Startseite » Themen » Leichtbau »

Von Bäckern und Schaumschlägern

Intelligenter Mischbau gewinnt im Leichtbau zunehmend an Bedeutung
Von Bäckern und Schaumschlägern

Metallschäume und thermoplastische Verbundkunststoffe können absehbar in komplexeren Anwendungen eingesetzt werden, die auf Werkstoffvielfalt setzen. Jüngste Entwicklungen zeigt die Industrial Supply im Rahmen der Hannover Messe 2016.
Die Rasanz der technischen Entwicklung lässt übersehen, wie lang noch immer die Vorlaufzeit ist, bis aus einer Idee ein Produkt wird. An Metallschäumen forscht das Fraunhofer-Institut für Werkzeugmaschinen und Umformtechnik (IWU) in Chemnitz schon seit 20 Jahren. Aber erst jetzt rücken konkrete komplexere Anwendungen in Reichweite. Ähnlich zeitintensiv ist die Erforschung thermoplastischer Verbundkunststoffe an der TU Dresden, die von einem DFG-Forschungsprojekt über zwölf Jahre gefördert wurde. Mit aufsehenerregenden Ergebnissen, die auch auf der Hannover Messe 2016 im Rahmen der Industrial Supply, der Leitmesse für innovative Zulieferlösungen und Leichtbau, vorgestellt werden. Aber zunächst mal zum …
… Sandwich im Zug
Aluschäume sind anwendungsreif: Das Potenzial, das in Metallschäumen steckt, demonstriert das Leichtbaukonzept für einen Hochgeschwindigkeitszug, das Voith Engineering Services, das Chemnitzer Fraunhofer IWU und andere Partner 2014 der Öffentlichkeit präsentierten. „Wir konnten zeigen, dass Aluschaum-Sandwiches die Anforderungen an Steifigkeit und Festigkeit erfüllen, dass sie in industriellem Maßstab vergleichsweise kostengünstig produziert werden können und – vielleicht das Wichtigste – dass sich auch komplexere Formen in dieser Bauweise wirtschaftlich und mit den geforderten Eigenschaften realisieren lassen. Bisher waren nur vergleichsweise einfache Platten für Schlitten in Werkzeugmaschinen üblich“, erklärt IWU-Ingenieur Carsten Lies. So ist im Triebkopfmodell nur die Bugnase aus glasfaserverstärktem Kunststoff (GFK).
Vorteil der Alusandwichplatten ist die Gewichtsersparnis: Bei dem realisierten Aufbau von 2 mm Alublech, 26 mm Aluschaum und 2 mm Alublech sind die Platten – bei gleicher Steifigkeit – bis zu 20 % leichter als übliche Konstruktionen aus gerippten Aluminiumblechen. „GFK wiederum ist ähnlich leicht, aber schlecht zu reparieren. Und carbonfaserverstärkte Platten sind schlichtweg noch zu teuer“, sagt Lies. Die Aluschaum-Sandwiches hingegen sind sogar selbsttragend. So brauchten die Entwickler nur noch einen Spanten im Triebkopf einplanen und sparen damit noch einmal Gewicht.
Die Anwendungsbereiche des Projektes reichen dabei weit über die Bahntechnik hinaus. Insgesamt fordert Lies aber einen Bewusstseinswandel der Hersteller. „Im Flugzeugbau werden höhere Kosten akzeptiert, um Gewicht zu sparen. Im Fahrzeugbau nicht. Dabei rechnet sich Leichtbau, wenn das Führerhaus eines Lkw ein oder zwei Millionen Kilometer bewegt wird und dabei deutlich leichter ausfällt“, so Lies. Gebraucht wird also das …
… Fahrzeug mit FiF
Thermoplastische Verbundkunststoffe sind im Kommen: Von der Einsicht in Kostenvorteile des Leichtbaus wird auch der Erfolg des FiF abhängen: des „Funktionsintegrativen Fahrzeugsystemträgers“, der im Rahmen des DFG-Projektes Sonderforschungsbereich SFB 639 am Institut für Leichtbau und Kunststofftechnik (ILK) der TU Dresden entstand. Nach vier Jahren Entwicklungs- und Bauzeit wurde das Modell, das einem kleinen Lkw-Modell ähnlich sieht, Anfang Dezember 2015 vorgestellt. „Da ist fast ziemlich alles ein- und angebaut, was wir in zwölf Jahren Forschung über thermoplastische Textilverbunde entwickelt haben“, sagt ILK-Ingenieur Thomas Heber.
Zum Beispiel die Stegplatte am FiF: Sie besteht im Kern aus einer Hybridtextilie, bei der Garne aus Glas- oder Kohlenstofffasern in ein Stützgewebe (die Matrix) eingebracht werden. Wird die Textilie (die Vorform) erhitzt, legt sich der thermoplastische Kunststoff um die Fasern. „Der Thermoplast schützt und stützt die Fasern, die dem Bauteil wiederum Festigkeit geben“, erklärt Heber und fügt hinzu: „Hybridtextilien könnten Energieeffizienz von Autos und Nfz steigern und die E-Mobilität vorantreiben.“ Der Vorteil von Thermoplaste in der industriellen Fertigung liegt in der schnellen Aushärtung. „Damit lassen sich deutlich kürzere Taktzeiten als mit duroplastischen Verbundkunststoffen realisieren – Taktzeiten, die in der Autoindustrie unabdingbar sind“, betont der Forscher.
