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Offshore-Gründungsstrukturen autonom überwachen

Instandhaltung auf hoher See
Offshore-Gründungsstrukturen (autonom) überwachen

Am Dresdner Fraunhofer-Institut für Keramische Technologien und Systeme IKTS wurde ein Messsystem entwickelt, das an der Gründungsstruktur von Offshore-Anlagen fest installiert wird und diese dauerhaft überwacht. Das reduziert den Aufwand für kostenintensive Vor-Ort-Einsätze und damit die Wartungskosten.

Tino M. Böhler
Freier Journalist in Dresden

Mit dem Aufbau Erneuerbarer Energien nimmt die Anzahl von Offshore-Windenergieanlagen weltweit kontinuierlich zu. Aufgrund rauer Witterungsbedingungen sind Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten auf hoher See deutlich schwieriger. Das verursacht erheblich höhere Betriebs- und Wartungskosten, als vergleichbare Windparks an Land. So kostete 2018 eine Kilowattstunde Windstrom mit durchschnittlich elf Cent fast doppelt so viel wie eine an Land generierte. Zu den größten Kostentreibern gehören die Wartungskosten. Der Gesetzgeber fordert hier, dass mindestens 25 % der Anlagen eines Windparks pro Jahr gewartet werden. Jede Windkraftanlage muss also rein rechnerisch alle vier Jahre kontrolliert werden. Vor allem die Prüfung der metallenen Verankerungen am Meeresgrund, der sogenannten Gründungsstrukturen, ist aufwendig und nicht zuletzt auch gefährlich.

Die erschwerten Bedingungen auf hoher See lassen eine Detektion von Schäden mit konventionellen Prüftechniken nur begrenzt zu. Da enorme Kräfte, wie das Eigengewicht der Windkraftanlage, die Strömung des Wassers oder die Kraft der Wellen in Verbindung mit dynamischen Lasten während des Betriebs der Anlage, auf die Gründungsstruktur wirken, können Schäden wie zum Beispiel Schweißnahtrisse entstehen. Um diese zu detektieren, hat das Fraunhofer IKTS speziell für den Offshore-Bereich eine Sensormanschette entwickelt. „Die Baltic-Taucher aus Rostock sind an uns herangetreten, da es keine praktikable Möglichkeit der Schweißnahtüberwachung von Windenergieanlagen gab“, sagt Dr. Bianca Weihnacht vom Institut.

Enorme Kräfte der Wellen belasten die sensorischen Messsysteme

Die Sensormanschette wird wie ein Ring direkt und dauerhaft an stark belasteten Bereichen von Gründungsstrukturen – beispielsweise Schweißnähten – angebracht. „Damit beeinflusst von außen aufwachsendes Biomaterial die Messungen weit weniger und die kräftezehrende und zeitaufwendige manuelle Säuberung der Messstellen durch Taucher entfällt“, zählt IKTS-Forscherin Weihnacht ein paar Vorteile der als CoMoBelt bezeichnete Manschette auf. In die Manschette sind Sensoren integriert, die abwechselnd jeweils als Sensor oder Aktor agieren. Das heißt, sie sind in der Lage, spezielle Ultraschallwellen auszusenden oder zu empfangen. Durch das Reflektionsmuster dieser Wellen im Material lassen sich Schädigungen, wie Schweißnahtrisse, erkennen.

Neben Biomaterial werden auch das korrosive Salzwasser und die enormen Kräfte der Wellen zur Belastung für die sensorischen Messsysteme. Bianca Weihnacht erläutert die Herausforderungen: „Um dauerhaft unter Wasser messen zu können, muss die Sensormanschette den harschen Umweltbedingungen standhalten. Deshalb werden die Sensoren einlaminiert. Die entstehenden Barriereschichten schützen die Sensoren vor eindringendem Meerwasser. Das funktioniert jedoch nur mit flachen elektronischen Komponenten, die wir eigens dafür entwickelt haben. So werden in die Sensormanschette beispielsweise flache Spulen für die Energieübertragung integriert.“

„Attraktivität der Windkraft weiter stärken“

Zu den weiteren Vorteilen der Manschette zählen die permanente Installation (wächst ein), perspektivisch keine Taucher mehr im Einsatz (weniger Risiken) sowie kürzere Prüfintervalle an kritischen (reparierten) Hotspots. Zudem ist die Manschette laut Dr. Bianca Weihnacht „deutlich sensitiver und objektiver als derzeit eingesetzte Standardverfahren mit Sichtprüfung“.

„Mit der Sensormanschette leisten wir künftig einen aktiven Beitrag zur Erhöhung der Betriebssicherheit und Senkung der Wartungskosten von Offshore-Windenenergieanlagen“, fährt die Forscherin fort. „Durch intelligente Wartungskonzepten wie der Sensormanschette wird es gelingen, die Attraktivität der Windkraft weiter zu stärken“, betont Weichnacht. Damit rücke auch das große Ziel der Bundesregierung für 2030 in greifbare Nähe: Der Anteil der erneuerbaren Energien am Strommix soll auf 65 % steigen – ein Großteil davon wird Windenergie sein.

