Startseite » Technik »

Nie wieder schmieren

Kunststoff-Gleitlager: geräuschlos und günstig
Nie wieder schmieren

2017 produzierte Igus eine Milliarde Kunststoff-Gleitlager und wird diese Marke 2018 überschreiten. Wie hoch ist das Gesamtpotenzial des Maschinenelements? Igus-Chef Frank Blase antwortet mit einer Gegenfrage: Wie groß ist der Wälzlagermarkt? ❧

Olaf Stauß

Ein Augenzwinkern war schon dabei, als Blase so antwortete, Geschäftsführer des Familienunternehmens mit Sitz in Köln. Doch hinter der Pointe steckt eine Wahrheit: Als Igus in den 80er-Jahren mit Gleitlagerelementen aus Kunststoff begann, wurde der „Plastik-Werkstoff“ belächelt. Doch seither haben Igus-Gleitlager unzählige Wälzlager ersetzt. Ihr Produktiosvolumen ist auf heute über eine Milliarde gewachsen. Es gibt wohl keine Branche, in der sie sich nicht finden. Der Grund sind die Vorteile des Materials.

Kunststoff-Gleitlager schmieren sich selbst, darum sind sie wartungsfrei. Im Vergleich zu metallischen Lagern sind sie leicht, unempfindlich gegen Schmutz, geräuscharm, korrodieren nicht, halten hohen Kräften stand und kommen auch mit inhomogen verteilten Lasten klar, weil in ihnen kein Schmiermittel verdrängt wird. Und sie sind wesentlich günstiger. „In schlechten Zeiten wachsen wir mit unseren Gleitlagern sogar stärker, weil die Kunden gezielt nach Möglichkeiten suchen, Kosten zu sparen“, sagt der charismatische Sohn des Firmengründers.

Die Strategie, neue Anwendungen zu erschließen, hat sich seit den Anfängen bei Igus nicht verändert. René Achnitz, Leiter des Geschäftsbereichs Iglidur-Gleitlager, nennt dafür eine Grundformel, nach der die Kölner bis heute handeln, wenn Anwender sie mit Problemstellungen konfrontieren: „Zuhören, verstehen und dann entwickeln. Daraus ergibt sich Vielfalt.“ Bei neuen Entwicklungen wählen die Ingenieure aus allen technischen Kunststoffen das jeweils am besten geeignete Material aus. In der tribologischen Optimierung können sie die Lebensdauer dann in der Regel vervielfachen. Inzwischen sind 17 Standardwerkstoffe in mindestens 113 Abmessungen ab Lager erhältlich. Daneben gibt es 51 weitere Katalogwerkstoffe – eine Zahl, die jährlich zunimmt. Die Anforderungen sind so unterschiedlich wie die Anwendungen. Duschkabinen und Prothesen gehören zu ihnen ebenso wie Pumpen, Heizventile, Geschirrspüler, Kühlschränke oder auch Bürostühle.

Schmierfreie Lager in Pflügen und Eggen

Die im Markt bewährten Anwendungen sind die beste Werbung. Deswegen lud Igus kürzlich Fachjournalisten nach Köln und zum Besuch beim Landmaschinenhersteller Lemken in Alpen ein, rund hundert Kilometer entfernt. Lemken stellt landwirtschaftliche Geräte für Bodenbearbeitung, Aussaat und Pflanzenschutz her und beschäftigt derzeit 1400 Mitarbeiter weltweit. Lars Heier, Leiter Produktmanagement, empfängt uns in der „Agro-Farm“ – einem Präsentationsgebäude, dem ein „früherer Kuhstall gewichen“ ist. Er lässt keinen Zweifel daran, dass landwirtschaftliche Geräte härtesten Anforderungen ausgesetzt sind mit Bodenbeschaffenheiten zwischen hart-gefroren und nass-aufgeweicht.

