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Zwischengas vorm nächsten Anstieg

Werkzeugmaschinen: Wieso die diesjährige EMO spannend werden dürfte
Zwischengas vorm nächsten Anstieg

Kurz vor der Krise oder knapp danach: Das sind die Phasen, in denen Ausrüstermessen wie die internationale Werkzeugmaschinen-Schau EMO sich regelmäßig wiederfinden. Prosperität wie in den Jahren 2004 bis 2008 dagegen ist die Ausnahme und hat die Platzhirsche scheint’s genügsam gemacht. Das entscheidende Plus an Innovation liefern zur 2009er EMO jedenfalls Unternehmen aus der vermeintlich zweiten Reihe.

Zum Ende der Talfahrt treten die meisten gern aufs Gas. Vor allem dann, wenn sich bereits die nächste Steigung ankündigt. Wie weit das tatsächlich Not tut, hängt von der Motorisierung ab. Werkzeugmaschinenbauer Emco jedenfalls verdoppelt dieses Jahr im Vergleich zur 2003er Ausgabe der Branchenschau EMO die Zahl seiner Innovationen. Konkurrent Hurco verdreifacht und Emag liegt irgendwo dazwischen. Europas Primus Gildemeister hingegen beschränkt sich auf die Hälfte und Haas, in den USA bedeutendster Anbieter von Metallbearbeitungs-Maschinen, kündigt nur mehr drei Neuerungen an. Branchengrößen wie das japanische Unternehmen Makino fehlen ganz auf der EMO. Die Messe wird kleinteilig, hat aber Esprit.

