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Hightech-Material Kunststoff: Wie Faigle das Metall ersetzt

Hightech-Material Kunststoff
Wie Faigle das Metall ersetzt

Ob leichter, leiser oder günstiger – es gibt viele Gründe, Metall durch Kunststoff zu ersetzen. Grundlage ist ein umfangreicher Neuteileprozess. Die folgenden Beispiele aus der Mache von Kunststoff-Spezialist Faigle zeigen, welche Anforderungen das Material stellt, wie vorzugehen ist und welche Bauteile sich für die Substitution eignen.

Thomas Decker
Director Product Management und Marketing Communications bei Faigle Kunststoffe in Hard/Österreich

Zum Beispiel im Bahnbereich werden zunehmend Bauteile aus Metall durch technische Kunststoffe ersetzt. „Gewicht, Geräusch und Dämpfung sind treibende Faktoren dieser Branchenentwicklung“, erläutert Wolfgang Siegl, Leiter Verkauf und Geschäftsfeldentwicklung Rail bei Faigle. Zielkriterien, die auch anderswo eine große Rolle spielen.

Für schienengebundene Fahrzeuge aller Art ersetzt Faigle Metall-Produkte durch Teile aus Hightech-Kunststoffen. Diese speziellen Bauteile halten Vibrationen, Temperaturschwankungen, Feuchtigkeit und Verschmutzung stand, sind dabei abriebfest und weisen beste Gleiteigenschaften auf. Im Gegensatz zu den Metallbauteilen sind sie zudem schneller eingebaut, wartungsfrei und verursachen einen geringeren Verschleiß bei den Gegenlaufpartnern.

Lohnend kann der Ersatz von Metall durch Kunststoff auch sein, wenn ein Produkt überdimensioniert ist – also das herkömmliche Bauteil weit mehr leisten kann als es muss, wie beispielsweise bei Rollenachsen für Förderanlagen. Diese Achsen sind normalerweise aus Stahl und damit überdimensioniert. Der Ersatz durch Kunststoff ermöglicht eine Gewichtseinsparung von bis zu 90 %, die Produktionskosten lassen sich halbieren und die Geräuschentwicklung reduzieren.

Ein Machbarkeits-Check steht am Anfang

Doch bevor solche hochleistungsfähigen Produkte erfolgreich zum Einsatz kommen, müssen sie einen aufwändigen Neuteileprozess durchlaufen. Erfahrung und Expertenwissen wirken sich dabei direkt auf die spätere Qualität, Funktionalität und den Produktionspreis aus. Faigle Kunststoffe hat sich seit mehr als 70 Jahren auf die Entwicklung von technischen Kunststoffen und Herstellung von Kunststoffteilen für unterschiedliche Branchen spezialisiert.

„Wir sind gut darin, ganz spezifische Teile oder Prozesse zu optimieren“, erklärt Wolfgang Siegl. Die Mitarbeiter der Sales-Groups schätzen im Anfrageprozess zunächst ab, ob sich das neue Werkstück unter Einhaltung aller hohen Faigle-Standards fertigen lässt. Anhand von Modellen, Lastenheft oder Zeichnungen und der Erfahrung aus zahlreichen anderen Projekten wird die technische und wirtschaftliche Machbarkeit beurteilt. Fällt diese Machbarkeitsanalyse positiv aus, steht einer Angebotslegung nichts mehr im Wege.

„Dabei können Anfragen, beispielsweise zu einem Standardprodukt wie Weichenbuchsen, schneller beantwortet werden, als die Anfrage nach komplexen, neuen Bauteilen“, so Wolfgang Siegl. Wichtige Voraussetzung für eine treffsichere Entscheidung ist dabei ein gutes Verständnis des geplanten Einsatzzwecks und der Anforderungen an das Bauteil sowie eine gute Teamarbeit der Experten von Faigle und dem Kunden. Wird später eine Anfrage zum Auftrag, arbeiten die Beteiligten aus Sales-Group, Konstruktion und Prozesstechnik bis zur Serienüberleitung zusammen. Die Erfahrung aus verschiedenen Branchen macht Querverbindungen möglich und verstärkt den innovativen Entwicklungsprozess. Zudem bleibt der Sales-Group-Berater der Ansprechpartner für den Kunden – von Anfang bis zum Projekt-Abschluss.

