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Klimakiller Spritzgießen?

Kunststoffverarbeitung: Abwärme kann Raumheizungen entlasten
Klimakiller Spritzgießen?

Angesichts steigender Energiepreise und schmelzender Alpengletscher stellt sich Kunststoffverarbeitern die Frage, wie sie ihren hohen Energieverbrauch senken können. Neben Zukunftskonzepten gibt es bereits industriell bewährte Lösungen.

Nach dem von mehreren Unternehmen initiierten „Branchenenergiekonzept Kunststoff verarbeitende Industrie“ betrug der Energieeinsatz in der Kunststoff verarbeitenden Industrie Deutschlands etwa 15,2 Milliarden kWh im Jahr 2000, das sind 2 % des Energieeinsatzes im verarbeitenden Gewerbe.* Allein 61 % davon entfallen auf Strom, ungefähr 9,3 Milliarden kWh, was dem jährlichen Stromverbrauch von fast 4 Millionen 2-Personen-Haushalten entspricht. Mit anderen Worten: Von 1000 Euro Umsatz in der Kunststoffverarbeitung gingen rund 18 Euro auf das Konto des Energieverbrauchs – 1,8 % des Gesamtumsatzes der Branche waren also Energiekosten.

Fazit: Kleine und mittelständische Unternehmen, die ohnehin schon unter hohem Wettbewerbsdruck stehen, kommen durch die steigenden Energiepreise immer noch mehr unter Druck. Konsequenterweise werden sie zwingend nach Möglichkeiten zur rationellen Energienutzung und -einsparung suchen müssen.
Im Produktionsbereich steht wertvolle Abwärme zur Verfügung, die über Rückkühlanlagen abgeleitet wird – zum Beispiel im Hydrauliköl-Kreislauf und in den Werkzeugen von Spritzgießmaschinen. Diese Abwärme ist kostenlose Energie, die mit Wärmetauschern und/oder Wärmepumpen auch bei relativ niedrigen Rücklauftemperaturen genutzt werden kann, beispielsweise als Heizenergie. Zusätzlich spart der Kunststoffverarbeiter die Kosten für den Betrieb von Rückkühlanlagen. Prinzipiell gibt es drei unterschiedliche Möglichkeiten, die Abwärme zu nutzen:
Zum einen ist es möglich, Wärme aus solchen Kreisläufen rückzugewinnen, die mit einem Wasser-Temperaturniveau von 35 °C arbeiten. Diese Abwärme aus Ölkühlern und sonstigen hydraulischen Anlagen lässt sich nutzen, um Lüftungs- oder Lackieranlagen mit Niedrigtemperatur-Heizsystemen auszurüsten. Im Sommer wird die Wärme des Wasserstroms über Trockenkühler nach außen abgeleitet, im Winter über Kühler/ Lufterhitzer in die zu beheizenden Räume.
Welche Einspareffekte sich allein durch diese Wärmerückgewinnung aus der Hydraulikkühlung erzielen lassen, zeigt ein Beispiel, das die Reisner GmbH, Kältetechnischer Anlagenbau, aus Holzwickede liefert: Hat die Hydraulikkühlung der Spritzgießmaschinen eine Gesamt-Antriebsleistung von 1000 kW, so ergibt sich eine Wärmeleistung von 200 bis 250 kW. Damit lassen sich gut isolierte Hallen mit 3000 m2 Fläche beheizen. Müsste diese Energie eingekauft werden, wären derzeit Kosten von 0,045 Euro/kWh zu veranschlagen. Damit ergibt sich ein Einsparpotenzial von 9 Euro pro Stunde (200 x 0,045). Wenn die Anlage an vier Monaten im Jahr mit insgesamt 2400 Stunden läuft – ein branchenüblicher Rechenwert –, lassen sich jährlich 9 x 2400 = 21 600 Euro einsparen.
Die zweite Sparmöglichkeit: In Kaltwasserkreisläufen – unter anderem von Spritzgieß-Werkzeugen – arbeiten Kältemaschinen, die Strom verbrauchen. Im Winter würden hier immer dann, wenn die Außenluft kälter ist als das Kühlwasser, Trockenkühler eingesetzt. Die Wärme würde also ohne den Betrieb eines Kältekompressors nach außen abgeführt, so dass dieser abschalten kann und dafür kein Strombedarf mehr anfällt – die sogenannte Winterentlastung. Im Sommer muss die Kältemaschine natürlich arbeiten, die Abwärme wird dann über klassische Kondensatoren nach außen geleitet.
