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Wo’s passt, ist weniger mehr

Kühlschmierverfahren: Gezielter Medieneinsatz optimiert Energieverbrauch und CO2-Bilanz
Wo’s passt, ist weniger mehr

Die Minimalmengenschmierung scheint derzeit eine Renaissance zu erleben. In der Serienfertigung soll sie den Energieverbrauch einer Werkzeugmaschine um bis zu 25 % und die Kosten rund ums Thema Kühlschmierstoff um bis zu 95 % reduzieren. Das zeigt, dass sich Ökologie und Ökonomie in der Fertigung nicht widersprechen müssen.

Eine Werkzeugmaschine habe einen vergleichbaren Carbon Footprint wie 33 Pkw mit einer durchschnittlichen Laufleistung von rund 12 000 km im Jahr. Damit verdeutlicht Prof. Eckehard Kalhöfer die Bedeutung einer effizienten Energienutzung in der Produktion – nicht nur, um die steigenden Energiekosten einzudämmen, vor allem auch mit Blick auf die sich verschärfenden Anforderungen hinsichtlich der CO2-Bilanz. „Bei dem Vergleich haben wir das CO2-Äquivalent einer Maschine – die bei dreischichtigem Betrieb in 44 Wochen à fünf Arbeitstagen 66 000 kWh Strom verbraucht – ins Verhältnis zu mehreren BMW 116d gesetzt, die jeweils 99 Gramm CO2 pro Kilometer ausstoßen“, so der Inhaber des Stiftungslehrstuhls für Spanende Fertigung (SSF) an der Hochschule Aalen weiter.

Rund 50 % des Energiebedarfs einer Werkzeugmaschine, die mit Überflutungsschmierung arbeitet, fließen in die Versorgung mit Kühlschmierstoff (KSS). Das zeigt, welches Optimierungspotenzial sich hier heben lässt, wenn fürs Zerspanen nur noch minimale Schmierstoffmengen eingesetzt und KSS-Aggregate überflüssig werden.
Das Prinzip der Minimalmengenschmierung (MMS) ist nicht neu. Es wurde vor rund 20 Jahren eingeführt. „Damals war die Euphorie groß“, blickt Christian Schmidt zurück. „Angesichts der Schwierigkeiten bei der praktischen Umsetzung wich sie jedoch schnell Ernüchterung“, fährt der Ingenieur fort, der beim Aalener Werkzeughersteller Mapal Dr. Kress KG in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung für den Bereich MMS zuständig ist. Als Ursache für die anfängliche Enttäuschung nennt er unter anderem, dass „es damals noch nicht möglich war, das Medium präzise und zuverlässig genug zur Wirkstelle zu bringen“. Außerdem seien sich viele Interessenten nicht bewusst gewesen, dass die Technologie nur funktioniert, wenn die ganze Prozesskette perfekt abgestimmt ist und zur Anwendung passt.
Nun scheint die Minimalmengenschmierung eine Renaissance zu erleben. Schmidt sieht dafür vor allem zwei Gründe: Zum einen sei die Technologie inzwischen zu einem harmonischen System zusammengewachsen, so dass sich auch komplexe Bauteile zuverlässig bearbeiten lassen, zum anderen steigen die ökologischen und ökonomischen Anforderungen an Produktionsbetriebe massiv. „Ein Kunde erzählte, dass er die verschärften Umweltschutzvorgaben, die die Politik bis 2020 fordert, allein durch Umstellen von der nassen Zerspanung auf MMS erfüllen könne“, berichtet Schmidt. Durch den Entfall der Hochdruckpumpen lässt sich der Energieverbrauch um 30 bis 40 % senken. Zwar sei für den höheren Druckluftbedarf ein Mehraufwand von 5 bis 8 % nötig, unterm Strich bleibe aber eine Einsparung von 20 bis 25 %.
Sind bereits die reduzierten Energiekosten und die günstigere CO2-Bilanz für viele Zerspaner inzwischen ein wichtiges Argument, so bietet MMS noch eine ganze Reihe weiterer Vorteile. Da sind zunächst die um bis zu 95 % reduzierten Kosten für Kühlschmierstoffe sowie deren Pflege und Entsorgung, der geringere Aufwand fürs Reinigen der Werkstücke und der Späne sowie der bessere – und für den Werker angenehmere – Umgang mit den trockenen Teilen und die geringere Belastung von Luft und Arbeitsumgebung. Dazu kommen bessere Bauteilqualitäten und Oberflächengüten sowie Werkzeugstandzeiten, die mindestens gleich, teilweise deutlich besser sind. Letzteres liegt einerseits daran, dass die gezielte Schmierung die Reibung an der Schneide reduziert und Thermoschocks vermieden werden, andererseits können im KSS-Kreislauf enthaltene harte Legierungsbestandteile zum erhöhten Verschleiß der Tools bei der Nassbearbeitung führen.
