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Fertigungstiefe: Mehr Eigenfertigung steigert die Umsatzrendite

Fertigungstiefe: Mehr Eigenfertigung steigert die Umsatzrendite
Selbst ist die Firma

Eine hohe Eigenfertigungsquote steigert die Wertschöpfung, eine niedrige bindet weniger Kapital. Beim Fremdvergeben von Fertigungsleistungen sollte man einiges Beachten. Sonst kann´s enttäuschend enden.

„Wer hochwertige Fertigungstechnik verkaufen will, der sollte auch selbst fertigen“, sagt Dietmar Hermle. Doch das ist für den Vorstandssprecher der Berthold Hermle AG in Gosheim bei Weitem nicht das einzige Argument für eine hohe Eigenfertigungsquote. „Schlüsselkomponenten stellen wir grundsätzlich selbst her“, sagt der Schwabe. Das Spektrum reicht von den Maschinenbetten über die Dreh-Schwenk-Tische, Spindeln und Werkzeugmagazine bis hin zu den Blechverkleidungen. Neben der besseren Kontrolle über die Qualität nennt Hermle noch weitere Gründe für die Eigenfertigung:

  • das deutlich geringere Risiko von Know-how-Verlusten,
  • die größere Wertschöpfung je Mitarbeiter,
  • mehr Flexibilität,
  • Unabhängigkeit von Lieferanten und
  • Erfahrungsrückflüsse von der Fertigung in die Entwicklung.
Letzteres hat laut dem Vorstands-Chef auch eine erzieherische Wirkung auf die Konstrukteure und bremst überzogene Anforderungen. „Unsere Meister aus der Produktion melden sich sofort, wenn eine Vorgabe der Ingenieure die Herstellung überproportional verteuert. Dann wird diskutiert, ob sie für die Qualität relevant ist. Falls nicht, korrigieren wir entsprechend.“ Der Dialog zwischen Entwickler und Fertigungstechniker führe zwangsläufig zu einer konsequenten Plattformstrategie mit möglichst wenigen Varianten der einzelnen Komponenten und Baugruppen. Und das sei die Basis für hochwertige und dennoch wirtschaftlich herzustellende Maschinen.
Hermles Philosophie wird bestätigt von der Studie „Effizient, schnell und erfolgreich – Strategien im Maschinen- und Anlagenbau“, die das Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen gemeinsam mit dem Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) in Frankfurt/M. und den Stuttgarter Roland Berger Strategy Consultants durchgeführt hat. Eines der Ergebnisse: Unternehmen mit einer großen Fertigungstiefe haben im Mittel eine höhere Umsatzrendite als solche, die überwiegend zukaufen (Grafik rechts).
„In der Vergangenheit haben viele Unternehmen zu leichtfertig Wertschöpfung fremd vergeben“, sagt Sebastian Gottschalk, Leiter der Abteilung für Produktionsmanagement am WZL. Die damit verbundenen hohen Erwartungen seien jedoch oft enttäuscht worden, ergänzt der promovierte Ingenieur.
