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„Wenn das eine Krise ist, dann hoffe ich, dass sie noch 20 Jahre anhält“

Hermle-Chef Dietmar Hermle über die Aussichten fürs laufende Geschäftsjahr
„Wenn das eine Krise ist, dann hoffe ich, dass sie noch 20 Jahre anhält“

Die Gosheimer Berthold Hermle AG erwartet 2012 – trotz leicht rückläufiger Auftragseingänge – das beste Unternehmensergebnis ihrer Geschichte. Vorstandssprecher Dietmar Hermle erläutert die Philosophie des 5-Achsen-Fräs-Spezialisten.

Herr Hermle, was ist das Erfolgsgeheimnis Ihres Unternehmens?

Da gibt´s eine ganze Reihe von Aspekten. Ein ganz wesentlicher und seit vielen Jahren die Basis des Erfolgs ist unsere Unternehmenskultur. Wir pflegen sowohl zu unseren Mitarbeitern als auch zu unseren Lieferanten und Kunden Beziehungen, die von Ehrlichkeit und Verlässlichkeit geprägt sind. Aus diesen Verbindungen erhalten wir jene Informationen, die uns helfen, zielgerichtet in marktrelevante Projekte zu investieren und Verschwendung in allen Bereichen zu vermeiden.
Können Sie Ihre Unternehmenskultur etwas näher erläutern?
Wir haben zu unseren Mitarbeitern ein enges, vertrauensvolles Verhältnis. Wichtige Informationen kommunizieren wir offen. Das schafft Transparenz, die Belegschaft kann Entwicklungen einschätzen und weiß, warum wir gewisse Entscheidungen treffen. So entsteht Vertrauen. Außerdem achten wir darauf, alle gleich zu behandeln. Wenn unsere Mitarbeiter in der Holzklasse fliegen, dann tut das auch die Geschäftsleitung. Unsere Schlüsselpositionen sind mit Kollegen besetzt, die lange im Unternehmen sind. Wir kennen uns und wissen, dass wir uns aufeinander verlassen können – auch über die betrieblichen Belange hinaus. Eine Folge dieser Unternehmenskultur ist, dass wir praktisch keine Fluktuation haben. Von der langjährigen Erfahrung unserer Mitarbeiter profitieren wiederum unsere Kunden.
Welche Philosophie steckt hinter Hermle-Produkten?
Wir entwickeln und bauen unsere Produkte mit dem Ziel, unseren Kunden die bestmögliche Lösung für ihr Fertigungsproblem zur Verfügung zu stellen. Und das in der bestmöglichen Qualität und mit dem bestmöglichen Service. Damit wir das mit vertretbarem Aufwand für die verschiedensten Anforderungen erfüllen können, nutzen wir eine Gleichteilestrategie und konfigurieren unsere Produkte aus einem Modulbaukasten. Hermle selbst liefert Standardmaschinen, die unsere Tochter HLS in Tuttlingen mit Automationslösungen für die unterschiedlichsten Anwendungen ergänzt, so dass der Kunde eine Komplettlösung erhält, die über Jahre sicher und zuverlässig funktioniert.
Wie viele Ihrer Anlagen verkaufen Sie inzwischen automatisiert?
Fast ein Drittel liefern wir heute mit einer Vollautomation, die auch vor- und nachgelagerte Prozesse einbeziehen kann, etwa eine Teilereinigung. Standard-Bearbeitungszentren machen nur noch rund 30 bis 35 Prozent aus. Der Rest sind automatisierte Einzelanlagen.
Mit welchen Innovationen dürfen Hermle-Kunden in nächster Zeit rechnen?
Simultane Fünfachsigkeit wird immer leichter beherrschbar und ist inzwischen auch für kleinere Betriebe zu finanzieren, die sich vor nicht allzu langer Zeit weder die Maschinen noch das nötige Personal dafür leisten konnten. Auf der anderen Seite werden die Maschinen und Anlagen immer präziser, schneller und dynamischer. Sie beherrschen Bewegungsabläufe, die bislang kaum denkbar waren. Dadurch ist es möglich, hochkomplexe Teile sehr schnell und in kleinen Stückzahlen wirtschaftlich herzustellen.
Wie schätzen Sie die aktuelle Wirtschaftslage ein?
