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Technologietransfer: Prof. Fritz Klocke über die Zukunft der Fertigung

Digitale Vernetzung
Prof. Fritz Klocke, Co-Leiter des Fraunhofer-IPA, über die Zukunft der Fertigungstechnik

Die digitale Vernetzung ist laut Prof. Fritz Klocke die Basis für weiteren Fortschritt in der Produktionstechnik. Er sieht sie unter anderem als Voraussetzung dafür, dass biologische und technische Systeme in einem Produkt verschmelzen können. Klocke ist Co-Leiter des Fraunhofer-IPA in Stuttgart ❧

Mona Willrett

Herr Prof. Klocke, nach Ihrem Ausscheiden an den Aachener Instituten WZL und IPT, sind Sie jetzt noch für zwei Jahre am IPA tätig. Welche Ziele haben Sie sich für Ihre Zeit in Stuttgart gesetzt?

Thomas Bauernhansl und ich leiten das Institut in dieser Zeit gemeinsam. Ich werde im Wesentlichen hier in Stuttgart tätig sein und intern sowie an der Schnittstelle zur Hochschule und zur Industrie unterstützen. Thomas Bauernhansl ist und bleibt das wahrnehmbare Gesicht des IPA. Er hat aber so viele Projekte angestoßen, dass er Verstärkung gebrauchen kann. Mit meiner Erfahrung kann ich dabei helfen, die im Zusammenhang mit der Zukunftsstrategie IPA100 angestoßenen Maßnahmen umzusetzen und interne Abläufe zu optimieren.

Was bedeutet IPA100?

Unser Ziel ist es, das Budget des Instituts bis 2020 von 75 auf 100 Millionen Euro zu steigern. Das erfordert angepasste Strukturen und Abläufe sowie den Ausbau der Infrastruktur. Das Wachstum ist notwendig, damit das IPA seine führende, gestaltende Rolle in der Produktionstechnik behält und diese Position ständig weiterentwickelt.

Können Sie näher beschreiben, welche Maßnahmen mit IPA100 verbunden sind?

Damit gehen bauliche Erweiterungen ebenso einher wie Umstrukturierungsmaßnahmen. Einiges ist bereits umgesetzt, anderes folgt noch. Ein großes Projekt, das inhaltlich bereits ausgestaltet ist, jetzt aber erst so richtig Fahrt aufnimmt, ist der Forschungscampus Arena2036. Auch das S-Tec-Konzept ist einmalig, weil es Unternehmen und die Wissenschaft so vernetzt, dass zukunftsrelevante Forschungsthemen auf breiter Basis vorangetrieben werden können – etwa die adaptive Produktion, cyberphysische Systeme oder die digitalisierte Batteriezellenproduktion. Das alles muss mit Leben gefüllt werden. Es gehört auch dazu, ein Umfeld für Aus- und Weiterbildung sowie Ausgründungen bereitzustellen. Der Innovationscampus S-Tec gibt Raum zum Querdenken und das IPA hat tolle Potenziale.

Wie unterscheiden sich die Möglichkeiten für Forscher in Stuttgart und in Aachen?

An beiden Standorten haben wir sehr gute Hochschulen und Institute. Stuttgart hat hervorragende Möglichkeiten für Aktivitäten im Bereich Industrie 4.0. Das zeigt eine ganze Reihe von Initiativen – vom Maschinellen Lernen über das Verarbeiten großer Datenmengen bis zur sicheren Datenübertragung – die Plattform Virtual Fort Knox wurde hier am IPA entwickelt. Hinzu kommt eine einmalige Infrastruktur. Wir haben hier neben der Hochschule und den Fraunhofer-Instituten auch das Max-Planck-Institut, die DLR und eine sehr starke industrielle Forschung, etwa bei Daimler, Porsche, Bosch oder auch in mittelständischen Unternehmen wie Trumpf. Wenn wir es schaffen, in diesem Ökosystem stabile Produktionsnetze aufzubauen und auch die Menschen zu integrieren, dann bietet dieser Standort einmalige Chancen, neue Erkenntnisse rasch in die Praxis umzusetzen.

Welche Themen werden die Fertigungstechnik in den kommenden Jahren prägen?

