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Schwäbische Autobauer läuten ein neues Roboter-Zeitalter ein

Kooperierende Roboter reduzieren unproduktive Transportzeiten in der Fertigung
Schwäbische Autobauer läuten ein neues Roboter-Zeitalter ein

Im Werk Sindelfingen der DaimlerChrysler AG wird Robotergeschichte geschrieben. Derzeit sind rund 80 kooperierende Automaten im Rohbau der S-Klasse aktiv. 300 weitere Modelle sollen in diesem Jahr folgen.

Von unserem Redaktionsmitglied Uwe Böttger uwe.boettger@konradin.de

Bernd Liepert gibt sich zurückhaltend und bescheiden: „Wir freuen uns, dass wir als Roboterlieferant von DaimlerChrysler tätig sein dürfen“, sagt der Geschäftsführer der Kuka Roboter GmbH. „So schreiben wir mit an einem wichtigen Kapitel der deutschen Industrieroboter-Geschichte.“
Der Augsburger Roboterhersteller und DaimlerChrysler haben schon eine lange gemeinsame Wegstrecke hinter sich. Bereits Ende der siebziger Jahre lieferte Kuka das erste Modell an den schwäbischen Autobauer. In den neunziger Jahren entwickelten die Augsburger eine Robotersteuerung auf der Basis eines Standard-PC. Das war zugleich der Grundstein für die kooperierenden Roboter, die in diesem Jahr die Fertigungstechnik im Sindelfinger Werk auf ein neues Niveau heben sollen. „DaimlerChrysler war einer von zwei Großkunden, der diesen Weg mitgegangen ist“, weiß Liepert. „Das war in einer Zeit, als die PC-Technik noch nicht das Maß aller Dinge in der Automatisierung war.“
Das neue Konzept der kooperierenden Roboter soll im Sindelfinger Werk eine positive Kettenreaktion auslösen. „Die Technik optimiert den Fertigungsprozess und verbessert so die Produktivität“, ist sich Günter Walz sicher. Der Leiter Produktionsplanung der Mercedes Car Group geht noch einen Schritt weiter: „Das wiederum sichert die Wettbewerbsfähigkeit und trägt dazu bei, bestehende Arbeitsplätze in Deutschland zu erhalten.“ DaimlerChrysler war nicht knausrig. Rund 3 Mio. Euro haben die Schwaben mittlerweile in das Projekt investiert.
„In der Vergangenheit war der Roboter ein dummes, blindes System, dessen Gehirn in einer externen SPS untergebracht war“, zeichnet Liepert die Entwicklung nach. „Die hat dem Roboter genau erklärt, wann er wo was zu tun hat.“ Vier oder fünf von diesen Automaten arbeiten in der Regel in einer Fertigungszelle. Zwischen den Zellen ist ein so genannter Transferroboter installiert, der das Werkstück aus der einen Zelle nimmt und zur nächsten bewegt. „In dieser Zeit erfährt das Werkstück keine Wertschöpfung“, umschreibt Liepert den entscheidenden Nachteil. „Transportzeit ist tote Zeit.“
Das soll sich in Sindelfingen grundlegend ändern. Knackpunkt der neuen Technik ist die intelligente Kommunikation der Roboter untereinander. Die stählernen Kollegen sind dabei über ein Realtime-Ethernet miteinander verbunden. Sie kennen nicht nur die eigene Position, sondern auch die der Nachbarn. Dadurch lässt sich ein Fertigungsverfahren realisieren, das mit herkömmlichen Produktionstechnologien nicht möglich war: Der Handlingroboter nimmt das Teil bereits auf, während es in der einen Zelle noch bearbeitet wird. Schon während der Übergabe setzen die Roboter aus der nächsten Zelle die Bearbeitung an dem Werkstück fort. Das Ganze erinnert fast an den fliegenden Wechsel einer Sprintstaffel in der Leichtathletik.
Damit das alles funktioniert, müssen sämtliche Maschinen miteinander vernetzt sein. „Dieses Arbeiten in der Bewegung ist ein Novum“, so Walz. „Es versetzt uns in die Lage, in den einzelnen Fertigungsbereichen die unproduktiven Transportzeiten theoretisch auf Null zu drücken und damit die Produktionszeit zu verkürzen.“ Für Walz bedeutet das nicht, dass in Zukunft weniger Roboter in Sindelfingen gebraucht werden. Aber der Nutzungsgrad der Maschinen lasse sich dadurch entscheidend verbessern.