Nach der Auftragsannahme startet die Konstruktion. Hier bedingen sich mehrere Faktoren gegenseitig. Zum einen das Wissen rund um Tribologie, also der Gleiteigenschaften von Kunststoffen und damit der Auswahl des passenden Werkstoffes, zum anderen die Konstruktion von gewichtsoptimierten Geometrien oder die Erfahrung im Spritzguss mit den Schwund- und Fließeigenschaften der Kunststoffe.

Bremsgestängebuchsen müssen nicht mehr geschmiert werden

Das Wissen über die tribologischen Eigenschaften bei technischen Kunststoffen ist eines der Spezialgebiete von Faigle. Das Thema Reibung ist in der Entwicklung oft der Schlüssel zum Erfolg. Daher berechnen die Experten aus dem österreichischen Hard bereits in der Konstruktion, welches Material sich optimal für die jeweilige Anwendung eignet. Faigle setzt Hochleistungs-Polymere als Grundmaterial ein. Diese lassen sich gezielt durch Mischungen oder Kombinationen mit anderen Materialien genau an die Anwendung anpassen. Wird beispielsweise Glasfaser beigemischt, erhöht sich die Steifigkeit, Druckfestigkeit und Formbeständigkeit gegenüber Wärme deutlich.

Bremsgestängebuchsen für Güterwagen fertigt Faigle aus dem Werkstoff PAS-80X. Das verwendete Polyamid wird noch zusätzlich durch Beimengen von Trockenschmierstoffen bedeutend verbessert. Der Reibungskoeffizient dieses tribologisch optimierten Werkstoffes liegt mit zirka 0,2 deutlich unter den Basiswerten und bleibt über die volle Betriebsdauer hinweg gleich. Damit haben die Buchsen hervorragende Trockenlaufeigenschaften und müssen während der gesamten Betriebszeit nicht geschmiert werden – im Gegensatz zu Stahlbuchsen. Zudem zeigt PAS-80X auch bei Langzeitbelastungen kaum Ermüdungserscheinungen und verfügt zusätzlich über ein hohes Dämpfungsvermögen sowie eine exzellente Formbeständigkeit.

Mehr Sicherheit durch elektrische Ableitung

Manche Kunststoffe können durch spezielle Materialmodifikationen elektrische Ladung sehr gut ableiten. Das ist zum Beispiel bei Riemenrollen für Sortieranlagen ein entscheidender Pluspunkt. Die Halterung dieser Riemenrollen ist normalerweise ein Aluminium-Frästeil, welche in der Herstellung relativ teuer ist. Faigle hat diese Halterung durch eine Lösung aus hochfestem PAS-80 GF30 AST ersetzt und damit seinem Kunden eine günstigere Produktion bei großer Sicherheit durch die elektrische Ableitung ermöglicht.

Bei der Konstruktion müssen die vielfältigsten Anforderungen berücksichtigt werden. So war der Anspruch an die Drehpfanneneinlage der Güterwagen: optimaler Reibwert, geringer Verschleiß, hohe mechanische Witterungsbeständigkeit sowie Zähigkeit, Schmierungsfreiheit und chemische Beständigkeit. Diese Anforderungen erfüllte Faigle mit PAS-60X. Die Fertigung erfolgt im Spritzgussverfahren, der Rohling wird mechanisch fertigbearbeitet und einer speziellen Nachbehandlung unterzogen. Zulassungen verschiedener Bahnverwaltungen und Einsatz seit über 25 Jahren bestätigen die hervorragenden Eigenschaften dieses Werkstoffes.

