle Temperieren sollte konturnah nur einige Millimeter unter der Formoberfläche stattfinden, so dass defacto nur die Formoberfläche aufgeheizt und abgekühlt wird.
Besonders für komplexere Teile empfehlen sich hier spezielle Temperierprozesse in Verbindung mit konturnah kühl- und heizbaren Formen. Systembeispiele zum Rapid Heating & Cooling (RHC) sind Infrarotheizung, keramische Heizelemente, Dampf und Hochdruckwasser sowie elektrische Heizpatronen. Dampf etwa wird zum Herstellen von TV-Rahmen in „piano black“ verwendet.
Sehr vielversprechend und in diversen Anwendungen schon im Einsatz sind jedoch Induktionsheizverfahren. Die französische Roctool S.A. in Le Bourget du Lac entwickelte hierzu zunächst ein „Cage-System“, das sie an Verbundwerkstoffverarbeiter lieferte oder in Linzenz vergab. Es senkte die Zykluszeiten beim Verarbeiten von duroplastischen Verbundwerkstoffen oder auch von gepressten thermoplastischen Composites durch schnelleres Heizen. Bei diesem System wird Induktionswärme der Form von außerhalb zugeführt. Später jedoch entwickelten sowohl Roctool als auch das Kunststoff-Institut Lüdenscheid (KIMW) interne Induktionsheizsysteme für entsprechend modifizierte Spritzgießwerkzeuge: 3iTech von Roctool (Integrated Internal Induction Technologies) und Indumold von KIMW. Beide Technologien sind inzwischen in 3iTech integriert, nachdem das KIMW und Roctool im Jahr 2009 eine Zusammenarbeit beschlossen hatten.
„Heizen und Kühlen mit Induktion – ein neuer Fertigungsstandard?“ Sebastien Ignotis, F+E-Manager bei Vertragshersteller Flextronics, sprach zu diesem Thema am 19. Juni 2012 auf der 7. Veranstaltung „Grand IMTU“ von Roctool in Le Bourget du Lac. Auf der „Injection Moulding Technology Update“ schilderte Ignotis den Weg seines Unternehmens hin zur Induktionstechnologie: 2007 hatte Flextronics ein auf Dampf basierendes RHC-Verfahren namens FSKP (Flextronics Seamless Knitless Process) patentieren lassen und ist damit 2008 großserienmäßig in die Fertigung gegangen, 2009/2010 sogar weltweit. Erst 2010 kam Flextronics mit Roctool in Kontakt und stellte fest, dass das Roctool-Verfahren nur die Hälfte der Energie benötigte und nicht auf Temperaturen von maximal 130 bis 160 °C beschränkt war.
Den ersten Spritzgießprozess mit Induktionstechnologie startete Flextronics Mitte 2011. Hergestellt wurde die Abdeckung eines Amazon Kindle eReaders in einem PC/ABS-Kunststoffblend. Bis Ende 2011 produzierte Flextronics im Werk Zhuhai in China eine Million Einheiten und lieferte diese aus. Inzwischen wurde die Roctool-Technologie bei Flextronics auch auf andere Teile ausgedehnt.
Die eReader-Abdeckung ist ein dunkelgraues Teil und beispielhaft für das Spritzgießen von edlen Oberflächen in wechselnden Wandstärken bis unter 0,4 mm Dicke mit langen Fließwegen – ohne Schlieren und ohne sichtbare Fließnähte oder Einfallstellen, wie sie von wechselnden Wandstärken und Verstärkungsrippen herrühren könnten.
Günstige Fertigungsalternativen sieht Ignotis künftig sowohl bei Hochglanzteilen als auch bei Teilen, die durch kombinierte Verbundbundwerkstoff- und Spritzgießtechnologien hergestellt werden. Beispielsweise Teile, die durch Hochglanz, Gewebeverstärkung, Metalleinsätze und/oder neue Design- und Strukturoberflächen gekennzeichnet sind. Bei ihrer Herstellung wird der Aufwand durch IML, IMD und andere, sich an das Spritzgießen anschließende Verfahren reduziert oder eliminiert.
