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Raus aus dem Formtief

Spritzgiesstechnik: Noch nie wurden die Kosten so stark gedrückt
Raus aus dem Formtief

Die Krise hinterlässt Spuren: Die Hersteller ringen um höhere Energieeffizienz, forcieren ihre Entwicklungsarbeit und offerieren Maschinen zu besonders günstigen Konditionen. Wer jetzt investiert, kann profitieren. Und noch ein Weiteres wird klar: Wenn der Aufschwung kommt, stehen dem Spritzgießer deutlich verbesserte, kostenoptimierte Technologien zur Verfügung.

Raus aus dem Formtief – diesem Wunschziel gilt der fiebrige Einsatz der Spritzgießmaschinenhersteller, denen die Krise empfindliche Einbußen beibrachte. Der Markt ist so eingebrochen, dass sie alle mit Verschlankungsmaßnahmen reagierten wie Kurzarbeit, Bildungskarenzen und teilweise auch Entlassungen. Doch die finanzielle Krise ist keine technische. Die Entwicklungsabteilungen sind ausgelastet. Die Spritzgießmaschinenhersteller stellen sich den technologischen Herausforderungen, die schon vor den Einbrüchen deutlich wurden, und bereiten sich so auf den Aufschwung vor. Die Zeit bis zur Leitmesse K 2010 wird – mit der Fakuma als Zwischenstation – eine der innovativsten Phasen der Spritzgießtechnik werden. „Die Krise hat die Produktentwicklung beschleunigt“, stellt Georg Tinschert fest, Geschäftsführer von Wittmann Battenfeld. Einen „noch größeren Ansporn für verstärkte Entwicklungsaktivitäten“ sieht Alfred Schiffer, geschäftsführender Gesellschafter von Dr. Boy. Der Kostendruck habe erheblich zugenommen und damit auch der Druck zur Effizienzsteigerung des Verarbeitungsprozesses. „Die geforderte Qualität mit geringstmöglichem Aufwand zu erreichen, rückt immer mehr in den Vordergrund.“