Um kurze Engineeringzeiten bei der Entwicklung von Bauteilen und Baugruppen zu erreichen, setzt Faigle CAD/CAM und Werkzeug-Füllsimulationsprogramme ein. Festigkeitsberechnungen erfolgen mit der Finite-Elemente-Methode (FEM). Mit der Moldflow-Analyse zur Simulation wird der Spritzgussprozess optimiert und ein Rapid Prototyping ermöglicht die rasche und kostengünstige Herstellung von Anschauungs- und Versuchsmustern für Tests. Dabei setzt Faigle auch 3D-Drucker ein.

Shuttleklappen als hochbelastete Schieber

Ein gutes Konstruktionsbeispiel ist die Shuttleklappe – sie ist ein hoch beanspruchtes Teil eines Shuttles, das in modernen Logistikzentren zum automatisierten Transport der Ware eingesetzt wird. Das längliche Bauteil schiebt und zieht permanent große Lasten. Herkömmliche Shuttleklappen sind Metallfrästeile, die sich in großen Stückzahlen kaum wirtschaftlich herstellen lassen. Die extrem hohen Anforderungen an Belastbarkeit und Dauerfestigkeit verlangen viel Know-how über die Geometrie- und Materialauslegung des Bauteils.

Faigle konstruiert die Shuttleklappen mit faserverstärktem Hochleistungskunststoff. Diese sind leicht und können auch in komplexen Geometrien kostengünstig hergestellt werden. Die Shuttleklappen sind eine Spritzgusskonstruktion. Auf Basis einer FEM-Berechnung wurde die Rippenkonstruktion optimiert, der Einsatz des kohlefaserverstärkten Materials PAS PAA-LCF bewährte sich dann im erfolgreich bestandenen Härtetest mit mehr als 5 Millionen Lastenwechseln ohne Ausfall. Durch die Design-Möglichkeiten im Spritzguss ließ sich zudem eine Schnapp- und Kupplungsfunktion integrieren, was die Anzahl der Bauteile reduziert.

Vom Prototyp zur Serienreife

Nach einer erfolgreichen Konstruktion von Neuteilen kann Faigle innerhalb weniger Tage erste Prototypen mittels Rapid Prototyping herstellen. Dafür steht eine Vielzahl von Werkzeugstämmen zur Verfügung, was den Neuteileprozess erheblich günstiger macht. Mit diesen Prototypen kann der Kunde seine ersten Grundsatzversuche starten und viele Erkenntnisse gewinnen. Auch seriennahe Versuchsmuster können in relativ kurzer Zeit realisiert werden. Diese können einer Reihe von Prüfverfahren ausgesetzt werden, wie Lauf- und Belastungstests oder dem Test von Abrieb. Dabei gehen diese Prüfverfahren weit über den Standard hinaus, zum Teil setzt Faigle hier eigens entwickelte Prüfstände ein, um einen hohen Qualitätsstandard zu gewährleisten.

Für die Serienproduktion muss noch das Werkzeug konstruiert und gebaut werden. Zur Vollendung des Neuteileprozesses erfolgt die Fertigung und Qualitätskontrolle serienmäßiger Erstmuster. Nach Abschluss aller teils aufwändiger Tests und Prüfungen wird ein Erstmusterprüfbericht erstellt und dem Kunden zur Freigabe vorgestellt.

Dieser Gesamtprozess sorgt für eine zuverlässige Produktion von hochwertigen Bauteilen mit kurzen Lieferzeiten und ist Grundlage des guten Rufs, den das Unternehmen am Bodensee als Partner und innovativer Entwickler hat.

Im Interview: Wolfgang Faigle gibt Tipps


Die Metallsubstitution lebt

Heutige Technik schreitet so rasant voran, dass Metallersatz durch Kunststoff nicht mehr in den Schlagzeilen ist. Und doch birgt er immenses Einspar- und Verbesserungspotenzial. Beispiele von Firmen wie Faigle, die hier traditionell unterwegs sind, lassen es erahnen. Alleine der Verzicht auf das Nachschmieren ist ein Riesenvorteil. Dies sollte viel mehr kommuniziert werden, damit die Öffentlichkeit merkt: Kunststoff ist mehr als Plastiktüten.

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