Fliegen auf Fasern
Bleibt die Frage der Wiederverwertbarkeit, die sich bei metallischen Bauteilen nicht stellt, wohl aber bei Verbundkunststoffen. Nach drei Jahren Entwicklungsarbeit glückte Firmengründer Tim Rademacker 2011 die Lösung der Fasern aus dem CFK-Verbund. Dann allerdings musste der Geschäftsführer der CFK Valley Stade Recycling GmbH & Co. KG feststellen, dass diese nicht ohne Weiteres für neue Produkte verwendet werden konnten. Neue Entwicklungsarbeit, unterstützt von Kunden aus der Automobilindustrie, war nötig. 2013 konnten die ersten Pellets aus Fasermehl in Serie produziert werden.
Sie bestehen aus recycelten und gepressten Carbonfasern von maximal 6 mm Länge und werden zum Beispiel zur Herstellung von Kfz-Steuerketten verwendet. „Dabei ersetzen unsere Carbonfasern die Glasfasern im Polyamidverbund und machen das Bauteil leichter“, erklärt Rademacker. Willkommener Nebeneffekt: eine verbesserte Energiebilanz für CFK.
Nächster Schritt war die Entwicklung von Carbonfasermatten mit Faserlängen von 10 bis 100 mm. Auch hier ersetzt nun leichter Kohlenstoff schwere Glasfasern: in Hutablagen und Kofferraumauskleidungen vieler Fahrzeuge eines bayerischen Herstellers. Auch in Flugzeugen könnten die Fasermatten bald Verwendung finden: in den Fensterverkleidungen des Airbus. „Das Projekt läuft“, sagt er.
Bunt hat Zukunft
Die Zukunft ist aber nicht nur Kunststoff, sondern auch Stahl — und zwar im zunehmend wichtigen intelligenten Mischbau, auch Multi-Material-Design (MMD) genannt, der auf der Industrial Supply in Hannover ein Thema sein wird. „Wir werden den Leichtbau in der ganzen Breite der Verfahrenstechniken und Werkstoffe abbilden. Selbst Balsaholz und Beton kommen ja bei MMD schon zum Einsatz“, sagt Marc Siemering, Geschäftsbereichsleiter der Hannover Messe.
Ganz so bunt geht es beim Audi R8 nicht zu, dessen Karosserie in Halle 6 zu sehen sein wird: auf dem Gemeinschaftsstand von Leichtbau BW, der baden-württembergischen Landesagentur für Leichtbau. „Der Rahmen besteht zu 79 Prozent aus Alu, zu 13 Prozent aus CFK und zu acht Prozent aus weiteren Materialien wie Magnesium“, sagt Geschäftsführer Wolfgang Seeliger. Er freut sich über die schlanken 200 kg, die der Rahmen auf die Waage bringt, vor allem über die Zusammenarbeit der Firmen aus dem Ländle mit den Ingolstädtern.
„Es bringt nichts, einseitig auf ein Material zu setzen wie beim Elektroauto BMW i3, dessen Karosserie komplett aus CFK besteht“, betont Dr. Thomas Heber von der TU Dresden. „Wichtig ist der intelligente Mischbau so wie beim BMW i7, bei dem Stahl und CFK kombiniert werden.“
Oliver Züchner, Journalist in Hannover
Industrieanzeiger
Titelbild Industrieanzeiger 4
Ausgabe
4.2024
LESEN
ABO
Newsletter

Jetzt unseren Newsletter abonnieren

Tipps der Redaktion

Unsere Technik-Empfehlungen für Sie

Webinare & Webcasts

Technisches Wissen aus erster Hand

Whitepaper

Aktuelle Whitepaper aus der Industrie

Unsere Partner

Starke Zeitschrift – starke Partner


Industrie.de Infoservice
Vielen Dank für Ihre Bestellung!
Sie erhalten in Kürze eine Bestätigung per E-Mail.
Von Ihnen ausgesucht:
Weitere Informationen gewünscht?
Einfach neue Dokumente auswählen
und zuletzt Adresse eingeben.
Wie funktioniert der Industrie.de Infoservice?
Zur Hilfeseite »
Ihre Adresse:














Die Konradin Verlag Robert Kohlhammer GmbH erhebt, verarbeitet und nutzt die Daten, die der Nutzer bei der Registrierung zum Industrie.de Infoservice freiwillig zur Verfügung stellt, zum Zwecke der Erfüllung dieses Nutzungsverhältnisses. Der Nutzer erhält damit Zugang zu den Dokumenten des Industrie.de Infoservice.
AGB
datenschutz-online@konradin.de