Denn so verschieden das Format und Portfolio der Aussteller ist, so schlüssig passen Zahl und Zeitpunkt der Präsentationen ins Innovationsschema ihrer Branche. Die Namen stehen hier beispielhaft. Die seit 1975 vom Verband europäischer Werkzeugmaschinenbauer organisierte Messe EMO – Exposition Mondiale de La Machine Outil – wiederum gilt als Standortbestimmung der Spänemacher-Technologie. 2009 findet sie vom 5. bis 10. Oktober in Mailand statt.
Ebendort hatte vor sechs Jahren noch Gildemeister – mit 1,9 Mrd. Euro Umsatz heute größter Hersteller Metall spanender Systeme – die Konkurrenz mit 40 neuen Maschinen pro Jahr mächtig unter Druck gesetzt. Das war zum Ende der Krise 2001/2002 und in ähnlicher Stimmung wie derzeit: Wenn auch nicht um zwei Drittel, so war doch auch vor 2003 war Absatz deftig eingeknickt. Allerdings war die wirtschaftliche Perspektive überschaubarer als derzeit und auch der Kreditapparat intakt. Gildemeister hatte damals die zweijährige Flaute genutzt sein Produktprogramm rundzuerneuern und ganz auf Verdrängung durch Innovation gesetzt.
Anders die Lage heute. 2008, in dem laut Konzernchef Rüdiger Kapitza „besten Geschäftsjahr der Unternehmensgeschichte“ hat das 6500 Mitarbeiter starke Unternehmen sich scheint’s verausgabt. Zwar setzen die Bielefelder mit 19 Neuentwicklungen immer noch die Messlatte zur weltgrößten Fertigungstechnik-Schau, halten sich im Vergleich zu den innovativen Vorjahren jedoch insgesamt zurück.
Hersteller Emag, mit 520 Mio. Euro Umsatz 2008 ebenfalls kein Leichtgewicht, stockt demgegenüber Jahr für Jahr auf. Trat der Salacher Konzern auf der 2003er EMO noch mit zwei neuen Maschinen nebst einer einzigen neuen Technologie auf, werden es dieses Jahr vier Maschinen und gleich drei neue Verfahren sein. Die 187 Mio. Euro schwere Emco-Gruppe in Österreich – Anfang des Jahrtausends noch mit vier Neuerungen vertreten – wartet 2009 mit gleich sieben Innovationen auf. Berarbeitungszentrenbauer Hurco wiederum legt im gleichen Zeitraum von drei auf acht Neuerungen zu.
Der Trend scheint offensichtlich. Nicht immer, aber immer öfter, kommt das Mehr an Innovation von den kleineren Herstellern. Denn ebenfalls nicht zwingend, dafür aber fast regelmäßig, entwickeln sie unabhängig von der Konjunktur ihr bestehendes Programm weiter, bis es zum oft bemühten qualitativen Sprung kommt. Oder anders: zur Innovation. Projekte im unmittelbaren Kundenauftrag kommen hinzu. Auch das für Werkzeugmaschinenbauer mit großen Serien kräftezehrende Servicegeschäft stellt sich anders dar: Upgrades oder weitere Anpassungen einer Applikation sind Engineering-Leistung und lassen sich als Projekt meist auch einfacher zwischenfinanzieren. Umgekehrt ist die Exportfähigkeit begrenzt.
Dass die Mehrzahl solcher Hersteller – je kleiner, desto wahrscheinlicher – sich neben den eigenen Ressourcen auf die Findigkeit ihrer Zulieferer stützt, nimmt dem Ergebnis nichts. Im Gegenteil begünstigt diese Arbeitsteilung das Zustandekommen von Innovation. Die Fertigungstiefen sind meist gering, die Rahmenverträge mit den Lieferanten Dank schmaler Stückzahlen überschaubar und relativ schnell zu kündigen.
Es ginge auch gar nicht anders: Als Produzent überwiegend nach Kundenwunsch optimierter Systeme brauchen die Betriebe den zeitnahen Zugriff auf die Entwicklungen Dritter. Der Innovationshebel wirkt zwangsläufig: Auch wenn die Werkzeugmaschine letztlich Mutter jedes Industrieprodukts ist, bleibt sie selber doch Kind klassischer Maschinenbaukunst. Und hier haben die Komponenten-Zulieferer in den vergangenen Jahren kreativ aufgerüstet.
Zählte das in München ansässige Europäische Patentamt EPO (European Patent Organisation) bei den Maschinenelementen im Jahr 2000 noch 2727 Anmeldungen, waren es 2008 bereits 3867. Im Bereich Messen und Prüfen – für Werkzeugmaschinenbauer wie -nutzer das Synonym für Automation und Prozesssicherheit – stieg die Zahl der Anmeldungen im gleichen Zeitfenster von 4808 auf 8206. Der Einbruch im Krisenabschnitt 2001/2002 fiel verhalten aus.
Anders bei den elektrischen Bauteilen: In diesem für die Antriebs- und Steuerungstechnik der Maschinen elementaren Sachgebiet sackten die Anmeldungen von 7052 im Jahr 2000 auf 6399 im Jahr 2002 ab, um dann ab 2003 fast linear bis auf 8901 Einreichungen 2008 zuzulegen. „Solche Wachstumsdellen entstehen im wirtschaftlichen Abschwung“, erklärt EPO-Präsidentin Alison Brimelow das Phänomen. Sie seien insoweit typisch. Umso stärker falle danach jedoch stets der Anstieg der Anmeldezahlen aus. So habe es in den 90er-Jahren im Nachgang zur weltweiten Rezession eine regelrechte Wachstumsexplosion bei den Patentanmeldungen gegeben.
Bosch, Siemens, Schaeffler und die ZF Friedrichshafen, sowohl Zulieferer des Maschinenbaus als auch der Automobilindustrie, gehören hier zur Prominenz. Laut Statistik des Deutschen Patent- und Markenamts in Berlin zählen sie auch zu den fleißigsten Anmeldern. Unterm Strich jedoch machen die großen Betriebe nur einen Bruchteil der Innovationsmasse aus.
