Startseite » Technik » Fertigung »

Von der Nische in die Großserie

Umformtechnik: Mittels Hochdruck-RTM-Pressen entstehen hochwertige CFK-Karosserieteile
Von der Nische in die Großserie

Karosseriekomponenten aus CFK reduzieren das Gewicht und damit den Energiebedarf von Fahrzeugen. Einem Serieneinsatz des Materials stand bislang die aufwendige Verarbeitung entgegen. Moderne Pressverfahren könnten das ändern.

„Mit diesem Verfahren können wir die Zykluszeiten auf drei bis sieben Minuten senken“, sagt Raimund Zirn, „abhängig davon, ob es sich um ein Struktur- oder ein Sichtteil handelt.“ Der Produktmanager Composite Pressen bei der Schuler SMG GmbH & Co. KG in Waghäusel spricht vom Hochdruck-RTM-Pressen, das CFK-Karosserieteile in Serie liefert. Das ist zwar deutlich langsamer als das Umformen von Blechen – moderne Pressenlinien liefern bis zu 18 Metallteile pro Minute –, bietet aber über den Gewichtsvorteil von CFK hinaus weitere Pluspunkte.

Während Karosserie-Komponenten aus Blech immer mehrere Werkzeuge erfordern, reicht für das Pendant aus faserverstärktem Kunststoff eine Form. Dadurch reduziert sich insbesondere bei kleineren bis mittleren Stückzahlen das Investitionsvolumen für die Einführung neuer Fahrzeugmodelle. Ab einer Größenordnung von 30 000 bis 40 000 Stück pro Jahr sind dann Metallteile aufgrund der kürzeren Zykluszeiten und geringeren Materialkosten meist günstiger. Insofern ist Hochdruck-RTM (Resin Transfer Moulding) derzeit eher für Nischenmodelle interessant.
Dass mit dem Verfahren komplexere Bauteile hergestellt werden können, in die bereits mehrere Funktionselemente wie Befestigungskomponenten oder Antennen integriert sind, sei jedoch auch bei größeren Serien ein nicht zu unterschätzender Aspekt, ergänzt Zirn. „Im Vergleich zur Metallschalenbauweise sinkt dadurch die Zahl der Komponenten und damit auch die der erforderlichen Werkzeuge.“ Allerdings sind die Formen für Kunststoffteile meist deutlich aufwändiger, so dass ein Teil des Kostenvorteils wieder verloren geht. „Um die komplexen Teile herstellen zu können, brauchen die Werkzeuge Schieber, die sich ein- und ausfahren lassen, und für den Aushärteprozess Temperierkreise. Das bedingt eine umfangreiche Medienversorgung“, erläutert Zirn.
Die CFK-Teile kommen quasi fertig aus der Form. Nach dem Aushärten sind nur noch Feinarbeiten nötig – etwa das Besäumen der Ränder oder das Einbringen von Bohrungen und Öffnungen. Gegenüber anderen Verarbeitungsverfahren für GFK und CFK glänzt das Hochdruck-RTM-Pressen zudem durch
  • hohe Prozessstabilität infolge einer stabilen Temperaturregelung und einer guten Reproduzierbarkeit,
  • hohe Produktivität durch stark verkürzte Zykluszeiten und einen hohen Automatisierungsgrad – die vorgeformten, mehrlagigen Faserstrukturen lassen sich ähnlich gut handhaben wie Bleche – sowie
  • qualitativ hochwertige Bauteile mit gleichmäßiger Wanddicke, sehr guten mechanischen Eigenschaften und einer hohen Oberflächengüte.
Zu den wichtigsten Gründen für Automobilbauer, Karosseriekomponenten aus CFK herzustellen, zählt das geringe Gewicht und die hohe Steifigkeit des Materials. „Je nach Modell hat die Karosserie einen Anteil von 15 bis 20 Prozent am Gesamtgewicht eines Fahrzeugs“, sagt Murat Aksel, Leiter des BMW-Standorts Landshut. Aus CFK gefertigte Komponenten haben einen Gewichtsvorteil von bis zu 30 % gegenüber ihren aus Aluminium gefertigten Pendants und gar von 50 % gegenüber Stahlteilen. „Damit lässt sich bei gleicher Steifigkeit das Gewicht des Fahrzeugs um bis zu zehn Prozent senken.“ Und das komme nicht nur der Fahrdynamik und Agilität zu Gute, sondern vor allem auch dem Verbrauch. Laut Aksel geht ein Großteil der rund 100 kg Gewichtsersparnis, die BMW mit dem Karosseriekonzept des Elektroautos i3 erreicht hat, auf den Einsatz von CFK anstelle einer Blechschalenkonstruktion zurück.