Die Fertigung von Komponenten erfolgt zunehmend dezentral und wird über Informationsnetze sowie logistische Netze gestaltet. Informationen aus der Produktion, kombiniert mit physikalischen Modellen und Methoden des Maschinellen Lernens, führen dazu, dass Fertigungsprozesse leichter austauschbar sind und an verschiedenen Orten gleichwertig betrieben werden können. Natürlich wird sich auch die Fertigungstechnik an sich weiterentwickeln. Die Treiber bleiben an dieser Stelle die gleichen, wie wir sie seit Jahren kennen. Aber die Software-Entwicklung wird größeren Raum einnehmen. Wir beobachten jetzt, dass der Begriff Software-Produktion ins Bewusstsein der Ingenieure einzieht.

Wie passt die biologische Transformation zur klassischen Produktion?

Das ist eine ganz neue Initiative. Die Grundidee ist, biologische Prinzipien auf die Produktionstechnik zu übertragen. Die Bionik ist als Wissenschaftsdisziplin seit langem bekannt und wird in der Produktentwicklung auch angewendet. Wir lassen uns von der Natur inspirieren. Der nächste Schritt ist, biologische und technische Systeme zusammenzuführen. Das nennen wir Integration. Hierzu gibt es noch gar nicht so sehr viele Beispiele. Am IPA etwa laufen Projekte, in denen es darum geht, biologisches Wachstum von Pflanzen über Sensoren zu erfassen und durch gezielte Nährstoffzufuhr zu regeln. Die grundsätzlichen Regelungsprozesse sind vergleichbar mit denen der klassischen Produktionstechnik, die Sensorik ist natürlich anders, die Stellgrößen sind ebenfalls andere und das Verhalten der Regelstrecke kennen wir Ingenieure auch nicht gut genug. Deshalb müssen wir hier ganz eng mit den Kollegen aus der Biologie zusammenarbeiten. In der höchsten Ausbaustufe würden wir alle Prozesse innerhalb des Wertschöpfungsprozesses angehen und alle Teilprozesse nach biologischen Prinzipien miteinander interagieren lassen. Schwarmintelligenz ist ein Stichwort. Hier gehen wir mit ersten Forschungsprojekten in Vorleistung.

((Diese Frage und Antwort erscheint nur online))

Ließe sich das auch nutzen, um Nahrungsmittel in Notstandsgebieten zu erzeugen?

Ja, auch das. Wenn wir uns bewusst machen, wie viele Nahrungsmittel wir erzeugen, wie viele vernichtet werden und wie viel Hunger es noch in der Welt gibt, dann könnten biologisch transformierte Systeme schon dazu beitragen, auch den Hunger in der Welt zu mindern. Praktisch haben wir aber noch das Problem, dass in einem am freien Markt agierenden Unternehmen die wirtschaftliche Motivation fehlt, dieses umzusetzen. Deshalb sehe ich das auch als gesellschaftliche Aufgabe und vielleicht kann die Weltbankhelfen, solche großen Fragen anzugehen.

Wird die Fertigung im biologischen oder auch medizinischen Umfeld ein zusätzliches Standbein der Produktionstechnik sein, oder wird sich das Anwendungsszenario verschieben?

Ein Beispiel, in dem das technische und biologische System nicht voneinander zu trennen ist, ist die gezielte Kontrolle von Bakterienstämmen in Öl-in-Wasser-Emulsionen. Das kann man weiterdenken und Muskeln mit mechanischen Aktoren verbinden. Die Kombination biologischer und technischer Systeme eröffnet zudem die Chance, über neue Energieversorgungssysteme nachzudenken, etwa über biologische Batterien. Das sind zwar noch Visionen, aber daran arbeiten wir. Ohne digitale Vernetzung sind solche Prozesse nicht zu beherrschen. Die Ingenieurwissenschaften werden zunehmend mit der Biologie, der Medizin und der Pharmakologie zusammenwachsen – zum Wohle des Menschen. All dies ist auch Produktionstechnik, mit der wir uns zunehmend in der Wissenschaft und in der Anwendung auseinandersetzen.

Welche Rolle wird Künstliche Intelligenz künftig in der Fertigungstechnik spielen?

