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Schlanke Linie

Intralogistik: Flexible Systeme drücken die Durchlaufzeiten
Schlanke Linie

Eine Schlankheitskur für die Förder- und Lagertechnik verspricht kurzfristig große Rationalisierungserfolge. Mit bereichübergreifenden Lösungen werden die Betreiber fit für den globalen Wettbewerb.

„Unser ursprünglicher Name LTW Lagertechnik GmbH war einfach nicht mehr zeitgemäß“, sagt Urs Gerber. Zusammen mit Konrad Eberle führt Gerber die Firma, die 1981 im österreichischen Wolfurt gegründet wurde und damals noch Lagertechnik Wolfurt hieß. Heute heißt das Unternehmen LTW Intralogistics GmbH. Dieser Name stelle das vom Markt geforderte Leistungsspektrum umfassender dar und werde zudem international verstanden. „Wir sind heute vor allem Generalunternehmer“, erläutert Gerber. „Die Kunden wollen das so, weil sie mit Supply Chain Management die gesamte Wertschöpfungskette im Griff haben möchten.“ Wenn alles aus einer Hand kommt, würden auch die Schnittstellen besser abgedeckt.

Dass die Arbeit an der Supply Chain wertschöpfend ist, zeigen Rationalisierungsprojekte, an denen das Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund mitgewirkt hat. So tat sich zum Beispiel bei der Heidelberger Druckmaschinen AG am Standort Wiesloch durch eine bessere Auftragssteuerung im Supply Chain Management eine wahre Goldgrube auf. Bezogen auf das gebundene Kapital ergaben sich Bestandseinsparung von 18 %, die Durchlaufzeit verkürzte sich ebenfalls um 18 %.
Die Voss Automotive GmbH in Wipperfürth, ein Hersteller von Leitungs- und Verbindungstechnik, strebt aktuell eine Bestandsverminderung von 10 % an. Der Fertigwarenbestand soll aufgrund kürzerer Reichweiten um 22 % sinken, so die Zielvorgabe im laufenden Projekt. Inzwischen wurde mit dem Bau eines neuen Lagers begonnen, das höhere Umschlagsraten gewährleisten soll.
Und bei der Ernst & Engbring GmbH & Co. KG im westfälischen Oer-Erkenschwick sollen die Bestände, bezogen auf das gebundene Kapital, sogar um 30 % sinken. Damit verbunden sind 30 % kürzere Durchlaufzeiten für die Herstellung kundenspezifischer Kabel für die Automobilelektronik, für Industrieroboter und Hörgeräte.
Selbst bei Massengütern lohnt sich das genauere Hinsehen bei der Versorgungskette. Mit 16 % weniger Erzbeständen kommt die ThyssenKrupp AG in Duisburg aus, weil Beschaffung und Disposition optimiert wurden.
Kein Wunder, dass sich die Lieferanten für optimierte Förder- und Lagertechnik vor Aufträgen kaum retten können. Weltweit kommen die Intralogsitik-Hersteller, zu denen auch Elektronikfirmen und Softwarehäuser gehören, auf einen Umsatz von über 150 Mrd. Euro. Deutschland ist in 2008 mit rund 20 Mrd. Euro dabei.
Manfred Wittenstein kennt den Grund für den Erfolg: „Das Zusammenspiel verschiedener Gewerke steigert die Effizienz entlang der gesamten Wertschöpfungskette“, sagte der VDMA-Präsident auf dem Materialflusskongress 2008 in München. Und Wittenstein hat auch bereits den Feind der modernen Intralogistik identifiziert: „Das sind Unternehmer, die sagen: Das haben wir schon immer so gemacht.“
Das Einsparpotenzial geht schon los mit der Produktionslogistik. Werner Klein, Geschäftsführer von der PSB Intralogistics GmbH in Pirmasens: „Unsere Kunden haben erkannt, dass hier erhebliche Einsparpotentiale liegen.“ Die Fertigung sei zwar mittlerweile auch bei mittelständischen Unternehmen zeitgemäß. „Die Logistik hingegen befindet sich oft noch auf dem Stand der neunziger, manchmal gar der achtziger Jahre“, weiß Klein, dessen Unternehmen 2007 marktkonform in PSB Intralogistics umbenannt wurde.
