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Jede Felge spart 3 kg ein

Smart Forvision setzt ein Signal für die Radikalität des zukünftigen Leichtbaus
Jede Felge spart 3 kg ein

Der zur IAA vorgestellte „Smart Forvision“ ließ aufhorchen. Vieles spricht dafür, dass die Studie von Daimler und BASF eine nachhaltigere Wirkung entfaltet als sonst ein Concept Car – und damit auch im Blick auf den Leichtbau wegweisend ist. Ein technisches Highlight ist die rekordverdächtig leichte, thermoplastische Vollkunststoff-Felge mit Langglasfaser-Verstärkung.

Nicht weniger als „fünf automobile Weltpremieren“ haben die beiden Entwicklungspartner in ihrem elektromobilen Konzeptfahrzeug vereint – und zur Internationalen Automobil-Ausstellung IAA in einer gemeinsamen Erklärung aufgelistet: Im Smart Forvision finden sich transparente organische Solarzellen und Leuchtdioden (OLED), Vollkunststoff-Felgen, Komposit-Leichtbaukomponenten für die Karosserie sowie infrarot-reflektierende Folien und Lacke, die den Energieverbrauch im Fahrzeug minimieren.

Dass damit durchaus realitätsnahe Entwicklungsansätze angesprochen sind, ließ die BASF durch weitere Infos vor und nach der IAA durchblicken. Kürzlich outete sie Philips als Partner, mit dem ein Durchbruch in der Entwicklung der OLED-Technologie gelungen sei. Mit Philips werde es jetzt möglich, sowohl transparente OLED als auch organische Solarzellen in Autodächer zu integrieren – und damit die beiden ersten „Weltpremieren“ in Serie umzusetzen. „Die Kombination gibt dem Fahrer ein offenes Raumgefühl, erzeugt tagsüber Strom und liefert nachts das angenehme warme Licht der hocheffizienten OLEDs“, so Dr. Felix Görth von der BASF Future Business GmbH, Leiter der Organischen Leuchtdioden und Organischen Photovoltaik. Und Dr. Dietrich Bertram von Philips, Leiter OLED-Aktivitäten, ergänzt: „Das Projekt beweist sehr eindrucksvoll das Potenzial unserer Lumiblade Technologie bei der Verwirklichung innovativer Lichtanwendungen.“ Im Falle der Autodächer würde Philips als Komponentenlieferant auftreten.
Nicht weniger ernst zu nehmen als das partiell transparente Autodach sind die gezeigten Leichtbau-Entwicklungsergebnisse. Schon im September, kurz vor der IAA, gab die BASF bekannt, dass sie ein „Composite-Leichtbau-Team“ gegründet hat, um den Automobilbau zu unterstützen. Insgesamt soll ein zweistelliger Millionenbetrag in die Arbeiten fließen. Die Gruppe will marktfähige Materialien und Technologien für Hochleistungsfaserverbund-Bauteile entwickeln und dabei auf dem BASF-Know-how in der Epoxidharz-, Polyurethan- und Polyamid-Chemie aufbauen, um Lösungen für die jeweiligen Kunststoffmatrix-Systeme zu erarbeiten.
Die im Smart Forvision umgesetzten Entwicklungen sind die ersten Ergebnisse dieses Engagements. Das spektakulärste unter ihnen ist die Vollkunststoff-Felge, die ausdrücklich als großserientauglich bezeichnet wird. Pro Rad erbringt sie eine Gewichtseinsparung von 3 kg. Der dafür entwickelte Kunststoff enthält im Gegensatz zu klassischen Polyamid-Komposit-Werkstoffen lange Verstärkungsfasern, die seine mechanischen Eigenschaften verbessern. Das Resultat sind dynamische Festigkeit, Zähigkeit und gute Dauergebrauchseigenschaften neben sehr guter thermischer und chemischer Beständigkeit. Intensive Produktprüfungen bei Smart sollen die Leistungsfähigkeit der Felge nachgewiesen und das Potenzial für einen Serieneinsatz untermauert haben.
Weitere, aus Hochleistungsverbundwerkstoff und somit sehr leicht gebaute Elemente des Smart Forvision sind die Fahrgastzelle und diverse (An-)Bauteile wie die Türen aus Kohlefaser-verstärktem Epoxidharz. Ihr Einsatz ermöglicht eine Gewichtsersparnis von mehr als 50 % gegenüber Stahl oder 30 % gegenüber Aluminium. Dank kurzer Aushärtungszeiten sollen sich die Harzsysteme der BASF auch für größere Stückzahlen rechnen.
