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Werker und Roboter werden ein Team

Mensch-Maschine-Kollaboration soll die Fertigung auf ein neues Niveau heben
Werker und Roboter werden ein Team

Der Robotik-Experte Prof. Gerd Hirzinger vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt prophezeit der Zusammenarbeit von feinfühligen Robotern und Werkern eine große Zukunft. Durch die Kombination sei schon bald eine völlig neue Art der Automatisierung möglich.

Herr Prof. Hirzinger, wie war das Verhältnis zwischen Werker und Roboter in den Anfängen der Robotik, als die ersten Modelle bei den Automobilherstellern installiert wurden?

Ich denke, dass Interesse und Neugierde überwogen haben. Außerdem bekamen die Arbeiter die Chance, sich zu qualifizieren, um danach einen Roboter bedienen und warten zu können. Allerdings habe ich damals auch gelernt, dass man nicht alle Menschen damit begeistert, wenn man ihnen sagt, dass sie bald nicht mehr den ganzen Tag eintönige Bewegungen machen müssen, zum Beispiel beim Bestücken einer Maschine. Dass sie stattdessen etwas Höherwertiges lernen können. Wir mussten damals erfahren, dass eine solche Zwangsbeglückung nicht immer funktionieren muss.
Für die Arbeiter war der Kollege aus Stahl damals doch ein Jobkiller. In den Anfängen sollen Mitarbeiter nachts in die Fabrik eingestiegen sein und die Versorgungskabel der Roboter gekappt haben.
Ich kann das zwar nicht ausschließen, aber mir ist dieser Einstieg zumindest nicht zu Ohren gekommen. Aber es ist generell so, dass es bei fast jeder technischen Neuerung Ängste gegeben hat, zum Beispiel beim elektrischen Kochen. Die Hausfrauen wollten Oskar von Miller zunächst nicht glauben, dass es auch nicht gefährlicher sei als das Kochen mit Holz oder Kohle. Oder bei den ersten Eisenbahnen. Es wurde befürchtet, dass der Mensch bei Geschwindigkeiten über 30 Stundenkilometer gesundheitliche Schäden davontragen würde. Bei den Robotern haben die Arbeiter relativ schnell erkannt, dass es besser ist, wenn eine Maschine die schweren Schweißzangen herumwirbelt und nicht der Mensch. Nebenbei bemerkt: Diese Anwendung ist heute noch ein Haupteinsatzgebiet der klassichen Industrieroboter.
Ist der Roboter heute ein Jobkiller?
Definitiv nein. Und er war es auch noch nie. Es gab solche Ängste nach meiner Wahrnehmung vor fünfzehn bis zwanzig Jahren. Inzwischen hat es sich längst herumgesprochen, dass Industriezweige wie etwa die Autobauer, die massenweise Roboter einsetzen, zu den Säulen unseres Wohlstands geworden sind. Die Unternehmen blieben langfristig wettbewerbsfähig und konnten sogar neue Mitarbeiter einstellen. Branchen wie etwa die Unterhaltungselektronik, die keine Robotik in der Produktion eingesetzt haben, sind dagegen weitgehend aus Deutschland verschwunden. Wenn ich heute in Vorträgen erwähne, dass ein automatischer Produktionsassistent zusammen mit dem Werker in Zukunft so effizient montieren kann, dass man womöglich Produktionsarbeitsplätze, die in Billiglohnländer abgewandert sind, nach Deutschland zurückholen kann, dann erlebe ich viel Zustimmung.
Es heißt immer, dass Roboter monotone und gesundheitsschädliche Arbeiten übernehmen wie zum Beispiel das Gussputzen. Aber was geschieht denn mit den Kollegen, die diese Arbeit gemacht haben?
Es ist leider so, dass immer noch zu viele Menschen in gesundheitsschädlichen Bereichen arbeiten. Wir haben bereits 1978 in der Amberger Luitpoldhütte versucht, Robotern das Gussputzen beizubringen. Jeder, der die mit Gussstaub bedeckten, schwarzen Gesichter der Arbeiter sah, wusste sofort, dass es keinen Sinn macht, solche Arbeitsplätze um jeden Preis zu erhalten. Das zeigte auch die extrem hohe Fluktuation. Keiner wollte da lang bleiben, die haben sich meist schnell etwas anderes gesucht. Das feinfühlige Abschleifen von Gussgraten und Schweißnähten ist im Übrigen heute immer noch ein Problem für Roboter.
Wie würden Sie die Beziehung zwischen Werker und Roboter heute beschreiben? Ist der Arbeiter von heute offen für die Robotertechnik?
