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Werkzeug presst Linsen in Form

Präzisionsblankpressen: schnell und wirtschaftlich komplizierte Optikbauteile erzeugen
Werkzeug presst Linsen in Form

Hochkomplexe Linsen innerhalb kurzer Zeit reproduzierbar und wirtschaftlich herzustellen, ist das Ziel Aachener Forscher. Dazu haben sie das Präzisionsblankpressen von Optiken weiterentwickelt, so dass sich das Verfahren jetzt auch für kleinere und mittlere Stückzahlen eignet. Zudem eröffnet es völlig neue Perspektiven und Anwendungen.

In jedem Fotohandy und jeder kompakten Digitalkamera sind sie verbaut. Um die kleinen, hochpräzisen Optiken wirtschaftlich herzustellen, nutzen die Anbieter ein replikatives Verfahren – das Präzisionsblankpressen. Die vollautomatische Produktion mehrerer Millionen solcher Linsen ist die Domäne asiatischer Firmen. „Noch vor drei, vier Jahren gab es das Präzisionsblankpressen in Europa nicht“, sagt Dr. Thomas Bergs. „Man war der Meinung, es eigne sich nur für die Massenproduktion.“ Dann entwickelten Forscher des Aachener Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnologie (IPT), dessen Geschäftsführer Bergs ist, die Technologie so weiter, dass sie sich auch für hochkomplexe Geometrien in kleinen und mittleren Stückzahlen rechnet – etwa ab 500 Linsen pro Jahr.