„Wir straffen die die Supply Chain unserer Kunden“, versichert Werner Klein. Unter dem globalen Wettbewerbsdruck würden die Unternehmen auf Bestandsverminderung, kürzere Durchlaufzeiten und optimale Nutzung der Produktionsmittel setzen. „Die Investition muss sich schnell amortisieren und sie muss flexibel genug sein, damit sich mit der Technik auch nach Jahren noch völlig neue Prozesse abbilden lassen“, so Klein.
Die Produktionslogistik ist oft an die Kommissionierung gebunden, etwa durch auftragsgerechte Artikelzuführung an die Produktionslinien. Die Automotive-Branche setzt auf Just-in-Time und Just-in-Sequence. Wenn das Lager als Teil eines Kommissioniersystems dient, lassen sich zusammen mit ergonomisch gestalteten Kommissionierplätzen weit über 1000 Picks/h erreichen. „Tausend Picks pro Stunde wird am Markt oft als Standard gehandelt“, weiß PSB-Chef Klein. „Auch wir haben damit geworben.“
Der Mensch als Ressource im Lager ist den Unternehmen nach wie vor lieb – und teuer. „Beim Automatisierungsgrad geht es immer darum, Wirtschaftlichkeit, Flexibilität und Marktpotential des Betreibers abzuwägen“, so Manfred Schleicher, Prokurist bei der SSI Schäfer Noell GmbH in Giebelstadt. Es bleibe also eine unternehmerische Entscheidung, wie weit die Automatisierung gehen soll. Schleicher: „In der Planungsphase werden natürlich alternative Lösungsansätze durchgerechnet.“ Einen Trend zu mehr manueller Tätigkeit sieht Schleicher nicht. Zwar werden vor allem Einzelstücke seiner Ansicht nach auch in Zukunft noch manuell gehandhabt. Bei kubischen Produkten und Kartons könne jedoch der Roboter zum Einsatz kommen.
Generell rechnet sich laut Schleicher eine starke Automatisierung, wenn der Planungshorizont etwa 5 Jahre beträgt. „Für einen Dienstleister, dessen Kontrakt nur eine relativ kurze Laufzeit hat, lohnt sich eine solche Investition kaum“, betont der Prokurist. Schließlich müsse er damit rechnen, morgen ganz andere Waren und Palettengrößen zu fahren.
„Es handelt sich hier um ein grundsätzliches Problem der Optimierung“, sagt Manfred Schleicher. Wer die Wertschöpfungskette kosteneffizient machen wolle, könne seine Förder- und Lagertechnik natürlich ideal auf den exakten Einsatzzweck zuschneiden. Dann aber sei die Flexibilität nahezu Null. „Ändern sich Stückzahl, Frequenz oder Produktspektrum, ist eine Anpassung sehr teuer“, warnt Schleicher. Flexible Systeme seien im Betrieb zwar kostenintensiver, ließen sich aber leichter auf neue Anforderungen einstellen.
Auch Stefan Brenner, Geschäftsführer der AMI Förder- und Lagertechnik GmbH in Alpenrod im Westerwald, kennt die hohen Anforderungen an die Flexibilität: „Unsere Kunden wollen Allroundlösungen, die nicht nur schneller sind und den Durchsatz steigern. Sie sollen sich zudem leicht und zeitsparend umrüsten lassen.“ Nur so könnten die Kunden ihre Produktionssicherheit bei steigendem Preisdruck gewährleisten und Kommissionierung, Transport und Handling automatisieren. Auf diese Weise ließen sich Einsparungen im zweistelligen Prozentbereich erreichen.
Die Logistikanwender freuen sich nicht nur über einen schnelleren Transport durch die Wertschöpfungskette, sondern auch über die intensivere Nutzung von Produktionsflächen. So wurde beim Kunststoff-Zulieferer Clariant Masterbatches GmbH in Lahnstein die Palettenförderanlage auf einer Bühne installiert und so Raum für die Fertigung geschaffen.