Heute sind Menschen und Roboter typischerweise durch Sicherheitszäune voneinander getrennt und arbeiten unabhängig voneinander. Es ist jedoch ein klarer Trend erkennbar, dass beide zu einem immer stärker verschmelzenden Team werden. Das bringt zahlreiche Vorteile in der mittelständischen Produktion und im Niedriglohnsektor mit sich. Natürlich muss so ein technischer Wandel entsprechend kommuniziert und den Arbeitern die enormen Vorteile dieser neuen Möglichkeiten aufgezeigt werden. Bereits existierende Beispiele aus der Industrie zeigen, dass heutige Arbeiter, vermutlich auch aufgrund der generellen Technisierung unseres Alltags, bereits sehr aufgeschlossen sind. Die sich ergebenden Chancen werden klar erkannt und sogar geschätzt.
Sind Roboter für den Mitarbeiter im Sinne einer Verletzung gefährlich?
Natürlich sind klassische, starre und schwere Industrieroboter, die nicht für die Zusammenarbeit mit dem Menschen entwickelt wurden, sehr starke, schwere und daher potentiell gefährliche Maschinen. Roboter der nächsten Generation jedoch, die von Anfang an für eine Zusammenarbeit mit dem Werker entworfen wurden, sind ungleich sicherer. Die Modelle zeichnen sich durch Leichtbauweise aus, können fühlen und sind nachgiebig gegenüber ihrer Umgebung. Es müssen aber noch andere Probleme gelöst werden, bevor jegliche Gefahr ausgeschlossen werden kann. Eine besondere Rolle spielen dabei die Endeffektoren des Roboters und das zu manipulierende Werkstück. Gibt es hier zum Beispiel scharfe Kanten, dann müssen Schutzmaßnahmen getroffen werden. Wir sind aber auf einem guten Weg, diese Probleme in den Griff zu bekommen, um dem Anwender entsprechende Werkzeuge an die Hand geben zu können.
Auf einer Fortbildung habe ich einmal gelernt, dass jeder Roboter gefährlich sei, auch wenn er ganz klein ist. Stimmt das?
Eine derart pauschale Aussage ist mit Vorsicht zu genießen. Grundsätzlich müssen Roboter in der Mensch-Roboter-Kollaboration leicht und feinfühlig sein. Anforderungen aus der Maschinensicherheit sind auch für leichte Roboter zu gewährleisten, etwa die funktionelle Sicherheit. Insbesondere muss dafür gesorgt werden, dass der Roboter einen Menschen durch eine ungewollte Kollision nicht verletzen kann. Das wirft die Frage auf, welche Robotereigenschaften die Verletzung eines Menschen in einer Kollision maßgeblich beeinflussen. An diesem Thema forschen wir gemeinsam mit Medizinern und Biomechanikern seit bald einem Jahrzehnt intensiv und haben die notwendigen Grundlagen geschaffen. Die Erkenntnisse sind die Basis für neue Robotersicherheitsnormen. Mit unserem fundierten Verständnis können wir in vielen Situationen bewerten, ob ein Roboter biomechanisch sicher ist oder eben nicht. Mit anderen Worten: Kann der Roboter den Menschen verletzen oder nicht? Diese Frage muss für jeden Roboter gesondert betrachtet werden.
Gehören Roboter hinter Gitter? Oder ist das nicht mehr zeitgemäß?
Auch hier muss ich zwischen klassischen Industrierobotern und Robotern der nächsten Generation unterscheiden. Erstere gehören wie gehabt hinter Schutzzäune, abgesehen von wenigen Ausnahmen. Und das so lange, bis eine absolut sichere Überwachung des Arbeitsraums möglich ist. Für die neue Generation ist und war das noch nie zeitgemäß, da sie ja eben für den Betrieb ohne Schutzzaun entworfen wurden. Es hat eine Weile gedauert, bis sich diese Unterscheidung durchgesetzt hat und allgemein von der Anwenderschaft akzeptiert wurde. Es sind schlicht und ergreifend zwei völlig verschiedene Techniken, die beide Roboter genannt werden. Das ist zwar korrekt, aber aus diesem Grund wurden sie auch pauschal in einen Topf geworfen.
Welche Alternativen gibt es zu den altgedienten Schutzgittern?
Hier gab es in den letzten zehn Jahren enorme Fortschritte. Die Roboter sind mit neuen Algorithmen und so genanntem Modellwissen ausgestattet. Sie kennen sozusagen die menschliche Verletzungsbiomechanik, erzeugen daher nur biomechanisch sichere Bewegungen und richten selbst bei einer Kollision keinen Schaden an. Das alles ist erst seit kurzem möglich. Hinzu kommt, dass die Bildverarbeitung in den letzten fünf Jahren große Fortschritte gemacht hat. Dadurch kann die sichere Kollisionsvermeidung in industriellen Anwendungen inzwischen auch kommerziell angegangen werden, denn dazu braucht man gerade bildgebende Information. Auf diese Weise werden völlig neue, digitale Schutzgitter möglich, die sich den jeweiligen Situationen anpassen können.
