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„Kollege Roboter“ folgt aufs Wort

Robotik: EU-Projekt kreiert Systeme speziell für den Mittelstand
„Kollege Roboter“ folgt aufs Wort

Die Produktivität kleiner und mittlerer Unternehmen ließe sich leicht steigern, gäbe es die passenden Roboter. Im EU-Projekt SMErobot werden solche entwickelt: Die neuartigen Systeme sind preisgünstig und leicht, sicher bei der Kooperation mit Menschen und einfach zu bedienen.

Das sollte die kleinen und mittleren Betriebe der produzierenden Industrie freuen: Endlich versteht ein Roboter Sprachbefehle! Selbst Computerlaien können ihn leicht einweisen, etwa durch Vormachen. Der Roboter ist so sicher, dass er den Arbeitsplatz ohne abgrenzenden Zaun mit menschlichen Kollegen teilen kann. Modulare Bauweise und Hightech-Komponenten aus dem Elektronikmarkt drücken die Kosten. Der Roboter transferiert Handskizzen in CAD oder scannt in 3D unbekannte Teile, um daraus ein Modell für die automatische Erzeugung der Roboterbahn zu generieren.

Was wie Zukunftsmusik klingt, soll bald Realität sein: Der Roboter wird endlich zum Universalwerkzeug! Von der Idee her war er das zwar schon immer, doch seit den Anfängen in der Automobilindustrie zählten für die Wirtschaftlichkeit nur große Stückzahlen; gezielt eingesetzt wurden die Automaten bei Routineaufgaben. Mit dem europäischen Projekt SMErobot soll sich dies nun ändern, denn das Motto „Automatisierung macht wettbewerbsfähig“ gilt längst auch für den Mittelstand mit seinen kleinen Stückzahlen und individueller Bearbeitung.
Auf einem Kongress in Turin wurde kürzlich die Halbzeitbilanz des noch bis 2009 laufenden EU-Projekts gezogen. „Bis dahin werden erste Testszenarien in ‚Small and Medium sized Enterprises‘ praktisch umgesetzt sein“, versichert Projektkoordinator Martin Hägele, Abteilungsleiter Robotersysteme am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung (IPA) in Stuttgart. Roboter für den Mittelstand würden nur dann zum Erfolg, „wenn Mitarbeiter vor Ort den Automaten bedienen können“.
Pilotanwendungen starten derzeit europaweit bei ausgewählten kleineren Betrieben. Dahinter stehen führende europäische Roboterhersteller wie ABB, Comau, Güdel, Kuka und Reis, Automations- und Softwarespezialisten sowie Forschungsinstitute. Sie wollen die Wettbewerbsfähigkeit der zahlreichen kleinen und mittleren produzierenden Unternehmen in Europa stärken. Zudem sucht die Roboterbranche neue Absatzmärkte.
Den höchsten Nutzungsgrad von Robotern weisen bislang Betriebe mit Großserienfertigung auf: Er liegt etwa doppelt so hoch wie bei Unternehmen mit Mittelserienfertigung und ist fast viermal höher als bei Einzelfertigern. Kleine und mittlere Betriebe stecken in der Automatisierungsfalle: „Sie müssen sich entweder für aktuell verfügbare und unflexible Automatisierungslösungen entscheiden oder auf Basis von Niedriglöhnen konkurrieren“, weiß Manfred Dresselhaus, Koordinator Forschungsprojekte bei Reis Robotics in Obernburg. „Wir arbeiten daher in der Initiative SMErobot daran mit, die Potenziale von Industrierobotern besser auszunutzen, weil sich darauf die flexibelste existierende Automatisierungstechnologie gründet.“
Von den vier Demonstratoren, die in dem Projekt gebaut werden, stammt einer von Reis. Um einen schnellen Start zu haben, stützt sich das Unternehmen zunächst auf einen flexiblen Standardroboter mit 16 kg Traglast, der dann in Hardware und Software modifiziert wird.
„Was wir mit unserem Anwendungspartner, dem Mittelständler Som in Michelstadt entwickeln, hängt mit den dortigen Fertigungsaufgaben zusammen, zum Beispiel dem automatischen Bohren, Fräsen oder Lackieren“, sagt Dresselhaus. Die Aufgaben in dem Fünf-Mann-Betrieb haben exemplarischen Charakter, und die neue Robotergeneration soll flexibel wie ein Universalwerkzeug für die unterschiedlichsten Tätigkeiten einsetzbar sein – ob zum Bohren, Fräsen, Sägen, Schweißen oder in der Montage, sei es bei Holz, Gummi, Kunststoff, Keramik oder Metall. Som steht für die Vielzahl der Betriebe, die Losgröße 1 manuell fertigen – bislang ganz ohne Roboter.