Auf einen ähnlichen Dreh kam die Servus Robotics GmbH aus dem österreichischen Dornbirn bei der Rafi GmbH & Co. KG in Berg bei Ravensburg. Bei dem Hersteller von elektronischen Bauteilen wurde das Transportsystem unter der Hallendecke installiert. Der Workflow führt von den automatischen Lötstationen zu den Prüfplätzen. Fehlerhafte Leiterplatten werden von dort automatisch zur Reparatur gebracht.
Mit dem Scannen der Leiterplatten ist automatisch das Routing definiert. Die Warenträger fahren autonom auf Schienen und kommunizieren miteinander über Infrarot. Es gibt keine zentrale Steuerung, aber die Software „Manhattan“ kennt das Straßennetz. „Eine solche Anlage ist einfach zu skalieren und lässt sich an die jeweiligen Produktionsbedürfnisse anpassen“, so Christian Beer, geschäftsführender Gesellschafter von Servus Robotics. Mit der Zahl der Transportroboter und der versetzbaren Lifte an den Arbeitsplätzen, die zudem automatisch erkannt werden, könne man den optimalen Automatisierungsgrad einstellen.
Solche kleinen autonomen Fahrzeuge, die die Fabrik vernetzen wie automatische Flurförderzeuge, werden vorteilhaft auch bei der Kommissionierung eingesetzt. Auf diese Weise sorgt zum Beispiel das PTS Picking Tray System der Savoye GmbH aus Mönchengladbach für Flexibilität und Verfügbarkeit. Die Shuttles verbinden Arbeitsplatz und Lagerfächer. Mit ihrer fördertechnischen Funktionalität übernehmen sie die Versorgung und Entsorgung von peripheren Bereichen.
Über einen Aufzug am Anfang einer Gasse gelangen die Shuttles in die richtige Regalhöhe. Dort fahren sie autonom ohne Kabel oder elektrische Schiene hinein. Ihr Gleichstrommotor wird von einem Superkondensator gespeist, der sich während der kurzen Liftfahrt immer wieder auflädt. Pro Regalgasse lassen sich mehrere Fahrzeuge gleichzeitig einsetzen. Die sinnvolle Anzahl hängt von der Gassenlänge und der benötigten Leistung ab. Eine Frequenz bis zu 800 Auftragspositionen pro Stunde ist realistisch.
„Unser System ist eine modulare Lösung, die sich einfach in neue oder bestehende Anlagen integrieren lässt“, sagt Martin Bitz, Vertriebsleiter Deutschland von Savoye. Man könne damit zum Beispiel einen bestehenden Fachbodenkommissionierbereich ersetzen. Neben der Kommissionierung sieht der Savoye-Manager Sortierpuffer oder Retourenabwicklung als weitere Anwendungen. Die Aufgaben erhalten die Fahrzeuge über WLAN. Jedes Tablar trägt einen RFID-Tag. Damit lässt sich kontrollieren, ob es sich um das richtige Produkt handelt.
Während das PTS-Fahrzeug von Savoye seine Zieladresse drahtlos über ein lokales Funknetz erhält, bestimmt bei dem Montrac-System der Montech AG aus dem schweizerischen Derendingen die transportierte Ware den Weg, die dafür mit einem RFID-Tag ausgestattet ist. Der Transponder kommuniziert mit dem so genannten Shuttle-Modul, quasi dem Taxifahrer im Fahrzeug. Dies wiederum ist über Infrarot mit den Routing-Modulen an der Fahrbahn verbunden, die mit Wegweisern verglichen werden können. So findet der Shuttle mit dem Werkstück automatisch sein Ziel.
„Mit dem RFID-Shuttle können Produkte während der Fahrt ausgetauscht werden und fahren danach aufgrund der neuen Kennung an den richtigen Zielort“, versichert Alessandro Sibilia, CEO Montech. „Logistik- und Produktionsprozesse sind in der Regel bis auf die letzte Sekunde optimiert“, gibt Alessandro Sibilia die Vorgaben seiner Kunden wieder. „Kein Produkt soll an irgendeiner Stelle im Ablauf warten müssen.“
Siegfried Kämpfer Journalist in Solingen
Straffe Supply Chain für mehr Wettbewerbsfähigkeit

