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Einmal tracken und fertig ist die Laube

Mit „Track-In“ zeigt der Werker dem Roboter wo es lang geht
Einmal tracken und fertig ist die Laube

Im Jahr 2009 hatte sich Volker Huth zwei Sachen vorgenommen: Er wollte erstens die Programmierung von Robotern vereinfachen und zweitens dadurch die Robotik dem Mittelstand zugänglicher machen. Beides ist dem Geschäftsführer des Garchinger Unternehmens RevXperts mit der so genannten Track-In-Technik gelungen. Jetzt hat er mit dieser Lösung auch noch den Robotics Award 2012 gewonnen.

Mit der Infrarot-Messtechnik lassen sich dreidimensionale Koordinaten und Richtungsvektoren von Objekten in Echtzeit genau erfassen. Diese Technik kann auch für die Positionsbestimmung von Robotern, dem so genannten Tracking, eingesetzt werden. Im Umkehrschluss hatten die Mitarbeiter von RevXperts die Idee, das Verfahren zum Erfassen der Roboter-Bahnpunkte zu verwenden. Auf dieser Basis entwickelten die Garchinger Spezialisten die Technik weiter und schufen damit ein intuitives und zudem schnelles Verfahren für die Roboterbahngenerierung.

Die Vor- und vor allem Nachteile gängiger Verfahren zur Programmierung von Robotern schüttelt Geschäftsführer Volker Huth aus dem Ärmel. Zum Beispiel die Online-Programmierung über Teach-In mit dem Handprogrammiergerät des Roboters. Der Vorteil: Der Anwender arbeitet mit dem realen Werkstück und braucht kein CAD-Modell. „Allerdings ist das ein anspruchsvolles und zeitaufwendiges Verfahren, das Schulungen, viel Erfahrung und Ausdauer voraussetzt“, so Huth. „Zudem liegt das erstellte Programm nicht in einem CAD-Format vor.“ Und schließlich müsse der Roboter für die Programmierung verwendet werden und stehe daher nicht für den Arbeitsprozess zur Verfügung. Mit anderen Worten: Volker Huth hält nicht viel von Handprogrammiergeräten.
Die zweite Möglichkeit ist die Offline-Programmierung des Roboters mit CAD-Daten und Simulationssoftware am Computer. Der Vorteil aus Sicht von Huth: Der Roboter wird dadurch nicht blockiert. Das war es aber auch schon. Bei den Nachteilen kommt einiges mehr zusammen. „Das Programm basiert auf virtuellen CAD-Daten und setzt einen aktuellen und kompletten 3D-Datensatz voraus“, betont Huth. „Dafür sind leistungsfähige CAD-Programme und eine Simulationssoftware für den Roboter notwendig.“ Auch bei diesem Verfahren seien qualifizierte Mitarbeiter notwendig. Abweichungen zwischen dem CAD-Modell und der realen Roboterzelle seien durch manuelles Teachen im Nachgang auszugleichen. „Das dabei erzeugte Roboterprogramm stimmt zudem nicht mehr mit den CAD-Daten überein“, versichert Huth.
Das neue Track-In-Verfahren der Garchinger, mit dem die Roboterbahn an der realen Geometrie des Werkstückes und der Zelle automatisch erzeugt wird, kombiniert nach Ansicht von Volker Huth die Vorteile der beiden beschriebenen Verfahren. So wird die Bahn des Roboters am realen Bauteil, in realer Arbeitsumgebung und mit dem realen Werkzeug erzeugt. Das kann zum Beispiel eine Schweißspitze sein. Die Vorgehensweise ist einfach und verspricht einen großen Zeitgewinn. Danach liegen die Daten für die Roboterbahn im CAD-Format vor, auch wenn ursprünglich kein CAD-Modell vorhanden ist. Ein qualifiziertes Personal ist für diese einfache Übung nicht notwendig. Und schließlich muss der Werker aus Stahl bei der Bahngenerierung nicht „dabei sein“. Huth: „Unser Verfahren kann bei fast allen Robotertypen zum Einsatz kommen, eine Anbindung an vorhandene Roboter-Simulationsprogramme ist möglich.“ Die Technik der Garchinger verspricht noch einen Zusatznutzen, denn sie kann ohne Modifikation für weitere Aufgaben wie Kalibrieren, Messen oder Sicherheitsüberwachung genutzt werden.
Und so funktioniert das Ganze: Mit der Infrarot-Trackingtechnik und einem Handzeigegerät, das mit LEDs bestückt ist, wird die Roboterbahn durch Antasten der Bahnpunkte auf dem realen Werkstück erfasst. Das geht innerhalb oder außerhalb der Roboterzelle. Auf diese Weise wird der Roboter mit der Handbewegung virtuell auf der geplanten Bahn entlang geführt. Dabei wird geprüft, ob die Kinematik des Roboters ausreichend dimensioniert ist und es werden im Vorfeld Kollisionen vermieden. Nebenbei werden die Prozessparameter per Knopfdruck am Handzeigegerät eingegeben. Diese markieren zum Beispiel den Start und das Ende eines Schweiß- oder Klebeprozesses. Die so erfassten Bahn- und Prozessdaten werden automatisch an ein Simulationsprogramm übergeben. Damit kann der komplette Arbeitsablauf der Roboterzelle simuliert und auf Singularitäten hin überprüft werden. Mit der zugehörigen Software lassen sich Bahn- und Prozessparameter verändern. Anschließend wird die Datei in einen Postprozessor geladen und in die Robotersteuerung transferiert.
Bisherige Versuche, die Roboterbahn mit Messarmen zu generieren, haben sich nach Ansicht von Volker Huth nicht durchgesetzt. „Die Integration eines Trackingsystems mit dem Roboter und der Robotersimulationssoftware für Programmierzwecke wurde bisher nur von uns realisiert“, ist sich der Chef von RevXperts sicher. Den konkreten, wirtschaftlichen Nutzen seiner neuen Lösung kann Volker Huth anhand eines realen Beispiels, sprich einer Achsenvermessung, deutlich machen. Die Zeiteinsparung pro Woche bei fünf Neuprogrammierungen liegt seiner Erfahrung nach bei 27,5 Stunden. Dies entspricht 2750 Euro weniger Kosten, wenn man die realistischen Programmierkosten von 100 Euro pro Stunde zu Grunde legt. Die gewonnenen 27,5 Stunden lassen sich für Messaufgaben nutzen, wodurch die Produktivität im Unternehmen gesteigert wird.
Volker Huth hat seine Märkte bereits im Visier: „Wir fokussieren uns auf Roboteranwendungen, die eine Bahnprogrammierung erfordern.“ Dazu zählen die Bereiche Schweißen, Kleben, Lackieren, Entgraten, Polieren, Schleifen, Fräsen und Schneiden. Hinzu kommen Applikationen, bei denen der Roboter Mess- oder Inspektionsaufgaben durchführt. Das Verfahren eröffnet nach Ansicht von Huth neue Einsatzmöglichkeiten im Mittelstand, da sich mit einer kürzeren Programmierzeit die Betriebskosten für den Robotereinsatz schneller amortisieren und keine hochqualifizierten Spezialisten für die Roboterprogrammierung finanziert und vorgehalten werden müssen. „Beim Einsatz der Lösung in den Schwellenländern ergeben natürlich auch Wettbewerbsvorteile, weil mit unserem Verfahren das lokale Fachpersonal schneller mit den Programmieraufgaben betraut werden kann.“ Zusätzlich gelte auch hier der Vorteil der höheren Roboterproduktivität. „Mit unserem System lassen sich auch bestehende Robotersysteme aufrüsten“, ergänzt Huth. Das System ist mittlerweile bei diversen Autobauern für den Prototypenbau im Einsatz. Hinzu kommen weitere Testinstallationen für Bahnschweißen und Lackieranwendungen.
Platz 1

