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Digitalisierung: Standardisierte Schnittstellen für Fertigungssysteme

Digitalisierung
Standardisierte Schnittstellen als Basis für umfassende Vernetzung

Die ganze Prozesskette zu vernetzen, verspricht Fertigungsbetrieben einen kräftigen Produktivitätsschub. Noch fehlende Schnittstellen soll eine VDW-Initiative entwickeln. ❧

Mona Willrett

„Mit der Digitalisierung steht uns gerade ein ähnlicher Innovationsschub unmittelbar bevor, wie ihn die Fertigungstechnik hierzulande durch die Automatisierung in den vergangenen Jahrzehnten erlebte“, sagte Dr. Mathias Kammüller, Chief Digital Officer (CDO) bei Trumpf, anlässlich der Hausmesse Intech des Maschinenbauers und Laserspezialisten. Der promovierte Ingenieur ist überzeugt: „Industrie 4.0 bietet uns die historische Chance, die Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Europa auf Dauer zu erhalten, ja sogar noch zu steigern und dadurch Beschäftigung zu sichern.“

Um auch in der eigenen Fertigung zukunftsfähig zu bleiben, treibt Trumpf die Digitalisierung des Unternehmens kontinuierlich voran. Über 500 Mitarbeiter arbeiteten laut Kammüller bereits an mehr als 30 Projekten der Digitalen Transformation mit. „Dadurch erzielen wir mehr Effizienz, verringern die Kosten und steigern unsere Wettbewerbsfähigkeit. Insbesondere für unsere Standorte mit hohen Lohnkosten ist die Digitalisierung ein entscheidendes Differenzierungsmerkmal“, so Kammüller weiter. Im laufenden Geschäftsjahr eröffnete Trumpf unter anderem eine Smart Factory in Chicago/USA und ein vernetztes Logistikzentrum am Stammsitz in Ditzingen bei Stuttgart.

Smartphone liefert alle wichtigen Daten

„Wir arbeiten mittlerweile vielerorts in der Fertigung nicht mehr nur digital, sondern mobil über das Smartphone“, berichtet Kammüller, „sowohl in den eigenen Werken als auch als Angebot für unsere Kunden.“ So erhalten beispielsweise die Werker in der Gerlinger Stanzwerkzeug-Fertigung von Trumpf alle wichtigen Informationen über den Zustand der Maschinen auf ihr Smartphone. Der CDO beschrieb die jüngste Entwicklung dort: „Es reicht jetzt aus, wenn uns ein Kunde ein Handy-Foto eines Bauteils mit Barcode zuschickt, um die Produktion des Teils zu starten.“ Kommt das Foto bis 14 Uhr in Gerlingen an, dann verlässt das fertige Stanzwerkzeug noch am selben Tag das Werk.

Auch in der hauseigenen Blechfertigung der Ditzinger nutzen die Werker inzwischen ihr Smartphone, um wichtige Daten im Blick zu behalten. Die eingeführten Digitalisierungslösungen verbesserten dort laut Kammüller die Transparenz und die Effizienz der Prozesse, so dass die Kosten signifikant sanken – unter anderem, weil eine Maschine eingespart werden konnte.

Wie sich die Anforderungen für Fertigungsbetriebe in den letzten Jahren veränderten, beschrieb Dr. Heinz-Jürgen Prokop, Vorsitzender des Geschäftsbereichs Werkzeugmaschinen bei Trumpf, an einem Beispiel: „Einer unserer Kunden erzählte mir kürzlich, in den 70er-Jahren habe er im Schnitt pro Bestellung einen Auftrag für 60 Teile erhalten, in den 90ern seien es noch 25 Teile gewesen, heute noch vier.“ Der Aufwand für die vor- und nachgelagerten Prozesse sei hingegen nahezu unverändert geblieben. Diese unproduktiven Anteile verursachten heute bis zu 80 % des Gesamtaufwands eines Auftrags. Um sie deutlich zu straffen, digitalisiert Trumpf die gesamte Auftragsabwicklung, von der Kundenanfrage bis zur Rechnungslegung, von der Rohmaterialbestellung bis zum Versand der fertigen Teile und Komponenten.

Brancheninitiative entwickelt Standard

Entscheidende Voraussetzung für eine durchgängige Vernetzung ist jedoch, dass die verschiedenen Systeme miteinander kommunizieren können. Das hat auch der Verein Deutscher Werkzeugmaschinenfabriken (VDW) erkannt, dessen Vorsitzender Prokop im Nebenberuf ist. Mit seiner Brancheninitiative zur „Sprache für Industrie 4.0“ legte der Verband einen Fahrplan vor, wie die Schnittstellen der Maschinen standardisiert werden sollen. „Ziel ist es, einen Standard für die Anbindung unterschiedlichster Maschinensteuerungen an eine gemeinsame Schnittstelle zu entwickeln und softwaretechnisch zu implementieren“, erklärte Prokop anlässlich der Vorstellung der Initiative vor gut einem halben Jahr.