Nach einer Untersuchung des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung (ISI) in Karlsruhe sind es gerade Klein- und Mittelbetriebe aus den Sektoren Werkzeugmaschine, Metallerzeugnisse und allgemeiner Maschinenbau, die die Technik vorantreiben. Steffen Kinkel, Leiter des ISI-Kompetenzzentrums Industrie- und Service-Innovation, hatte sich dazu durch die Patentlage mittelständischer Betriebe zwischen 2002 und 2004 gefräst, mithin genau in der jüngsten Übergangsphase von Krise zu Aufschwung. Das Fazit: Starke Mann-power und Aufwendungen für die Forschung und Entwicklung (F+E), so wie sie am ehesten Großunternehmen bereitstellen können, sind zwar wichtig, bestimmen aber letztlich nicht den Erfolg.
Entscheidend für das Zustandekommen innovativer Impulse sei vielmehr, welcher Anteil des Personals nicht nur unmittelbar mit der F+E befasst sei, sondern auch indirekt über kundenbezogene Konstruktion, Designarbeit und Gestaltung. „Bei dieser erweiterten Intensität an Innovations-Personal liegt der Maschinenbau auf Platz zwei noch vor dem Fahrzeugbau sowie der Chemie- und der Elektro-Industrie“, berichtet Wissenschaftler Kinkel. Die Untergruppen nicht weiter gefächert, hatten in der mittelständischen Branche rund 35 % aller Beschäftigten mit der Entwicklung zu tun. Allein der willkürlich definierte Bereich Medizin-, Mess-, Steuer- und Regelungstechnik sowie Optik stand besser da.
Indes verzichten größere Unternehmen immer häufiger drauf, ihre Entwicklungen abzusichern. Da sie 18 Monate nach der Anmeldung offengelegt werden müssen, finden potenzielle Plagiatoren in den Patentschriften bestens strukturierte Anregung zum Innovations-Diebstahl. Nach einer Studie des Verbands Deutscher Maschinen- und Anlagenbau e.V. (VDMA) in Frankfurt hatten vier Fünftel der Investitionsgüter-Betriebe unter Produktpiraterie zu leiden. Er rate seinen Mitgliedern nur noch dann anzumelden, wenn die Produkte komplexes Know-how voraussetzten, sagte VDMA-Hauptgeschäftsführer Hannes Hesse. Hersteller maßgeschneiderter Technik wären insofern weniger anfällig als solche, die Dreh-, Fräs- oder Schleifmaschinen in Serie produzieren. Pragmatische Lösungen wie die Integration von Knickarm-Robotern ins Werkzeugmaschinensystem sind gar nicht betroffen.
Der Nachdruck, mit denen Innovationen angepackt werden, richtet sich in erster Linie nach den Trends bei Export und den Ausrüstungsinvestition. Fallen hier die Kurven, haben EPO wie auch das Deutsche Patent- und Markenamt fürs erste Zeit, ihren Rückstand von hunderttausenden Anmeldungen aufzuarbeiten. Allerdings kaum für lange, dann greift der von Alison Brimelow beschriebene Aufzug-Effekt. Denn unabhängig von der Branche bleibt das Schema des Auf und Ab innovativer Leistungen gleich. So stiegen die Industrieausfuhren im Jahr vor jeder Rezession nochmals ordentlich an, analysiert Manfred Neumann, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Bonn die Lage. In der Krise selbst brächen sie dann bekanntlich ein, um kurz danach wieder in die Höhe und auf neuem Niveau weiter zu wachsen.
So war der Export vor dem Konjunktureinbruch 1966/1967 noch um 8,2 % angestiegen und mit ihm die Kurven der Patentämter. Unter der Krise waren die Ausfuhren um 6,4 % abgesackt um im Jahr darauf wieder abzuheben mit plus 3,1 %. Vergleichbar auch die Rezessionen 1993/1994 wie diejenige nach dem 11. September 2001 – letztere allerdings mit dem Unterschied, dass die Quoten für Export und Investgüter die folgenden zwei Jahre zunächst gleich blieben, von 2003 an allerdings mit bis zu 12,7 % jährlich fast schon explodierten. Der Produktionswert an Werkzeugmaschinen wuchs in diesen fünf Jahren über 50 %.
2009 nun werde der Export um ein Viertel in den Keller rutschen, nachdem er 2008 noch 2,7 % zugelegt hatte, prognostiziert Manfred Neumann. 2010 dann, wenn auch ausgehend vom Niveau der Jahrtausendwende, dürften die Exporte wieder kräftig steigen. Trotz Korrelation der Wirtschaftsschocks – immerhin knickt der globale Handel 2009 um 10 % ein – seien die Prognosen positiv.
Was aber macht Wissenschaftler und Innovations-Wächter wie Neumann und Brimelow so sicher, dass ausgerechnet die deutsche Industrie zeitnah wieder durchstarten kann? Nimmt man die Patentlage erneut als Indikator, ist Optimismus nicht zwangsläufig. So meldet das EPO, dass die Patentanmeldungen in den ersten Monaten des Jahres 2009 so stark zurück gegangen seien wie seit zehn Jahren nicht mehr.
Es muss an der Wandlungs- und Innovationskraft der Betriebe insgesamt, vor allem aber der von Klein- und Mittelunternehmen liegen. Die 2009er Ausgabe der EMO könnte dies belegen: Man startet durch vor der nächsten Steigung.
Wolfgang Filì Journalist in Köln

