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Textilien meistern das Thermomanagement im Auto

Noch nie war der Komfort so hoch: Smarte Heizung bringt Wohlgefühl
Smart Textiles meistern das Thermomanagement im Auto

Beheizbare textile Flächen sind ein Paradebeispiel dafür, welchen Fortschritt moderne Fasern bringen werden. Sie verbessern das Thermomanagement im Innenraum, erhöhen den Komfort, reduzieren das Gewicht und dienen der Gesundheit. Zudem bieten smarte Textilien die Möglichkeit, neue Funktionen zu integrieren.

Rainer Kurek
Automotive Management Consulting (AMC) GmbH

Die aktuellen Transformationsprozesse in Gesellschaft, Politik, Wissenschaft und Industrie sind vieldimensional und tiefgreifend. Demografischer und klimatischer Wandel, eine weltweit zunehmende Urbanisierung und hohe Anforderungen an Energie- und Ressourceneffizienz führen auch in der internationalen Automobilindustrie zum Um- und Neu-Denken.

Angesichts zunehmend ambitionierter gesetzlicher Zielvorgaben zur klima- und umweltschonenden Reduktion von Abgasemissionen gewinnen emissionsarme Antriebskonzepte stetig an Bedeutung. Niedrigenergie- und Niedrigemissionsfahrzeuge prägen den Entwicklungsalltag der Automobilhersteller und ihrer Zulieferer. Elektromobilität und hybride Antriebsstränge, die ein elektrifiziertes und zugleich auf Verbrennungsmotoren basiertes Fahren ermöglichen, fordern die Automobilentwicklung heraus: dies betrifft auch das Thermomanagement, das Heizen und Kühlen des Fahrzeuginnenraums. Wurde in der Vergangenheit lediglich die Abwärme von Diesel- und Benzinmotoren zum Beheizen des Fahrzeuginnenraums über Konvektion genutzt, so bedienen sich heutige Fahrzeuggenerationen bereits verschiedener Zusatzheizungen. Sie sind notwendig, da die reine Abwärme der Motoren nicht mehr ausreicht, um den Innenraum in komfortabler Zeit ausreichend zu erwärmen. Der Grund sind die zunehmend höheren Wirkungsgrade der Antriebe. Etwa 90 % der heutigen Kraft- und Nutzfahrzeuge mit Diesel-Motorisierung werden mit PTC-Zuheizern ausgestattet.

PTC, „Positive Temperature Coefficient“-Zuheizer, befinden sich zwischen dem Wärmeaustauscher, der die Motorabwärme nutzbar macht, und dem Ventilatorsystem für den Lufttransport ins Fahrzeug. Der PTC-Zuheizer heizt die Luft auf und gibt diese an das Ventilatorsystem weiter. Sowohl konventionelle (Diesel-) Antriebe als auch alternative Antriebe wie die Elektromobilität stehen als Energiequellen zur Beheizung des Fahrgastinnenraums nicht mehr wie bisher zur Verfügung – Zusatzheizungen sind notwendig, um den erforderlichen Klimakomfort zu gewährleisten.

Mehr Wohlgefühl: Im Auto zieht‘s nicht mehr

Gleichzeitig zielen die Kundenbedürfnisse immer mehr darauf ab, eine neue, angenehmere Wohlfühlatmosphäre im Automobil zu „erleben“. Diese setzt sich zum einen aus einer raschen Aufheizung des Innenraums und zum anderen aus einer gezielten Reduzierung der Strömungsgeschwindigkeit der Warmluft („Zugluft“) zusammen. Beides erhöht den thermischen Komfort und die Behaglichkeit in einem Fahrzeug beträchtlich und gewinnt – auch aufgrund der demografischen Entwicklung – sukzessive an Bedeutung.