Die Zusammenarbeit der Roboter ist präzise, ohne dass eine externe Steuerung den Takt vorgibt. Das Timing machen die Maschinen unter sich aus. „Wenn zum Beispiel der Transferroboter das Werkstück schneller bewegt, als der Prozessroboter schweißen kann, dann gibt dieser dem Transferroboter eine entsprechende Meldung“, beschreibt Liepert das Prinzip. Die Botschaft lautet: Mach bitte langsamer, ich bin mit meinem Prozess noch nicht fertig. Nach diesem Prinzip gibt das schwächste System im Verbund die Taktzeit vor und muss unter Umständen den stählernen Kollegen bremsen. Ist der Schweißroboter schließlich fertigt, erfolgt erneut eine Meldung an den Transferroboter, der dann seine Bewegung wieder beschleunigen und zu Ende bringen kann.
Auf diese Weise kommunizieren die Roboter und synchronisieren sich gegenseitig über die so genannte geometrische Kooperation. Ein Roboter hat das Kommando, die anderen richten sich nach ihm. Die Spezialisten sprechen deshalb auch von der Master-Slave-Technologie. Diese erleichtert im Übrigen auch die Programmierung der Maschinen. Dabei sind nur geringfügig höhere Anforderungen nötig als bei konventionell gesteuerten Industrierobotern – und zwar unabhängig von der Größe des Roboterteams.
Der Fortschritt des Teamworks zwischen mehreren Robotern zeigt sich nicht nur in langen Fertigungslinien, sondern auch bei komplexen Bauteilen oder Werkstücken, die beidseitig bearbeitet werden müssen. Bislang kamen Industrieroboter wegen ihres eingeschränkten Bewegungsschemas oft nur von einer Seite an das Teil heran. Schon wenn ein Schweißpunkt in einem problematischen Winkel zu setzen war, musste das Werkstück aus der Vorrichtung genommen, in die richtige Lage gedreht und erneut eingespannt werden. Die Alternative war das Einrichten einer neuen Bearbeitungsstation. Das gleiche Problem stellte sich, wenn die Rückseite zu bearbeiten war.
Im Teamwork hingegen hält ein Automat das Bauteil und bewegt es frei, während ein oder mehrere Roboter die Schweiß- und Klebeaufgaben durchführen. Auch der Prozessroboter selbst ist mobil und kann bei Bedarf die Arbeitsposition wechseln. „Bislang musste der Roboter zum Werkstück, jetzt kommt das Teil zum Roboter“, erklärt Produktionsplaner Walz. „Und das Werkstück kommt immer so, wie es der Arbeitschritt verlangt.“ Das Resultat seien optimal geführte Schweiß- und Klebenähte. Bislang haben es DaimlerChrysler und Kuka geschafft, 15 Roboter in einer Versuchsanordnungen zusammenarbeiten zu lassen, Tendenz steigend. „Schon in wenigen Jahren werden beliebig viele Automaten miteinander kooperieren“, prophezeit Walz. Damit besitzen die beiden Unternehmen nach eigener Einschätzung einen deutlichen Vorsprung gegenüber dem Wettbewerb.
Kooperierende Roboter sollen in Sindelfingen auch die Werklayouts langfristig verändern. Die Schwaben setzen auf kürzere Produktionslinien und weniger aufwändige Installationen, beispielsweise zum Heben von großen und schweren Lasten. „Wir wollen weg von den Sondermaschinen“, versichert Walz. „Und ein Schwerlastroboter ist für uns eine Sondermaschine.“ Stattdessen sollen mehrere Standardroboter, von denen jeder einzelne eine maximale Traglast von 500 kg besitzt, weitaus schwerere Rohkarossen transportieren. Die Vorteile liegen auf der Hand: Zum einen spart sich der Autobauer komplizierte und teure Liftanlagen. Zum anderen können die kooperierenden Roboter die Karossen in jede gewünschte Position drehen. Dadurch verbessert sich die Zugänglichkeit für andere Maschinen.
Kooperierende Roboter revolutionieren nicht nur den Produktionsprozess, sie brauchen zudem weniger Platz. „Da wir auch die Kollisionsvermeidung im Fokus haben, können wir die Automaten auf einem engeren Arbeitsraum zusammenbringen“, so Walz. Als Beispiel nennt er die laufende C-Klasse im Werk Bremen. In der Kooperation sind dort die Roboter enger zusammengerückt, die Schweiß- und Transportprozesse überlagern sich. „Uns ist es gelungen, den Flächenbedarf um 18 Prozent reduzieren“, freut sich Produktionsplaner Walz.
Früher musste der Roboter zum Werkstück, jetzt ist es umgekehrt
Im Werk Bremen konnte der Flächenbedarf um 18 % reduziert werden
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