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Losgröße 1 ist bei Fenstern der Normalfall

Fensterbauer automatisiert Fertigungslinie mit Portalroboter
Losgröße 1 ist bei Fenstern der Normalfall

Handwerk hat goldenen Boden. Nur mit den Gewinnmargen hapert es. Grund genug für den Fensterbauer Schüco International, die Beschlagmontage in zwei Fertigungslinien für Kunststoff-fenster mit Robotern zu automatisieren. Das ist flexibler als mit Handlingsystemen auf Basis von XY-Achsen.

Bernhard Foitzik ist Journalist in Neustadt an der Weinstraße

Zählen Sie einmal zu Hause die Zahl der Fenster mit identischen Maßen. Das gibt Ihnen eine Vorstellung von den Losgrößen, die im Fensterbau üblich sind. Automatisierung gilt so in der Branche als nur beschränkt möglich. Trotzdem ließ der Kostendruck die Fertigungsplaner im Werk Leopoldshöhe der Schüco International KG nicht ruhen. Michael Oeldemann, in Leopoldshöhe für die Produktionstechnik verantwortlich, erklärt: „Wir wollten auf ein flexibles System umsteigen und die Beschlagmontage rationalisieren.“ Was sich als gar nicht so einfach herausstellte. Denn es gibt nur wenige Unternehmen, die Fenster industriell in einem Umfang herstellen, dass sich die Frage nach einer möglichen Automatisierung überhaupt stellt – und noch weniger Maschinenbauer, die entsprechendes Equipment liefern.
Stand der Technik waren bis zur Entwicklung der Roboterzellen, die jetzt bei Schüco laufen, allenfalls Handlingsysteme auf Basis von XY-Achsen. Die jedoch bieten nicht die erforderliche Flexibilität. „Selbst kleine Änderungen am Produkt oder im Fertigungsablauf ziehen bei solchen Anlagen gleich umfangreiche Umrüstarbeiten nach sich“, fasst Oeldemann seine Erfahrungen zusammen.
Von der Überlegung, die Anlagen mit Robotern zu automatisieren, bis zum Serienanlauf war es ein weiter, steiniger Weg. Die Initialzündung bei der Suche nach Lösungen kam bei einem Besuch der Hannover Messe. Bis dahin hatten die Fertigungsspezialisten von Schüco schon einige Roboteranbieter zu Rate gezogen. Entwickelt wurde das Konzept der Roboterzelle schließlich in Zusammenarbeit mit der Reis GmbH & Co. aus Obernburg. Eine auf den speziellen Zweck zugeschnittene Zelle wäre dabei naheliegend gewesen. Doch die Projektingenieure bei Reis gingen in ihrem Ansatz weiter. Entstanden ist ein modular aufgebautes Konzept, mit dem sich auf der Basis von Standardkomponenten kundenspezifische Fertigungszellen bauen lassen. Die Investition in die beiden Roboterzellen fällt eindeutig unter die Rubrik Rationalisierung. Durchlaufzeiten waren bei der Entscheidung für den Robotereinsatz nicht ausschlaggebend, denn „die richten sich nach dem Schweißverfahren“, betont Oeldemann, und das gebe die Taktzeit von zwei Minuten vor.
720 Einheiten werden allein auf diesen beiden Fertigungslinien in zwei Schichten pro Tag gefertigt. Als Einheit gilt branchenüblich ein Fenster mit den Abmessungen 120 cm x 130 cm. 70 bis 80 % der Fenster werden in Weiß geordert, Deko-Varianten in Holzfarben sowie sämtliche RAL-Töne sind möglich. Der Einfallsreichtum der Architekten verbietet es nahezu, von Standardgrößen zu sprechen. „Die Losgröße 1 ist für uns der Normalfall“, berichtet Oeldemann. Deshalb laufe die komplette Fertigung auftragsbezogen.
Für die Fertigung freigegebene Aufträge werden einer Zuschnittoptimierung unterzogen, um beim Glas und den PVC-Profilen den Verschnitt so gering wie möglich zu halten. Aufgrund der Fertigungsorganisation kann es sein, dass die einzelnen Bestandteile eines Auftrages auf unterschiedlichen Linien produziert und erst im Versand zusammen geführt werden. Liegt der Auftrag erst einmal „auf der Säge“, dauert es durchschnittlich drei bis vier Stunden, bis die Teile fertiggestellt sind.
