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3D-Druck schließt die Lieferketten

Andreas Langfeld von Stratasys sieht 3D-Druck als Mittel, um die Lieferfähigkeit zu sichern
„Viele könnten vom 3D-Druck profitieren“

„Viele könnten vom 3D-Druck profitieren“
Andreas Langfeld ist Präsident EMEA des 3D-Drucker-Herstellers Stratasys. Durch die Pandemie sieht er die Bedeutung des 3D-Drucks in der öffentlichen Wahrnehmung – endlich – ins richtige Licht gerückt: als ernst zu nehmende, alternative Produktionstechnologie. Bild: Stratasys
In der Pandemie zeigte der 3D-Druck, was er kann und wie er auch jenseits der Krise in der Lage ist, Lieferketten abzusichern und die industrielle Produktion zu optimieren. Diese These erläutert Andreas Langfeld, Präsident des 3D-Drucker-Herstellers Stratasys für EMEA, im Interview.

Olaf Stauß

Herr Langfeld, von Stratasys habe ich zuerst erfahren, dass Sie 3D-Druckkapazitäten bereitgestellt haben, um in der Pandemie benötigtes Equipment zu drucken. War die Aktion ein Erfolg?

Wir starteten ja verschiedene Aktionen. In den USA gründeten wir eine Allianz mit 150 Kunden und druckten gemeinsam weit über 100.000 Halterungen für Gesichtsschilde zum Selbstkostenpreis. In Europa nutzten wir eigene Kapazitäten, um Gesichtsvisiere zu drucken, die wir dann kostenlos zur Verfügung stellten. Und wir gaben Druckmaterial verbilligt ab, auch für anderes Equipment als Visiere.

Und auch technisch war die Aktion ein Erfolg?

Auf jeden Fall. Sie zeigte, wie flexibel und unabhängig der 3D-Druck macht: Morgens druckt die Anlage noch Teile für die Automobilbranche, eine Stunde später schon Equipment, das medizinisches Personal dringend benötigt, um sich selbst zu schützen. General Motors zum Beispiel hat quasi über Nacht eine Produktionslinie von Automobil- auf Medizinteile umgestellt. Die Anlage druckt eben genau das, was der 3D-Datensatz vorgibt.

Welche Rolle spielte der 3D-Druck in der Pandemie und welche kann er danach spielen?

In der Pandemie kamen die Highlights der 3D-Druckanwendungen zum Vorschein. Es wurde sichtbar, wie verletzlich die Lieferketten sind und wie sehr wir von Lieferungen beispielsweise aus Asien abhängig sind. Wenn weltweit über 51.000 Unternehmen mit Suppliern aus Wuhan zusammenarbeiten und dort niemand produziert, dann fehlt Ware. Und das ist nur ein Beispiel. Es gibt umgekehrt ja auch Abhängigkeiten von deutschen Lieferungen. Hier kann additive, dezentrale Fertigung die Engpässe überbrücken. Dies begünstigen auch die Trends hin zu individualisierten Produkten und zur Fertigung „on-demand“.

Gibt es Beispiele unabhängig von der Krise?

Ja, es gibt Unternhmen, die Lagerbestände reduzierten und fehlende Teile additiv fertigen. Bei Siemens Mobility sind es Ersatzteile wie Armlehnen und Griffe. Bei Airbus sind es Teile wie Clips und Halterungen. Werden davon nur tausend Stück benötigt, kann sich Additive Manufacturing rechnen im Vergleich zu anderen Verfahren.

Nochmal zur Pandemie: Wo hat der 3D-Druck funktioniert, wo nicht?

Nicht funktionieren tut 3D-Druck nur dort, wo Unternehmen nicht offen sind für den Wandel. Bei Applikationen gibt es keine Limits. Ganz offensichtlich gut geklappt hat es im medizinischen Bereich. Das ging so weit, dass Pariser Kliniken von den Lieferketten ganz unabhängig werden wollten – in Frankreich war die Covid19-Lage ja viel ernster als in Deutschland. Sie taten sich zusammen, bestellten 60 unserer 3D-Drucker und bauten ihre eigene 3D-Fabrik auf. Dazu erstellten sie einen Teilekatalog und gingen schnell dazu über, sogar Patienten- und Arzt-spezifische Teile zu drucken.

Wie realisierten die Ärzte die Zertifizierungen?

Es gibt auch Teile, die man inhouse zertifizieren kann. Etwa, wenn spitze Kanten an Gebrauchsgegenständen zu vermeiden sind. Für andere Teile braucht es biokompatible Materialien, die wir ebenfalls anbieten. Für kompliziertere medizinische Anwendungen hingegen kostet die Zertifizierung natürlich Zeit.