Um Pro und Contra einer Fremdvergabe abzuwägen, müssen drei Aspekte sehr genau untersucht werden. Zunächst ist zu klären, wodurch sich das eigene Produkt vom Wettbewerb abhebt. Daraus ergibt sich, welche Leistungen zur Kernkompetenz gehören und was daher weiterhin selbst gefertigt werden sollte. „Diese Bewertung erfolgt häufig nicht sachlich genug“, sagt Gottschalk. Vielfach überschätzten gerade kleine Maschinenbauer ihr produktionstechnisches Know-how. Große Unternehmen hingegen bewerteten die eigene Kompetenz häufig zu gering. Der zweite Aspekt, den es zu berücksichtigen gilt, ist die Absicherung der Lieferfähigkeit. Qualitätsrelevante Bauteile und Komponenten, die eine hohe Fertigungskompetenz erfordern und womöglich schnell und flexibel verfügbar sein müssen, sollte man möglichst selbst herstellen oder im direkten Umfeld beschaffen. Das Potenzial insbesondere beim globalen Einkauf sei zwar groß, das Risiko aber auch entsprechend hoch. Das dritte Kriterium, das häufig für die Fremdvergabe von Wertschöpfung spricht, sind die Kosten. „Dabei sind die Sicherung der Alleinstellungsmerkmale sowie die zuverlässige Verfügbarkeit grundsätzlich höher zu bewerten als der Preis“, betont Gottschalk. Eine Gesamtkostenbetrachtung zeige meist, dass ein geringerer Einkaufspreis sehr schnell durch Lieferrisiken und daraus resultierende Folgekosten aufgezehrt sei. Besonders kritisch ist das bei Just-in-time-Prozessen, von denen ganze Fertigungslinien abhängen. „In diesen Fällen kann sich sogar die Eigenfertigung einfacher Bauteile lohnen.“
Nach den genannten Kriterien entscheidet auch Hermle, welche Leistungen im Haus bleiben und welche fremd vergeben werden. Spindeln beispielsweise zählen bei den Gosheimern zu den Know-how-Teilen. „Durch ausgewählte, hochwertige Komponenten und besondere Sorgfalt bei der Montage erreichen unsere Spindeln eine längere Laufzeit als jene von der Stange.“ Bei der Entscheidung für die hauseigene Blechteilefertigung spielte die Liefersituation eine wesentliche Rolle. „In unserer Umgebung haben wir seinerzeit keinen passenden Zulieferer gefunden“, blickt Hermle zurück. Nach reiflicher Überlegung sei er damals zum Schluss gekommen, mit moderner, automatisierter Produktionstechnik und einem Gleichteilekonzept könne man Blechteile durchaus selbst wirtschaftlich herstellen. Gesamtkalkulatorisch sei eine höhere Fertigungstiefe für ein Unternehmen durchaus ein Vorteil – weil mit längeren Maschinenlaufzeiten und mehr Wertschöpfung pro Mitarbeiter verbunden.
Eine Reihe weiterer Maschinenhersteller zeigt, dass „selber machen“ auch heute noch Erfolg verspricht. Beispiele sind die Emag-Gruppe oder der kalifornische Standardmaschinenhersteller Haas Automation Inc. Emag stattet zwar im Salacher Stammwerk die angelieferten Basismaschinen nur noch mit der kundenspezifischen Technologie aus, im Werk Zerbst entstehen jedoch zuvor vom Maschinenbett über die Spindeln bis hin zum Schaltschrank alle wesentlichen Komponenten in Hausarbeit. Die vielleicht höchste Fertigungstiefe hat Haas. Mit rund 85 % gibt Europa-Vertriebs-Chef Franz-Peter Herbst den Eigenfertigungsanteil an. Die Amerikaner bauen sogar die Steuerungen selbst.
Um eine hohe Fertigungstiefe zu rechtfertigen, genügt es vielfach nicht, die Fertigungskosten mit dem nackten Zukaufspreis zu vergleichen. Vielmehr müssen alle Vorteile der Eigenfertigung in die Kalkulation einbezogen werden. Zu den Voraussetzungen für ein funktionierendes Prinzip „hohe Fertigungstiefe“ gehören:
  • qualifizierte und motivierte Mitarbeiter,
  • eine angepasste Aus- und Weiterbildung,
  • moderne Arbeitszeitmodelle, die ein flexibles Reagieren auf Konjunkturschwankungen erlauben,
  • sehr gute Planungsinstrumente, die vom Vertrieb mit zuverlässigen Zahlen gefüttert werden und
  • ausreichende finanzielle Mittel, um die nötigen Investitionen zu tätigen.