Effiziente Bahngenerierung für Roboter

Die Robotik-Spezialisten aus Garching

Die RevXperts GmbH wurde im Jahre 2006 von Volker Huth gegründet mit dem Ziel, neue Systeme und Verfahren für die Qualitätskontrolle und das Reverse Engineering auf Basis der Infrarot-Messtechnik (IR-Messtechnik) zu entwickeln und zu vermarkten. Ausgehend von der Integration der wichtigsten Softwarepakete wie Powerinspect, Geomagic, Polyworks und Pointmaster wurden zunehmend eigene Hard- und Software-Produkte für die Messlösungen entwickelt. Ab 2009 begann die Entwicklung von Trackingsystemen für die Robotik in Zusammenarbeit mit dem IWB der TU München. Daraus resultierte ein vom Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie gefördertes Entwicklungsprojekt für das so genannte Track-In-Verfahren zur effizienten und einfachen Bahngenerierung für Roboter. Im Laufe der Jahre wuchs die Mitarbeiterzahl kontinuierlich an und das Unternehmen schaffte es über Direktvertrieb und Vertriebspartner über hundert IR-Mess- und -Trackingsysteme im Markt zu platzieren. Nach der EMO 2011 begann die intensive Vermarktung der Track-In-Lösung. Dabei stießen die Garchinger Spezialisten auf ein großes Kundeninteresse, so dass sich ein weiterer Ausbau des Unternehmens speziell im Robotik-Bereich abzeichnet.

