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Gut sortiert direkt ans Band

Fertigungstechnik: Porsche entwickelt für Panamera eigenes Produktions- und Logistiksystem
Gut sortiert direkt ans Band

In der Produktion der Modelle Cayenne und Panamera hat Porsche die Lagerhaltung von 2,3 Tagen auf Stundenniveau reduziert. Alle Teile werden in der richtigen Reihenfolge direkt ans Band geliefert. Die Philosophie hinter der schlanken Produktion vermittelt der Autobauer interessierten Unternehmen in der Porsche Akademie.

Jeden Werktag fährt ein Zug von Hannover nach Leipzig. Er ist beladen mit lackierten Rohkarossen des neuen Porsche-Modells Panamera. Die Karossen sind bereits in der Reihenfolge sortiert, in der die Fahrzeuge im Porsche-Werk montiert werden. Parallel dazu liefert ein Logistikdienstleister weitere Teile und Komponenten von unterschiedlichen Lieferanten an – etwa die Motoren aus dem Porsche-Stammwerk in Zuffenhausen. Porsche selbst konzentriert sich auf die Montage der gelieferten Komponenten und Aggregate, die Qualitätssicherung sowie die Steuerung des komplexen Wertschöpfungsnetzes.

„Sowohl in unserem Stammwerk als auch in Leipzig haben wir das Prinzip der schlanken Fabrik konsequent umgesetzt“, sagt Michael Macht, ehemals Produktionsvorstand und seit Juli Vorstandsvorsitzender der Dr. Ing h.c. F. Porsche AG. Das Ziel war, das benötigte Material über die gesamte Prozesskette in der richtigen Reihenfolge zu steuern, es in bedarfsgerechten Losgrößen direkt ans Band zu bringen und dort innerhalb einer Stunde zu verbauen. „Wir kommen in der Montage praktisch ohne Lagerflächen aus. Die Funktion des Logistikzentrums im Werk ist auf die fahrzeugspezifische Kommissionierung der Teilesets reduziert“, erläutert Macht. Die enorme logistische Herausforderung wird noch deutlicher, wenn man bedenkt, dass mit dem Gran Turismo Panamera und dem sportlichen Geländewagen Cayenne zwei völlig unterschiedliche Baureihen sowie verschiedenste Farb- und Ausstattungsvarianten zu koordinieren sind.
Eigens für die Panamera-Fertigung entwickelten die Fertigungsspezialisten ein neuartiges Produktions- und Logistikkonzept. Dessen Herzstück ist ein exakt ausgearbeiteter Zeit- und Ablaufplan, der sich nach den in Leipzig eingehenden Fahrzeugbestellungen richtet. Sämtliche Zulieferer erhalten mit einem Vorlauf von etwa einer Woche online einen wöchentlichen Stundenplan, in dem genau geregelt ist, welche und wie viele Teile zu einer bestimmten Zeit bereitzustellen sind. „Über den gesamten Produktionsverbund hinweg müssen sich alle Beteiligten, von den Zulieferern bis zur eigenen Wertschöpfung, strikt an die Planung halten. Sie ist das Rückgrat des Systems“, betont Macht. Die Vision der Produktionsexperten: eine Wertschöpfungskette mit Vormontagen und Lieferanten, in der an unterschiedlichen Orten zur selben Zeit kontinuierlich im selben Takt gearbeitet wird und deren Teilleistungen zu einem definierten Zeitpunkt zusammenfließen. Erst der minutiös ausgearbeitete Zeit- und Ablaufplan, in den sämtliche Zulieferer mit eingebunden sind, erlaubt es, Teile in hoher Frequenz und nur eine Stunde vor ihrer Weiterverarbeitung am Band anzuliefern.
Dass ein solches Konzept auch über weite Entfernungen prozesssicher funktioniert, bestätigt Siegfried Bülow. Der Geschäftsführer des Leipziger Porsche-Werks erzählt: „Selbst beim großen Hochwasser in Sachsen oder während der Bahnstreiks hatten wir keine Produktionsausfälle.“ Der Manager gibt allerdings zu, dass in solchen Situationen der Logistik- und Planungsaufwand steigt.
