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Chaos-Strategie hilft: Roboter packt mehr Pakete auf Palette als die Post

Automatisches Kommissionieren entlastet Mitarbeiter in Lager und Versand
Chaos-Strategie hilft: Roboter packt mehr Pakete auf Palette als die Post

Paletten, vor allem solche mit gemischten Packstücken, werden heute in der Regel manuell bestückt. Die Pakete sind oft schwer wie eine Kiste Bier. Palettierroboter schaffen Abhilfe. Sie entlasten den Kommissionierer, senken die Fehlerquote, erhöhen die Packdichte und bieten Transparenz im Lager.

Von unserem Redaktionsmitglied Thomas Preuß

Wer übers Internet bestellt, ist tendenziell ungeduldig“, sagt Norbert Cottone. Denn wer in Sekunden ordert, will nicht Wochen auf die Produkte warten. Für die Versender wird das in vielen Branchen zu einem Problem: „Bei Aufträgen, die übers Web eingehen, sinken die Bestellmengen und damit die Sendungsgrößen“, weiß der Gruppenleiter Robotersysteme des Stuttgarter Fraunhofer-Instituts für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA), „dafür steigt die Anzahl der Order.“ Und die werden zunehmend verschiedenartiger, machen eine größere Vielfalt an Umverpackungsgrößen erforderlich.
Im Versand führt das dazu, dass Paletten mit gemischten Artikeln häufiger anzutreffen sein werden. Für die Mitarbeiter kein Zuckerschlecken: „Mischpaletten werden heute in der Regel manuell kommissioniert“, erläutert der IPA-Forscher. „Und die Pakete sind nicht selten schwer wie eine Kiste Bier.“
Will ein Unternehmen die Kommissionierung, genauer: Palettierung, der Ware automatisieren, sei es an den Schnittstellen von der Produktion zum Lager oder vom Lager zum Versand, so bestehen grundsätzlich zwei Möglichkeiten: sortenreine Paletten zu packen oder mit einem Packstück-Mix zu arbeiten. „Die erste Variante“, führt Norbert Cottone aus, „erfordert aber eine aufwendige Sortieranlage vor der Endstelle.“ Das Gleiche gilt im Falle gemischter Paletten dann, wenn die gesamte Kommission bekannt ist: Da die Packstücke ungeordnet vor der Endstelle bereitstehen, müssen sie sortiert werden, um in einer mathematisch optimalen Folge in die Palettierzelle einzulaufen. Das kostet Platz.
Die Reihenfolge wird von Software berechnet, die dafür sorgt, dass bei sortenreinen Aufträgen Roboter die Pakete in der optimalen Reihenfolge an den jeweils besten Platz auf der Palette setzen. Derartige Programme werden vom Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) in Dortmund angeboten oder von einigen Roboterherstellern. So stellte die Reis GmbH & Co. Maschinenfabrik, Obernburg, im April auf der Hannover Messe zwei Palettierroboter mit Software vor – den RP 40 und den RP 80 -, die einheitliche Packstücke handhaben. Das System muss den gesamten Auftrag für eine Ladeeinheit kennen.
Beide Maschinen wurden speziell für das Palettieren und Depalettieren entwickelt. Mit Traglasten von 40 und 80 kg eignen sich die Roboter für den mittleren Lastbereich. Sie ergänzen den RP 150, den Reis bereits im vergangenen Jahr vorstellte und der bis zu 150 kg trägt. Nach Aussage der Obernburger wurde die 5-Achsen-Kinematik auf hohe Beweglichkeit und universelle Nutzung hin optimiert.
Auf dem Oberarm der Roboter lässt sich ohne Einschränkung der Geschwindigkeit und Genauigkeit eine Zusatzlast von bis zu 20 kg anbringen, etwa für kundenspezifische Steuereinrichtungen oder Prozessausrüstung. Die Wiederholgenauigkeit von ± 0,05 mm soll auch den Einsatz in Applikationen ermöglichen, die präziser ablaufen müssen als das Palettieren von Kartons.
