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Fräsen: Wendeschneidplatten-Kombination zerspant besonders effizient

Fräsen
Wendeschneidplatten-Kombination zerspant besonders effizient

Ein neues Fräser-System von Walter ermöglicht es, Turbolader effizienter und kostengünstiger zu fertigen. Um das Werkzeug und seine Handhabung zu vereinfachen, setzen die Tübinger auf einen festen Plattensitz statt eines Kassettensystems.

Die Gesetzeslage ist klar: In Zukunft müssen die Kraftstoffverbräuche von Autos aller Klassen reduziert werden. Um trotz des Downsizings keine Leistung zu verlieren, kommen immer mehr Turbolader zum Einsatz. Sie sind eine wichtige Stellschraube, da sie aus kleineren und effizienteren Motoren viel Leistung herausholen. Doch auch die Turbolader selbst sollen immer kleiner, effizienter und nicht zuletzt kostengünstiger werden. Nicht nur deshalb stellt die Fertigung der Lader die Automobilindustrie vor große Herausforderungen. Unter anderem beim Schruppen und Schlichten der Turbinengehäuse. Das Material ist extrem zäh und schwer zu bearbeiten. Die Gehäusewände sind dünn und das Werkstück damit entsprechend labil. Zudem steigt der Kostendruck auf dem wachsenden Markt.
Die Zerspanungsexperten der Walter AG haben deshalb ein neues Fräser-Konzept entwickelt, das den hohen Anforderungen beim Schruppen, Semischlichten und Schlichten speziell von Turboladergehäusen gewachsen ist. Ihre Lösung – die Kombination von Semischlicht- und Schlichtwendeplatten. Sie senkt die entscheidenden Kosten pro gefertigtem Teil um bis zu 40 % und verbessert gleichzeitig die Oberflächenqualität deutlich. Üblicherweise ist in diesem Bereich eine Oberflächenqualität von etwa RZ 10 gefordert. Das Werkzeug von Walter erreichte ohne Probleme Rz 5. Möglich ist das durch den geringeren Druck, den die Schneidenlänge von 4 mm ausübt.
Weil die Wanddicken nur 2,5 bis 3 mm betragen und die Turbinengehäuse entsprechend labil sind, entstehen beim Bearbeiten schnell Vibrationen und damit Rattermarken. Bisher war hier immer ein Kompromiss zwischen Bearbeitungsgeschwindigkeit und Oberflächenqualität gefragt. Diesen Widerspruch konnten die Tübinger Werkzeugspezialisten auflösen.
Ein fester Plattensitz vereinfacht das Werkzeug und seine Handhabung
Im Verlauf der Entwicklung wechselte man vom bisher üblichen Kassettensystem fürs Schlichten zu einem bewusst einfachen Werkzeugaufbau mit Festplattensitz. Durch diese „Plug&Play“-Lösung entfallen die Voreinstellarbeiten, die eine Genauigkeit zwischen 3 und 5 µm erforderten. So erleichtert das System zusätzlich die Montage und spart Zeit. Rolf Buob, Component Manager für Turbinengehäuse bei Walter, erläutert: „Das Einstellen der Schlicht-Wendeschneidplatten über die übliche Kassette verteuert das Werkzeug und reduziert die mögliche Zähnezahl.“ Für Standardapplikationen sei diese Einstellbarkeit von Vorteil, weil sich das Werkzeug leicht an unterschiedliche Gegebenheiten anpassen lasse. „Diese Flexibilität ist bei großen Stückzahlen aber nicht notwendig. Wir haben uns deshalb für den Festplattensitz entschieden. Eine Einstellung entfällt, es handelt sich quasi um ein ‚Plug and Play‘. Allerdings sind wir gefordert, die Sitze für die Schlichtplatten extrem präzise zu fertigen, damit sie alle exakt ausgerichtet zueinander laufen.“
Hohe Anforderungen durch schwer zerspanbare Materialien
Rolf Buob geht davon aus, dass die Anzahl der Turbolader für Benzinmotoren innerhalb von fünf Jahren um etwa das 2,5-Fache steigen wird. „Das bestätigen auch Untersuchungen führender Hersteller von Turboladern“, so Buob.
