Forscher des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie (IME) bauen zusammen mit Continental erstmals eine Pilotanlage, um große Mengen Löwenzahn-Kautschuk für die Herstellung von Reifen zu gewinnen – ein wichtiger Meilenstein auf dem Weg zur Kautschukproduktion in Europa.
In den kommenden fünf Jahren wollen die IME-Wissenschaftler und die Forschungsabteilung des Automobilzulieferers Continental den Produktionsprozess so weiterentwickeln, dass das Unternehmen aus Löwenzahn-Kautschuk Reifen herstellen kann. Erster Schritt ist der Bau einer Pilotanlage in Münster, die in der Lage ist, Naturkautschuk im Tonnenmaßstab zu produzieren.
Gleichzeitig werden mehrere Hektar einer besonders kautschukhaltigen Löwenzahnsorte angebaut. Um den Rohstoffgehalt und die Blüteeigenschaften zu optimieren, züchten die Forscher parallel dazu neue Sorten, die einen höheren Kautschukanteil und Biomasseertrag aufweisen. Dazu sammelte das Team um Projektleiter Prof. Dr. Dirk Prüfer erstmals umfangreiches Datenmaterial zu einzelnen Sorten, zu deren Kautschukgehalt und zu den biologischen Mechanismen der Herstellung. Mit Hilfe dieses Wissens gelang es ihnen Sorten zu züchten, die besonders ertragreich, robust und einfach anzubauen sind. „Die größte Herausforderung war, das Wildkraut in eine Nutzpflanze zu verwandeln. Mittlerweile weisen einige unserer Sorten einen deutlich gesteigerten Kautschukgehalt auf. Diese werden wir jetzt noch weiter stabilisieren“, schildert Prüfer. Wo in Europa der großflächige Anbau des speziell gezüchteten Löwenzahns vorgenommen werden soll, steht allerdings noch nicht fest. Die ersten Testreifen mit Gummi-Mischungen aus Löwenzahn-Kautschuk sollen bereits in den kommenden Jahren auf öffentlichen Straßen erprobt werden. Das darin enthaltene Naturprodukt weist die gleiche Qualität auf wie der bisher für die Reifenproduktion verwendete, aus subtropischen Ländern importierte Kautschuk des Gummibaums. Im Vergleich zu diesem kann er jedoch günstiger geerntet, besser gezüchtet und in Deutschland als nachwachsender Rohstoff angebaut werden – auch auf für bisherige Nutzpflanzen nicht geeigneten Flächen. „Mit der neuen Technologie können wir einen nachhaltigen Vorsprung für die deutsche Automobilindustrie erreichen“, ist Prof. Dr.-Ing. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, überzeugt. Zum einen mache sie die heimische Wirtschaft unabhängiger von Rohstoffimporten. Zum anderen reduziere sie die Transportwege und verbessere so die CO2-Bilanz, so der Fraunhofer-Präsident weiter. Nikolai Setzer, der im Continental-Vorstand für die Division Reifen verantwortlich ist, ergänzt: „Die Kautschuk-Gewinnung aus der Pusteblumenwurzel ist deutlich wetterunabhängiger möglich als die vom Gummibaum und eröffnet aufgrund ihrer agrarischen Anspruchslosigkeit ganz neue Potenziale – insbesondere für heute brachliegende Anbauflächen.“ Dieses Entwicklungsprojekt zeige eindrucksvoll, dass man hinsichtlich Materialentwicklung noch lange nicht am Ende der Möglichkeiten angekommen sei. bö
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