Die Konjunktur ist durch äußere Umstände gefährdet, die sich schlimm auswirken könnten. Und damit meine ich nicht nur die Euro-Krise, sondern auch eine Politik, die sich seit Jahren im permanenten Wahlkampf befindet, statt zielgerichtet, konsequent und verantwortungsbewusst zu arbeiten. Dazu kommen Analysten, deren Prognosen bis 2015 mit Vorsicht zu genießen sind. Das ist Kaffeesatzleserei von so genannten Experten, die 2008 noch wenige Tage vor dem Absturz weiteres Wachstum prognostizierten und danach den Maschinenbau für tot erklärten.
Wie beurteilen Sie die aktuelle Lage der Werkzeugmaschinenbranche?
Wenn das, was wir jetzt haben, eine Krise ist, dann hoffe ich, dass sie noch 20 Jahre anhält. Was mich maßlos ärgert: Diejenigen, die derzeit aufgrund der sich leicht beruhigenden Nachfrage bereits von der nächsten Krise im Maschinenbau reden, vergessen wohl, auf welch hohem Niveau wir uns gerade befinden. Nach der Krise 2008/09 erlebten wir 2010 dramatische Zuwächse und schon 2011 ein Rekordjahr.
Wie hat sich die erste Hälfte des laufenden Geschäftsjahres bei Hermle entwickelt?
Die Nachfrage hat sich erwartungsgemäß leicht beruhigt. Der Auftragseingang lag um acht Prozent unter dem Vergleichszeitraum des Vorjahres. Unser Umsatz stieg in den ersten fünf Monaten um 21 Prozent, wobei das Inland um sieben, der Export um 35 Prozent zulegte.
Was erwarten Sie fürs Gesamtjahr?
Wir haben ein sehr gutes Auftragspolster. Deshalb rechnen wir damit, dass Umsatz und Ergebnis nochmals steigen und wir wieder ein Rekordergebnis erreichen. Bei der Nachfrage erwarten wir – bedingt durch die Verunsicherung infolge der Staatsschulden- und Bankenkrise – eine weitere Beruhigung. Solange das in einem überschaubaren Rahmen bleibt, haben wir damit kein Problem. Wir sind vorbereitet. Der Maschinenbau war immer eine zyklische Branche, und wer damit nicht umgehen kann, der ist hier fehl am Platz.
Wie beurteilen Sie Deutschland und Baden-Württemberg als Standort?
Deutschland und besonders Baden-Württemberg sind für Maschinenbauer sehr gute Standorte. Wir haben eine tolle Infrastruktur, sowohl was die Ausbildung angeht als auch technologisch. Die Know-how-Dichte durch Hochschulen, Forschungsinstitute sowie erstklassige Zuliefer- und Partnerunternehmen ist ein echter Wettbewerbsvorteil. Außerdem profitieren wir Maschinenbauer von den guten Kontakten untereinander. Wir unterstützen uns beispielsweise gegenseitig beim Einstieg in neue Märkte. Ich hoffe nur, dass kurzsichtige politische Entscheidungen – etwa Budgetkürzungen in der Bildung oder eine Energiepolitik, die die Existenz vieler Produktionsbetriebe gefährdet – uns nicht diese Vorteile kosten.
Was muss die Politik tun, damit der Standort Deutschland attraktiv bleibt?
Sie muss ehrlicher und verlässlicher werden, endlich Entscheidungen treffen und diese auch konsequent umsetzen. Solange man uns unsere Arbeit machen lässt und uns keine zusätzlichen Steine in den Weg legt, braucht sich keiner um den deutschen Maschinenbau zu sorgen. In unserer Branche gibt es viele innovative Betriebe, die tolle Arbeit leisten.
Jüngst haben Politiker und Medien das Thema „Frauenquote in Führungsetagen“ wiederentdeckt. Was halten Sie davon?
Ein Unternehmen wie unseres braucht Führungskräfte mit einem tiefen Verständnis für den Maschinenbau. Solange so wenige Frauen ein Maschinenbaustudium abschließen, halte ich eine Quotenregelung in unserem Haus für Unsinn. Die Förderung muss viel früher beginnen und Mädchen schon in der Schule an die Technik heranführen, sie motivieren, technische Berufe zu ergreifen. Wir bemühen uns seit Jahren, mehr junge Frauen für eine technische Ausbildung zu gewinnen. Das ist unsere Art, die Basis für einen höheren Frauenanteil in Führungspositionen zu schaffen. Wir tun das auch, weil wir feststellen, dass gemischte Gruppen harmonischer und motivierter arbeiten.