Marktchancen
Innovation ist ein hartes Geschäft. Anders als öffentlich wahrgenommen, tragen im Werkzeugmaschinenbau jedoch nicht Großbetriebe und Konzerne die Hauptlast der Entwicklung, sondern vielmehr der Mittelstand. Rund ein Drittel des Personals in Klein- und Mittelbetriebe hat direkt oder mittelbar mit Design, Konstruktion und der Gestaltung neuer Fertigungsmittel zu tun. In dieser Dichte liegt die Chance, in Echtzeit auf die Variablen des Markts zu reagieren.

„Krise und Innovation sind zwei Paar Schuhe“

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Nachgefragt

Herr Schäfer, wie weit hängt im Werkzeugmaschinenbau Rezession mit technischer Entwicklung zusammen?
Sicher gibt es Wechselwirkungen. Die Hersteller bringen ihre Technik in konjunkturell schwacher Zeit womöglich druckvoller weiter als unter Vollbeschäftigung. Ein Resultat wäre, dass sie im Aufschwung die Nase am Markt vorn haben. Einen prinzipiellen Zusammenhang sehe ich jedoch nicht.
Das Innovationsverhalten bleibt in jeder Konjunkturlage mithin gleich?
Meist ist es so, dass grundsätzlich innoviert wird wenn Kunden in guter Geschäftslage Lösungen fordern, mit denen sie besser und kostengünstiger fertigen können. Hier führt der Bedarf zur Innovation und nicht ein Mehr an verfügbarer Zeit. Hinzu kommt, dass jede Entwicklung Investitionen und Personalkapazität braucht. Brummt die Fabrik, stellen die Firmen sie eher bereit als bei Kurzarbeit.
Gibt es Beispiele?
Zwischen 2003 und 2008 ist die deutsche Branche um rund 50 Prozent gewachsen. In diesen Boomjahren gab es Neuerungen in sämtlichen Gebieten des Werkzeugmaschinenbaus.
Umgekehrt liegt die Entwicklungsarbeit in der Rezession danieder?
Auch in der jetzigen schwierigen Phase kündigen Hersteller Innovationen an – beispielsweise für die Messe EMO in Mailand. Letztlich aber entscheiden immer die Ausrichtung und Situation des einzelnen Unternehmens, wann es Neuentwicklungen auf den Markt bringt.
Inwieweit behält der Verband die Patentlage der Branche im Blick?
Der VDW verfolgt systematisch in einem so genannten Screening, welche neuen Patente und -anmeldungen die Interessen seiner Mitglieder berühren.
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