Neben der Software zur Robotersteuerung bietet Reis das Modul Multi-Pack an, ein Werkzeug, mit dem Anwender die Raumnutzung von Paletten beim Beladen mit gleichartigen Packstücken optimieren können. Die erzeugte Datei wird in ein steuerungslesbares Format umgewandelt, an die Robotersteuerung übertragen und mit der Software Rob-Assist in Palettierbewegungen umgesetzt (mehr dazu im Kasten auf Seite 50).
Fast am Nachbarstand präsentierte die Augsburger Kuka Roboter GmbH den KR 180 PA, der sich von herkömmlichen Robotern durch eine anwendungsspezifisch optimierte Kinematik abheben soll. Der Arm des 4-Achsers mit passiver fünfter Achse ist aus dem leichten Kohlenstofffaser-Verbundwerkstoff CFK gefertigt, soll aber trotzdem sehr steif sein. Damit könne der KR 180 PA Lasten von 180 kg bis auf Höhen von 3 m stapeln, teilte Kuka mit. Bis zu 1800 Palettierzyklen pro Stunde und bis zu acht Palettenplätze soll ein Roboter erreichen. Mit der Software Pallet-Tech können Kunden den idealen Palettenaufbau berechnen und auf einem PC offline programmieren. Inbetriebnahme- und Rüstzeiten lassen sich so verkürzen.
Die Roboter entlasten die Mitarbeiter von schwerer Arbeit. „In der Lebensmittelbranche beispielsweise“, illustriert Bernd Schnoor, Key Technology Manager bei Kuka, „müssen manche Packer pro Tag bis zu 25 Tonnen bewegen.“ Körperliche Schäden am Rücken und im Schulterbereich sind da keine Seltenheit. Als Vertreter eines führenden Roboterherstellers der Welt hat Schnoor die Lösung parat: „Standard-Industrieroboter humanisieren nicht nur die Arbeitsplätze, sondern senken auch die Fehlerrate der Kommissionierung – und damit Rücklaufquoten und Folgekosten.“
Im Falle von gemischten Paletten kommt ein weiterer Aspekt hinzu: Selbst noch so erfahrene Packer erzielen nicht die Packdichte, wie sie Roboter in Zusammenarbeit mit der geeigneten Software möglich machen. Aber „höhere Packungsdichten verringern den Transportmitteleinsatz“, wie Schnoor ausführt. Und weniger Lkw sparen Geld. Ein weiterer Punkt sei die Dokumentierbarkeit des Prozesses: „Wer automatisch kommissioniert, erhält mit Sicherheit vollständige Lieferungen – und eine Transparenz im Warenbestand, der Inventuren überflüssig macht.“
Mit dem Thema Mischpaletten spricht Bernd Schnoor eine bislang noch nicht häufig eingesetzte Technik an. Derzeit reichen in der Industrie Palettierroboter, die gleichartige Pakete oder Säcke auf Paletten packen. Doch das wird sich ändern, vor allem an der Schnittstelle von der Distribution zum Einzelhandel. „Während die Rohstofflieferanten ihre Produkte weitgehend sortenrein automatisiert palettieren können, was übrigens auch für die Produktion gilt“, interpretiert Schnoor die Supply Chain auf der Palettenebene, „müssen Distributeure aus diesen sortenreinen Paletten gemischte Ladungen für den Einzelhandel zusammenstellen.“
Die Haupt-Komponenten eines automatischen Kommissionier- oder Palettiersystems sind neben dem Roboter die Sensorik zum Erkennen der Produktlage, zum Vermessen des Packstücks und zur Warenein- und -ausgangskontrolle, ein flexibles Greifersystem, gegebenfalls mit Werkzeugwechsler, sowie Software für die Palettierung.