Herausforderung Nummer 1 ist zurzeit die Energieeffizienz. Wie aktiv die Hersteller dieses Thema angehen, zeigt eine gemeinsame Aktion im Branchenverband Euromap, den die Unternehmen neben ihren eigenen Produktentwicklungen begleiteten: Mit der Überarbeitung der Euromap-Empfehlung 60 ist es den Fachleuten gelungen, den spezifischen Energieverbrauch von Spritzgießmaschinen (SGM) vergleichbar zu machen. Die Anbieter müssen dazu Messungen unter genormten Bedingungen mit einer einstellbaren Düse fahren. Auf der Fachmesse NPE in Chicago hat Spritzgießmaschinenbauer Engel bereits erste Messwerte nach Euromap-Vorgaben präsentiert. „Auch die US-Amerikaner sind inzwischen dabei, die Euromap-Empfehlung für sich umzusetzen“, berichtet Joachim Vettkötter vom VDMA-Fachverband Kunststoff- und Gummimaschinen, von dem die Initiative zur Euromap- Empfehlung ausging. „Üblicherweise schließen sich die Kanadier dem an. Und die Chinesen signalisieren ebenfalls Interesse.“ Das klingt nach einem großen Erfolg: Es könnte bedeuten, dass sich Energieverbräuche von SGM eines Tages so vergleichen lassen wie die Liter-Verbräuche von Pkw – ein hilfreicher Richtwert für den Käufer.
In eine ähnliche Richtung gehen die Energieverbrauchs-Messungen, die ein Großteil der Hersteller bereits in ihre neueren SGM einbaut oder jetzt zur Fakuma vorstellt. Diese Tools zeigen die Verbräuche in Echtzeit an. Sie bieten zwar keine Vergleiche mit anderen Marken. Aber sie ermöglichen es dem Verarbeiter, den Energieverbrauch zu überwachen und helfen ihm im Idealfall, den Spritzgießprozess energetisch zu optimieren. Jedenfalls erhält er ein Gefühl dafür, an welcher Stelle des Prozesses wieviel Energie investiert wird – so wie ein Autofahrer das Staunen lernt, wenn er von seinem Bordcomputer das erste Mal erfährt, dass sich der Spritverbrauch in der Steigung verdoppeln kann. Ferromatik Milacron etwa stattet seine neue Schnellläufermaschinen Vitesse standardmäßig mit Energiemess-Modul (und darüber hinaus mit Teleservice zur Fernwartung und -prozessoptimierung) aus. Auf die Spitze treibt dieses Konzept Sumitomo (SHI) Demag auf der Fakuma. Zusammen mit Partner Siemens machen die Fachleute aus Schwaig den gesamten Produktionsprozess transparent. Erstmals wird nicht nur der Energieverbrauch der Spritzgießmaschine gemessen, sondern alle größeren Peripherie- und Automationsgeräte werden analysiert und ihr Verbrauch visualisiert. Diese Demonstration, soviel dürfte im Vorfeld schon klar sein, wird zeigen, dass die SGM-Hersteller an Grenzen stoßen, was die Energieeffizienz angeht: Denn auch Peripheriemodule wie Trockner oder Temperiergeräte verbrauchen Strom, und erschreckend viel Wärme kann über das Werkzeug verloren gehen. Letztlich hängt der Verbrauch von der Anwendung und der Auslegung des Gesamtprozesses ab – der neben der SGM noch einige weitere Komponenten enthält.
Isoliert betrachtet sind vollelektrische SGM, idealerweise ausgerüstet mit sparsamen Direktantrieben, die präzisesten und zugleich energieeffizientesten Maschinen. Gegenüber vollhydraulischen Anlagen, bei denen verlustträchtige Leerlaufzeiten der Pumpen anfallen, können sie rund 50 % an Strom einsparen. Alle Hersteller mühen sich deswegen, ihr Portfolio mit modernen elektrischen SGM aufzufüllen – auch wenn deren Vorteile längst nicht in jeder Anwendung zur Geltung kommen können (Artikel Hybrid ist im Vorteil). So haben zum Beispiel Engel und KraussMaffei ihre elektrischen Reihen schon letztes Jahr geschlossen. Der japanische Anbieter Fanuc Roboshot operiert ohnehin nur mit vollelektrischen SGM. Wittmann Battenfeld wird zur Fakuma die vollelektrische Reihe EcoPower vorstellen. Und Netstal kündigt zur K 2010 neue vollelektrische Typen an. „Wir werden uns auf den Aufschwung mit dem für unsere Zielmärkte richtigen Produkte- und Dienstleistungsportfolio optimal vorbereiten“, sagt Vertriebsleiter Thomas Anderegg. Sumitomo-Demag nutzt die Synergie von deutscher und japanischer Technik im Konzern und rüstet die neue vollelektrische Variante IntElect smart auf allen Hauptachsen mit Direktantrieben aus. Als wichtiges Ziel wird dort die Modularisierung der Maschinen genannt, um die Antriebe einzelner Achsen gezielt für die jeweiligen Anwendungen wählen und anpassen zu können.
Diese Modularisierung ist der eigentliche Trend, dem die SGM-Hersteller folgen. Das gilt noch mehr für die hydraulischen Maschinen. Sie werden optional mit servomotorischen Pumpenantrieben ausgerüstet, zum Beispiel für die Schließbewegung, und/oder mit servoelektrischen Dosierantrieben – immer mit dem Ziel, den Energieverbrauch zu minimieren. Aus den hydraulischen werden so „hybride“ SGM. Alle Hersteller mit Rang und Namen haben Maßnahmen ergriffen, um ihre hydraulischen Anlagen entsprechend aufwerten zu können. Einen Überblick bietet unsere Fakuma-Umfrage* in Tabellenform. Wobei auch hier gilt: Die Entscheidung für die beste Konfiguration kann immer nur im Blick auf die Anwendung getroffen werden (Artikel Hybrid ist im Vorteil).
Und natürlich erschöpfen sich die Maßnahmen für ein effizienteres Spritzgießen nicht nur in sparsamen Antrieben. Für Optimierungen nutzen die SGM-Hersteller eine Fülle von Ansatzpunkten. Sie reichen von Energieconsulting und -seminaren über induktive Werkzeugheizungen und Zylinderisolierungen bis hin zu Nachrüstungs- und Retrofitting-Paketen. Alle mühen sich darum. Hier leuchtet ein übergreifender Trend auf, der die Energieeffizienz als Unterthema einschließt: die Produktivität mit allen möglichen technischen Tricks zu maximieren. Das schaffen nur Anlagen, die gekonnt durchkonfiguriert sind – im Idealfall als Produktionszelle mit integrierter Automation und Weiterverarbeitung bis hin zur Verpackung der Teile. „Die Kunststoff verarbeitende Branche hat einen Nachholbedarf bei Systemlösungen aus einer Hand mit Qualitäts- und Produktivitätsgarantie“, sagt Guy Moilliet, Ferromatik-Milacron-Chef.
Die Nachfrage nach schlüsselfertigen Lösungen aus einer Hand ist daher die wohl größte technische Herausforderung, der sich die Hersteller heute stellen müssen: Sie müssen dazu über eine genügend große Zahl an Auswahlbausteinen verfügen. Spätestens wenn der Aufschwung beginnt, sollten sie so weit sein. Beschleunigt wird diese Entwicklung noch durch die direkten Auswirkungen der Krise: „Integrierte Anlagen sind sehr gefragt, weil Projektkompetenz bei den Kunden verloren gegangen ist“, erklärt Georg Tinschert von Wittmann Battenfeld. „Darum müssen wir diese Leistung bringen – das verlangt der Markt von uns heute.“
Die Spritzgießmaschinenhersteller nutzen denn auch die Messe, um sich mit ausgeklügelten Systemlösungen zu profilieren. Eines von vielen Beispielen: Die kleinste elektrische Arburg-Maschine fertigt einen Lichtwellenleiter mit definiert eingeprägten Mikrostrukturen. Nach der Entnahme durch das Robot-System Multilift V wird das Spritzteil an einer Messstation automatisch geprüft und anschließend auf ein Förderband abgelegt.
Generell entwickelt sich die Spritzgießtechnik hin zu einer immer umfassenderen Prozessintegration. KraussMaffei beispielsweise hat sein Inmould-Painting-Verfahren verbessert, so dass zwischen dem „lackierten Werkzeug“ und der faserverstärkten Spritzgießmasse auf eine Sperrschicht verzichtet werden kann. Engel schafft es mit dem Verfahren Clearmelt, die gespritzten Teile noch innerhalb des Werkzeugs mit einer glasklaren und kratzfesten PUR-Schicht zu überfluten. Beide Male entfallen kostenaufwendige Prozessschritte. Und Institute arbeiten an noch spektakuläreren Methoden zur Prozessintegration (siehe „Nachgefragt“).
In der Summe führen diese Bestrebungen dazu, die Produktivität zu erhöhen und die Teilekosten zu senken. Nicht unbedingt die Anlagenkosten. Doch die sinken momentan krisenbedingt. Die SGM-Anbieter haben sich schon so in die Rolle des Systempartners eingearbeitet, dass sie sogar Finanzierungsangebote machen (Spalte „Krisen-Angebote“ in Fakuma-Umfrage*). Sie reichen von Lieferanten-Krediten und Leasingpaketen über Verschrottungsprämien und Sonderangebote bis hin zu Null-Zins-Finanzierungen. Alles in allem: Noch nie wurden die Spritzguss-Kosten so gedrückt wie jetzt.