Gerade Turbolader für Benzinmotoren stellen im Vergleich zu Dieselmotoren besondere Anforderungen an die Zerspanung. Die Abgastemperaturen im Turbinengehäuse erreichen zwischen 1000 und 1050 °C, bei Dieselmotoren liegen sie bei moderaten 800 bis 850 °C. „1000 Grad und mehr erfordern hoch temperaturbeständige Stähle, typischerweise Chrom-Nickel-legierte Stähle der Werkstoffkennnummer 1.48 mit den Endziffern 49, 48, 37 und 26. Diese 1.48er-Stähle werden ständig weiterentwickelt und es wird immer schwieriger, sie zu bearbeiten“, weiß Buob.
Sie machen das Turbinengehäuse auch zum teuersten Bauteil für die Zerspanung. Vor allem der hohe Chromanteil senkt die Standzeiten. „Es gibt Applikationen, bei denen ein Werkzeug gerade einmal zwanzig bis dreißig Bauteile hält“, berichtet der Zerspanungsspezialist. Zum Vergleich: Die Materialien für Turbinengehäuse von Dieselmotoren ermöglichen fünf- bis zehnfach höhere Standzeiten bei gleichzeitig 50 % höherer Bearbeitungsgeschwindigkeit.
Walter setzt identische Wendeschneidplatten mit 16 Schneidkanten als Semischlicht- und Schlichtwendeschneidplatte ein. Marktüblich waren bisher unterschiedliche Wendeschneidplatten, zwölf Schneidkanten für das Semi-Schlichten und vier für das Schlichten. Walter vereinfacht so zudem die Lagerhaltung und schließt Fehler durch ein Verwechseln der Platten aus. Außerdem reduzieren sich dadurch die in der Automobilindustrie entscheidenden Kosten pro Bauteil für das Zerspanungswerkzeug um bis zu 40, teilweise bis zu 70 %. Die Schneidstoffkosten beim Turbinengehäuse machen in etwa 50 % der Gesamtkosten des Bauteils aus. Üblich sind in der spanenden Fertigung um die 4 %. Auf das Fräsen entfallen zwischen 10 und 20 % der Schneidstoffkosten, etwa je zur Hälfte für das Schruppen und Schlichten. Walter rechnet mit einem Gesamteffekt auf die Kosten eines Turboladers von etwa 4,5 bis 5 %, die sich sehr schnell erzielen lassen.
Die Entwicklung der Werkzeuge geht kontinuierlich weiter
Die Wendeschneidplatten sind PVD- oder CVD-beschichtet und in unterschiedlichen Geometrien verfügbar. Typisch sind Schneidplatten der Sorte WSP45S oder WSM45X. Kurze Schneidkanten senken den Druck auf die labilen Bauteile. Dadurch entstehen weniger Vibrationen, was der Oberflächenqualität zugutekommt. Diese verbessert sich von den üblichen Rz-Werten zwischen 7 und 8 µm auf etwa Rz 5. „Insgesamt verbessern sich durch diese Maßnahmen die Handhabung und die Prozesssicherheit“, so Buob.
Beim Schlichtwerkzeug wird in der Regel jede dritte bis fünfte Platte anders positioniert. Die Semischlichtwendeschneidplatten sind wie beim Schruppfräsen etwa 5° freigestellt, die Schlichtwendeschneidplatten sind planschneidend eingebaut. Rolf Buob: „Wir reden deshalb von Semischlicht- und Schlichtplatte im selben Werkzeug, auch wenn es sich um identische Wendeplatten handelt. Lediglich der Plattensitz ist unterschiedlich eingeschwenkt.“ Die Schnittgeschwindigkeit beträgt beim Schlichten etwa 140 m/min, der Umdrehungsvorschub bis zu 4 mm. Speziell für das Schruppen gibt es diesen Fräser auch für Aufmaße bis 3 mm. Anders als beim Schlichtfräser sind bei ihm die Wendeschneidplatten axial und radial gleich angestellt. Sie haben alle die gleiche Funktion für die Bearbeitung.
Mit dem neuen Fräser-Konzept ist das Ende der Entwicklung aber noch nicht erreicht. Die Zerspanungsspezialisten von Walter arbeiten kontinuierlich an neuen Ideen und Lösungen.
Herbert Grab, Fachautor in Pliezhausen
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