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Siemens-Netzwerk treibt digitale Transformation voran

Internes Netzwerk treibt bei Siemens die Digitalisierung voran
Kickstarter für den Technikkonzern

Der digitale Wandel braucht Beteiligung. Mit seinem Digi-Network hat Siemens ein Netzwerk mit Start-up-Kultur geschaffen, bei dem jeder seine Ideen einbringen kann – vom Azubi bis zur Führungskraft.

❧ Markus Strehlitz

„Wir hatten in einigen Software-Projekten in der SCM festgestellt, dass wir häufig nicht diejenigen erreichen, um die es eigentlich geht: die Menschen, die damit arbeiten müssen“, berichtet Thomas Holzner, Digital Procurement Disruptor bei Siemens SCM. „Es war, wie wenn man einen Eimer Wasser von oben ausgießt, doch das Wasser diffundiert und kommt nicht am Boden an.“

So beschreibt Holzner die frühere Situation im Supply Chain Management (SCM) bei Siemens. Das Ergebnis: Projekte, bei denen es um die Einführung einer neuen Software ging, gerieten ins Stocken – trotz Lasten- und Pflichtenheften, cross-funktionalen Workshops und Onboarding-Meetings.

Transformation von unten

Das sollten er und ein kleines agiles Team ändern. Das Prinzip sollte umgedreht, Ideen nicht mehr nur von oben nach unten entwickelt werden, sondern auch in die entgegengesetzte Richtung. Bottom up statt Top down.

„Wenn Sie mit Digitalisierung nicht den Zustand erreichen, dass das Leben für Ihre Mitarbeiter oder für die Organisation leichter, einfacher und besser wird, dann wird Digitalisierung auch irgendwann zur Last“, so Siemens-CPO Klaus Staubitzer vor zwei Jahren im Interview mit der Zeitschrift „Beschaffung aktuell“. „Und wenn sie zur Last wird, dann hat sie keine Akzeptanz und funktioniert auch nicht.“

Das Ergebnis dieser Überlegung ist das SCM Diginetwork. In diesem Netzwerk, das sich über die gesamte SCM-Funktion spannt, kann jeder teilnehmen und seine Digitalisierungsidee vorstellen. Das gilt für den Siemens-Azubi genauso wie für die Führungskraft. „Was uns als Team besonders am Herzen liegt: Wir möchten jedem Mitarbeiter die Chance geben, sich einzubringen“, sagt Holzner.

Das SCM Diginetwork existiert seit 2017. Alle vier bis sechs Wochen finden Treffen statt – vor Corona sowohl in digitaler als auch in der persönlicher Form. Dabei trafen sich die Netzwerker an wechselnden Orten, jeweils bestimmt von einem Teilnehmer. Das kann auch mal ein Siemens-Werk sein, um sich die dortigen Digitalisierungsprojekte anzuschauen. Seit Ausbruch der Pandemie gibt es nur noch virtuelle Treffen.

Konzept muss jeder verstehen

Die Hürden, um dort eine Digitalisierungsidee zu präsentieren, sind niedrig. Voraussetzung für ein Pitch ist lediglich, dass dieser eine Innovation enthält und sich auf ein SCM-relevantes Thema bezieht. Dazu füllt der Ideengeber einen so genannten One-Pager aus. Das Konzept muss also auf eine Seite passen. „Dieses muss so aufgebaut sein, dass es jeder versteht – vom Kindergartenkind bis zum Vorstand“, so Holzner.

Damit geht es dann in die „Höhle der Löwen“. Wie in der gleichnamigen Fernsehsendung wird die Idee im Kickstarter-Meeting präsentiert. Anschließend stimmen alle über sie ab. Auch dabei herrscht die absolute Gleichberechtigung. Jeder der Anwesenden hat genau eine Stimme – egal welche Position er im Unternehmen hat.

Findet sich eine Mehrheit für das vorgestellte Konzept, hat der Mitarbeiter drei Monate Zeit, einen Prototypen oder ein so genanntes MVP (Minimal Viable Product) zu entwickeln. „Das kann ein Stück Software sein, ein methodisch neues Konzept oder ein Trainingsprogramm“, erklärt Lien Kemper, Co-Founder des SCM Diginetworks.

Das Diginetwork ermöglicht den Zugang zu internationalen Kontakten, unterstützt beim Projektmanagement – und übernimmt die Hälfte der Kosten. „Wir sind so eine Art Schweizer Taschenmesser“, sagt Sören Heise, ebenfalls Co-Founder und Design-Thinking-Coach. „Wir beraten und wir helfen auch bei der Implementierung.“ So unterstützt das Netzwerk eine Startup-Kultur im Technikkonzern Siemens.

Netzwerk hat sich global ausgebreitet

Ursprünglich mit zwölf Leuten gestartet, finden sich mittlerweile mehr als 200 aktive Mitglieder im Diginetwork zusammen – und engagieren sich dort zusätzlich zu ihrem eigentlichen Job. „Das sind Mitarbeiter, die intrinsisch motiviert sind und aus allen Bereichen der SCM kommen“, so Priska Göbel-Ralph, ein weiterer Co-Founder. Mehr als 800 Siemensianer agieren als „family & friends“ und werden je nach Bedarf über Yammer aktiv.

