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Vom Eindruck zum Produkt

Die Erfassung gefühlter Qualität in der Automobilindustrie
Vom Eindruck zum Produkt

Für Unternehmen reicht es nicht mehr aus, nur den funktionellen Mehrwert eines Produkts zu betrachten, um sich vom Wettbewerb abzuheben. Ebenso entscheidend ist die Qualität, die der Kunde tatsächlich wahrnimmt. Diese muss in die Entwicklungs- und Herstellungsprozesse eingebunden werden.

Der haptische Eindruck, den eine Oberfläche bei Berührung beziehungsweise Interaktion hervorruft, bestimmt maßgeblich die wahrgenommene Qualität des Gesamtprodukts. Besonders im Fahrzeuginnenraum befinden sich eine Reihe verschiedener Strukturen und Materialien, die regelmäßiger Interaktion ausgesetzt sind.

Die Herausforderung besteht darin, Kenntnis darüber zu erlangen, welche technischen Parameter der Oberfläche in welchem Maße die wahrgenommene Qualität beeinflussen. Darüber hinaus ist zu ermitteln, welche Abstufungen verschiedener technischer Parameter von Kunden überhaupt noch wahrgenommen werden können. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, müssen Erfahrungen und Meinungen der Kunden zur Wahrnehmung der Produkte in die Entwicklungs- und Herstellungsprozesse eingebunden werden.
Die Abteilung Produktmanagement des Werkzeugmaschinenlabors (WZL) der RWTH Aachen setzt verschiedene Methoden und Werkzeuge ein, um die Stimme des Kunden in der Produktentstehung zu verankern. In Forschungs- und Industrieprojekten werden mit einem systematischen Vorgehen Handlungsempfehlungen für die Produktgestaltung abgeleitet.
Ein Ebenenmodell der Wahrnehmung ermöglicht beispielsweise, eine Steigerung der wahrgenommenen Qualität von Produkten zu ermitteln. Darin wird der Gesamteindruck eines Produkts aus Kundensicht strukturiert heruntergebrochen und schließlich mithilfe veränderbarer, technischer Parameter beschrieben. Der Gesamteindruck ist in der Regel assoziativ und nicht direkt auf beeinflussbare Faktoren bezogen. Er entsteht beim ersten Kontakt des Kunden mit dem Produkt. Über Interviews mit Kunden beziehungsweise ungeschulten Probanden lässt sich dieser Gesamteindruck in Wahrnehmungscluster aufspalten. Wahrnehmungscluster wiederum lassen sich mit mehreren Qualitätsmerkmalen beschreiben. Eine Kundenaussage dazu lautet etwa: „Das Navigationssystem macht einen hochwertigen Eindruck aufgrund des matten und leuchtstarken Displays.“
Qualitätsmerkmale lassen sich in Workshops mit geschulten Probanden – sogenannten Experten – erheben. Da ungeschulte Kunden Qualitätsmerkmale nicht vollständig und einheitlich beschreiben können, eignen sie sich hierbei nicht unbedingt als Informationsquelle. Zur Beschreibung der Qualitätsmerkmale werden Deskriptoren genutzt, die durch technische Parameter abgebildet werden. In Einzelinterviews oder Workshops kann die Ausprägung dieser Deskriptoren bestimmt werden. Eine solche Expertenaussage lautet etwa: „Die Oberfläche des Drehschalters fühlt sich im Vergleich kalt an.“ Experten sind in der Lage, die Deskriptoren über spezifische Begriffe und Vergleichsmuster mit hoher Genauigkeit einzustufen. Das technisch-objektive Merkmal, das diesen Deskriptoren zugrunde liegt, ist schließlich nicht mehr durch die menschliche Wahrnehmung spezifizierbar. Die zugrunde liegenden technischen Parameter können nur durch Messtechnik quantifiziert werden. Dazu zählen zum Beispiel optische Profilometer, mit denen die Topografie und die Rauheit von Oberflächen messtechnisch erfasst und abgebildet werden kann.