„Teure Programmierer können sich Mittelständler nicht leisten“

Nachgefragt

Herr Huth, ist es richtig, dass die Technik Ihrer neuen Lösung ursprünglich aus der Messtechnik stammt?
Der Ansatz geht sogar noch eine Stufe zurück. Das Tracking hat sich aus der Medizintechnik heraus entwickelt. Meine erste Bekanntschaft mit diesem Verfahren waren Anwendung in der Operationstechnik. Da wurden die Tracker verwendet, um bei minimal-invasiven Operationen die Position der chirurgischen Instrumente im Körper zu erfassen. Am oberen Ende der Instrumente sind dafür Marker oder LEDs angebracht. Wenn im Körper operiert wird, kann man auf einem tomografischen Bild die Position der Instrumente verfolgen und sehen, wie weit ich zum Beispiel von Nerven- oder Blutbahnen weg bin.
Und diese Technik hat sie angesprochen?
Allerdings. Ich habe schnell einen Partner gefunden, der mit mir der Meinung war, dass man solche Systeme auch in der Industrie einsetzen kann, quasi als Ersatz für mechanische Messarme. Wir haben dann diese Systeme zunächst mit Software aufgerüstet, die im Markt vorhanden war wie Polyworks und Pointmaster und haben später eigene Tools entwickelt wie Mess-Stifte und Zeilenscanner für handgeführte Messaufgaben. Eingesetzt werden diese Produkte zum Beispiel in der Fahrzeugproduktion, wo damit so genannte Ladungsträger vermessen werden, auf denen Teile des Autos für die weitere Verarbeitung zum Roboter transportiert werden. Einige Hersteller der Ladungsträger setzen inzwischen unsere Systeme ein, die wegen ihrer Mobilität und schnellen Einsatzbereitschaft dafür geeignet sind.
Wie kam es dann zum Schritt in Richtung der Robotik? Was war der Anlass?
Entscheidend war hier eine Zusammenarbeit mit der TU München. In einem Projekt ging es darum, den Roboter zu tracken. Wir haben dazu an den Roboter ein Modul mit Leuchtdioden angebracht und konnten so während der Fahrt überprüfen, ob das Modell die vorgegebenen Positionen mit der erforderlichen Genauigkeit erreicht. Wir realisierten dann quasi den Umkehrschluss: Wenn wir den Roboter schon während der Fahrt tracken, dann könnten wir uns eigentlich auch die Zeit für die aufwendige Teach-In-Programmierung sparen. So kam es zu den ersten Ansätzen, die Roboterbahn mit einem Programmiertool aufzunehmen.
Was ist denn der Nachteil des konventionellen Teach-In-Verfahrens im Vergleich zu Ihrer Technik?
Im normalen Teach-In-Verfahren wird der Roboter ja koordinatenweise angefahren. Das ist für den Programmierer oft nicht einfach, denn er muss sich eine komplexe Bahn vorstellen und diese in Koordinaten umsetzen. Er muss immer wieder testen, langsam anfahren und braucht insgesamt viel Zeit für seine Aufgabe. Das fällt mit unserem Verfahren unter den Tisch. Hinzu kommt, dass der Roboter für die Programmierung nicht gebraucht wird und weiter in der Fertigung genutzt werden kann. Und nicht zu vergessen: Für das Teach-In braucht man geschultes Personal. Für einen großen Autobauer mit seinen hohen Stückzahlen ist das kein Problem. Ein Mittelständler hingegen kann nicht eben so einen teuren Programmierer vorhalten. Mit anderen Worten: Eine aufwendige Programmierung ist für einen kleineren Betrieb ein Hindernis, Robotertechnik einzuführen.
Wie viele Punkte muss der Anwender denn aufnehmen, um eine gute Roboterbahn zu generieren? Wie aufwendig ist der Vorgang?
Beim Abfahren der Bahn wird automatisch alle paar Millisekunden ein Punkt aufgenommen. Das Ganze ist eine Art Scanning. Die abgefahrenen Punkte werden bewertet und entsprechend reduziert, wenn ich lineare Vorgänge erfasse. Bei starken, geometrischen Veränderungen auf kurzer Strecke werden mehr Punkte stehen gelassen. Diese werden am Ende gefiltert und geglättet, um eine möglichst einwandfreie Roboterbahn zu erzeugen.
Wie ist denn sichergestellt, dass der Roboter die geplanten Bahn auch tatsächlich nachfahren kann, ohne zum Beispiel irgendwo anzuecken?
Man kann die Kinematik des Roboters einladen und in virtuellen Simulationsverfahren überprüfen, ob das Werkzeug wie geplant geführt werden kann und ob alle vorgesehenen Punkte erreicht werden. Der Nutzer kann auch sicherstellen, dass keine Kollisionen oder Singularitäten auftreten.
Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Lösung bei allen Robotern funktioniert?
Ich will nicht behaupten, dass es bei allen Robotermodellen funktioniert, aber bei den gängigen. Und es funktioniert deshalb, weil wir Postprozessoren einsetzen, mit denen die Software in die verschiedenen Robotersteuerungen geladen wird. Und falls es bei einem Modell nicht auf Anhieb funktionieren sollte, dann finden wir auch dafür eine Lösung.
In welche Richtung soll Ihr Produkt weiter entwickelt werden?
Wir wollen den Einsatz des Produkts für den Anwender noch einfacher und effizienter machen. Das betrifft vor allem die Benutzeroberfläche und die Bedienung des Programmiergeräts. Auch die Genauigkeit der Roboter wollen wir weiter voranreiben. Mit unserem Tracking-System soll die Roboterbahn nicht nur programmiert, sondern auch überprüft und korrigiert werden können, sodass die Modelle die programmierten Punkte am Ende präziser anfahren.
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