„Ein großer Trend ist die Verfahrenskombination“

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Nachgefragt

Wo liegen in nächster Zukunft die bedeutendsten Innovationen in der Spritzgießverarbeitung?
Ein nachhaltiger Trend beim Spritzgießen ist die Verfahrensintegration und -kombination, um immer mehr Funktionalitäten kostengünstig in Spritzgussteile zu integrieren. Hervorzuheben hierbei ist die Kombination von Kunststoffen mit anderen Werkstoffen, insbesondere Metallen, die nicht immer unbedingt als Einlegeteile integriert werden müssen.
Können Sie Beispiele nennen?
Neuerdings lassen sich Kombinationen mit Metallen auch im integrierten Druckgussprozess herstellen. Ein hohes Wachstumspotenzial weist nach wie vor auch die Herstellung von Kunststoffoptiken durch unterschiedliche Spritzprägetechniken auf. Ein weiterer Innovationsbereich für die Spritzgießbranche ist die vielfältige Medizintechnik, deren Marktbedeutung kontinuierlich wächst.
Wie spüren Sie die Auswirkungen der Wirtschaftskrise an Ihrem Forschungsinstitut?
Eine Fördervereinigung von 250 Unternehmen trägt das IKV. Ein Teil des Institutsbudgets wird direkt von der Industrie getragen. Hier spüren wir durchaus die Auswirkungen der Wirtschaftskrise. Auf der anderen Seite erlauben es der hervorragende Ruf des IKV und seine relevanten Forschungsthemen, einen sehr hohen Anteil von öffentlichen Drittmitteln einzuwerben. Insgesamt freuen wir uns, festzustellen, dass die öffentliche Forschungsförderung sehr stabil ist und daher sogar die Forschungsaktivitäten des IKV im vergangenen Jahr leicht gewachsen sind.
Welche Empfehlungen geben Sie der Kunststoffbranche, um gut aus der Krise zu kommen?
Kurzfristig ist es sicherlich eine sehr schwere Situation für viele unserer Partner aus der Industrie. Mittel- und langfristig werden aber diejenigen gestärkt aus der aktuellen Krise hervorgehen, die sie nutzen, um sich technisch und organisatorisch optimal aufzustellen. Hierzu gehören neben Investitionen in die Mitarbeiter-Qualifikation auch solche in neue Ideen. Das IKV hilft den Unternehmen gerne, diese Herausforderungen anzunehmen. os

Kosteneffizienz
Wer jetzt investieren will oder muss, findet ideale Bedingungen vor. Die Hersteller von Spritzgießmaschinen bieten abgespeckte Versionen an, Sonderrabatte und Finanzierungshilfen. Viel einschneidender ist aber, dass sich die Hersteller zu Systemanbietern wandeln und ihre integrierten Lösungen immer besser werden. Sie erwerben Kompetenz und Komponenten, um energieoptimierte Systeme aus einer Hand mit höchster Produktivität zu konfigurieren, die bis ins letzte Peripheriegerät hinein durchdacht sind.
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