„Im Prinzip lockern und verdichten wir die Böden im Wechsel. Sie müssen sich vorstellen, dass brutal hohe Kräfte wirken. Da wird ein Stück Eisen mit roher Gewalt durch den Boden gezogen, der mit Steinen und anderem angereichert ist.“ Stößt ein Stein an die Schar des Pflugs, können Kräfte bis 7 kN auftreten, bevor der Auslösemechanismus des Blatts in Gang kommt – je nach dem, welche Parameter der Landwirt wählt. Durch solche Kräfte entsteht Verschleiß, von dem auch die Lager bedroht sind. Heier nennt eine Faustformel: Die Kosten für einen Pflug fallen in mindestens derselben Höhe noch einmal für Verschleißteile an.

Kunststoff-Gleitlager ersparen den Landwirten täglich eine Stunde Arbeit

Vor zehn Jahren setzte Lemken erstmals schmierfreie Iglidur-Gleitlager ein. Es begann mit dem Intensiv-Grubber Karat 9, der zwischen 5 und 30 cm tief in den Boden eindringt. Stößt er auf größere Steine, lösen wartungsfreie Überlastelemente die Zinken aus. Kraftinduziert weichen sie nach hinten und oben aus und kehren automatisch in die Arbeitsposition zurück. Wartungsfrei wird das Überlastelement durch Iglidur G, ein schmierfreies Standard-Gleitlager von Igus mit einer Druckfestigkeit von 80 MPa. „Mangelschmierung war früher ein echtes Problem“, erklärt Heier. „Mit metallischen Lösungen mussten die Lagerstellen einmal am Tag abgeschmiert werden, damit sie ihren Dienst richtig tun. Das macht bis zu einer Stunde Arbeit pro Tag aus.“ Heute müssen lediglich alle paar Jahre die Gleitlager ausgewechselt werden, je nach Belastung.

Der Landmaschinenbauer rüstet immer mehr Lagerstellen mit Iglidur-Gleitlagern aus. In der Agro-Farm zeigt uns Lars Heier eine Kurzscheibenegge, bei der die Kunststoff-Gleitlager 24 konventionelle Taschenlager ersetzen. Am hochgestellten Gerät sind die Stellen nur schwer zu erreichen – das frühere Schmieren war zeitaufwändig und verletzungsgefährlich. Außerdem konnten Fett- und Ölrückstände auftreten, die im Boden nichts zu suchen haben. Damit ist nun Schluss. Unseren Besuch begleitete auch Uwe Sund, Landwirtschaftsexperte bei Igus. Im Vorbeilaufen zeigt ihm Heier eine weitere Lagerstelle, die noch konventionell bestückt ist: „Darüber könnten wir uns auch mal Gedanken machen.“ Die Zusammenarbeit läuft immer gleich ab: Igus testet Werkstoffe ausgiebig im heimischen Labor und ermittelt Kennwerte in Kombination mit verschiedenen Wellenmaterialien; Anwender Lemken testet die Produkte speziell für die eigenen Anforderungen.

Online-Tools berechnen die Lebensdauer

Selbstverständlich gibt es auch Einsatzgrenzen für Iglidur-Lager. Sie sind dort, wo Betriebstemperaturen die thermische Belastbarkeit der Kunststoffe überschreiten oder wo sehr hohe statische Lasten auftreten – deswegen nimmt CEO Frank Blase wohl auch nicht ernsthaft den kompletten Wälzlagermarkt ins Visier. Auch die erreichbare Präzision gleicht nicht der von Metall-Wälzlagern. „Natürlich gibt es keine spielfreien Gleitlager“, räumt Geschäftsbereichsleiter René Achnitz ein. „Aber in vielen Anwendungen braucht es absolute Spielfreiheit gar nicht. Meist ist diese Forderung eine Gefühlssache.“

Bei „Präzision“ denken die Igus-Ingenieure eher an die Genauigkeit der Lebensdauer-Berechnungen. Sie sind der Ehrgeiz von Igus. 10 000 Tests pro Woche liefern die Datenbasis, sagen sie. Die Online-Tools berechnen auch additiv gefertigte Lager: Seit der Hannover Messe 2018 schließen sie in die Lebensdauer-Voraussagen alle sechs Gleitlager-Werkstoffe ein, die für den 3D-Druck-Service konzipiert sind.

Unsere Whitepaper-Empfehlung
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 6
Ausgabe
6.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de