Hinzu kommt der Aspekt des Return-on-Invest. Ein Tauchschiff zur visuellen Inspektion der Anlagen durch Taucher kostet etwa 65.000 Euro am Tag. „Aus unserer Sicht ist ein Potential von fünf bis zehn Prozent der Kosten für die Sensormanschette im Vergleich zum Tauchschiff vorhanden. Dafür suchen wir jedoch noch die richtigen Investoren, mit denen wir diese Ziele erreichen können.“

Serienreife haben die Wissenschaftler bisher noch nicht erreicht. Hier fehlen insbesondere noch die Zuverlässigkeitsuntersuchungen, dass die Manschette auch 10 Jahre hält. „Begonnen haben wir vor etwa sieben Jahren mit diesem Thema und den ersten Entwicklungen. Bisher wird die Manschette noch in Einzelfertigung hergestellt. Zukünftig sehen wir die Notwendigkeit der Serienfertigung, für die wir – wie bereits gesagt – noch Partner und Investoren suchen“, so Weihnacht zum aktuellen Stand.

Die Manschette wird derzeit auch ausschließlich im Bereich Forschung & Entwiclung (F+E) eingesetzt. „Wenn es uns gelingt, zukünftig Unternehmen für die Technologie zu begeistern, könnte die Entwicklung zügig in 12 bis 24 Monaten final abgeschlossen werden.“ Die Überwachungstechnologie ist derzeit noch nicht final in den VDI-Regelwerken für Offshore verankert. Der aktuelle Entwurf zeigt potenziellen Anwendern jedoch schon die Möglichkeit: Die VDI-Richtlinie 4551 – bis jetzt noch als Entwurf – trägt den Titel ‚Strukturüberwachung und -beurteilung von Windenergieanlagen und Offshorestationen’ und enthält Beurteilungs- und Bewertungskriterien sowie Handlungsanleitungen für die Überwachung der Tragstrukturen von Onshore- und Offshore-Windenergieanlagen sowie von Offshore-Plattformen.

KI und Machine Learning auf dem Radar

Das IKTS hat dieses Offshore-Konzept auch für Kunden aus der Öl-, Gas- und chemischen Industrie adaptiert und ist aktuell dabei, die Lösung kundenspezifisch dafür anzupassen. Hier steht die Unterwassertauglichkeit jedoch noch nicht im Fokus. Hier sieht Bianca Weihnacht heute schon Möglichkeiten der Weiterentwicklung: „Die Manschette mit dem Markenname CoMoBelt ist an kritischen Stellen angebracht, ein Autonomous Underwater Vehicle fährt diese ab und sammelt autonom Daten, die dann an Land gebracht werden.“ Die Verarbeitung erfolge ebenfalls automatisch und der Windparkbetreiber erhalte per App eine Nachricht – rot, gelb oder grün – über den Zustand seines Parks. „Damit wäre den Regelwerken genüge getan, diese Vehicles brauchen keine Pause und können immer dann arbeiten, wenn die Wetterbedingungen es zulassen. Vernetzte Autonomous Underwater Vehicles wären einer Schwarmintelligenz ähnlich damit in der Lage, auch ihre Mission selbstständig zu planen und somit optimal die Offshore-Zeit zu nutzten.“ Für die Integration suche das IKTS derzeit innovationsfreudige Anwender, die die Manschette schon werkseitig einbauten.

Aber auch Themen wie KI und Machine Learning hat das IKTS auf dem Radar, dazu Weihnacht: „Wir haben eine Arbeitsgruppe zum Machine Learning – an den Autonomous Underwater Vehicles ist dieser Trend bereits heute erkennbar. Wir arbeiten zudem an Cloud-Lösungen für unsere Überwachungskonzepte, das wird von den Kunden vorausgesetzt: Die Daten unserer Messsystem können dann in Augmented Reality-Umgebungen – beispielsweise in eine HoloLens Brille – übertragen werden und bieten Anwendern auf einfache Art und Weise verständliche Messergebnisse in komplexen Geometrien und Anwendungen.“


Drahtlose Energie- und Datenübertragung

Das Auslesen der gemessenen Daten an der Sensormanschette erfolgt nicht mehr durch Taucher, sondern durch ‚Remote Operating Vehicle’ (ROV) – per Kabel ferngesteuerte Unterwasser-Roboter. Die Daten werden drahtlos (WLAN) von der Sensormanschette auf das Diagnosegerät am Roboter übertragen und anschließend über das Kabel zu den Technikern auf dem Schiff transferiert. Zukünftig soll auch dieser Arbeitsschritt optimiert werden, indem sowohl die Messdaten als auch die benötigte Energie über weite Entfernungen von der Sensormanschette zur Wartungsstation drahtlos übertragen werden.

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