Die Bayern haben bereits langjährige Erfahrung mit dem Werkstoff. Bereits 2003 fertigten sie in Landshut für den M3 CSL CFK-Dächer in limitierter Auflage. Heute entstehen dort an jedem Arbeitstag zwischen 50 und 75 Dächer für die verschiedenen M-Modelle. „Bei unseren i-Modellen werden wir nochmals einen deutlichen Stückzahlsprung machen und uns bei den Taktzeiten im Minutenbereich bewegen“, sagt der Werksleiter.
Auch Schuler hat viel Erfahrung beim Verarbeiten von faserverstärkten Kunststoffen. Ende der 80er-Jahre lieferte der Göppinger Pressenspezialist die ersten Anlagen für die GFK-Beplankung der ersten Generation des Renault Espace. Inzwischen sind mehrere Dutzend Anlagen weltweit im Einsatz.
Im Vergleich zu konventionellen Metallpressen benötigen Kunststoffpressen einen sehr schnellen Druckaufbau. „Außerdem müssen Ober- und Unterschale des Werkzeugs absolut parallel schließen“, betont Zirn. „Sonst fließt das Harz zur Seite und die Bauteile haben nicht die geforderten Eigenschaften.“ Die zulässige Abweichung in der Parallelität liege – gemessen über das ganze Werkzeug – im Zehntel-Millimeter-Bereich. Die erzielbaren Genauigkeiten seien bei den CFK-Komponenten durchaus vergleichbar mit denen umgeformter Metallteile.
Eine weitere Besonderheit sind die deutlich höheren Presskräfte als beim Umformen von Metallen. Außerdem brauchen Kunststoffpressen nicht nur beim Schließen Power. Weil das Harz dazu neigt, an den Werkzeughälften anzuhaften, sind Aufbrechkräfte von 2000 bis 3000 N erforderlich.
Dieses Anhaften des Harzes ist auch der Grund dafür, dass RTM-Werkzeuge nach jedem Zyklus gereinigt werden müssen. Um die Produktivität zu verbessern, bietet Schuler hier eine Lösung mit Wechseltisch an. Mit dessen Hilfe lässt sich das Unterwerkzeug innerhalb von 20 s tauschen. So hat der Werker Zeit, die Form zu reinigen, mit Trennmittel zu behandeln und neue vorgeformte Faser-Rohteile einzulegen, während parallel dazu im anderen Werkzeug das Harz mit einem Druck von bis zu 80 bar injiziert wird und anschließend das nächste Bauteil aushärtet.
Die Schwierigkeit bei diesem Prozess: Das Harz muss flüssig genug sein, um jede Faser sicher zu benetzen, andererseits aber – im Sinn einer kurzen Zykluszeit – sehr schnell aushärten. Je schneller der Kunststoff jedoch geliert und aushärtet, umso mehr Prozesswärme entsteht. Eine zu hohe Temperatur schädigt wiederum das Matrixmaterial und wirkt sich damit negativ auf die Bauteileigenschaften aus. Pressenspezialist Zirn sieht deshalb weiteres Optimierungspotenzial vor allem auf der Werkstoffseite, bei der chemischen Zusammensetzung von Harz und Härter. Anlagenseitig werde vor allem daran gearbeitet, die Wirtschaftlichkeit der Prozesse durch reduzierte Investitionsvolumina zu verbessern.
Murat Aksel betont: „Die Herausforderung einer industrialisierten Großserienfertigung von CFK-Karosseriekomponenten für unsere i-Modelle besteht in der parallelen Entwicklung von Materialien und Prozessen für ein komplett neues Fahrzeugkonzept. Dabei arbeiten alle beteiligten Unternehmen eng zusammen. Unser Joint-Venture-Partner SGL Carbon bringt seine Werkstoffkompetenz ein, Anlagenhersteller wie Schuler oder Krauss Maffei ihre Expertise bei der Verfahrenstechnologie.“ BMW selbst habe neue Prozess-, Werkzeug- und Anlagenkonzepte entwickelt.
Unsere Whitepaper-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de