„Für diejenigen, die bereits in erheblichem Maß ausgelagert haben, gibt es jedoch meist kein Zurück mehr“, sagt Sebastian Gottschalk vom WZL. Das wäre zu teuer, insbesondere vor dem Hintergrund der ohnehin meist geringen Eigenkapitaldecke vieler Maschinenbauer. Für diese Unternehmen geht es darum, ihre Prozesse zu optimieren und Risiken zu minimieren. Eine Grundvoraussetzung dafür ist ein sehr gutes Lieferantenmanagement. Es gilt, Zulieferer sorgfältig zu bewerten, auszuwählen, bei Bedarf zu schulen und permanent zu betreuen. „Außerdem sollte man für alle wichtigen Komponenten immer zwei Lieferanten haben und Teile, die schnell und flexibel verfügbar sein müssen, in der Umgebung beschaffen“, erläutert Gottschalk. Mit hybriden Systemen – ein Teil des Bedarfs wird selbst produziert, der Rest zugekauft – lassen sich Lieferengpässe puffern. „Diejenigen, die noch nicht im großen Stil ausgelagert haben, sollten allerdings genau darüber nachdenken, was sie tun“, rät der Wissenschaftler.
Betrachtet man jedoch die Kapitalrendite oder den Cashflow, so hat auch eine fokussierte Wertschöpfung ihre Vorzüge. Die erhebliche Kapitalbindung hält viele Unternehmen davon ab, ihre Fertigungstiefe zu steigern.
Andere, wie die Tuttlinger Chiron-Werke GmbH & Co. KG, wollen durch einen hohen Anteil an externer Fertigung und Vormontage möglichst flexibel bleiben. „Das Projektgeschäft und kundenspezifische Lösungen haben bei uns einen hohen Stellenwert. Wenn wir die damit verbundene Variantenvielfalt selbst bewältigen wollten, würden wir ohne Ratioeffekte teurer produzieren. Außerdem könnten wir diese Kapazitäten in konjunkturell schwachen Phasen nicht optimal nutzen. Deshalb haben wir uns entschieden, nur die wesentlichen Arbeiten selbst durchzuführen“, erläutert Dr. Dirk Prust, bei Chiron Geschäftsführer für Forschung, Entwicklung und Produktion. Zu den Kompetenzteilen, die im Haus bearbeitet und montiert werden, zählen die Tuttlinger unter anderem große Gussteile wie Fahrständer und Spindelstöcke, Komponenten für Werkzeugwechsler sowie die Hauptspindeln. Motorspindeln für hohe Drehzahlen hingegen werden zugekauft. „Schon die spezialisierten Anbieter haben Mühe, sich von ihrem Wettbewerb abzuheben. Der Aufwand für uns wäre ungleich höher und weder für uns noch für unsere Kunden mit einem Nutzen verbunden“, betont Prust. Dass sich auch durch die clevere Kombination von Zukaufteilen mit eigenen Ideen Alleinstellungsmerkmale sichern lassen, zeigt die automatische Spindelfeinverstellung in den Doppelspindel-Zentren der Tuttlinger.
Chiron arbeitet mit einigen Lieferanten bereits seit Jahrzehnten zusammen und bezieht komplette Baugruppen – etwa Maschinengestelle mit allen Installationen und Verkleidungen, vormontierte Fahrständer mit Spindel und Werkzeugwechsler oder Werkzeugmagazine, die nur an die Maschine gestellt und angeschlossen werden. „Gute Zulieferer streben zunehmend eine Position als Systemlieferant an. Sie sind dann auch in die Entwicklung eingebunden.“ Angst vor einem Know-how-Verlust hat Prust nicht, denn „eigene Innovationsbeiträge sind durch Exklusivitätsvereinbarungen und Patente abgesichert“. Speziell im Projektgeschäft sei die Möglichkeit des Simultaneous Engineering wichtig, um die knappen Liefertermine halten zu können. Die Zusammenarbeit mit den Partnern ist laut dem Chefentwickler so eng, dass der Erfahrungsrückfluss in die eigene Entwicklung gesichert ist.