Eine Möglichkeit, die technologischen Herausforderungen zu lösen und die Komfortbedürfnisse der Autoinsassen besser zu befriedigen als bisher, sind beheizbare textile Flächen an besonders neuralgischen Punkten des Innenraums. Gegenüber konventionellen Heizmethoden besitzen sie zwei wesentliche Vorteile: An das elektrische Bordnetz des Automobils angeschlossen, haben die textilen Heizflächen eine relativ hohe Aufheizgeschwindigkeit und geben quasi sofort Strahlungswärme ab. Darüber hinaus steigt die Wohlfühlatmosphäre und Behaglichkeit, da die Aufheizphase überbrückt und so die Konvektionsheizung im Betrieb unterstützt wird. Die Strömungsgeschwindigkeit der Lüftung („Zugluft“) wird reduziert. Die Strahlungswärme steigert den Raumkomfort erheblich analog zu Gebäuden: Kältebrücken, die durch die Konvektion im Auto vorherrschen, können durch Strahlungswärme gezielt minimiert werden.

Damit liefern heizbare textile Flächen einen wirksamen Beitrag zum physiologischen Komfort und Wohlbefinden der Fahrzeuginsassen. Textile Heizflächen, die auf elektrisch leitfähigen Garnen basieren, lassen sich in bestehende Flächen des Innenraums gewichtsneutral integrieren, ohne die Haptik und Optik zu verändern – und tragen damit auch spürbar zum Leichtbau bei.

Textile Flächenheizungen sind auch Leichtbau

Aufgrund der Gewichtszunahme, die elektrische Antriebe verursachen, ist Leichtbau mittlerweile zu einem strategischen Ziel der Automobilhersteller geworden. „Reichweite, Fahrwiderstand und Beschleunigung sind in der zunehmenden Elektromobilität zu kaufentscheidenden Kriterien des Kunden geworden“, betont Dr. Stefan Herrmann, verantwortlicher Innovationsmanager von CSI Entwicklungstechnik, einem führenden deutschen Entwicklungsdienstleister.

„Um die 500 bis 700 Kilogramm Massenzunahme zu kompensieren, die elektrische Antriebskonzepte verursachen, ist jedwede Gewichtsreduktion willkommen“, so Herrmann weiter. Nun gilt es, bestehende Heizsysteme durch Beschreiten neuer technologischer Wege zu verbessern. Je einfacher diese Wege sind, umso besser – denn die Genialität liegt stets in der Einfachheit.

Heizsysteme haben sich seit Einführung der Konvektionsheizung in vielen Stufen weiterentwickelt. Bei der Konvektionsheizung bestand die Weiterentwicklung vor allem darin, die Effizienz durch Optimieren von Luftkanälen und Lüftungsauslässen zu steigern und damit die Heizleistung zu verbessern und zudem zusätzliche Heizelemente einzuführen. Hierzu zählen beispielsweise

  • in Fenstern und Spiegeln integrierte Heizdrähte,
  • Sitz- und Lenkradheizungen,
  • Stand- und Zusatzheizungen.

Die derzeitigen Fahrzeugheizsysteme können aufgrund der Symbiose dieser verschiedenen Heizarten als „hybride Lösungen“ bezeichnet werden. Eine wesentliche Aufgabe besteht nun darin, die Wärme genau dort zu erzeugen, wo sie benötigt wird, und dafür Systeme zu bauen. Strahlungswärme, die dies ermöglicht, besteht aus unsichtbaren infraroten Strahlen, wie sie beispielsweise die Sonne erzeugt. Bis die Strahlen auf einen festen Körper treffen, der sie absorbiert, bewegen sie sich ungehindert durch die Luft. Der strahlenabsorbierende Körper erwärmt sich und gibt diese Wärme wiederum an die Luft ab. Dieses Prinzip ist sowohl von natürlichen Quellen wie Sonne oder Feuer bekannt als auch von technischen Anwendungen wie beispielsweise Heizkörpern, Kachelöfen oder Fußbodenheizungen, die ihrerseits Strahlungwärme abgeben.

