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Neue Rekorde, neue Herausforderungen

Worauf sich die Zeitarbeit in diesem Jahr einstellen muss
Neue Rekorde, neue Herausforderungen

Erst Motor der Wirtschaft, dann Prügelknabe, jetzt schon wieder auf dem Weg nach ganz oben: Die Zeitarbeit erreicht derzeit ihren Höchststand. Über das schnelle Zusammenbringen von Menschen und Jobs hinaus sieht die Branche in der Qualifizierung ein erhebliches Potenzial.

Rund 900 000 Zeitarbeitnehmer zählte die Bundesagentur für Arbeit im vergangen Dezember. So viele, wie lange nicht mehr. „In diesem Jahr könnte zum ersten Mal die Millionengrenze fallen“, erwartet Hartmut Lüerßen, Partner der Lünendonk GmbH aus Kaufbeuren, die in jedem Frühjahr die Liste der führenden Personaldienstleistungsunternehmen in Deutschland veröffentlicht.

Das wird auch davon abhängen, wie sich eine ganz neue Regelung auf den Markt auswirkt. Gerade hat der Bundestag per Gesetz „zur Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung“ ab Mai einen gesetzlichen Mindestlohn von 7,79 Euro in Westdeutschland und 6,89 Euro in Ostdeutschland beschlossen.
Die Zeitarbeitsunternehmen geben sich gelassen, vor allem diejenigen, die den großen Arbeitgeberverbänden angehören. Michael Wieneke, Geschäftsführer der Trenkwalder Personaldienste GmbH aus München: „Für uns ändert sich prinzipiell nichts, wir wenden ohnehin den mit dem DGB vereinbarten Tarifvertrag an.“ Und Dr. Axel von Zimmermann, Geschäftsführer der Gess-Gruppe, Personaldienstleister mit Stammsitz in Düsseldorf, ergänzt: „Vor allem für den Bereich der ungelernten Helfer, die ungefähr ein Drittel der Zeitarbeitnehmer ausmachen, ist das eine begrüßenswerte Initiative.“ Ohnehin zahle sein Unternehmen für qualifizierte Mitarbeiter mehr als tariflich vereinbart, gibt sich auch von Zimmermann gelassen.
Dass nun endlich der lange diskutierte Mindestlohn Wirklichkeit wird, hat seinen Grund: Ab dem 1. Mai gilt die vollständige Freizügigkeit auch für die Arbeitnehmer aus den acht neuen EU-Mitgliedsstaaten.
Wie wird sich das auswirken? Die Prognosen sind ganz unterschiedlich. Angesichts des Ansturms von 100 000 bis 140 000 Arbeitssuchenden aus Osteuropa, wie ihn die Bundesagentur für Arbeit erwartet, hätte es „ohne den gesetzlichen Mindestlohn zu einem mörderischen Konkurrenzkampf in der Branche kommen können“, meint Gess-Chef von Zimmermann.
Trenkwalder-Geschäftsführer Michael Wieneke sieht die Öffnung des Arbeitsmarktes dagegen als Chance und hält die Effekte für überschaubar. „Wir sind ohnehin international tätig und auch in Osteuropa bestens aufgestellt. Wir werden die Chancen nutzen, um für unsere Kunden Fachpersonal zu suchen, das sonst nicht so leicht zu finden wäre.“
Das Gesetz enthält auch die so genannte „Drehtürklausel“, mit der verhindert werden soll, dass Stammbeschäftigte entlassen und zu schlechteren Bedingungen wieder eingestellt werden. Und last but not least hat der Gesetzgeber den Tarifvertragsparteien zur Aufgabe gemacht, den Grundsatz „equal treatment, equal pay“ binnen Jahresfrist Wirklichkeit werden zu lassen.
Trenkwalder-Chef Michael Wieneke gibt zu bedenken: „Die Forderung nach dem Equal Pay ist schnell ausgesprochen. Aber über die sehr komplexe Umsetzung bei einigen tausend Tarifverträgen hierzulande hat sich noch kein Befürworter im Detail Gedanken gemacht.“
