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Schreinerei fertigt das weltweit genaueste Modell des Erdtrabanten

Modellbau
Schreinerei fertigt das weltweit genaueste Modell des Erdtrabanten

Schwaben können wirklich alles außer Hochdeutsch. In einer Schreinerei hinter Reutlingen ist ein Mondmodell entstanden – basierend auf den Messdaten einer Mondsonde der Nasa. Alles überhaupt kein Problem.

Uwe Böttger

Joachim Pflug war 17, als die Amerikaner auf dem Mond landeten. Gebannt saß er stundenlang vor dem Schwarz-Weiß-Fernseher und sah die schemenhaften Bilder der Landefähre und der beiden Astronauten Neil Armstrong und Buzz Aldrin, die über den staubigen Trabanten hüpften. „Das war spannender als jeder Krimi“, erzählt er. Allerdings ließ sein Interesse für die späteren Apollo-Missionen nach. „Das lag vor allem daran, dass ich nicht mehr bei den Eltern wohnte und deswegen keinen Fernseher mehr hatte.“

Heute ist Joachim Pflug Geschäftsführer einer Schreinerei mit 20 Mitarbeitern in Gomaringen auf der schwäbischen Alb – und der Mond hat ihn wieder. In einer separaten Halle auf dem Betriebsgelände der Pflug GmbH hängt ein Modell des Erdtrabanten von der Decke. Durchmesser 3,5 m, maßstabsgetreu, mit jedem Krater, jedem Berg und jedem Tal – basierend auf den neuesten Daten der Nasa. Zwei Kopien des Mondmodells von Gomaringen schmücken heute ein Mondforschungszentrum und eine Astronomieausstellung hinter der Turmuhr des 600 m hohen Royal Clock Tower in Mekka.

Wenn man Joachim Pflug fragt, wie er denn zu so einem abgefahrenen Auftrag gekommen ist, dann erklärt er das gern in schwäbischer Bescheidenheit mit einer Reihe von Zufällen. So sei 2011 der Tübinger Astrophysiker Hanns Ruder von seiner Reutlinger Autowerkstatt zu ihm geschickt worden. Der damals bereits emeritierte Professor brauchte eine spezielle Sonnenblende für seinen Wagen. Da war er bei Pflug an der richtigen Adresse. Die Schwaben hatten schon 1994 ein CNC-Bearbeitungszentrum in Betrieb genommen, dadurch das Möbelspektrum deutlich erweitert und die ersten Aufträge aus dem Automobilsektor an Land gezogen. Meist ging es um die Nachbearbeitung von Bauteilen. Die Sonnenblende war für Pflug eine leichte Übung.

Die beiden verstanden sich von Anfang an, kamen ins Gespräch und Pflug erfuhr, dass der Professor gerade dabei war, im Auftrag des Stuttgarter Architekturbüros SL Rasch für ein Astronomiemuseum in Mekka Modelle von Sonne, Mond und Erde bauen zu lassen. Es dauerte nicht lange und Joachim Pflug war für den Mond zuständig. Die nötige Technik gab es ja in seiner Schreinerei und die Daten für die Fräsmaschine sollte der Lunar Reconnaissance Orbiter (LRO) liefern.

Der LRO ist eine Mondsonde der Weltraumbehörde Nasa, die seit 2009 den Mond umkreist und seine Oberfläche kartiert. Erfasst werden so genannte Höhendaten, die mit einer Kamera und einem Laser in hoher Auflösung aufgenommen werden. Die Kamera ist vor allem am Mondäquator aktiv, weil dort das nötige Licht ist. An den Polregionen überwiegt der Laser, denn hier gibt es weite Bereiche, die dauerhaft im Schatten liegen und wo die Kamera nicht funktioniert. „Grundsätzlich sind die Höhendaten frei im Internet verfügbar“, sagt Volker Paasch, Schwiegersohn von Joachim Pflug und Mitglied der Geschäftsleitung. „Man muss nur wissen wo.“

Mondoberfläche aus 32 Segmenten

Aber man muss auch mit ihnen umgehen können. An dieser Stelle wurden die Schwaben von Spezialisten des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) unterstützt. Die können die Messdaten der Mondsonde interpretieren und vor allem beurteilen, ob sie zu gebrauchen sind. Ein frei gegebener Datensatz wurde über spezielle Algorithmen in die CNC-Maschine in Gomaringen überspielt und direkt in Fräsbahnen umgesetzt. Pflug hat sich bewusst für diesen Weg entschieden und den klassischen Pfad über das CAD-System vermieden. „Dabei gibt es immer Verluste“, weiß der diplomierte Holzwirt. „Da wir mit den Höhendaten direkt in das Fräsprogramm gehen, bekommen wir eine natürlichere Wiedergabe der Flächen ohne digitale Artefakte.“

Für die Fräsarbeiten wurde die Oberfläche des Mondmodells in 32 Segmente aufgeteilt. Dabei entsteht ein so genannter Isokaederstumpf, der aus 20 Sechsecken und 12 Fünfecken besteht. Das geometrische Gebilde wird auch als Fußballkörper bezeichnet, weil jeder klassische Fußball genauso aufgeteilt ist. „Die Segmentierung mussten wir vornehmen, weil unsere Fräse nur Werkstücke bis zu einer bestimmten Größe bearbeiten kann“, erklärt Paasch. „Außerdem mussten die Teile später im Royal Clock Tower in den Aufzug passen.“

Es sollte das genaueste Mondmodell der Welt werden und so mussten die Schwaben mit Präzision ans Werk. Das geht nur mit einem Material, das eine hohe Wiedergabegenauigkeit bietet. So wurde die Mondoberfläche im ersten Schritt in einen dichten Modellbaukunststoff gefräst. In einem weicheren Material wären Details verloren gegangen. „Am Ende haben wir mit einem Bahnabstand von einem Viertel Millimeter gefräst“ versichert Paasch. Bei einer Oberfläche von knapp 40 Quadratmeter ergibt das eine Fräsbahnlänge von 160 Kilometer.“

Im zweiten Schritt wurde von dem Urmodell ein Negativ hergestellt, aus dem schließlich das finale Mondmodell aus Carbon entstand. Während die Kunststoff-Segmente zusammen fast 4 t wogen, brachten die Carbon-Teile nur noch 140 kg auf die Waage. „Dieses geringe Gewicht brauchten wir, denn am Ende sollte das Modell drehbar an der Decke hängen“, erklärt Paasch. Mehr noch. Die Museumsgäste können heute über ein Terminal verschiedene Stellen auf der Mondoberfläche anwählen, zum Beispiel den markanten Krater Tycho oder die Landestelle von Apollo 11. Die Forderung war, dass es nicht länger als 10 s dauert, bis die Stelle ins Blickfeld rückt. Deswegen musste das Modell so leicht sein, dass eine Drehung um 180 Grad aus dem Stillstand in den Stillstand in dieser Zeit möglich ist – ohne Wackeln und Schaukeln.

Joachim Pflug steht still vor dem Modell, das in seiner Ausstellungshalle in Gomaringen hängt. Es dreht sich langsam um die eigene Achse und wird von einem Scheinwerfer von einer Seite angestrahlt in dem ansonsten dunklen Raum. 50 Jahre ist es her, als Neil Armstrong als erster Mensch den Mond betrat. Ich frage ihn, ob das Jubiläum in ihm etwas auslöst. „Man merkt wie alt man ist“, schmunzelt er. Und er frage sich, was die Mondlandung dem Menschen denn nun gebracht hat. „Technik muss man halt probieren“, sagt er dann. „Nur so kann man sie weiterentwickeln.“

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