Sabic arbeitet schon seit den früheren 90er-Jahren mit aktiver Temperierkontrolle – zuerst mit thermisch isolierten Werkzeugen, später mit dampfbasierender RHC-Technologie. Dies erklärte Vince Lanning, Application Technology Manager America bei Sabic Innovative Plastics, in seinem Vortrag. In den 2000er kam die Arbeit mit Induktionswerkzeugen sowie mit überhitztem Wasser und Dampf hinzu, danach mit Induktionswerkzeugen mit konturnaher Heizung. Lanning beschrieb, wie die Roctool-Technologie bei 0,5 mm dünnen Teilen um 15 % bis über 20 % längere Fließwege ermöglichte – und zwar bei zehn unterschiedlichen Hochleistungs-Thermoplasten. Um etwa 8 % bis über 15 % wuchsen die Fließwege bei 1,0 mm dicken Teilen. Neben den erwähnten Induktionsvorteilen bekräftigte Lanning die Möglichkeit, bessere Oberflächen in mineralgefüllten und glasfaserverstärkten Kunststoffen zu erzielen. Dazu zählen auch Deckschichten von Glasfaser-verstärkten Bereichen, in Spritzgussteilen ebenso wie in gepressten Verbundwerkstoffteilen.
Mathieu Boulanger, Business Development Manager und Dr. José Feigenblum, F&E-Direktor, beide bei Roctool, präsentierten die Möglichkeit, Teile mit kombinierten matten und hochglänzenden Oberflächen zu konstruieren und zu fertigen. Als Beispiele dafür waren Luftschlitzteile im Armaturenbrett des Peugeot 208 und am Fahrzeug selbst in Le Bourget du Lac zu sehen. Innenanwendungen am BMW 1er, 3er und Audi A8 zeigten die Roctool-Manager im Vortrag.
Boulanger und Feigenblum präsentierten auch die prototypische Entwicklung, ein direktes Luftkühlsystem zusammen mit der schon im Induktionsverfahren verwendeten Wasserkühlung einzusetzen, um die Zykluszeit weiter zu reduzieren. Denn häufig besteht die Zykluszeit zu weit über 70 % aus der Kühlzeit.
Weitere Entwicklungsperspektiven eröffnen sich durch die Verwendung von Induktion beim thixotropen Spritzgießen von Metallen und bei kombinierten Spritzguss- und Verbundwerkstoffteilen. Hier reichen die Möglichkeiten vom Umspritzen dünnwandiger Metalle bis hin zur Herstellung von Carbonfaser-verstärkten Kunststoffen (CFK) und von Mehrkomponentensystemen. Als weitere Ideen nannte Roctool-CEO Alexandre Guichard ein schnelleres RTM (Resin Transfer Moulding) und gepresste Thermoplastteile für den Automobilbau.
Für die Herstellung eines schwarzen Demo-Teils in Klavierlack-Optik aus Sabic Lexan 143R Polycarbonat wurde die Form im Roctool-Technikum mit Induktion in 5 s von 70 °C auf 160 °C aufgeheizt, und zwar durch Induktion in nur einer Werkzeughälfte. Das 14 g schwere Teil entstand in einer Zykluszeit von etwa 25 s auf einer Spritgießmaschine Engel e-Victory mit 1600 kN Schließkraft. Das Abkühlen auf 90 °C zur Teileentnahme dauerte 15 s. Daneben entstanden ein Hybridteil (CFK spritzgeprägt und mit ABS umspritzt) und zwei duroplastiche Pressteile, von denen eines im RTM-Verfahren mit schnellerer Zykluszeit produziert wurde, das andere als komplexes 3D-Teil.
David Vink Freier Fachjournalist in Mettmann
IMD/FIM = In-Mould Decoration/Film Insert Moulding; IML = In-Mould Labelling
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