Warum ist eine Zusammenarbeit zwischen Roboter und Mensch wünschenswert, welche Vorteile ergeben sich daraus?
Grundsätzlich können damit Arbeiten, die schon lange nicht mehr in Deutschland durchgeführt werden, wieder wirtschaftlich bei uns stattfinden. Generell werden die Kosten in der Fertigung gedrückt und der Produktionsstandort Deutschland dadurch gestärkt. Durch die Kombination von feinfühligen Robotern und dem Expertenwissen des Menschen ist eine völlig neue Art der Automatisierung denkbar, die flexibler, schneller und hochwertiger ist als die bisherige. Überdies können Roboter auch die Arbeitsplatzqualität der Menschen steigern, indem sie ergonomisch schwierige Arbeiten übernehmen. Der Mensch wiederum kann sich höherwertigen Aufgaben wie zum Beispiel der Prozessüberwachung zuwenden. Langfristig wäre es sogar möglich, in Kleinstbetrieben wirtschaftlich zu arbeiten, da Roboter ohne Schutzzaun erschwinglich sind.
Welche Arbeiten oder Abläufe sind prädestiniert für die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter?
Arbeitsabläufe, die große Flexibilität erfordern, würden sehr stark von der Zusammenarbeit profitieren. Dort lässt sich die Interaktionsfähigkeit des Roboters optimal mit den Fähigkeiten des Menschen kombinieren. Dies gilt sowohl während der Programmierung der Aufgabe, als auch in der Produktionsphase. Immer wiederkehrende Prozessschritte, die ermüdend und dadurch fehleranfällig sind, übernimmt der Roboter. Und Arbeitsschritte, die mehr Expertenwissen erfordern, dass der Roboter nicht hat, übernimmt der Mensch. Im Grunde gibt der Mensch dem Roboter den Arbeitsplan vor, der dann gemeinsam ausgeführt wird. Je nach Tätigkeit arbeitet der Roboter dem Menschen direkt zu. Alternativ kann ein Arbeiter eine ganze Zelle mit mehreren Robotern überwachen und nur im Fehlerfall sicher eingreifen. Es muss nicht wie bisher die gesamte Anlage abgestellt werden. Die Anwendungsfelder sind vielfältig. Sie reichen von der Montage in der Großindustrie bis hin zur professionellen Servicerobotik im Krankenhaus.
Ist die Kooperation zwischen Mensch und Roboter ein Zukunftsthema?
Auf jeden Fall. Die bisherigen Ansätze und zeitnahen Anwendungsgebiete sind ja nur der Anfang. Interagierende Roboter werden als alltägliche Helfer im engen Kontakt mit den Menschen und in vielen Lebenslagen unterstützend tätig sein. Sicher auch in Bereichen, die heute noch gar nicht abzusehen sind. Eine sehr wichtige Frage dabei ist, wie wir gesellschaftlich und rechtlich mit der zwangsläufig steigenden Autonomie von Robotern umgehen. Um diese Frage zu klären, sind noch Jahre an intensiver Forschung und Entwicklung notwendig. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die flächendeckende Kooperation zwischen Mensch und Roboter auch die einmalige Möglichkeit, dass Roboter von Menschen im großen Stil lernen können und so immer komplexere Fähigkeiten entwickeln. Der Mensch wiederum profitiert von neuen Anwendungen und Lösungsansätzen. Generell wird das Thema nicht nur die Automatisierung revolutionieren, sondern auch den Durchbruch in der Servicerobotik befeuern.
Wie könnte die Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter im Jahr 2030 aussehen?
Derzeit werden in der Robotik-Forschung insbesondere die Lernfähigkeit von Robotern während der Zusammenarbeit mit dem Menschen und deren automatische Planung mit Nachdruck verfolgt. Die daraus resultierenden Methoden werden in Zukunft komplexe Anwendungen ermöglichen, die heute noch nicht machbar sind. Roboter werden akkumuliertes Wissen aus vergangenen Interaktionsprozessen nutzen, um ihre eigene Leistungsfähigkeit zu verbessern. Sie werden dank neuer, automatischer Planungsmöglichkeiten viel intuitiver und proaktiver mit dem Menschen interagieren können. Derzeit ist das eher ein iterativer Prozess, der sehr vom Menschen getrieben wird. Die Robotersysteme übernehmen die zugeführte Information, ohne sie zu hinterfragen oder den Anforderungen anzupassen. Roboter können heute nur eingeschränkt teilautonome Handlungsabläufe durchführen. Die entsprechenden technologischen Schübe würden dem Menschen die Programmierung der Roboter und die Zusammenarbeit mit ihnen enorm erleichtern. Dank der wachsenden Verbreitung der Roboter und deren Anbindung an unsere vernetze Welt wären bereits existierende Lösungen verfügbarer und ließen sich leichter austauschen. Heute ist der Roboter ein flexibles Powertool, in Zukunft wird er ein intelligentes Powertool sein.
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