MMS-Werkzeuge unterscheiden sich von ihren Pendants für die Nassbearbeitung in einigen Aspekten wesentlich. Neben den Schneiden und den Spanräumen müssen vor allem auch die Medienzufuhr und der Austritt des Schmiermittels angepasst werden. Die Oberflächen der deutlich dünneren Kühlkanäle müssen viel glatter sein, Kanten und sonstige Störstellen für die Strömung gilt es unbedingt zu vermeiden. Der Austritt des Fluids ist so steil und direkt wie möglich auf die Wirkstelle gerichtet, während Emulsion möglichst flach austreten sollte.
Doch die Werkzeuge sind nur ein Glied einer langen Kette, die beim Umstellen einer Bearbeitung auf die MMS-Technologie optimiert werden muss. Weitere Einflussfaktoren sind:
  • die Maschine,
  • das MMS-System,
  • die Schnittstellen zwischen Maschine, Werkzeugaufnahme und Werkzeug,
  • das Werkstück mit Spanntechnik,
  • das zu bearbeitende Material,
  • die Prozessgestaltung,
  • das Schmiermedium,
  • thermische Einflüsse sowie
  • das Know-how der beteiligten Mitarbeiter.
Die wichtigste Anpassung im Arbeitsraum der Maschine sind schräg und steil abfallende und möglichst glatte Späneleitbleche, die meist aus Edelstahl gefertigt sind. Zudem sollte die Arbeitsraumverkleidung gegenüber der Maschinenstruktur thermisch entkoppelt sein und einen freien Spänefall zulassen. Zu den weiteren Merkmalen einer MMS-Maschine gehören spezielle Systeme fürs Absaugen, Filtern und Entsorgen der trockenen Späne sowie die Kompensation der Prozesswärme. Die Produkte großer Systemanbieter unter den Werkzeugmaschinenbauern sind fit für die MMS-Technik. „Das Bearbeiten komplexer Teile mit minimaler Schmierstoffmenge ist Stand der Technik“, sagt Peter Vogl, Direktor Konstruktion und Technik bei der Mindelheimer Grob-Werke GmbH & Co. KG. „Wir haben bereits für alle maßgeblichen Teile im Antriebsstrang eines Kraftfahrzeugs entsprechende Projekte realisiert.“ Neben der Maschine selbst muss auch die Werkstück-Spanntechnik so gestaltet sein, dass sich keine Spänenester bilden können.
Auf die Prozessgestaltung haben laut Christian Schmidt vor allem zwei Aspekte Einfluss: die Temperatur des Werkstücks und das Risiko, dass sich Späne im Arbeitsbereich sammeln. Deshalb sollten die Prozesse so geplant werden, dass hochgenaue Operationen nicht durchgeführt werden, wenn intensives Schruppen das Werkstück bereits stark aufgeheizt hat. Und Eckehard Kalhöfer ergänzt: „Für ein cleveres Wärmemanagement spielt die Prozessabfolge eine wichtige Rolle. Nach dem Schruppen, bei dem viel Wärme entsteht, muss das Werkstück temperiert werden. Im Anschluss daran sollten die hochgenauen Operationen abgearbeitet werden, und erst dann die vielen grober tolerierten, bei denen wieder Wärme entsteht.“
Auch beim Spänemanagement ist die Bearbeitungsreihenfolge von Bedeutung. Gilt es beispielsweise eine Innenkontur auszuarbeiten, an deren Grund sich ein Gewinde befindet, dann sollte nach Möglichkeit zuerst letzteres hergestellt werden, ehe eine größere Menge Späne im Bohrungsgrund zur Gefahr fürs Gewindewerkzeug wird.
Zu den Nachteilen der Minimalmengenschmierung gehört, dass die Maschinen stark verschmutzen und regelmäßig komplett gereinigt werden müssen, insbesondere wenn Aluminium- oder Guss-Werkstoffe zerspant wurden. Wie groß der Aufwand hierfür ausfällt, hängt davon ab, wie gut der Anwender die Technologie umgesetzt hat.
Während die Späne bei richtiger Prozessauslegung trocken sind und ohne Nachbehandlung recycelt werden können, müssen MMS-bearbeitete Werkstücke gereinigt werden. Abhängig vom Bauteil fällt der Aufwand dafür größer oder vergleichsweise gering aus.
Einen weiteren technischen Aspekt für die Renaissance der MMS-Technologie sieht Dr. Klaus Gerschwiler in den modernen Dosieranlagen für die Schmiermedien. Sie gewährleisten eine feinere, gezieltere und damit wirkungsvollere Aerosolzufuhr. „Das hat eine Untersuchung an unserem Institut gezeigt, die sich allerdings auf eine konkrete Anwendung bezog“, sagt der Leiter der Fachgruppe „Grundlagen der Zerspanung“ am Werkzeugmaschinenlabor (WZL) der RWTH Aachen.
