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„Nicht Nische, sondern Chance“

WZL-Direktor Prof. Christian Brecher über das Bearbeiten von Hochleistungswerkstoffen
„Nicht Nische, sondern Chance“

„Nicht Nische, sondern Chance“
„Um Hochleistungswerkstoffe, wie etwa Titan, effizient bearbeiten zu können, brauchen wir neue Ansätze in der Fertigungstechnik.“
Fortschritt ist nur möglich, wenn alle Elemente des Fertigungssystems optimal aufeinander abgestimmt sind, sagt Prof. Christian Brecher. Er ist einer von vier Direktoren des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) der RWTH Aachen und des Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie (IPT) in Aachen.

Herr Professor Brecher, moderne Hochleistungswerkstoffe ermöglichen immer leistungsfähigere Produkte. In welchen Bereichen sehen Sie das größte Potenzial?

Die größten Entwicklungstreiber sind traditionell die Luft- und Raumfahrttechnik sowie die Automobilbranche. Große Potenziale sehe ich aber auch im Transportwesen sowie im Bereich Energieerzeugung, insbesondere vor dem Hintergrund des stetig steigenden Bedarfs in Schwellenländern. Vor diesem Hintergrund ist in den nächsten Jahren ein erheblicher Anstieg des Produktionsvolumens zu erwarten. Für eine wirtschaftliche Produktion müssen die Fertigungsprozesse zukünftig noch schneller, stabiler sowie einfacher zu beherrschen sein.
Gibt es an Ihren Instituten Forschungsschwerpunkte hinsichtlich der Bearbeitung von Hochleistungsmaterialien?
Schwerpunkte im Bereich der Hochleistungsmaterialien liegen bei uns derzeit in der Produktionstechnik faserverstärkter Kunststoffe sowie generell in der Zerspanung schwerzerspanbarer Werkstoffe. Auch das Bearbeiten von Verbundbauteilen oder Sandwichstrukturen, etwa aus CfK, Aluminium und Titan, wird untersucht. Um wirtschaftlich agieren zu können, werden hier in einem Arbeitsgang ganz unterschiedliche Technologien benötigt. Abhängig von den Werkstoffen und vom Bauteil könnte auch die Kombination aus Laser und spanender Fertigung ein interessanter Ansatz sein.
Eine der Schwierigkeiten bei der Produktion von CfK-Teilen ist die eingeschränkte Automatisierbarkeit der Prozesse. Gibt es hier schon Lösungen?
Um Faserverbundwerkstoffe – das gilt sowohl für Kohlenstoff- als auch für Glasfasern – für Massenmärkte interessant zu machen, brauchen wir ganz neue Ansätze in der Fertigung. Zurzeit sind aufgrund des hohen Anteils an manuellen Tätigkeiten die Fertigungszeiten lang und die Stückkosten hoch. Um das zu ändern, arbeiten wir mit Kollegen aus der Textil- und aus der Kunststofftechnik zusammen. Ähnlich wie bei der Blechbearbeitung wollen wir die Tränkung sowie Konsolidierung der Bauteile in einem Werkzeug realisieren. Über dieses Werkzeug im Pressensystem ließe sich auch das zum Aushärten nötige Temperaturprofil einbringen. Das Ziel sind Taktzeiten von wenigen Minuten – abhängig von der Bauteilkomplexität und -größe.
Wie ist der Stand beim Bearbeiten von Titan?
Zunächst sollte man erwähnen, dass in den nächsten zehn Jahren eine drastische Nachfragesteigerung nach Bauteilen aus Titan zu erwarten ist – eine Folge des hohen Bedarfs besonders in der Luftfahrt. Derzeit geht ein Trend dahin, große Strukturbauteile aus Titan herzustellen. Bedingt durch den geometrischen Aufbau solcher Strukturbauteile ist gerade hier das zu zerspanende Volumen sehr groß, auch wenn bereits endkonturnahe Rohteile zum Einsatz kommen. Auf Grund der steigenden Nachfrage in Kombination mit großen zu zerspanenden Volumina müssen die Zerspanraten beim Titan in den nächsten Jahren deutlich steigen. Das Entwicklungspotenzial ist derzeit noch schwer abzuschätzen, aber auch beim Aluminium hätte vor wenigen Jahren keiner ein Zerspanvolumen von elf Litern pro Minute für möglich gehalten. Heute ist das Realität.