Am Ende ist die Vernetzung ein wichtiger Enabler für den Fortschritt. Aus den gesammelten Daten können wir maschinell lernen und Zusammenhänge erkennen, die wir bisher aufgrund unserer beschränkten Fähigkeiten noch nicht gesehen haben, wir können so Modelle verfeinern und Prozesse optimieren. Wenn wir diese Daten nun nicht nur aus einer Maschine gewinnen, sondern aus zehn, 100 oder gar 1000, dann lernen wir in Echtzeit. Denn: Anders als wir Menschen, können Maschinen Informationen in Echtzeit austauschen. Prozesse in Modellen abzubilden, machen wir seit vielen Jahren. Nicht immer ist die Aussagefähigkeit der Modelle für die praktische Nutzung ausreichend. Entweder ist die Voraussage nicht genau genug oder die Modelle sind so speziell, dass sie nicht ausreichend generalisierbar sind. Hier entwickelt sich zurzeit zum Teil eine philosophische Diskussion. Die eine Fraktion schwört auf ausschließlich auf physikalischen Prinzipien formulierte Modelle. Sie akzeptiert aber gleichzeitig, dass durch Störungen und nicht bekannte Randbedingungen die Aussagefähigkeit der Modelle eingeschränkt ist. Die andere Fraktion diskutiert, nur noch Datenanalysen betreiben zu wollen, nach Korrelationen und Mustern Ausschau zu halten. Diese Gruppe nimmt an, die physikalische Erklärbarkeit des Gefundenen sei nicht notwendig. Na ja, nicht, weil ich mich nicht entscheiden will, sondern aus ganz pragmatischen Gründen denke ich, dass das Zusammenführen beider Ansätze die wirklich neuen Wege in der Fertigungstechnik eröffnet. Data Analytics und maschinelles Lernen werden Bestandteil unserer Produktionsumgebungen werden.

Was muss noch geschehen, dass solche Techniken maßgeblichen Einfluss erhalten?

Zunächst sind einige der besprochenen Techniken noch Visionen, die heute gedacht und erst in der mittelfristigen Zukunft realisiert werden. Entscheidend ist es, in diesen Veränderungsprozessen die Menschen mitzunehmen. Wir dürfen sie nicht erschrecken, indem wir Szenarien entwerfen, die Angst erzeugen, dass der Mensch seine gestaltende Rolle verliert. Der Mensch wird an wichtigen Schnittstellen stehen und die Prozesse steuern und natürlich soll der Mensch auch zukünftig sein Wissen einbringen. Deshalb sind das S-Tec-Zentrum und die Forschungslabore so wichtig, weil wir hier kleine und mittelständische Unternehmen an die Internettechnologien heranführen können und die Mitarbeiter dabei lernen, erkennen und erfahren, dass diese Technologien wertvoll sind, um ihre aktuellen Probleme besser zu lösen.

Wie wird sich die Rollenverteilung zwischen klassischen Ingenieurwissenschaften und Software-Engineering verändern?

Die Entwicklung und Produktion von Software wird ein entscheidender Wirtschaftsfaktor werden. Gerade Software zum Betreiben von Produktionsanlagen wird anwendungsnäher entstehen. Deshalb müssen in dieser Hinsicht auch die Ausbildungspläne der Ingenieure angepasst werden. Neben den klassischen Methoden des Maschinenbaus müssen Ingenieure künftig auch die Grundprinzipien des Software-Engineerings beherrschen. Eine ihrer Aufgaben wird sein, die Schnittstellen und Oberflächen der Bedienplattformen so zu gestalten, dass Facharbeiter mit Grundkenntnissen auskommen, um die Systeme zu betreiben und sich mit den Systemen selber weiterbilden zu können.

Welche Herausforderungen müssen auf dem Weg dorthin noch gemeistert werden?

Große Innovationen entstehen oft an den Schnittstellen unterschiedlicher Wissenschaftsdisziplinen. Deshalb werden wir die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit den Experten aus anderen Bereichen weiter fördern.

Wie muss die Lehre an Hochschulen angepasst werden, um künftigen Herausforderungen gerecht zu werden?

Wir müssen – in Kooperation mit der Industrie – weitere anwendungsorientierte Laboratorien aufbauen, in denen wir Themen wie die kognitive Automatisierung, die biologische Transformation oder cyberphysische Systeme vorantreiben. Nicht nur Studierende, auch Mitarbeiter der Unternehmen können hier geschult werden. Das ist vor allem für mittelständische Unternehmen wichtig, die nicht so ohne weiteres in Infrastruktur und Fachleute investieren können, wenn der Nutzen noch nicht ganz klar ist. Der deutsche Maschinen- und Anlagenbau besteht zu 70 Prozent aus Mittelständlern, die ein tragendes Rückgrat des Wertschöpfungsnetzwerkes sind, und viele davon sind in Baden-Württemberg angesiedelt.