Neue Technologien
Während die Fertigung in den Unternehmen in der Regel dem Stand der Technik entspricht, befindet sich die Logistik oft noch auf dem Stand der neunziger, manchmal gar der achtziger Jahre. Eine Verjüngungskur für die Intralogistik ist angesagt. Mit neuen Technologien lassen sich Durchlaufzeiten um bis zu 30 % drücken. Das kann entscheidend sein, denn nur wer liefert, macht das Geschäft.

„Wer liefern kann, macht das Geschäft“

Nachgefragt

Herr Hahn-Woernle, wie viel Automatisierung braucht die Intralogistik?
So viel, um reproduzierbare Prozesse sicher und fehlerfrei abarbeiten zu können, ohne dabei die Flexibilität der Anlagen einzuschränken. Es ist die ureigenste Aufgabe der Intralogistik, Prozesse kostengünstig zu machen. Gerade das Zusammenspiel von Software und Mechanik führt zu besonders effizienten und ergonomischen Lösungen.
Kann ein mittelständisches Unternehmen den Einstieg in eine effiziente Logistik schaffen?
Gerade die mittelständischen Firmen sind innovativ und entwickeln zukunftsweisende Lösungen. Wir haben Lager für kleine Mittelständler gebaut, die später aufgrund ihrer hohen Lieferfähigkeit zu großen Mittelständlern geworden sind. Standardisierte Lösungen helfen beim Einstieg in die automatische Lagertechnik.
Viele große Unternehmen haben bereits früh ihre Hausaufgaben gemacht. Sind die deswegen dem wachsenden Globalisierungsdruck gewachsen?
Ich bin mir nicht sicher, ob es die großen Unternehmen sind, die ihre Hausaufgaben gemacht haben. Hier reicht ein Blick in die Automobilindustrie. Von einer reibungslosen Intralogistik profitiert jeder, egal ob Mittelstand oder Konzern. Es ist doch so: Wer liefern kann, macht das Geschäft. Gerade deshalb wird es jetzt für viele Firmen höchste Zeit, ihre Intralogistik kritisch zu prüfen und die Anlagen einer Verjüngungskur zu unterziehen.
Wo klemmt es denn?
Viele Warehouse-Management-Systeme beispielsweise sind seit zehn Jahren oder noch länger nahezu unverändert in Betrieb. Sie sind unflexibel bei Prozessänderungen, die Verfügbarkeit der Hardware ist auch nicht mehr optimal. Mandantenfähigkeit, belegloses Kommissionieren oder Staplerleitsysteme sind heute Standard. Vor zehn Jahren waren das Fremdwörter – aber aus dieser Zeit stammen die Systeme.
Lassen sich solche Anlagen modernisieren und fit machen für Zukunft?
Nach einer Modernisierung hat der Betreiber für die nächsten Jahre erst einmal Ruhe. Doch die Entwicklungen gehen weiter. Ein Trend geht in Richtung Robotereinsatz, da sich Sensorik, Software und Greifertechnik rasant entwickeln. Vollautomatisches Kommissionieren haben wir auf der letzten CeMat vorgestellt. Bei RFID hoffe ich auf die Zukunft. Die Technik wird in der Produktionslogistik schon länger eingesetzt. Ich sage mal so: Die Intralogistik ist reif für RFID, aber RFID ist noch nicht reif für die Intralogistik.
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