Welche Auswirkungen hat das auf die Fertigungssysteme?
Entscheidend ist: Echter Fortschritt ist nur möglich, wenn das Gesamtsystem aus Maschine, Werkzeug, Spannmittel, Kühlung und Bearbeitungsstrategie optimal aufeinander abgestimmt ist. Gefordert sind statisch und dynamisch sehr steife und sehr gut gedämpfte Maschinen sowie Werkzeuge, die große Schnittkräfte und hohe Temperaturen an der Schneide bei gleichzeitig hohen Standzeiten ertragen. Weitere Herausforderungen sind dynamische Effekte beim Bearbeiten dünnwandiger Teile und eine hohe Prozesssicherheit. Insbesondere bei teuren Bauteilen – etwa großen Strukturelementen oder Turbinenteilen – halte ich eine zuverlässige Simulation der Prozesse und eine vorausschauende Systemdiagnose für enorm wichtig. Nur so erkennt der Anwender bereits im Vorfeld, ob im Verlauf einer langen Bearbeitung kritische Situationen auftreten, die zum Ausschuss führen. Und nur so kann er rechtzeitig gegensteuern.
Führt das zu Spezialistentum und Nischenanwendungen.
Das würde ich nicht in dieser Ecke sehen. Das Ziel muss lauten, schwer zerspanbare Werkstoffe für die unterschiedlichsten Anwendungen hochproduktiv und prozesssicher zu zerspanen. Ich sehe das nicht als Nische, sondern als Chance für deutsche Anbieter von Fertigungstechnik wie auch für Teilefertiger sich eine Vorreiterrolle im internationalen Wettbewerb zu erarbeiten.
Wie groß sehen Sie das Potenzial dieser Technologien im Volumenmarkt?
Das hängt stark davon ab, wie gut es gelingt, die Kosten für die Bearbeitung in den Griff zu bekommen. In der Luftfahrt, wo sich jede Gewichtsersparnis positiv auf das Gesamtsystem Flugzeug auswirkt, sind höhere Bauteilkosten akzeptabel und im Sinne eines geringeren Verbrauchs und einer größeren Reichweite auch betriebswirtschaftlich vertretbar. Im Vergleich dazu werden in der Automobilindustrie nahezu keine Mehrkosten akzeptiert, wenn nicht ein erheblicher Mehrwert im Sinne eines verkaufbaren Technologiesprungs erreicht wird. Deshalb finden sich solche Teile bisher nur im hochpreisigen Segment, bei teuren Sportwagen oder im Rennsport. Vor dem Hintergrund der Energie- und Verbrauchsdiskussion könnte ich mir jedoch vorstellen, dass Faserverbundwerkstoffe in den kommenden Jahren eine breitere Anwendung finden.
Sehen Sie auch im Werkzeugmaschinenbau Einsatzfelder für diese Werkstoffe?
Versuche in dieser Richtung hat´s schon gegeben, aber echte Leistungsvorteile wurden in der Praxis nicht erzielt. Deshalb geht die Entwicklung hier eher in Richtung möglichst kostengünstiger Lösungen mit herkömmlichen Materialien. Ein großes Potenzial für Hochleistungswerkstoffe sehe ich dagegen im Kraftwerksbereich. Die Energietechnik wird einer der Hauptentwicklungstreiber der kommenden Jahre sein. Und auch das Marktpotenzial ist immens. Denken Sie nur an den riesigen Energiebedarf allein in Ländern wie China oder Indien.
Wie beurteilen Sie in diesem Zusammenhang das Thema Know-how-Schutz?
Das ist ein großes Thema. Einer der besten Schutzmechanismen ist nach wie vor, immer einen Schritt voraus zu sein. Einer unserer Vorteile in Deutschland: Für jedes Fertigungsproblem gibt es Spezialisten, die einem bei Bedarf relativ schnell helfen können. Neue Technologien sollten die Anbieter zunächst hier etablieren. Erst wenn sie beherrscht werden, macht der Export Sinn. Auch das sichert einen kleinen Vorsprung.

Marktchancen
Komponenten aus modernen Werkstoffen steigern die Leistungsfähigkeit vieler Produkte. Allerdings sind die Materialien oft schwierig zu bearbeiten. Wer die Prozesse beherrscht, hat einen echten Wettbewerbsvorteil. Während konventionelle Werkstücke vielfach in Billiglohnländer abwandern, können Hochleistungsteile Aufträge, komfortable Margen und Arbeitsplätze sichern.
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