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Der Rechner generiert den Leichtbau Bei der neuen Wickeltechnologie „xFK in 3D“ ermittelt der Rechner die optimalen Lastpfade und lässt auf ihnen die Endlosfaser laufen, sonst gibt es kein Material. Es entstehen ultraleichte Strukturen.

Wickeltechnologie „xFK in 3D“: Material nur für Lastpfade
Leichtbau aus dem Nichts

Sind nur die Lastpfade einer Struktur aus Materie und sonst nichts, so liegt ein unschlagbar leichtes, luftiges Gebilde vor. Diese Idee setzt die Wickeltechnologie „xFK in 3D“ mit Endlosfasersträngen um, die aus Carbon oder anderen robusten Materialien („x“) bestehen. Die Entwickler schicken sich an, damit den Leichtbau zu revolutionieren. ❧

Olaf Stauß

Vor Rainer Kurek auf dem Messe-Tischchen der Composites Europe 2019 liegt ein unscheinbares Gebilde, vielleicht so lang wie eine PC-Tastatur und auch so leicht. Wie leicht genau, tut nichts zur Sache. Denn lasttragende ‚xFK in 3D‘-Teile wiegen oft nur einen Bruchteil dessen, was sie in herkömmlicher Bauweise auf die Waage bringen würden – und das lässt sich kaum generell quantifizieren. Das Wickelteil auf dem Tischchen jedenfalls ist nicht schwerer als eine leere Bierkiste, die für 20 kg Traglast konzipiert ist. Dieses ‚xFK in 3D‘-Bauteil jedoch ist für 4,3 t Zug und 3,4 t Druck ausgelegt! Es ist ein Motorenhauptlager für den Highend-Motorsport.

Es handelt sich dabei um das modernste ‚xFK in 3D‘-Teil überhaupt, das Rainer Kurek öffentlich zeigen darf. Er ist geschäftsführender Gesellschafter der AMC Automotive Management Consulting GmbH und derjenige, der diese Leichtbau-Innovation mit großer Energie vorantreibt. ‚xFK in 3D‘ bezeichnet der Branchen-Insider und Consulter als „Radikalinnovation“. Angesichts gesättigter Auto-märkte in Europa lautet seine „Arbeitshypothese Nummer eins“: „Inkrementelle Verbesserungen reichen nicht mehr aus. Wir haben hierzulande nur eine Chance, wenn wir radikal innovieren mit grundlegend neuen Lösungen.“

Die ‚xFK in 3D‘-Technologie ist eine solche Innovation. Weil de facto nur die Lastpfade materialisiert sind mit Fasern, führt sie zu rekordverdächtig hoch belastbaren Leichtbauteilen. Der Fertigungsprozess sieht dabei so einfach aus. Eine vereinfachende Video-Animation könnte ihn so präsentieren: Metallische Hülsen sind als Fixpunkte im Raum angeordnet, gehalten durch Werkzeuge. Ein Roboter fährt eine nach der anderen an und umwickelt sie mit harzgetränkten Endlosfaser-Rovings nach einem internen Plan, teils mehrfach. Die Hülsen werden zu Wickelknoten. Die Struktur wächst „in 3D“. Wo die Buchsen herausragen, wird das spätere Teil montiert.

In 77 Minuten von der Simulation zum geprüften Bauteil – vor Publikum

Die Struktur lässt sich sehr schnell fertigen. Beim Würzburger „Leichtbau-Gipfel“ 2016 stellte Rainer Kurek das Verfahren mit AMC-Technologieberater Peter Fassbaender und Dr. Ulrich Hindenlang vor, Chef des Ingenieurdienstleisters und Simulationsspezialisten Lasso. Die Besucher durften Traglasten vorgeben. Der Computer ermittelte dann Strukur und Wickelplan. Fassbaender wickelte das zu fertigende „Bracket“ auf der Bühne live von Hand. Hindenlang stellte den Auslegungsprozess vor und prüfte dann selbst die ausgehärtete Struktur. Die gesamte Prozedur von der Rechnung bis zur Zug-Prüfung dauerte nur 77 Minuten. Nur ein Jahr später hielt Airbus-Manager Peter Sander auf dem Leichtbau-Gipfel 2017 ein nach derselben Methode hergestelltes, 102 g leichtes Bracket in der Hand. Es hielt 3,5 t Zug- und 0,7 t Drucklast stand. Er meinte: „Etwas besseres habe ich noch nicht gesehen.“ Genial einfach, dieser Prozess?

Ein Paradigmenwechsel kündigt sich an: „Form follows Force“

„Genial einfach ist die Technologie im Blick auf das Bauteil“, stimmt Kurek zu – als Ergebnis eines auf dem Rechner entwickelten Entwurfs. „Wir haben bei xFK in 3D eine extrem hohe Flexibilität beim Gestalten von Geometrie und mechanischen Eigenschaften“, erläutert er. „Wir können die Fasern legen, wie wir wollen, auch mit kleinen Radien. Wir können auch die Steifigkeit gezielt einstellen, indem wir genau so viel Faser einsetzen wie nötig – und kein bisschen mehr.“ Wobei das „x“ für den variablen Fasertyp steht in ‚xFK in 3D‘. Nicht nur Carbon- und Glasfasern lassen sich einsetzen, sondern auch Aramid- und Basaltfasern. Sogar Naturfasern sind möglich – dies wäre eine noch stärker Ressourcen-schonende Variante für die Zukunft.