In den multifunktionalen Komfortsitzen des Smart Forvision verschmelzen energiesparender Leichtbau und effizientes Temperaturmanagement. Die Basis bildet eine leichte und selbsttragende Kunststoff-Sitzschale. Darin treten so genannte E-Textilien an die Stelle der herkömmlichen Sitzheizung – dünne Textil-Stoffe mit maßgeschneiderten, leitfähigen Beschichtungen. Sie tragen zahlreichen Untersuchungen Rechnung, dass der Körper nur über spezielle Kontaktpunkte effizient Wärme aufnimmt. Mit ihrer körpernahen Beheizung im mittleren und unteren Rückenbereich sorgen die E-Textilien für ein angenehmes Wärmeempfinden – und bringen gleichzeitig weniger Gewicht ins Fahrzeug als herkömmliche Heizsysteme. Solche energie-, platz- und gewichtsparenden E-Textilien finden sich auch in den Armablagen der Türen wieder, um die kälteempfindlichen Kontaktpunkte des Körpers zu wärmen.
Für Komfort bei gleichzeitiger Gewichtsersparnis sorgt der Sitz-Schaumstoff. Rund 10 bis 20 % leichter als andere Materialien, bietet das BASF-Material die Möglichkeit, unterschiedliche Härtegrade in verschiedenen Polster-Bereichen in nur einem Arbeitsgang zu generieren. Auch ein im Sitz integrierter Vliesstoff steigert durch seine passive Klimatisierung den Komforts. Im Vergleich zu herkömmlichen Klimasitzen verzichtet der Leichtbausitz im Smart Forvision auf die Komplexität und den Energiebedarf der klassischen, mechanischen Belüftung.
Der Neuartigkeit wegen lohnt es sich, die Smart-Kunststofffelge im Detail in den Blick zu nehmen: Sie ist über 30 % leichter als ein serienmäßiges Aluminiumrad. Sie bringt nur noch 6 kg auf die Waage und besteht aus dem neuen Spezial-Polyamid Ultramid Structure der BASF. Allein dadurch reduziert sie das Fahrzeuggewicht um insgesamt 12 kg, was bei konventionellem Antrieb den Kraftstoffverbrauch senkt. Im Fall eines batteriegetriebenen Autos wie dem Smart Forvision erhöht sie die Reichweite.
Die komplette Felge (technisch korrekt: Rad) ist zweischalig aufgebaut: Über dem eigentlichen Trägerteil befindet sich eine Designblende, die ebenfalls aus Ultramid besteht. Beide Teile haben eine tragende Funktion und müssen hohe Belastungen im Fahrbetrieb überstehen. Sie werden in einem einstufigen Prozess gleichzeitig hergestellt – und zwar auf einer herkömmlichen Spritzgießmaschine. Die Designblende lässt sich in beliebigen Wagenfarben lackieren. Auf der IAA erschien sie in Weiß und Kupfer.
„Im Rennsport und bei Kleinserien gibt es schon erste Felgen aus duroplastischem Kunststoff“, erklärt Heiko Heß, verantwortlich für die Rad-Entwicklung bei der BASF. „Allerdings sind sie gegenüber thermoplastischen Felgen, die im Spritzguss hergestellt werden können, deutlich aufwändiger, damit auch teurer in der Fertigung und für den Großserieneinsatz ungeeignet.“
Der neue Composite-Kunststoff Ultramid Structure hingegen stammt aus dem Polyamid-Sortiment der BASF, ist Langfaser-verstärkt und wurde erstmals auf der Kunststoffmesse K 2010 in Düsseldorf präsentiert. Durch die Verstärkung mit langen Glasfasern ist seine Belastbarkeit besonders hoch. Metall ersetzen kann der Verbundwerkstoff nach Angaben der BASF-Forscher überall dort, wo hohe Anforderungen an die Energieaufnahme gestellt werden, beispielsweise bei Crashabsorbern, Sitzstrukturen, Batterieträgern, Motorlagern und anderen Strukturbauteilen. Die Variante, die im Smart Forvision verwendet wird, ist besonders steif, zäh und dimensionsstabil.
Bei der Auslegung der hochbelastbaren Kunststoff-Felge kam das inzwischen universell einsetzbare Simulationsinstrument Ultrasim der BASF zum Einsatz: Mit Hilfe einer Topologieoptimierung ließ sich die Verrippung der Kunststoff-Felge am Computer gestalten, simulativ testen und optimieren – ohne Abstriche am Design. So war die Form des Rads bereits in einer frühen Konstruktionsphase definiert und musste am realen Spritzgussteil nur geringfügig nachjustiert werden, teilen die BASF-Forscher mit. Das sicherheitsrelevante Bauteil, das in dieser Form bisher nur in Metall existiert, entstand daher – in enger Zusammenarbeit mit den Daimler-Radexperten – in einer sehr kurzen Entwicklungszeit.
Zu den umfangreichen Belastungstests, die das Rad auf den Prüfständen bei Smart und BASF zu überstehen hatte, gehören die Toleranzprüfung auf der Radmessmaschine, die Lebensdauerprüfung auf dem zweiachsialen Radprüfstand (Zwarp-Test), die Biegeumlaufprüfung, der Impact- und der Radialschlag-Test im Fallturm sowie die Berstdruckprüfung. Die Ankopplung und damit das Übertragen der Kräfte auf die Achse erfolgt durch Metalleinleger und Schrauben. os
www.smartforvision.basf.com
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