Infrarotstrahlen als die bessere Wärmequelle

Die Vorteile von Strahlungswärme sind zum einen, dass die Strahlen zuerst feste Körper erhitzen, die die Wärme anschließend an die Luft abgeben, und zum anderen, dass der menschliche Körper diese Wärme als angenehm wahrnimmt. Komfort und Behaglichkeit werden durch Strahlungswärme verbessert.

Die Optimierung von Klimatisierungs-Komfort und wohnlicher Behaglichkeit im Fahrzeuginnenraum wirkt sich gesundheitlich positiv auf die Fahrzeuginsassen aus. Da eine homogene Wärmeverteilung zu einer gleichmäßigeren Bluterwärmung führt, kommt es auch im Körper zu keinem Transport unterschiedlich warmer Blutmengen. Eine gleichmäßigere Erwärmung des Körpers verbessert die Funktion aller betroffenen Organe. Als unmittelbare Folge der gleichmäßigeren Erwärmung des Blutes verbessert sich der organische Stoffwechsel, was in weiterer Folge zu einem vereinfachten Abtransport von Schlacken und einer besseren Gehirnleistung führt.

Darüber hinaus macht eine homogene Erwärmung von Muskeln, Bändern und Gelenken den gesamten menschlichen Körper beweglicher, sowohl während der Autofahrt, als auch beim Aussteigen aus dem Fahrzeug nach Ankommen am Reiseziel. So fördert eine gleichmäßig erwärmte Rückenmuskulatur eine generelle Entspannung des Körpers und erleichtert damit das Fahren über lange Strecken. Die Beine „schlafen“ durch die gleichmäßige Erwärmung der Rücken- und Beckenmuskulatur tendenziell weniger „ein“, da sich zugluftbedingte Verspannungen reduzieren. Gleiches gilt für die Funktion des Schultergürtels und der Halswirbelsäule.

Textile Flächenheizungen können für Sitze, Mittelarmlehnen und -konsolen, Kopfstützen, Fußraum, Fußmatten, Säulenverkleidungen, Dachhimmel, Instrumententafel und viele weitere Applikationen des Fahrzeuginnenraums genutzt werden.

Auch beheizbare Folien sind mit im Rennen

Die Entwicklung von Strahlungsheizungen verfolgt prinzipiell das Ziel, eine möglichst geringe Distanz zwischen Heizelement und abstrahlender Oberfläche zu realisieren. Flächenheizelemente, wie sie beispielsweise für Armauflagen in den Türen oder für die Mittelkonsole zum Einsatz kommen, werden häufig auf ein Trägermaterial aufgestickt und dann mit einem Abstandstextil und der Oberflächenschicht kaschiert. Dieser Prozess ist relativ aufwändig, so dass leitfähige Kohlenstofffasern, heizbare Vliesstoffe und leitfähige textile Garne an Bedeutung gewinnen. Beheizbare Folien und elektrisch leitende Pasten können ebenfalls dazu dienen, konvektive Heizsysteme zu ergänzen.

Obwohl sich so unterschiedliche Prozesstechnologien nicht ohne weiteres vergleichen lassen, sind ihre Ziele und Vorteile relativ ähnlich. Die Vorteile lauten für die unterschiedlichen Prozesstechnologien und Anwendungen wie folgt:

  • Gleichmäßige Strahlungswärme bei minimaler Konvektion (keine „Zugluft“)
  • Schnelle Wärme von der Heizfläche mit relativ geringem Energieaufwand
  • Gesundes Raumklima und dadurch gesundheitsfördernde Wirkung
  • Steigerung des physiologischen Komforts und der Behaglichkeit
  • Beitrag zur elektromagnetischen Verträglichkeit (EMV) im Fahrzeug
  • Gewichtsneutrales Thermomanagement
  • Hohe Flexibilität im Einsatz (Hinterschäumen, Tiefziehen, 3D-Flächen, …)

Als Weiterentwicklung der Konvektionsheizung drängt sich das Nutzbarmachen von Strahlungswärme immer mehr in den Vordergrund. Es bildet eine „echte Alternative“ zum bisherigen Thermomanagement beziehungsweise eine wertvolle Ergänzung. Strahlungswärme, die direkt im Innenraum und nahe am Fahrzeuginsassen erzeugt wird, erweitert die Möglichkeiten der heutigen Konvektionsheizung und Zuheizer. Für den Menschen im Auto bedeutet sie eine richtungsweisende und sinnvolle Steigerung des Fahrkomforts. Eine erfolgreiche Integration textiler Heizflächen wurde bereits verschiedentlich nachgewiesen.