Das Hauptanwendungsfeld des Präzisionsblankpressens sind hochpräzise asphärische Optiken. Sie sollen Abbildungsfehler eliminieren und mehrlinsige Korrektursysteme weitgehend überflüssig machen. Die hohe Qualität der Linsen erlaubt immer kleinere, leichtere und leistungsfähigere optische Systeme, die unter anderem in der Medizintechnik oder der Mikroskopie ganz neue Möglichkeiten eröffnen. Weitere Einsatzfelder sind beispielsweise Projektionssysteme, Beleuchtungseinrichtungen, Nachtsichtgeräte oder die Lasertechnik.
„Als wir anfingen, gab es keine passenden Anwendungen. Wir mussten zuerst ein Angebot schaffen, um potenziellen Anwendern zeigen zu können, was mit der Technologie machbar ist“, erzählt Bergs. Die Pressen waren bereits auf dem Markt verfügbar. Um den kompletten Prozess anbieten zu können, kümmerten sich die Aachener Forscher um den Präzisionswerkzeugbau und die Technologie. Für deren Vermarktung gründeten sie die Aixtooling GmbH, deren Geschäftsführender Gesellschafter Bergs ist. „Als Technologieanbieter unterstützen wir Unternehmen bei der Entwicklung neuer Produkte. Wir liefern die Werkzeugtechnik, den Prozess und wir kümmern uns um die Wartung und Instandhaltung der Werkzeuge.“
Während asiatische Anbieter mit Systemen arbeiten, bei denen der Transfer der Werkzeugsätze innerhalb der Maschine automatisch erfolgt, haben die Wissenschaftler am IPT mehr Flexibilität erreicht, indem sie ein stationär auf der Presse betriebenes Werkzeug einsetzten. Dieses Konzept wird den Anforderungen des europäischen Markts laut Bergs besser gerecht. Es kann mit Mehrfachwerkzeugen arbeiten und pro Presszyklus, der zwischen 15 und 30 min dauert, derzeit bis zu 36 Linsen formen.
Ausgangspunkt sind vorgeformte Glasrohlinge in feuerpolierter Oberflächenqualität. Sie werden direkt im Formwerkzeug erwärmt und bei Temperaturen knapp über dem Transformationspunkt in die Endform gebracht. Die Umformtemperatur ist je nach Glasart unterschiedlich. Bei optischen Gläsern liegt sie zwischen 400 und 800 °C, bei Quarzglas bei etwa 1500 °C. Die Abkühlphase muss durch eine präzise Druck- und Temperatursteuerung jedem Anwendungsfall angepasst werden. Stimmt der Prozess, sind die Linsen nach dem Pressen bereits fertig zum Einbau.
Der Schlüssel zum Erfolg liegt dabei im Werkzeugbau. Der muss höchste Präzision liefern. Maximale Formabweichungen von 150 nm PV (Peak to Valley) und Oberflächengüten mit Ra-Werten unter 5 nm gilt es hier einzuhalten. Dabei sind nicht nur die Bearbeitungsverfahren ein kritischer Faktor. „In diesen Genauigkeitsklassen stößt auch die Messtechnik an ihre Grenzen“, beschreibt Bergs die Herausforderung. Hinzu kommt, dass nur beschichtete Hartmetall-Werkzeuge den extremen Beanspruchungen während des Pressens gewachsen sind. Sie lassen sich jedoch nur schleiftechnisch bearbeiten. Der Weg zum funktionierenden Werkzeug führt deshalb über mehrere aufwändige Iterationsschritte. Um deren Zahl in Grenzen zu halten, haben die Forscher ein Simulationssystem entwickelt, mit dem sich das Verhalten des heißen Glases in unterschiedlichen Prozessphasen untersuchen lässt. Die gewonnenen Erkenntnisse tragen einerseits dazu bei, schneller zum fertigen Werkzeug zu kommen, andererseits aber auch das Verfahren weiterzuentwickeln.
Die Fertigung rotationssymmetrischer Optiken ist mittlerweile Stand der Technik. Der nächste Evolutionsschritt, an dem die Forscher arbeiten, sind nicht-rotationssymmetrische Glasoptiken in Form von Linsenarrays, Wafer-basierten Optiken und Freiformlinsen. Letztere sind beispielsweise die Voraussetzung für Systeme, die auf nicht plane Flächen projizieren, etwa auf Brillengläser, Helmvisiere oder Pkw-Windschutzscheiben. Solche Linsen lassen sich zwar bereits herstellen, jedoch nur als spritzgegossene Kunststoffteile. Glaslinsen haben jedoch einige Vorteile: Sie sind gegenüber Umwelteinflüssen – etwa durch Kratzer, Temperaturänderungen oder aggressive Medien – unempfindlicher, und ihre optischen Eigenschaften sind deutlich besser. Wafer-basierte Optiken ermöglichen hingegen die Montage mehrerer Linsensysteme in einem Arbeitsschritt. Dadurch verteilt sich der Aufwand fürs Ausrichten der einzelnen Elemente auf mehrere Systeme. Ein weiterer Vorteil des Präzisionspressens: Anders als mit direkten Fertigungsverfahren wie dem Schleifen lassen sich damit bei Zylinderlinsenarrays die Zwischenzonen scharfkantig ausbilden. Die Folge sind eine höhere Lichtausbeute und eine homogenere Intensitätsverteilung. Selbst mikrostrukturierte Oberflächen sind mit der Technologie machbar. Zudem können neben den Funktionsflächen auch die Mantelflächen in hoher Präzision hergestellt werden, was vielfach die Montage vereinfacht.
Bergs nennt Kriterien, anhand derer sich abschätzen lässt, wo das Präzisionsblankpressen wirtschaftlich ist:
  • Je nach Art der Linsen rechnet sich das Verfahren bei Losgrößen ab etwa 500 Stück pro Jahr.
  • Entscheidend sind Komplexität, Größe und die geforderte Genauigkeit der Linsen.
  • Auch der Rüstaufwand hat einen Einfluss. Werden immer wieder kleinere Stückzahlen benötigt, lässt sich der Pressprozess viel schneller einrichten als eine traditionelle Prozesskette, bei der jede Linse einzeln bearbeitet wird.
„Diese Technologie ist eine echte Chance für die optische Industrie in Deutschland, sich wieder einen Wettbewerbsvorteil zu erarbeiten“, ist Thomas Bergs überzeugt. „Der Massenmarkt ist vergeben, aber im Bereich komplexer Geometrien und mittleren Stückzahlen ist noch einiges möglich.“ Insbesondere in der Kombination des Präzisionsblankpressens mit dem Know-how deutscher Anbieter hinsichtlich der Gestaltung optischer Komponenten stecke noch viel Potenzial. „Hierdurch lassen sich in Zukunft ganz neue, hochinnovative Produktbereiche erschließen.“ Dass auch die Politik diese Meinung teilt, zeigt sich in zwei Verbundvorhaben, die die Forschungen unterstützen: Die Europäische Union fördert das Projekt Produktion4µ, und das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt mit 3DOptics den Aufbau einer Wertschöpfungskette zur Kostengünstigen, flexiblen Fertigung geometrisch anspruchsvoller Mikrooptiken aus Glas.
Je komplexer die Linse, desto effizienter ist die Technologie
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