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Die Natur hilft, Kosten zu senken

Naturfaser-Spritzguss: präziser und günstiger als ABS-SpritzgieSSteile
Die Natur hilft, Kosten zu senken

Ein neuer Werkstoff könnte helfen, die Spritzguss-Kosten zu senken: Polypropylen mit Naturfaser-Verstärkung. Das Material ist nicht teurer als ABS oder POM und lässt sich bei vergleichbaren Materialeigenschaften günstiger verarbeiten.

Wer hätte das gedacht, dass Naturfaser-Werkstoffe einmal etablierte technische Kunststoffe herausfordern? Und zwar nicht des Öko-Touchs wegen, sondern wegen harter Fakten. Nun ist es so weit. Mit Naturfasern gefüllte Matrixwerkstoffe wie PP sollen Materialien wie POM, ABS oder PA bei gleichen oder besseren mechanischen Eigenschaften ersetzen – und dabei Kosten sparen. Das KAT-Kompetenzzentrum Ingenieurwissenschaften/Nachwachsende Rohstoffe der Hochschule Magdeburg-Stendal (FH) führte über mehrere Jahre Tests durch. Jetzt sind die Anwendungswissenschaftler dabei, das Konzept der Industrie vorzustellen. Muster-Spritzgussteile, konzipiert für die Serie, liegen zurzeit bei diversen Unternehmen zur Bauteilprüfung und abschließenden Bewertung. „Wir sparen rund ein Drittel der Prozesskosten ein“, sagt Dr. Peter Gerth, Sprecher des Kompetenzzentrums. Dies belegt er am Beispiel jener Muster, die derzeit nicht der Geheimhaltung unterliegen und bei denen daher die Kostenstruktur veröffentlicht werden darf: Spritzgießteile in Fenster- und Türkonstruktionen, bei denen eine PP-Ausführung mit 25 % Hanffasern der konventionellen PA6-Ausführung gegenübersteht.