Smart Textiles können noch viel mehr

Als „Intelligente Technische Textilien“ werden jene Flächen und Komponenten im Fahrzeuginnenraum bezeichnet, die dank leitfähiger Fasern leuchten, messen und weitere Funktionen übernehmen können. Die Nutzung solcher „Smart Textiles“ ermöglicht auch innovative Anwendungen zur Unfallprävention. Sie können der passiven und aktiven Fahrzeugsicherheit dienen, zum Beispiel durch eine zuverlässige Überwachung des Müdigkeitszustandes des Fahrers, durch die Überwachung von Sitzposition und Gurteinstellung sowie eine Sitzbelegungserkennung.

Die Entwicklung innovativer Garne mit speziellen sensorischen Eigenschaften und textilen Flächenstrukturen als Sensorelemente wird von industrieller und wissenschaftlicher Seite vorangetrieben. Das Deutsche Institut für Textil- und Faserforschung (DITF) gehört hier zu den führenden wissenschaftlichen Partnern der Automobilindustrie. Und so erklärt Professor Markus Milwich vom DITF, dass er in der erweiterten Funktionsintegration beheizbarer Flächen ein ausgeprägtes Erfolgspotenzial für das Automobil der Zukunft sieht. „Smart Textiles werden nicht nur Elektrofahrzeuge effizienter und batterieschonender beheizen“, ist sich Milwich sicher. „Sie werden auch neue Schalt- und Beleuchtungsfunktionen ermöglichen und die aktive und passive Sicherheit in Kraftfahrzeugen verbessern.“

Textilsensoren und -elektronik in stetiger Fortentwicklung

Dabei stellt eine flexible Verbindungstechnik für Textil-integrierte Elektronik in automotiven Anwendungen eine wesentliche Herausforderung mit hohen Qualitätsansprüchen dar, um die Funktionsfähigkeit auch bei größerer Belastung und „misuse“ prozesssicher gewährleisten zu können. Verbindungstechnik, Textilsensoren, Verstärker und Elektronik befinden sich in kontinuierlicher Weiterentwicklung.

Die Optimierung der Heizleistung durch leitfähige textile Garne ist in verschiedenen Marktsegmenten bereits „Stand der Technik“. Beispielsweise werden beheizbare textile Flächen für Bekleidungsstücke, Handschuhe oder heizbare Westen eingesetzt, um thermischen Asymmetrien vorzubeugen und um Strahlungsenergie körpernah bereitzustellen. Textile Abschirmgewebe ermöglichen dabei eine annähernd vollständige Abschirmung von elektromagnetischer Strahlung.

Diese Eigenschaften machte sich die W. Zimmermann GmbH & Co. KG als Technologie-Innovator zunutze – nicht nur für das Beheizen von Fahrzeuginnenräumen, sondern auch für das Thermomanagement von Sitzauflagen und mobilen Fußsäcken von Rollstuhlfahrern. Diese leiden bei sinkenden Temperaturen besonders, denn wer sitzt, kühlt schneller aus. Wärmeauflagen und Fußsack wurden unter Beteiligung von Rollstuhlfahrern entwickelt – also aus der Praxis für die Praxis.

Die praktischen Funktionen einer gleichmäßigen Strahlungswärme gelten also nicht nur für den Innenraum künftiger Fahrzeuggenerationen, sondern auch für viele andere Branchen. So lernt der eine vom anderen – denn gemeinsam ist man stärker und kann Branchen übergreifend auch mehr erreichen.

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