„Dabei stellt die Software den wichtigsten Part“, sagt Kuka-Mann Bernd Schnoor. „Welcher Roboter verwendet wird, spielt kaum eine Rolle.“ Schnoor spricht von Kommissionierung nur im Zusammenhang mit gemischten Paletten. Bei gleichartigen Packstücken reiche das Wort Palettierung. „Im Kommissionierbereich gibt es weltweit bislang noch kaum Anwendungen. Aber ihm gehört die Zukunft. Deshalb konzentrieren wir uns bei unseren aktuellen Entwicklungen darauf.“
Das IPA hat das schon vor ein paar Jahren getan und für die Online-Palettierung eines unbekannten Auftrags mit gemischen Packstücken ein Robotersystem entwickelt. Das besteht nur aus einem kleinen Packstückpuffer, einem Roboter mit Greifersystem, einer Vermessungsstation und einem PC. Es läuft erfolgreich unter anderem bei der Adolf Würth GmbH & Co. KG in Künzelsau. Dort verlassen täglich rund 16 000 Packstücke, gefüllt mit Schrauben, Klebstoffen, Werkzeug und anderen Produkten, auf 1700 Paletten das Zentrallager.
Der IPA-Ansatz hatte zum Ziel, die Endstelle der Kommissionierung so zu belassen, wie sie war, und bei konstantem Flächenbedarf einen Roboter zu integrieren – ohne zusätzliche Puffer. Herausgekommen ist ein Palettieralgorithmus, der die Setzplätze für beliebige quaderförmige Packstücke auf der Ladeeinheit berechnet. Die Software kennt jeweils nur die nächsten drei bis acht Packstücke, die in die Zelle eingelaufen sind. Daraus ermittelt sie für ein Paket den optimalen Platz auf der Palette. Dann läuft das nächste Packstück in die Zelle, das Programm optimiert erneut. Automatisches Chaotisches Palettieren (ACP) nennt das IPA sein Verfahren.
Das arbeitet heuristisch, also mit einer Vielzahl von Strategien. Eine davon ist das Auffüllen der unteren Ebenen, eine andere die Berücksichtigung der statischen Stabilität, wenn Hohlräume entstehen. Ecken werden in jedem Falle belegt, und auf einer Ebene sollen möglichst gleich hohe Pakete stehen. „Unser Algorithmus hat Füllgrade von über 80 Prozent erzielt“, ist Cottone stolz. „Die Post kommt gerade mal auf 70 Prozent. Und bei Würth liegen die Werte heute – allerdings nach einer Beschränkung auf sieben Kartontypen – bei über 90 Prozent.“ Bei sechs bis acht Packstücken, die dem Programm bekannt sind, „wird ein natürlicher Sättigungsgrad erreicht“, sagt der Roboter-Experte. „Der Zugewinn beim Füllgrad ist danach sehr gering und lohnt den Aufwand nicht.“
Vor dem Einlauf in die Palettierzelle bestimmt ein Messsystem Länge, Höhe und Breite jedes Pakets, kann aber auch weitere Werte zur Geometrie liefern. So werden unförmige Packstücke erkannt und automatisch ausgeschleust. Hat der Algorithmus den Setzplatz des nächsten Packstückes auf einer der vier Paletten in der Zelle bestimmt, berechnet der Zellen-PC die Roboterbahn und übergibt die Koordinaten an die Robotersteuerung. Der Roboter greift das Packstück und platziert es auf der Palette.
„Das System palettiert 400 Pakete pro Stunde, und die Paletten sind durchweg stabil genug für den Transport“, schildert Norbert Cottone zufrieden. Die Regel-Anwendung ist die Automatische Chaotische Palettierung aber längst nicht, daraus machen weder Cottone noch Schnoor ein Hehl.
Automatisch-chaotische Palettierweise erzielt Füllgrad über 80 %
Der Anwender sollte genau überlegen, welche Art Produkte er palettieren will, wieviele Paletten er gleichzeitig bestücken muss und welche Lösung dafür die wirtschaftlichste ist. „Eine Palettierzelle anzuschaffen, die nur ein Produkt handeln würde, wäre unsinnig“, warnt IPA-Forscher Cottone vor Fehlinvestitionen. Ziel müsse in jedem Falle die Auslastung des Roboters sein.