„Kompliziert und komplex ist die Technologie dort, wo wir die Struktur kraft- und spannungsoptimiert auslegen, also statisch und dynamisch simulieren“, setzt Kurek nach. Hier geht es ans Eingemachte. Die Struktur ist hybride und schließt – wie in den Buchsen – auch metallische und andere Bauteilkörper ein. An keiner Stelle darf die Endlosfaser unterbrochen werden. Vielfältige Aspekte haben Einfluss auf das Konstrukt. In die Rechnung fließt daher das Wissen aus unterschiedlichsten Disziplinen ein: Festigkeitslehre, Werkstoffwissenschaft, Fügetechnik, chemische Prozesstechnik, Physik und IT. Die Finite-Elemente-Methode ist umfassend gefordert – und zwar mit dem „radikal“ neuen Ansatz, dass FEM für das kreative Gestalten einer Struktur herangezogen wird und nicht nur zum Optimieren. Lediglich Randbedingungen wie der verfügbare Bauraum und das äußere Lastkollektiv sind vorgegeben, mehr nicht. „Form follows Force“ nennen Insider diesen Ansatz.

Bauteil-Strukturen wie beim Münchener Olympiadach

Kurek zählt Dr. Ulrich Hindenlang zu jenen Experten, die sich verdient gemacht haben für ‚xFK in 3D‘, weil er die Technologie in der Tiefe der Simulation auf den heutigen Stand gebracht hat. Hindenlang war als Schüler des FEM-Pioniers Professor Argyris schon an der Berechnung des Münchner Olympiadaches mitbeteiligt. Das Olympiadach ist ein schönes Bild dafür, was den Visionären auch bei ‚xFK in 3D‘ vorschwebt: dass die Simulation kreative Aufgaben übernimmt und zum Tool wird, das den „Leichtbau neu definiert“ mit hohen Gewichtseinsparungen – Form follows Force.

Bereits jetzt plant ein süddeutscher Automobilhersteller ein höchstbelastetes ‚xFK in 3D‘-Bauteil in sechsstelliger Stückzahl. 2020 startet die Produktion. Weitere sollen folgen im Markt, verrät Kurek. Mit Partnern und seinem Team arbeitet er seit Jahren daran, die Technologie zu industrialisieren. Mit welcher Konsequenz er dies tut, lässt erkennen, welch hohes Potenzial für den industriellen Leichtbau er erkannt hat. „Wir haben hohe Summen investiert“, sagt Kurek. Als persönliche Motivation nennt er „schon den Reiz, den Mount Everest zu besteigen“ – neben der Faszination an der Technologie und dem Ziel, ein neues Geschäftsmodell zum Erfolg zu führen.

Seit seiner Jugend als Praktiker, Ingenieur und Manager in der Automobilproduktion unterwegs, entdeckt Kurek 2014 in der Forschung den Ansatz zu ‚xFK in 3D‘. Er strengt breit angelegte Marktstudien an. Sie decken auf, was zur Industriereife noch fehlt, etwa hinsichtlich Simulierbarkeit, Reproduzierbarkeit oder Ästhetik. Sehr viel Grundlagenarbeit lässt er folgen, immer zusammen mit Partnern.

Die Industrialisierung hat begonnen

Heute ist die digitale Prozesskette geschlossen. Sie reicht von ersten Analysen über die Simulationen und Berechnungen mit Erstellen eines Wickelplans für eine Anwendung bis hin zur Fertigungsüberleitung durch den luxemburgischen Kooperationpartner Gradel. Die Multiplikation der Ultraleichtbau-Technologie in die Branchen ist voll im Gange. ‚xFK in 3D‘ ist eine Marke der AMC GmbH. „Wir sind nicht der Erfinder“, betont Kurek, „aber der Kopf, der alles professionalisiert und weiterentwickelt.“

Meist präsentieren Kunden ein Bauteil, das zu schwer ist und um ein Drittel oder mehr leichter werden sollte. Zunächst transferiert AMC die Ist-Struktur in eine grobe Soll-Struktur. „Auf Basis von statischen und dynamischen Berechnungen stellen wir dann früh ein Grundkonzept vor, wie eine hybride Multimateriallösung in xFK in 3D aussehen kann.“ Der Kunde entscheidet.

Aus Kapazitätsgründen bindet AMC zunehmend Partner in die branchenspezifischen Projekte ein und vergibt Lizenzen. Ein Beispiel ist der Ultraleichtbausitz, den mehrere KMU in eigener Initiative als eine Machbarkeitsstudie entwickelt haben – wir berichteten darüber in Industrieanzeiger 22/2019 (S. 32ff). Neben ‚xFK in 3D‘ sind in dem Sitz noch weitere Leichtbautechnologien verbaut. CSI Entwicklungstechnik, ein auf die digitale Entwicklung fokussierter Engineering-Dienstleister, koordinierte das Gesamtprojekt und übernahm auch die Entwurfsarbeit für die lasttragende ‚xFK in 3D‘-Struktur, unterstützt von AMC.

Dieser Sitz wurde inzwischen mit vier Preisen ausgezeichnet, darunter dem Altair Enlighten Award 2019 der Kategorie „The Future of Lightweighting“ – die Vision von Rainer Kurek gewinnt Kontur.

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