Eines der wichtigsten F&E-Themen des EU-Projekts ist die „intuitive Programmierung“: Der Werker soll mit seinem neuen Kollegen ohne besondere Roboterschulung umgehen können. Statt aufwendig zu programmieren, handelt er intuitiv und gibt einfach an, was zu tun ist. So lässt sich das Robotersystem ohne spezifisches Training einsetzen. „Der Bediener erklärt dem Roboter seine Aufgabe, wie er es bei einem Kollegen tun würde“, erläutert Rainer Bischoff, Koordinator für Forschungsprojekte bei der Kuka Roboter GmbH, Gersthofen. Aufgrund seiner technischen Ausstattung versteht der Roboter CAD-Zeichnungen, gesprochene Sprache sowie Gesten und kann Handskizzen deuten.
Die am SMErobot-Projekt beteiligten Roboterhersteller prüfen die Zukunftsfähigkeit ihrer Ideen nicht nur an den bei Endanwendern aufgebauten Demonstratoren, sondern auch in einer Vielzahl von Testzellen, gerade auch in Zusammenarbeit mit den beteiligten Forschungseinrichtungen. Für Rainer Bischoff ist klar: „Wenn ein Roboter als Produktionsassistent im direkten Kontakt mit Menschen arbeiten soll, geht das besonders gefahrlos mit sensiblen Leichtbaugeräten. Diese können dank geringer träger Masse, glatter Oberfläche sowie ausgeklügelter Sensorik und Regelalgorithmen einen Menschen auch im Fehlerfall nicht ernsthaft gefährden.“ Trotzdem können diese Leichtbauroboter bei einem Eigengewicht von 15 kg eine Nutzlast von bis zu 15 kg handhaben. Dies ermöglicht neue Arbeitsplatzkonzepte. So kann der Roboter beispielsweise direkt zum Ort der Arbeit getragen werden. Schnellwechselsysteme für Roboterfuß und -hand ermöglichen universelle Einsetzbarkeit und „Plug-and-Produce“. Hinzu kommt ein weiterer Vorteil: „Ich nehme ihn einfach an die Hand“, sagt Rainer Bischoff, „führe ihn über einen zu entfernenden Grat oder entlang einer Schweißnaht, wähle über einen Touchscreen geeignete Prozessparameter, und meine Programmierung ist getan.“
Bereits während der laufenden Forschungs- und Entwicklungsarbeiten hat sich der Metallbaubetrieb Treffler in Pöttmes-Echsheim bei Augsburg mit dem Kuka-Schweißroboter KR 16 L6 als Pionieranwender bei SMErobot eingebracht. Das 60-Mitarbeiter-Unternehmen, das alle Bereiche des Stahl- und Maschinenbaus sowie der Landtechnik abdeckt, ist typisch für die 230 000 kleinen und mittleren Betriebe, für die SMErobot von der EU ins Leben gerufen wurde. Ebenfalls typisch ist bei vielen dieser Unternehmen das Zögern, überhaupt Roboter einzusetzen, weil diese für ihre spezifischen Bedürfnisse nicht flexibel genug sind, einen zu hohen Programmieraufwand erfordern und zu teuer sind.
Warum denn jetzt ein Roboter bei Treffler? „Unsere Facharbeiter haben dadurch mehr Zeit für anspruchsvollere Arbeiten“, sagt Seniorchef Paul Treffler. Langweilige und ermüdende Tätigkeiten, die aber dennoch einen hohen Aufmerksamkeitsgrad erfordern, kann nun der „Kollege Roboter“ mit seinen 1,9 m Reichweite übernehmen. Paul Treffler ist bisher mit dem Schweißroboter zufrieden. Zum Projektende von SMErobot im März 2009 wird er als einer der Pilotanwender wohl noch zufriedener sein, denn bis dahin werden sukzessive fortschrittliche Teillösungen eingeführt.
„Zur Stunde läuft zwar noch keiner der Zukunftsroboter vom Band, einzelne Technologien lassen sich aber sehr wohl schon heute in Anwendungen transferieren“, sagt Projektkoordinator Martin Hägele. Dazu gehören flexible Greifer und Plug-and-Produce-Architekturen zur Minimierung der Rüstzeiten, Algorithmen zur Raumüberwachung mittels 3D-Kamera sowie neue Programmiermethoden mit Hilfe von Sprachbefehlen, Graphik-Symbolen, digitalen Stiften und dem Erlernen von Bahnen durch Vormachen. All diese Technologien sind bei den Projektpartnern an Versuchsträgern schon erarbeitet. Hägele blickt voraus: „SMErobot bringt kostengünstige flexible Automation in den Mittelstand.“ Und wenn der Roboter jetzt endlich zum Multifunktionswerkzeug wird, bei dem der Anwender entscheidet, wofür er es einsetzt, dann ist Hägeles Idee gar nicht so abwegig: „Vielleicht wird der Umgang mit dem Robotern einmal so einfach und selbstverständlich wie der mit dem Akku-Schrauber.“
Dipl.-Ing. Siegfried Kämpfer Fachjournalist in Solingen
Neue Roboter so flexibel wie ein Universalwerkzeug
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