Das Diginetwork hat sich von Deutschland aus global ausgebreitet. Mittlerweile sind Mitarbeiter aus vielen Ländern aktiv – zum Beispiel aus den USA, Großbritannien, Spanien und Indien.

Innerhalb des Netzwerks existieren verschiedene Communities, die sich mit unterschiedlichen Digitalisierungsthemen beschäftigen. Dazu gehören etwa Blockchain, Künstliche Intelligenz oder Themen rund um Mindsphere – der IoT-Plattform von Siemens. „Wir haben mittlerweile 25 Prototypen aktiv unterstützt, von denen 22 noch aktiv sind“, berichtet Holzner.

Blockchain unterstützt Tool-Management

Er nennt einige beispielhafte Projekte, die bereits aus den Kickstarter-Treffen hervorgegangen sind. Dazu zählt eine Lösung für das Tool-Management bei der weltweiten Wiederinstandsetzung von Kraftwerken.

Siehe:

Siemens bringt Transparenz in die Lieferkette

Die entsprechende Dokumentation läuft auf Basis der Blockchain. Wird ein Transportauftrag generiert, wird dieser automatisch in die Blockchain geschrieben. So haben alle beteiligten Partner – wie etwa ein Logistikunternehmen – Zugriff auf das Dokument und auf alle Papiere, die mit der Fracht verknüpft sind. Alle Änderungen werden für alle Berechtigten sichtbar festgehalten.

Auch in Sachen Künstliche Intelligenz (KI) wurden bereits einige Ideen aus dem Diginetwork umgesetzt. So berichtet Holzner von einem Projekt, bei dem der Abfall, der bei der Produktion von Plastikteilen entsteht, mithilfe von KI für das Recycling sortiert wird.

Es sind aber nicht nur Software-Lösungen, die aus dem Netzwerk heraus entstehen. So stellte ein Mitarbeiter aus dem Personalwesen ein Trainingskonzept vor, um im Unternehmen die für die Digitalisierung nötige Denkweise zu fördern. Die daraus entstandenen Workshops werden nun bei Siemens auf breiter Basis umgesetzt.

Prototyp im Praxistest

Doch auf dem Weg von der Idee bis zur fertigen Lösung gibt es auch Hürden. Wenn ein Prototyp funktioniert, wird die Idee an die Organisation übergeben – mit der Empfehlung, diese zu skalieren. Das bedeutet unter anderem, ein Berechtigungskonzept sowie Nutzermanagement umzusetzen und sich mit Cyber-Security-Aspekten zu beschäftigen. Erst dann zeigt sich, ob das ursprüngliche Kickstarter-Projekt auch alltagstauglich ist.

„Ich sehe das Diginetwork als Think Tank und Inkubator der Digitalisierung innerhalb der SCM-Community bei Siemens“, sagt Kemper. Entscheidend sei dabei die Learning-Culture, wie die Digitalisierungs-Expertin es nennt. Wer am Diginetwork teilnimmt, soll die Möglichkeit haben, Ideen zu entwickeln und daraus zu lernen – auch wenn nicht aus jeder Idee ein Prototyp oder eine fertige Lösung wird.

„Wichtig ist, dass alle auf Augenhöhe sind“, so Holzner. „Es wird nichts von oben herab verordnet. Wir geben Freiraum zum Austausch.“

Der Erfolg des Netzwerks ist auch im restlichen Siemens-Konzern angekommen. Beim Start des Diginetworks in Spanien und Großbritannien beispielsweise sprachen Mitglieder aus der obersten Siemens-Führungsetage.

Auch andere Geschäftseinheiten haben sich vom Diginetwork inspirieren lassen. So nutzt etwa der Siemens-Bereich Mobility den gleichen Set-Up, um eigene Digitalisierungsthemen voranzubringen. „Es geht gar nicht mehr nur um die Kickstarter-Projekte, die aus unseren Treffen entstehen – es geht um den Mindset“, meint Göbel-Ralph. Das Netzwerk bringt Botschafter für die Digitalisierung hervor, die das Thema weiter in den Konzern tragen.

Die Expertise ist überall gefragt

Das zeigt sich besonders seit Ausbruch von Corona. Denn auf die Frage, ob die Pandemie mehr Zeit für das Entwickeln von Ideen gebracht habe, können Holzner und das Diginetwork-Team nur lachen. Das Gegenteil sei der Fall. Die Erfahrung mit digitaler Zusammenarbeit war plötzlich sehr begehrt im Konzern. Und die besitzen die Diginetz-Leute. Bei den Treffen kommen nicht nur Webkonferenz-Tools zum Einsatz, sondern auch digitale Whiteboards, auf denen die Teilnehmer ihren kreativen Ideen freien Lauf lassen können.

Mit Beginn des Lockdowns kamen die Anfragen aus der Organisation. Dann hieß es: „Ihr seid doch vom Diginetwork. Ihr könnt uns doch helfen“, berichtet Holzner.

Die Digitalisierungsbotschafter sind nun für die SCM im gesamten Konzern global unterwegs, um die anderen Bereiche dabei zu unterstützen, virtuelle Meetings und Workshops in Online-Form umzusetzen – und damit die Digitalisierung methodisch und kulturell zu unterstützen. So sorgt das Diginetwork dafür, dass die vielen vorhandenen Digitalisierungsideen nicht mehr wie Wasser versickern, sondern auf fruchtbaren Boden fallen.

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