Zahlen Zeitarbeitsfirmen in Zukunft ihren Mitarbeiten den gleichen Lohn, wie ihn die Beschäftigten im entleihenden Betrieb bekommen, muss das fast zwangsläufig ihre Dienstleistung verteuern. Was sagen die Auftraggeber, die Unternehmen dazu? Daniel Deckers, geschäftsführender Gesellschafter der Atrikom Fulfillment aus Ginsheim-Gustavsburg: „Wir sind ein mittelständisches Dienstleistungsunternehmen und unterstützen unsere Kunden, etwa in der Automobilindustrie, mit Komplettlösungen im Marketing und E-Business. Für uns ist Flexibilität absolut oberstes Gebot.“
Heute acht, nächste Woche 20 Zeitarbeitnehmer setzt das Unternehmen mit rund 100 Beschäftigten ein, um Auftragsspitzen abzudecken. „Von einem Zeitarbeitsunternehmen erwarte ich, dass es genau weiß, was wir brauchen, uns schnell und zuverlässig den gesamten aufwendigen Recruitingprozess abnimmt und genau die qualifizierten Leute überlässt, die wir zur Abwicklung unserer Aufgaben brauchen.“ Dabei ist der Preis für diese Dienstleistung laut Deckers zwar nicht Nebensache, hat aber auch nicht oberste Priorität.
Axel Krause, Personalleiter der Deutschen Edelstahlwerke (DEW) in Siegen, sieht das ähnlich. „Wir achten stets darauf, dass Leiharbeitnehmer die gleichen Arbeitsbedingungen, die gleiche Bezahlung, die gleichen Sicherheitsstandards, die gleiche medizinische Betreuung, den gleichen Zugang zu arbeitsplatzbezogener Qualifizierung und die Möglichkeit zu einer sachgerechten Vertretung durch den Betriebsrat haben.“ Die Deutschen Edelstahlwerke haben darüber hinaus eine Vereinbarung mit ihrem Betriebsrat getroffen, nach der Leiharbeitnehmer übernommen werden, wenn ihr Anteil am Gesamtpersonal dauerhaft acht bis zehn Prozent übersteigt. So hat das Unternehmen allein in den Jahren 2006 bis 2008 mehr als 200 Leiharbeitnehmer übernommen und fest angestellt. Im Gegenzug verlangt das Unternehmen auch einiges von seinen Personaldienstleistern: „Wir erwarten, dass die Verleihunternehmen selbst hohe Sicherheitsstandards leben, dass sie das bei uns erzielte Entgelt direkt an die Mitarbeiter weitergeben und sie die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Mitarbeiter an Qualifizierungsmaßnahmen teilnehmen können. Auch die Bereitstellung von Ausbildungsplätzen ist für uns ein entscheidendes Kriterium“, so Krause.
Ausbildungsplätze schaffen, Weiterbildung organisieren – was hat das noch mit Zeitarbeit zu tun? „Das, was die Branche gut kann und was ihr Kerngeschäft ist, das ist das schnelle Zusammenbringen von Menschen und Jobs“, beantwort Marktforscher Hartmut Lüerßen diese Frage. Aber darüber hinaus sieht er in der Qualifizierung „großes Potenzial, „vor allem, wenn alle Beteiligten, die Bundesagentur, die Kammern und die Weiterbildungsträger noch stärker als bisher zusammen arbeiten.“
Verändert sich also in naher Zukunft die Rolle der Zeitarbeitsunternehmen – weg vom reinen „Beschaffer meist ungelernter Helfer“, hin zu einem „Rundum-Personalservice“? Axel von Zimmermann, Geschäftsführer der Gess-Gruppe, weiß: „Die Kunden fordern von ihren Partnern im HR-Bereich immer öfter ein komplettes Service-Portfolio. Das reicht von der Arbeitnehmerüberlassung, über die Personalvermittlung und -beratung bis zum kompletten Outsourcing ihrer eigenen Personalabteilung oder der Realisierung von IT-Projekten.“ Und das ist nichts für kleine Fische.
Schon jetzt beherrschen die großen Anbieter wie Randstad, Adecco oder Manpower den Zeitarbeitsmarkt – solche Tendenzen werden wohl, erwarten Experten, noch zu einem weiteren Konzentrationsprozess führen: Wenige große Anbieter dominieren den Markt, viele kleine und mittlere Unternehmen besetzen Nischen. Es bleibt im Jahr 2011 spannend in einem ohnehin bewegten Markt.
Gabriele Müller Freie Journalistin in Wuppertal
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