Da die flinken Helfer in einem Kreis von 5 bis 6 m Durchmesser arbeiten können, bieten sie sich besonders dann an, „wenn mindestens vier bis sechs Paletten im Arbeitsraum stehen“, wie Norbert Cottone sagt. „Vor allem, wenn gemischte Verpackungseinheiten auf unterschiedliche Ladungsträger gebracht werden müssen, etwa für unterschiedliche Kunden, führt am Einsatz eines Roboters kein Weg vorbei.“
Sackware schnell und kostengünstig palettiert: Vier Achsen reichen aus
Eine der wichtigsten Anwendungen ist das Palettieren von Sackware. Dazu reicht ein 4-Achs-System völlig aus.
Längst nicht bei allen Anwendungen wird die Flexibilität eines 6-Achsers benötigt. Und ein Portalroboter ist oft schlicht zu teuer. In die Low-cost-Nische dazwischen begibt sich die Roteg mbH aus Dortmund. Zur Nürnberger Messe Fachpack im vergangenen Herbst stellte das Unternehmen seinen Palettier- und Depalettierroboter Paro vor – eine Kombination aus einfacher robuster Mechanik mit einer Can-Bus-Steuerung. Das System soll vor allem Handdhabungsvorgänge in kleinen und mittleren Betrieben wirtschaftlich automatisieren.
Paro ist ein 4-Achs-Roboter, der zwölf Palettenplätze in Linie bedienen kann. Die Bodenachse lässt sich darüber hinaus bis auf eine Lauflänge von 18 m erweitern. Bei einer Bayer-Tochter palettiert Paro 60 kg schwere Kartons mit einem speziell entwickelten Vakuumsauggreifsystem. Der Sondergreifer soll auch unverschlossene Pakete palettieren können.
Einen weiteren Sondergreifer haben die Dortmunder für das Palettieren von Sackware konzipiert, wie sie in der chemichen und der Rohstoff-Industrie gängig ist. Der Greifer, der sich ebenfalls am Paro einsetzen lässt, handhabt Säcke, die bis zu 25 kg schwer sein und verschiedene Füllgrade aufweisen dürfen. Laut Hersteller werden die Säcke mit sehr geringen Zwischenräumen auf der Palette abgelegt, und es entsteht ein sauberes Palettiermuster.
Vier Achsen hat auch der Handhabungs- und Kommissionierroboter Romeo HSG 1 der Maschinenfabrik Möllers GmbH & Co., Beckum. Mit einer Nenntraglast von 50 kg ist das Gerät für die Einsatzgebiete Handhaben, Palettieren, Depalettieren und Sortieren vorgesehen.
Die drei Grundachsen „Säule dreihen“, „Schlitten aufwärts/abwärts“ und „Arm knicken“ umschreiben einen Arbeitsraum von 1850 mm Außendurchmesser und 800 mm Innendurchmesser. Die Höhe beträgt 2390 mm, bezogen auf den Greiferanschlussflansch. Der um 340° drehbare Greifer bildet die vierte Achse.
Die Steuerungsfunktionen der Maschine lassen sich auf die Prozessvisualisierung, Roboter- und Peripheriediagnose ausdehnen. Zudem kann der Anwender unterschiedliche Sensoren einbinden und Produktionsstatistiken verarbeiten. Das Ablaufprogramm des Roboters kann er offline schreiben oder per Handgerät teachen. tp
Software macht Programmieren überflüssig
Die neue Palettiersoftware Multi-Pack von Reis Robotics erspart dem Anwender das Programmieren der Palettenbeladung: Er kann die Packparameter einfach am PC eingeben. Besonders bei ständig wechselnden Packstück- und Palettenabmessungen ist das von Vorteil. Mit Hilfe der Software lässt sich die Raumnutzung von Paletten, Behältern und ähnlichen Ladungsträgern beim Beladen mit gleichartigen Packstücken optimieren. Die erzeugte Palettenbeschreibung wird über das Programmpaket Rob-Office in ein steuerungslesbares Format umgewandelt. Durch das Programmpaket wird ein Teachen überflüssig. Außerdem lässt sich die Beladung dokumentieren.
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