Die Kalkulation basiert zunächst auf den geringen Preisen von Polypropylen (PP) und den Verstärkungsmaterialien Hanf, Holz oder Getreideschroth (die mit nur 0,2 bis 0,6 Euro/kg zu Buche schlagen). Sie bewirken, dass das Granulat trotz aufwendiger Compoundierung (Einbringen der Fasern) preislich niedriger kommt als das Granulat hochwertiger Thermoplaste, im ungünstigen Fall aber gleichzieht – je nach Abnahmemenge. Die Kostenvorteile entstehen also nicht durch niedrigere Materialkosten, sondern durch den effizienteren Spritzgießprozess für das naturfaserverstärkte PP. Projektingenieur Thomas Bagusch verdeutlicht dies mit Zahlen: Bei den im Naturfaser-Spritzguss hergestellten Türelementen genügten Prozesstemperaturen zwischen 160 und 175 °C, während die PA-Ausführung 225 °C benötigte. Die Zykluszeit ließ sich von 31 auf 22 s verkürzen. Und nicht zuletzt sei das Teilegewicht von 36 auf 24 g gesunken. „Man spart also an den drei wichtigsten Punkten – an Zeit, elektrischer Energie und Masse.“ Hinzu kommt, dass die Spritzgussteile aufgrund der Faserverstärkung um weniger als 0,5 % schwinden. Sie weisen damit eine viel bessere Maßhaltigkeit auf als die unverstärkten ABS-, POM- oder PA-Teile, bei denen Schwindungsraten zwischen 2 und 4 % üblich sind. Unterm Strich bietet der Naturfaser-Spritzguss mit PP-Matrix also wirtschaftliche und technische Vorteile durch
  • verringerten Energieaufwand,
  • verkürzte Zykluszeiten,
  • verbesserte Maßhaltigkeit und
  • mechanische Eigenschaften ähnlich POM und ABS.
„Wir wissen, dass die Methode funktioniert“, sagt KAT-Sprecher Dr. Gerth, auch wenn die erste Umsetzung in der Serie noch ausstünde. Verschiedenste Teile wie Handräder, Lüftungsteile und Sitzabdeckungen seien entstanden. Allerdings räumt er ein, dass das Verfahren erklärungsbedürftig ist. Kritisch gefragt werde immer wieder nach Feuchtigkeitsbeständigkeit, Brandanfälligkeit und Geruchsbildung. Gerths Antwort: Zwar werden Bewitterungsversuche durchgeführt. Doch beim Naturfaser-Spritzguss ist noch primär an Innenraumanwendungen zu denken. Die Brandanfälligkeit kann verringert werden. Sie entsteht aber nicht durch die Naturfasern, sondern ist ein Problem des Matrixwerkstoffes PP, der dafür modifiziert werden muss. Und unangenehme Gerüche lassen sich durch Optimieren des Verarbeitungsprozesses verhindern. „In die Anwendungsentwicklung muss durchaus noch Arbeit investiert werden.“
Wichtig ist Gerth vor allem, dass die gesamte Prozesskette steht. „Wir würden uns nicht an die Spritzgießer wenden, wenn wir nicht zusichern könnten, dass sie 100, 500 oder auch 1000 Tonnen Material beziehen können.“ Auf dem Markt sei genügend – auch gutes – Material vorhanden. Um die Rohstoffversorgung kümmert sich eigens Baguschs Teamkollege Johann Zimprich.
Die Materialauswahl steht ebenfalls auf einem festen Fundament. Bevor sich das Team auf den Spritzgießprozess und die Bauteilentwicklung einließ, erarbeiteten die Ingenieure mit Compoundeuren die werkstoffliche Basis. Spritzgießer erhalten Unterstützung, bis der etwas kompliziertere Prozess läuft. Zu den besonderen Verarbeitungsvorschriften gehört zum Beispiel, dass das Material getrocknet werden muss. „Bei den Spritzversuchen ist immer jemand von uns dabei“, versichert Dr. Gerth. Insbesondere benötigt der Spritzgießer keine neue Anlage oder Zusatzausrüstung. „Wir haben unsere Versuche mit den Originalwerkzeugen unserer Partner gefahren, um praxisnahe Ergebnisse zu erzielen. Wir haben deswegen auch keine eigene Spritzgießanlage beschafft.“
Das KAT ist nicht die einzige Institution, die sich mit Naturfaser-Spritzguss auf PP-Basis befasst. So wie sich die Magdeburger „im Kleinen“ um eine funktionierende Prozesskette mit regionalem Schwerpunkt bemühten, knüpfte das Nova-Institut in Hürth bundesweit ein Netz, um die Technologie voran zu bringen. Zur Kunststoffmesse K erschien im Oktober ein „Produktkatalog Naturfaser-Spritzguss“ mit 18 Werkstoff-, Faser- und Verfahrensanbieter und ihren Leistungsangeboten. Die 84-seitige Broschüre ist Teil der „Kampagne zur industriellen Etablierung von PP-Naturfaser-Spritzguss und Wood-Plastics-Composites“, die von der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe finanziell unterstützt wird. Sie verfolgt das Ziel, einen Markt für Naturfaser-PP- und WPC-Granulate (WPC = Wood Plastics Composites) zu etablieren. Außerdem sollen Fachleute qualifizierte Daten und technische Informationen für ihre Produktentwicklungen erhalten (www.n-fibrebase.net). Manche dort verzeichneten Anbieter arbeiten zusätzlich mit Polymilchsäure (PLA) statt PP, um von der Petrochemie ganz wegzukommen.
Auf der AVK-Tagung im November 2007 bezifferte das Nova-Institut die 2006 in Deutschland verwendete Menge an Naturfaser-Spritzgussmaterialien. Demnach lag sie außerhalb der Automobilindustrie unter 2000 t. Diese Zahl dürfte inzwischen aber stark gestiegen sein, wenn die bekannt gewordenen Aktivitäten alle greifen.
Naturfasern senken Prozesskosten um ein Drittel
Prozess läuft auf konventionellen Anlagen

Kosteneffizienz
Naturfaserverstärktes Polypropylen, das sich spritzgießen lässt, ist eine kostengünstige Alternative zu technischen Kunststoffen wie ABS, POM oder PA. Nicht deswegen, weil das fertige Compound preiswerter wäre. Sondern deswegen, weil der Spritzgießprozess effizienter wird: Die Zykluszeiten sinken, der Energiebedarf nimmt ab. Und die mechanischen Eigenschaften der Teile entsprechen denen aus hochwertigen Thermoplasten.
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