Die „Aachen-Dresden-Denkendorf International Textile Conference“ ist Europas größte Tagung für technische Textilien und so eine Art Trendbarometer für neue Entwicklungen und Forschungslösungen – auch außerhalb der Textilbranche. Sie hält Botschaften für verschiedene Anwendungsbereiche bereit. Gastgeber Professor Martin Möller, Chef des DWI – Leibniz-Institut für Interaktive Materialien e.V. in Aachen, sieht in den Kongressen an jährlich wechselnden Standorten eine „Diskussionsplattform zwischen Wissenschaft und Industrie, um den Prozess von der Idee bis zum Markt zu verkürzen“. Beispiele:
Die schon in Wearables, elektronischen Industriehandschuhen bis hin zu Smart Home-Tools verwendeten Smart Textiles haben noch eine zentrale Schwachstelle: Sie funktionieren oft nur mit externen Stromquellen. Das Leibniz-Institut für Photonische Technologien (IPHT) in Jena kommt mit einer Alternative nach Aachen: textilen Dünnschicht-Solarzellen auf Grundlage photovoltaischer Funktionsschichten.
Mit diesen autarken Energiequellen, die einen Wirkungsgrad von etwa 5 % erreichen, wird ein dritter Herstellungsweg nach den Solarzellen auf Waferbasis und den folienbasierten Solarzellen beschritten, erläutert IPHT-Mitarbeiter Dr. Jonathan Plentz. Über das SmartTex-Netzwerk Weimar soll das Prinzip nun Low-Power-Anwendern wie der Medizintechnik und Unterhaltungselektronik nahegebracht werden. Innovativ wie der Ansatz, so Plentz, sei auch die patentierte Verschaltung. Sie werde auf der Textilfläche „mitwachsend“ gleich im Herstellprozess integriert.
Auch das Bauwesen bekommt neue Impulse aus der Textilforschung. So wird die Smart Materials Division der Ettlin AG auf der Aachener Konferenz ein besonders leichtes wie dünnes Architekturgewebe vorstellen, dessen vier Haupteigenschaften so noch nie in einem Material vereint werden konnten: wasserabweisend, luftdurchlässig, UV-abschirmend und transparent. Das mit dem Karlsruher Institut für Technologie (KIT) entwickelte Beschattungs- und Witterungsschutzgewebe TransProof empfiehlt sich als Wetter- und Sonnenschutz ebenso wie für Zelte und Überdachungen.
Textile Schnüre werden zu Detektoren
Romstedt, Gehring & Werner bringt auf dem Kongress eine spezielle Sensorschnur in die Diskussion um smarttextile Mess- und Hilfsmittel ein. Der mit dem Sächsischen Textilforschungsinstitut Chemnitz entwickelte Hybridseil-Detektor mit integrierter Sensorik wird fugengenau verlegt und signalisiert aufsteigende Feuchte. Das als Produkt bereits verfügbare Messsystem funktioniert auch per Fernabfrage.
Mit ähnlicher Zielrichtung, nämlich eine Auflagedruckverteilung zu messen oder Feuchte zu detektieren, wird derzeit in deutsch-österreichischer Zusammenarbeit eine elektrisch leitfähige Viskosefaser entwickelt. Die Forschungsleiterin vom Textilforschungsinstitut Thüringen-Vogtland, Dr. Yvonne Zimmermann, verweist auf die hohe Flexibilität der damit wenig bruchanfälligen Faser. Aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnen, könne sie Verwendung in smarttextilen Heiz- und Leuchtsystemen finden beziehungsweise als Sensormaterial zum Einsatz kommen.
Mooswand schluckt Feinstaub
Von Europas größtem Standort der Textilforschung, den Deutschen Instituten für Textil- und Faserforschung Denkendorf (DITF), kommt eine mit Partnern entwickelte textile Moos-Wand zur Feinstaubbindung als Beitrag zur Luftreinhaltung in Innenstädten. Besonders das Graue Zackenmützenmoos eignet sich für die vertikale Begrünung, da es keine Erde braucht und an sonnigen Felsen wächst. Da die genügsamen Moose im leicht feuchten Zustand am meisten Feinstaub aufnehmen, wurde ein intelligentes textilbasiertes Modulsystem geschaffen. Es sorgt dafür, dass die Pflanzen bei wechselnden Umgebungsbedingungen wie Temperatur, Lichteinfall und Feuchtigkeit optimal versorgt werden. Auch eine textile Sensorik ist möglich, die die Moose überwacht und die einzelnen Module ansteuert.
Gold aus Abwasser dank Nanofasern
Das in der Textilforschung immer mehr ins Blickfeld rückende Urban Mining, also die Rückgewinnung von Edelmetallen und Seltenen Erden aus Industrieabwässern, wird von einer Methode aus dem DWI in Zusammenarbeit mit der Universität Bayreuth bereichert. Dabei geht es um Gold, das am Ende einer vollkommen neuartigen Filtration mit Nanofasern „selektiv und effektiv herausgefischt“ werden kann, wie Projektleiterin Dr. Helga Thomas erläutert. „Pro Kilogramm eingesetztem Fasermaterial können das schon 23 Gramm Edelmetall sein.“ Die Methode sei auch interessant für die Quecksilber-Rückgewinnung. Innovativer Kern ist ein In-Situ-Verfahren, mit dem die Nanofasern durch supramolekulare Selbstorganisation aus kleinen Bausteinen kostengünstig in einem Träger erzeugt werden können.
Zu den neuesten Textilentwicklungen für die Medizin, die auf dem Textilkongress in Aachen vorgestellt werden, gehören modifizierte Seide nach dem Vorbild der Spinne, künstliche Blutgefäße aus dem Verzweigungsflechter und Hohlfasern zur biologischen Regeneration.
Der Dialog-Kongress
Aachen-Dresden-Denkendorf International Textile Conference
Wann: 29. – 30. November 2018
Wo: Aachen, Eurogress
Programm-Download:
https://bit.ly/2PCvg6e
Kontakt: Dr. Bettina Krieg,
Tel. (0241) 80233-36