Wie schafft es ein Unternehmen, mit einem Auftragseinbruch von bis zu 60 Prozent klarzukommen, den auch Hermle 2008 verdauen musste?
Indem es eine hohe Eigenkapitalquote hat und dadurch von äußeren Einflüssen möglichst unabhängig ist, und indem es über flexible Arbeitsmodelle schnell reagieren und seine Kapazitäten anpassen kann. Auch dabei hat uns das Vertrauensverhältnis zwischen Geschäftsleitung und Belegschaft sehr geholfen. Nach unserer klaren Aussage, so lange niemanden zu entlassen, bis es richtig weh tut, konnten wir die durchschnittliche Wochenarbeitszeit innerhalb von rund vier Wochen von 43 auf 24 Stunden reduzieren. Und zwar im Einklang mit unserem starken Betriebsrat.
Hermle hat eine hohe Eigenkapitaldecke…
Ja. Das war und ist für uns ein riesiger Vorteil. Wir mussten lediglich die Miteigentümer vom geplanten Weg überzeugen, uns ihre Rückendeckung sichern und konnten dann die nötigen Schritte einleiten und sie konsequent und zügig umsetzen. Das ist ein vergleichsweise komfortables Vorgehen, das sich leider nicht jeder leisten kann. Aber auch wir waren nicht immer in dieser Situation. Als ich in die Funktion des Vorstandssprechers kam, habe ich eine Firma mit 30 Millionen Mark Bankverbindlichkeiten übernommen, die drei Jahre in Folge Verluste eingefahren hatte. Ich weiß also, was es heißt, im Dreck zu stecken. Ich weiß aber auch, wie man da wieder raus kommen kann. Dass unser Unternehmen heute anders dasteht, ist aber nicht allein mein Verdienst, sondern das aller Mitarbeiter.
Wie passen Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit für Sie zusammen?
Das geht Hand in Hand. Wir haben eine hohe Fertigungstiefe. Was wir nicht selbst bearbeiten können oder wollen, erledigen langjährige Partner in der näheren Umgebung. Und auch unsere Zukaufteile kommen entweder aus der Umgebung oder zumindest aus Deutschland. Damit sparen wir Transportwege, Energie und verursachen weniger Schadstoffe. Zum Heizen unseres neuen Logistikzentrums nutzen wir die Abwärme aus unserer Produktion. Wir denken immer weiter und suchen die unterm Strich beste Lösung. Seit einiger Zeit arbeiten wir beispielsweise an einem Konzept, durch das wir mittelfristig energietechnisch unabhängig werden wollen. Dazu ermitteln wir gerade unseren übers Jahr verteilten Energie- und Wärmebedarf. Die Auswertung sollte Ende des Jahres vorliegen. Dann schauen wir, mit welchen Maßnahmen und Technologien sich das Konzept sinnvoll umsetzen lässt.
Wie haben Sie es geschafft, bei laufendem Betrieb ihr Lager ins neue Logistikzentrum umzuziehen und gleichzeitig die alten Hallen für die Produktion zu renovieren?
Für den Umzug haben wir vier Wochen lang rund um die Uhr gearbeitet. Tagsüber lief der normale Betrieb. Die nicht benötigten Teile wurden in Behälter verpackt, die nachts von einer Umzugsfirma ins neue Logistikzentrum transportiert wurden. Der Abbau des Lagers erfolgte von hinten nach vorn, und im gleichen Takt erledigten Maler, Elektriker und Installateure auf den freigewordenen Flächen die nötigen Arbeiten. Als vorn das letzte Lagerteil aus der Halle gefahren wurde, transportierten wir auf der anderen Seite schon die erste Maschine für die Montage rein.
Was reizt Sie persönlich am Maschinenbau?
Wir sind in einer hochinteressanten Branche tätig und erleben jeden Tag neue Herausforderungen. Wir dürfen bei den spannendsten technischen Entwicklungen dabei sein – egal, ob im Motorsport, in der Luftfahrt, der Medizintechnik, der optischen Industrie oder der Energietechnik. Wir dürfen hautnah erleben, wie die unterschiedlichsten Probleme technisch gelöst werden und blicken dabei täglich in die Zukunft. Die Vielseitigkeit unserer Branche erstaunt mich immer wieder. Sie erfordert ein sehr feines Gefühl für die Bedürfnisse unserer Kunden.
Hermle auf der AMB 2012 Halle 7, Stand D52
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