Ein Zeichen des Fortschritts sehen sowohl Gerschwiler als auch Kalhöfer in der DIN 69090. „Diese seit Dezember 2011 gültige Norm definiert die Aerosolübergabe zwischen Maschine, Werkzeughalter und Schneidwerkzeugen. Sie hat dazu beigetragen, dass das Gesamtsystem mittlerweile zuverlässig arbeitet“, sagt Kalhöfer. Und Gerschwiler ergänzt: „Dass sich hier alle Beteiligten auf eine einheitliche Lösung einigten, zeigt mir: Es gibt hier einen Bedarf.“
Der Forscher verweist mit Respekt auf das Engagement der Industrie bei der praktischen Umsetzung der Technologie. „Was hier in Zusammenarbeit mit den Werkzeug- und Systemherstellern sowie den Schmierstofflieferanten erreicht wurde, nötigt einem schon Bewunderung ab.“ Gerade der Automobil- und Zulieferbereich mit Firmen wie Daimler, VW oder Bosch spielte hier eine Vorreiterrolle. Inzwischen werden Motorblöcke und Zylinderköpfe teilweise komplett mit MMS bearbeitet. „Diese Bauteile gehören aufgrund ihrer Komplexität, der Vielfalt der Bearbeitungen und der nötigen Präzision aus der Sicht des Fertigungstechnikers zu den besonders anspruchsvollen“, betont Gerschwiler.
Gerade die Großserienfertigung der Automobilindustrie eignet sich ideal für die MMS-Technologie, denn hier läuft ein einmal optimierter Prozess über längere Zeit stabil. „Für Betriebe, die heute nicht wissen, was sie morgen auf der Maschine haben, lohnt sich der hohe Aufwand für die Prozessoptimierung kaum“, sagt Gerschwiler. Dennoch könne man nicht sagen, dass MMS ausschließlich eine Technologie für Großbetriebe sei. „Überall dort, wo sich Operationen und Werkstoffe wiederholen oder große Serien zu fertigen sind, lassen sich die Potenziale nutzen. Das kann auch beim kleinen Zulieferer der Fall sein“, ergänzt Eckehard Kalhöfer.
Wurde zunächst vorwiegend Aluminium minimal geschmiert zerspant, so werden heute zunehmend auch anspruchsvollere Werkstoffe wie hochlegierte Stähle oder Titan bearbeitet. „Bislang erreichten wir alle Schnittwerte der Nassbearbeitung auch mit MMS. Insofern sehe ich kein großes Entwicklungspotenzial mehr hinsichtlich der Leistung“, sagt Maschinenspezialist Vogl. Auch die Verbreitung der Technologie sieht er bereits auf einem hohen Stand und rechnet nur mit einer leichten Zunahme des prozentualen Marktanteils. Etwa 15 % der von Grob ausgelieferten Maschinen haben eine MMS-Ausstattung.
Für Neueinsteiger und unerfahrene Anwender ist es wichtig, beim Ausarbeiten einer MMS-Strategie mit einem erfahrenen Technologiepartner zusammenzuarbeiten. Mapal beispielsweise bietet die komplette Planung und Auslegung des Prozesses inklusive der Lieferung von Spannvorrichtungen, NC-Programmen und Werkzeugen an. Zu den Kunden der Aalener gehört Punch Powerglide, ein Getriebehersteller in Straßburg. Die Franzosen suchten nach einer kostengünstigeren, effizienteren und umweltgerechteren Alternative für bisherige Nassprozesse und entschlossen sich, Aluminium-Gehäuseteile von 6-Gang-Automatikgetrieben minimal geschmiert zu bearbeiten. An den Werkstücken muss gebohrt, gefräst, gerieben und Gewinde-geschnitten werden. Die Mapal-Experten entwickelten einen Prozess und bearbeiteten die ersten 250 Bauteile in der Versuchsabteilung. Nachdem die Zuverlässigkeit der neuen Abläufe nachgewiesen war, wurden sie nach Straßburg verlegt. Punch bestätigt die um bis zu 95 % reduzierten Schmierstoffkosten und den um 25 % geringeren Energieverbrauch. Zudem sank die Taktzeit um 5 % und die Oberflächengüte der Bauteile stieg.
Doch Christian Schmidt betont: „MMS-Prozesse erfordern viel größere Sorgfalt vom Anwender als konventionelle Nass-Prozesse. Das Umstellen der Arbeitsabläufe setzt eine intensive Mitarbeiterschulung voraus. Die Beteiligten müssen verinnerlichen, dass der Prozess nur funktioniert, wenn alle Details harmonieren. Das beginnt schon bei der MMS-gerechten Konstruktion der Bauteile.“
Deshalb gibt Eckehard Kalhöfer vom SSF zu bedenken, dass die Frage, wo sich in der Fertigung Energie und Ressourcen einsparen lassen, nicht auf den eigentlichen Bearbeitungsprozess beschränkt bleiben dürfe. Insbesondere Unternehmen, die häufig wechselnde Werkstücke bearbeiten müssen, sollten sich auch andere Bereiche ihres Betriebs anschauen. So verbrauchten etwa die Intralogistik sowie die zentrale Halleninfrastruktur rund 25 % der nötigen Energie. „Optimierungspotenziale lassen sich hier meist einfacher auf die eigene Situation übertragen.“
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