Im Prinzip laufen die Linien mit der Roboterzelle parallel. Zunächst werden die abgelängten Profile verschweißt, anschließend die Nähte geputzt. Im dritten Schritt montiert der Roboter die Beschläge. Nach der Beschlagmontage ist in die Linie ein Regal integriert, in dem Rahmen für die anschließende, manuelle Montage gepuffert werden können. Mit der manuellen Montage geht gleichzeitig die Funktionskontrolle und die Qualitätssicherung einher. Zum Versand werden alle Einheiten eines Auftrages auf einem oder mehreren Racks bereitgestellt und bis zur Verladung chaotisch gelagert. Per Barcode lassen sich die Racks bestimmten Aufträgen eindeutig zuordnen.
Ohne Eingriff produziert die Anlage eine volle Schicht
Von einer Fußgängerbrücke über die Linie, direkt vor der Roboterzelle, kann man die Arbeit des Roboters gut beobachten. Auf einem riemengetriebenen Transferband laufen die Rahmen getaktet in die Zelle ein und werden pneumatisch fixiert. Lichtschranken überwachen die Ein- und Ausfahrt der Elemente in die jeweilige Arbeitsstation. Alle Stationen kommunizieren untereinander über die Anlagensteuerung. Per Barcode erhält die Zellensteuerung alle Informationen zum Werkstück und den erforderlichen Arbeitsgängen. Nacheinander werden Ecklager, Scherenlager und Schließstücke gesetzt und verschraubt, bis das Element komplettiert ist. Dabei wird der Portalroboter keineswegs bis zur Höchstgeschwindigkeit ausgereizt und hat durchaus noch Potenzial, zumindest bei kleinen Einheiten. Als Herzstück der Anlage bezeichnet Reis den Multifunktionsgreifer, wobei das Wort Greifer das komplexe Gebilde nicht annähernd beschreibt. Es besteht aus mehreren Parallelgreifern, Vakuumsaugern, Messtastern sowie Horizontal- und Vertikalschraubern. Je nach Spezifikation kann der Greifer mit oder ohne Bohrspindel ausgestattet werden.
Das Portal deckt eine Arbeitsfläche von 3,10 m x 2,50 m bei maximaler Funktionalität und Genauigkeit ab. „Mit einem Knickarmroboter oder einem freitragenden Zweisäulenroboter“, so Schüco-Mann Oeldemann, „wäre diese Arbeitsfläche nicht zu bewältigen gewesen.“ Bei den erforderlichen Genauigkeiten von ±1 mm wären die Schwingungen der Anlage zu groß geworden.
Für die Automatisierung hat sich die Bereitstellung der Beschläge in Blister-Paletten als optimal erwiesen. Auch hier war die Zusammenarbeit zwischen Anwender und Automatisierungsspezialisten bei der Entwicklung einer geeigneten, automatisierungsgerechten Blisterform gefragt. Aus Kostengründen hat man darauf verzichtet, Blister mit weißen und braunen Beschlägen gleichzeitig bereit zu stellen. Das hätte deutlich mehr Platz beansprucht. Also werden die entsprechenden Paletten vom Bedienungspersonal manuell bereit gestellt und bei Bedarf gewechselt. Das Fassungsvermögen des Blisterspeichers ist so ausgelegt, dass die Anlage eine volle Schicht ohne weiteren Eingriff produzieren kann. Wird ein neuer Stapel bereit gestellt, sucht der Roboter zunächst den Referenzpunkt und weiß danach jederzeit im laufenden Betrieb, in welches Blisternest er als nächstes greifen muss.
„Oberstes Ziel“, versichert Oeldemann, „ist die Qualität der produzierten Elemente.“ Ein kontrollierter Wareneingang ist schon lange Standard. Die Fertigung wird permanent überwacht. Dabei werden Verarbeitungsparameter nachgemessen und wenn notwendig korrigiert. Eine sogenannte M-Kontrolle für das fertige Element beschließt die Qualitätssicherung der Produktion. Zusätzlich steht die Fertigung in regelmäßigem Kontakt mit dem Kundendienst. So nutzt das Unternehmen Informationen über beanstandete Teile, um die Fertigung weiter zu optimieren. Auf eine i.O.-Rate will sich Oeldemann nicht festlegen: „Wir wollen die Qualität ständig verbessern. Da gibt es praktisch keine Obergrenze.“
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