Prust bestätigt, dass bei einem hohen Zukaufanteil von Komponenten und Montageleistungen ein ausgeklügeltes Lieferantenmanagement und ein partnerschaftliches Verhältnis zum Lieferanten das A und O für den Erfolg sind. „Einen guten Zulieferer aufzubauen und zu pflegen, braucht Zeit. Deshalb achten wir auch bei schwacher Konjunktur darauf, dass unsere Lieferanten genügend Aufträge haben.“ Mit der Perspektive einer längerfristigen Partnerschaft seien sie auch bereit, die nötigen Investitionen zu tätigen, damit Qualität, Lieferzeit und Preise stimmen.
Das Netz guter Zulieferer im Mittleren Neckarraum war eine der Säulen, auf die Erich Unger 1992 die Köngener Matec GmbH aus dem Nichts aufbaute. „Unsere Fertigungstiefe war und ist gleich Null“, betont der Geschäftsführende Gesellschafter. Neben dem hohen Kapitalbedarf für eine Eigenfertigung, nennt er rückblickend einen weiteren Grund für die Ursprünge dieses Geschäftsmodells: „Damals hatten wir mit der Konstruktion, der Montage, dem Vertrieb und dem Service genug zu tun, so dass ich mich nicht auch noch mit einer eigenen Fertigung belasten wollte.“ Aus einem cleveren Modulbaukasten montiert das Unternehmen heute mit rund 150 Mitarbeitern 100 bis 120 kundenspezifische Fahrständer-Bearbeitungszentren im Jahr.
Einen Königsweg, da sind sich die Experten einig, gibt es bei der Höhe der Fertigungstiefe nicht. Sebastian Gottschalk vom WZL sagt: „Die Frage ist nicht, wie hoch die Fertigungstiefe ist, sondern wie gut und ehrlich die drei Kriterien Alleinstellung, Liefersicherheit und Kosten abgewogen wurden.“ Und Dietmar Hermle gibt zu bedenken: „Man kann mit beiden Systemen in Deutschland erfolgreich sein.“ Als einen der größten Fehler sieht er, die Prozesse einmal festzulegen und nicht mehr zu ändern, „denn was gestern richtig war, kann heute schon nicht mehr optimal und morgen bereits falsch sein“.
Entwicklung profitiert von eigener Fertigung
Fremdvergabe bindet weniger Kapital

Pro und Contra Fertigungstiefe
Pro Contra
• bessere Kontrolle über die Qualität • hohe Kapitalbindung
• größere Wertschöpfung • hoher Personalbedarf
• geringeres Risiko von Know-how-Verlusten • Kapazitätsüberhang in • mehr Flexibilität in der Produktion schwachen Konjunkturphasen • Unabhängigkeit von Lieferanten • viel Know-how erforderlich • Erfahrungsrückflüsse aus der • eigene Auslastung durch Fertigung in die Entwicklung Zukauf besser steuerbar
Vor der Fremdvergabe gilt es drei Apekte zu klären (Reihenfolge ist wichtig):
  • 1. Ist die Leistung als Alleinstellungsmerkmal des eigenen Produkts wichtig?
  • 2. Sind die zugekauften Leistungen schnell, flexibel und sicher verfügbar?
  • 3. Ist der Zukauf in einer Gesamtkostenbetrachtung tatsächlich günstiger?

Marktchancen
Eine hohe Fertigungstiefe bietet eine Reihe von Vorteilen: Dazu zählen eine bessere Kontrolle über die Produktqualität, eine höhere Wertschöpfung oder die Unabhängigkeit von Lieferanten. Dennoch ist sie kein Königsweg. Durch den Zukauf von Fertigungsleistungen sinken der Kapital- und der Personalbedarf. Außerdem lässt sich die eigene Auslastung besser an die Konjunktur anpassen.
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