In der ersten Projektphase ist ein Kernteam mit den Firmen DMG Mori, Emag, Grob, Heller, Liebherr-Verzahntechnik, United Grinding und Trumpf beteiligt. Christian Josi, Projektleiter beim United-Grinding-Gruppenmitglied Studer, begründet das Engagement so: „Technisch ist Industrie 4.0 umsetzbar. Wenn jedoch keine Vereinheitlichung der Standards stattfindet, wird es weiterhin bei Insellösungen bleiben.“

Doch nicht nur für die Projektgruppe sind Standardisierung und eine gemeinsame „Sprache“ für Fertigungssysteme eine zwingende Voraussetzung für den Erfolg von Industrie 4.0. Prof. Eberhard Abele, Leiter des Instituts für Produktionsmanagement, Technologie und Werkzeugmaschinen (PTW) der TU Darmstadt, sagt: „Betriebsleiter und vor allem Fertigungsplaner müssen sehr viele unterschiedliche Betriebsmittel planen, einkaufen und zunehmend vernetzen. Sie haben gar nicht die Zeit, viel Aufwand in die Vernetzungsproblematik zu investieren.“ Ein herstellerübergreifender Standard sei hier eine große Hilfe. Der Wissenschaftler ist sich sicher: „Industrie 4.0 wird im Produktionsbetrieb nur vorankommen, wenn es möglichst einfach wird, die Komponenten zu vernetzen.“ Laut Abele sollte unsere heimische Industrie bei der Definition dieser Standards eine maßgebliche Rolle spielen: „Es ist ja fast schon ein Naturgesetz, dass derjenige, der die Standards setzt, gewisse Vorteile am Markt hat. Ich glaube, die Chancen stehen nicht schlecht dazu, denn Deutschland ist eine der führenden Nationen im Werkzeugmaschinenbau.“

Steuerungshersteller sind mit im Boot

Einen der größten Erfolge der VDW-Brancheninitiative seit ihrer Präsentation sieht Heinz-Jürgen Prokop darin, dass es gelungen ist, die wichtigen Steuerungshersteller mit ins Boot zu holen. Gemeinsam wollen die Partner übergreifende Standards für den Datenaustausch an Werkzeugmaschinen entwickeln. Bereits im September sollen auf der Stuttgarter Metallbearbeitungsmesse AMB erste Lösungen präsentiert werden.

Dass der Weg dahin noch steinig ist, zeigt sich laut Heinz-Jürgen Prokop schon allein daran, dass Steuerungssignale von Hersteller zu Hersteller zum Teil unterschiedlich definiert werden. Im Extremfall könne das einen Zeitversatz von mehreren Minuten bedeuten. „Trotz aller Hürden ist das Projektteam jedoch hochmotiviert. Alle wissen um die Notwendigkeit eines Schnittstellenstandards“, betont der promovierte Ingenieur. Jedem sei bewusst, dass selbst große Unternehmen auf lange Sicht mit Vernetzungsbestrebungen im Sinne von Industrie 4.0 scheitern, wenn sie nur auf proprietäre geschlossene Systeme setzten. Eine umfassende Lösung werde es nicht geben. Zu spezifisch sind die Anforderungen der unterschiedlichen Technologien und Anwender – allein im Werkzeugmaschinenbau.

Im Kern der Bemühungen steht deshalb ein so genannter Konnektor, der Signale unterschiedlicher maschinen- oder steuerungsspezifischer Schnittstellen quasi in eine einheitliche Sprache übersetzt – das Projektteam einigte sichauf den Kommunikationsstandard OPC UA. Die Herausforderung besteht nun darin, die herstellerspezifischen Teile in möglichst einheitlicher Form anpassbar zu machen. In einem weiteren Schritt hat das Projektteam festzulegen begonnen, welche Signale für welche Maschinen im Schnittstellenstandard überhaupt spezifiziert werden sollen.

Die Chancen, die ein Standard bietet, sieht auch Jonas Ruesch, Manager Software Development Digital Transformation bei GF Machining Solutions: „Eine standardisierte Schnittstelle für Maschinensteuerungen ist eine grundlegende Voraussetzung fürs Umsetzen flexibler Anwendungen wie sie unsere Kunden im Umfeld von Industrie 4.0 fordern. Und ein Connector-Stack, wie ihn die VDW-Initiative vorsieht, würde den Aufwand fürs Entwickeln steuerungsunabhängiger Lösungen signifikant senken.

Das sehen auch Franz-Xaver Bernhard und Sönke Krebber so. Bernhard, Vorstand für Forschung und Entwicklung beim Frässpezialisten Hermle in Gosheim, sieht einen solchen Konnektor unter anderem beim Digitalisierung der Prozesse in kleinen und mittleren Unternehmen als hilfreich und notwendig für den Erfolg. Nur so ließen sich einzelne Module unkompliziert und mit vertretbarem Aufwand verketten. Und auch Krebber, Mitglied der Geschäftsleitung beim Sägenspezialisten Kasto, weiß um die Bedeutung einheitlicher Schnittstellen, schließlich müssen sich die Sägen und Lagersysteme aus Achern schon heute in einen digitalisierten und einheitlich gesteuerten Materialfluss integrieren lassen.

Bei all diesen Überlegungen ist die Datensicherheit ein zentraler Aspekt. Authentifizierung oder Zugangsschutz müssen gesichert sein, schließlich sind die Hersteller für die Sicherheit ihrer Produkte im Sinne der EU-Maschinenrichtlinie verantwortlich.

Standard soll international gelten

Damit der angestrebte Standard auch international akzeptiert wird, will die VDW-Initiative in einer gemeinsamen Arbeitsgruppe mit der OPC-Foundation eine länderübergreifende Joint-Working-Group bilden, in der alle Mitglieder der Foundation ihre Interessen einbringen und so den internationalen Standardisierungsprozess befruchten können. Zur internationalen Abstimmung hat der VDW zudem unter anderem die Schwesterverbände AMT in Amerika und JMTBA in Japan kontaktiert.

Auf der Stuttgarter Metallbearbeitungsmesse AMB – sie findet vom 18. bis zum 22. September statt – sollen weitere Ergebnisse der VDW-Brancheninitiative vorgestellt werden. Auf der neuen Sonderschau „Digital Way“ mit Kongress werden sie eine zentrale Rolle spielen.

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