Darüber hinaus gibt es für Kältemaschinen auch Wärmerückgewinnungsanlagen. An die Kälteanlagen sind dann Wärmepumpen angeschlossen, um die Temperatur etwa von 30 auf 70 °C zu erhöhen, so dass die Wärme über wassergekühlte Kondensatoren in Heizungsanlagen genutzt werden kann. Steht nicht genügend elektrischer Strom zur Verfügung, lässt sich das System durch Gasmotoren ergänzen. Natürlich wird die Wärme oft auch in anderen Industrieprozessen benötigt. „Dieser Aufwand lohnt sich nur, wenn genügend Abwärme genutzt wird und somit eine günstige Amortisation der Anlagen resultiert, worauf wir bei der Anlagenkonzeption sorgfältig achten“, erklärt Reisner-Geschäftsführer Klaus Reisner.
Einen völlig anderen Weg zur Energieeinsparung beschreitet Uni-Professor Wolfgang Wimmer mit seiner Forschungsgruppe „Ecodesign“ an der TU Wien, in der die „Ökointelligente Spritzgussmaschine“ entwickelt wurde. Sie steht für Wettbewerbsvorteile durch umweltgerechte Produktentwicklung. Vorgestellt wurde dieses Konzept unter anderem auf der VDI-Fachtagung „Spritzgießen 2008 – Produktivität und Innovation“ Ende Januar in Baden-Baden. Die grundlegende Frage lautet: Wie verbessert man die Umweltleistung von Produkten?
Nach der Analyse des Produktlebenszyklus von der Rohstoffgewinnung über die Herstellung bis zur Materialverwertung (nach dem Gebrauch) geht es darum, die wichtigsten Umweltaspekte eines Produkts zu identifizieren. Die Auswahl von Verbesserungsstrategien und entsprechenden Maßnahmen schließt sich an. Sie gelingt mithilfe der „Toolbox PILOT“, einem 6-stufigen Produkt- Innovations-, Lern- und Optimierungs-Tool, dessen Entwicklung von Firmen, wie Philips, Engel, Abatec und Profactor gefördert wurde. Das Ergebnis dieser Vorgehensweise ist ein „Green Product Concept“.
In die Analyse fließt der Energieaufwand über der Gesamtlebensdauer einer Spritzgießmaschine ein (Rohstoffe, Herstellung, Distribution, Nutzung). Wimmer beziffert ihn auf etwa 3,2 Millionen MJ. Davon entfallen über 2,6 Millionen MJ auf die eigentliche Nutzung, also auf Antrieb, Steuerung, Heizung und Peripherie. Die drei größten Kostenfaktoren sind der Energieaufwand für die Temperiergeräte (47 %), die Heizung (26 %) und den Antrieb (11 %).
Hier setzt jetzt das „Quality Function Deployment“ ein: Wichtige technische Parameter werden im Hinblick auf das zu spritzgießende Produkt bewertet, wie Steuerung/Software, Plastifizierleistung, maximale Schließkraft und Einspritzzeit. Beispiel: Wie hoch ist der Gesamt-Energieverbrauch des Produkts? Welcher Wirkungsgrad ergibt sich daraus – und kann letzterer etwa durch Reduzieren der Abwärme via Isolierung der Plastifiziereinheit erhöht werden? Im nächsten Schritt ginge es dann um die Quantifizierung (Messung der Zylindertemperatur) und die Verifizierung einer entsprechenden Maßnahme (Isoliermatten, neue Messung).
Bevor jedoch an die Reduzierung der Leistungsspitzen einzelner Maschinenachsen gegangen werden kann, ist zu klären, welche Spritzgießmaschine respektive welches Antriebskonzept (hydraulisch oder vollelektrisch) eingesetzt werden soll. Eine Frage, die sich der Nutzer im Blick auf die Betriebskosten jetzt schon stellt. Und das bedeutet: Die Energieeffizienz der Spritzgießmaschine wird zum kaufentscheidenden Faktor.
Klaus Diebold Fachjournalist in Nürnberg
Spritzgießmaschinen beheizen komplette Hallen

Kosteneffizienz
Energieeinsparung durch Abwärmenutzung und „ökointelligentes“ Spritzgießen muss jeden Betrieb interessieren. Beide Ansätze bieten ein hohes Einsparpotenzial. Für den ersten gibt es bereits bewährte Lösungen, der zweite Ansatz fordert die Hersteller heraus. Angesichts der steigenden Energiepreise sollten beide aufgegriffen werden: Denn Energie, die nicht gebraucht wird, kostet auch nichts.
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