Können Sie uns ein Beispiel für ein aktuelles Forschungsprojekt nennen?

Ein großes Projekt beschäftigt sich mit der digitalisierten Produktion von Batteriezellen in Deutschland. Hierfür werden das Land Baden-Württemberg und die Bundesregierung erhebliche Mittel zur Verfügung stellen. In der geplanten Forschungsfabrik steht die Produktion im Mittelpunkt hier sollen neue Zellkonzepte mit neuesten Technologien produzierbar gestaltet werden – unter Berücksichtigung von Kreislaufwirtschaft, Energieeffizienz, Reproduzierbarkeit und Wirtschaftlichkeit.

Welche Rolle wird der Mensch künftig in der Produktion noch spielen?

Er wird nach wie vor der Gestalter der Prozesse sein, in vielen Fällen der Dirigent. Die Ausbildung muss dem technischen Wandel angepasst werden, die Weiterbildung kann dann aber viel besser als heute im Job gemacht werden. Dies wird auch Möglichkeiten eröffnen, geringer Qualifizierte an anspruchsvollere Arbeitsplätze heranzuführen. Für mich persönlich sind die Prognosen der Sozialwissenschaftler überzeugender, die nicht von einem Arbeitsmarktdesaster durch die Digitalisierung und Vernetzung ausgehen, sondern die nachvollziehbar positive Arbeitsmarkteffekte vorhersagen.

Welche Rolle wird die klassische Mechanik in Zukunft noch spielen?

Die gleiche wie heute auch. Natürlich beschäftigen wir uns mit Vernetzung, digitaler Transformation, mit neuen Serviceleistungen und darauf aufbauenden Geschäftsmodellen. Aber irgendjemand muss diese Güter ja herstellen, bevor wir sie vernetzen können und dann Dienste ableiten. Dies ist nicht einmal ein „Henne-Ei-Problem“, die Reihenfolge ist in diesem Fall eindeutig. Deshalb sind Fragen zur Ressourcen- und Energieeffizienz oder zur Kreislaufwirtschaft ungebrochen sehr wichtig. Und deshalb bleiben Mechanik und Elektronik, Antriebs- und Mobilitätstechnik sowie Werkzeugtechnik immer das Herzstück industrieller Produktion, mit der ihnen gebührenden Bedeutung.


Demonstratoren für die Produktion der Zukunft in der Forschungshalle der Arena2036. Bild: Arena2036

Forschungscampus Arena2036

Ziel des Forschungscampus Arena2036 (Active Research Environment for the Next Generation of Automobiles) ist es – basierend auf interdisziplinärer Grundlagen- und Anwendungsforschung –, potentiell disruptive und Sprunginnovationen hervorzubringen. Diese dann in die Industrie zu transferieren, soll einen Beitrag leisten, Arbeit, Mobilität und Produktion im Kontext der Digitalisierung aktiv zu gestalten. Der Transfer der Forschungsergebnisse in die industrielle Anwendung steigert die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland und bringt neue Geschäftsmodelle gerade auch für kleinere und mittlere Unternehmen hervor. Der interdisziplinäre Ansatz findet sich auch in der Vernetzung der vier Schwerpunktthemen wieder. Durch die Kombination und Vernetzung der Kompetenzen werden kontinuierlich neue Themenfelder erschlossen. Sie sollen wiederum die wissenschaftliche Exzellenz und die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses stärken sowie die internationale Sichtbarkeit des Forschungs- und Industriestandorts erhöhen.

Mit Beginn der zweiten Förderphase konzentrieren sich die Arbeiten am Forschungscampus auf die Verbundprojekte:

  • FlexCAR – offene Fahrzeugplattform für die Mobilität der Zukunft,
  • Digitaler Fingerabdruck – Intelligente Datensammlung, -aufbereitung und -übergabe über die gesamte Wertschöpfungskette für das intelligente Bauteil von morgen,
  • Agiler InnovationsHub – eine kooperative Innovationskultur, eine intelligente Visualisierungskultur und eine lernprozessorientierte Wissenskultur,
  • Fluide Produktion – Menschzentriertes, cyberphysisches Produktionssystem für die Mobilität der Zukunft.

Weitere Informationen unter: www.arena2036.de

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