Zur Identifizierung und Quantifizierung der Kundenwahrnehmung stehen verschiedene Informationsquellen zu Verfügung. Da es bisher nicht gelungen ist, die menschlichen Sinneswahrnehmungen vollständig künstlich zu replizieren, ist die Verwendung des Messmittels Mensch eine Grundvoraussetzung bei der Analyse der wahrgenommenen Qualität. Im Gegensatz zur Marktforschung bedarf es keiner allgemeinen Informationen vom Markt, sondern aktueller Präferenzen von Kunden oder Experten aus technologischer Perspektive. Eine spezifisch adaptierte Messtechnik objektiviert die Informationen für den unternehmerischen Einsatz. Zur Erhebung und Objektivierung der Kundenforderung ist ein Zusammenspiel dieser drei Informationsquellen Voraussetzung.
Projekte zu einer verbesserten Oberflächenwahrnehmung finden vor allem an den Schnittstellen zwischen den Granularitätsebenen der Qualitätsmerkmale, der Deskriptoren und der technischen Parameter statt.
Untersuchungen mithilfe der Vorgehensweise des Ebenenmodells der Wahrnehmung wurden etwa gemeinsam mit dem Forschungsinstitut für Leder und Kunststoffbahnen (FILK) am Beispiel von Leder- und Kunstlederoberflächen erprobt. Oberflächen wurden durch Experten hinsichtlich ihrer Qualitätsmerkmale und Deskriptoren beschrieben. Diese Aussagen konnten in Studien mit ungeschulten Probanden bestätigt werden. Die gewonnene Beurteilung der Oberflächen wurde mit messtechnischen Daten verglichen, dabei ließen sich Abhängigkeiten feststellen.
Ein weiteres Beispiel sind sensorische Studien mit Vergleichsmustern von Oberflächenmaterialien, wie sie etwa als Materialien im Automobilinnenraum eingesetzt werden. Die Vergleichsmuster dienen der Objektivierung der sensorischen Wahrnehmung von Oberflächen für ausgewählte Deskriptoren. Zur Herstellung der Vergleichsmuster wird unter anderem die Mikrostruktur der Oberflächen verändert, um etwa Wahrnehmungsschwellen zu identifizieren und eine breite Auswahl von verschiedenen Oberflächen für unterschiedliche Deskriptoren zu erreichen. Die Oberflächen werden mit den Vergleichsmustern für verschiedene Deskriptoren durch Experten bewertet. Innerhalb einer Studie mit ungeschulten Probanden in kontrollierter Umgebung müssen diese Bewertungen bestätigt werden. Unabhängig von der sensorischen Bewertung werden die Oberflächen vermessen. Die sensorische Wahrnehmung der Deskriptoren und die messtechnischen Daten werden im Anschluss statistisch miteinander verknüpft. Die Anwendung der Vorgehensweise konnte nachweisen, dass eine gezielte Veränderung der Oberfläche deren wahrgenommene Qualität beeinflusst. Die Auflösung der menschlichen haptischen Wahrnehmung ist jedoch begrenzt. Besonders im Bereich der Mikrostrukturen ist keine klare Differenzierung darüber möglich. Daher ist die messtechnische Analyse notwendig, um eine einheitliche Beschreibung zu erhalten.
Der Transfer der Methodik auf weitere Oberflächenmaterialien sowie auf andere Untersuchungsobjekte innerhalb und außerhalb des Fahrzeuginnenraums ist Ziel aktueller Untersuchungen. Die Anwendung der Methodik wird etwa für den Übergang von Deskriptoren und technischen Parametern anhand von Drehschaltern analysiert.
Mitarbeiter der Abteilung Produktmanagement des Lehrstuhls für Fertigungsmesstechnik und Qualitätsmanagements des WZL der RWTH Aachen
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