Wie kann der 3D-Druck die Lieferfähigkeit und Wirtschaftlichkeit generell verbessern?

Wichtig ist, dass ein Unternehmen die Digitalisierung gezielt nutzt und Pläne macht. Nehmen wir das erwähnte Beispiel einer Armlehne beim Straßenbahnfahrer. Bricht sie, darf die Bahn nicht mehr fahren. Jede verlorene Stunde kostet viel Geld. Aus solchen Gründen werden Teile oft zentral vorgehalten. Doch es kann sich lohnen, davon abzurücken und das Ersatzteil dezentral additiv zu fertigen, also die Supply Chain umzustellen. Aber das muss nüchtern durchkalkuliert werden.

Wie sollte ein Unternehmen vorgehen?

Der erste Schritt wäre, den eigenen Teilekatalog zu analysieren: Welche Teile sind auf Lager, wie ist der Durchlauf und welche Teile lassen sich zu welchen Kosten drucken? Manche Teile lassen sich optimieren, Metall vielleicht durch Kunststoff ersetzen. Die nächste Frage wäre, was ökonomisch Sinn macht – es geht also um eine nüchterne Analyse. Ergebnis könnte sein, die traditionelle Supply Chain durch eine additive abzulösen.

Und wenn das Know-how fehlt?

Wir von Stratasys sind auch beratend tätig. Wir haben Experten im Feld, die gerne das Produktionsumfeld anschauen, Hinweise auf vielversprechende Applikationen geben und Lösungsvorschläge machen.

Plädieren Sie dafür, Prozessketten prinzipiell neu zu gestalten mit AM?

Nicht unbedingt. Aber Fakt ist: Noch viel zu wenige nutzen Additive Manufacturing, die davon unglaublich profitieren könnten. Und dies mit einem sehr kurzen ROI. Deswegen plädiere ich dafür, AM nicht als Spielzeug abzutun, sondern als komplementäre Produktionslösung ernst zu nehmen.

Ist die Digitalisierung dafür eine Chance?

Ja, viele Unternehmen sind jetzt dabei, die papierenen Produktunterlagen zu digitalisieren und als Datensätze abzulegen, auch durch Scans. Das ist eine gute Voraussetzung, um für die Möglichkeiten des 3D-Drucks sensibel zu werden und seine Sparpotenziale zu nutzen.

Versäumen es 3D-Druck-Akteure nicht zuweilen, für Stückzahlen auf Massenverfahren umzusteigen?

Das stimmt. Gerade bei den Schutzschilden ist weltweit schnell ein hoher Bedarf entstanden. Additive Fertigung war zur Überbrückung das Richtige, aber ab gewissen Stückzahlen ist das Spritzgießen effizienter und schneller als 3D-Drucken. Deswegen sprechen wir von einer komplementären und keiner ersetzenden Methode.

3D-Druck ist nicht nur ideal zum Überbrücken von Engpässen, sondern wofür noch …?

Ideal zum Überbrücken von Engpässen wie in der Pandemie. Ideal auch als Technologie, um Produkte dezentral zu produzieren, um sie zu individualisieren oder auch bei der Einführung von neuen Produkten.

Und 3D-Druck ist sehr kreativ. Gibt‘s Applikationen, die selbst Sie ins Staunen versetzen?

Da fallen mir mehrere ein: Dass Marssonden mit additiven Teilen fliegen. Oder dass wir Strukturen für medizinische Tests drucken, die Kadaver ersetzen. Oder …

Kontakt:

Stratasys Ltd.
EMEA Regional Office
Airport Boulevard B 120
D-77836 Rheinmünster
Tel.: +49 7229 7772–0

www.stratasys.com


Die 3D-Druckdaten für diese Halterungen sowie die Montageanleitung für die zugehörigen Visiere machte Stratasys frei zugänglich. Bild: Stratasys

Gesichtsschilde aus dem 3D-Drucker

Zu Beginn der Pandemie fehlte es massiv an Schutzausrüstung. Aus medizinischen Einrichtungen wie Krankenhäusern und Pflegeheimen hatte Stratasys bis Ende März 2020 die Anfrage nach 350.000 Gesichtschutzschilden erhalten. Auf die Schnelle lassen sie sich aus transparenten Kunststoff-Visieren mit 3D-gedruckten Kunststoffrahmen herstellen. Um den Bedarf zu decken, bildete der 3D-Drucker-Hersteller eine Koalition mit über 150 Unis und Firmen, die dafür Druckkapazitäten zur Verfügung stellten, darunter Boeing, Toyota Motor und die University of Minnesota.

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