Bei der täglichen Umsetzung des Logistikkonzepts arbeitet Porsche eng mit Dienstleistern zusammen. Das Mannheimer Unternehmen Wincanton ist für die Beschaffungstransporte von den Lieferanten zu den Porsche-Standorten Stuttgart und Leipzig zuständig. Für die Versorgung der Montagestationen mit Produktionsmaterial ist der Wolfsburger Logistiker Schnellecke verantwortlich. Und um den Bahntransport der Rohkarossen kümmert sich das Unternehmen DB Schenker Rail. Damit die Anlieferung so effizient wie möglich läuft, fährt der Lkw des Logistikdienstleisters in einem so genannten Milkrun nacheinander sämtliche Zulieferer an – und zwar in einer auf den Produktionsablauf ausgerichteten Route. Am Ende liefert er seine Ladung an einem Sammelpunkt außerhalb des Werks ab. Dort werden die Teile auf die entsprechenden Zeitscheiben verteilt, ins Logistik-Zentrum des Leipziger Porsche-Werks transportiert, synchron zum Montagetakt kommissioniert und umgehend an die entsprechenden Montagestationen verteilt.
„Dieses Konzept erfordert zwar eine hochfrequente Anlieferung, ermöglicht aber eine nahezu lagerfreie Produktion – vom Lieferanten bis zu unserer Kommissionierzone“, sagt Macht und betont: „Das ist in dieser Ausprägung bisher einmalig in der Automobilindustrie.“ Die Grundidee des Konzepts stamme zwar vor allem aus japanischen Automobilfabriken, sei aber von Porsche in einer für das Unternehmen typischen Weise adaptiert und auf seine Bedürfnisse hin optimiert worden.
„Eine der großen Herausforderungen für unsere Logistik-Experten bestand darin, die Montage von Cayenne- und Panamera-Modellen exakt aufeinander abzustimmen“, sagt der Porsche-Chef. Während die Cayenne-Karossen bereits teilausgestattet in Leipzig ankommen, wird das Interieur des Gran Turismo zuerst auf einer singulären Linie montiert. Die Leipziger Fertigungstiefe des Panamera liegt dadurch mit rund 15 % etwas höher als beim Cayenne mit 10 %. Erst nachdem beide Karosserietypen den gleichen Stand erreicht haben, kommen sie zur weiteren Montage auf eine Linie.
Während die Karossen auf einer Elektrohängebahn durch die Halle schweben, arbeiten Fachkräfte an der Vormontage der Antriebsmodule. Ein fahrerloser Montageträger nimmt alle Fahrwerksteile wie Motor, Getriebe, Antriebswellen, Achsen und Abgasanlage auf und bringt die Einheit genau zum richtigen Zeitpunkt an die wichtigste Montagestation, zur sogenannten Hochzeit. Dort werden Karosserie und Fahrwerk inklusive Antriebsstrang verschraubt.
Während die 8-Zylinder-Motoren des Panamera im Stammwerk Zuffenhausen nach vergleichbaren Fertigungsprinzipien auf der gleichen Linie montiert werden wie die verwandten V8-Triebwerke des Cayenne, kommen die Rohkarossen aus dem Volkswagen-Werk in Hannover. In der niedersächsischen Landeshauptstadt verfügt VW über eines der größten und modernsten Presswerke Europas (mehr dazu auf Seite 45) und eine hochflexible Lackiererei. Die Beratungsgesellschaft Porsche Consulting GmbH in Bietigheim-Bissingen hat das VW-Werk über mehrere Jahre hinweg bei der Einführung schlanker Prozesse unterstützt – eine ideale Voraussetzungen für die Zusammenarbeit. „Ein eigener Rohbau und eine Lackiererei in Leipzig hätte sich für uns wegen der vergleichsweise geringen Stückzahlen nicht gerechnet, und VW hat ausreichende Kapazitäten“, begründet Macht die Entscheidung für die Partnerschaft.
Wie mit dem Panamera selbst – er definiert laut den Zuffenhausenern im Luxus-Segment eine ganz neue Klasse und bietet viel Komfort, ein außergewöhnliches Raumangebot sowie extrem sportliche Fahreigenschaften bei günstigen Verbrauchswerten –, will Porsche auch mit dem Produktions- und Logistiksystem in eine neue Dimension vorstoßen. In der Porsche Akademie (mehr dazu auf Seite 42) vermittelt der Autobauer die Philosophie und seine Erfahrungen mit dem Thema „Schlanke Fabrik“ interessierten Unternehmen aller Branchen.

Porsche Akademie
Die Porsche Akademie ist ein Geschäftsbereich des Bietigheimer Beratungsunternehmens Porsche Consulting GmbH, das wiederum eine Tochter der Porsche AG ist. Die Akademie vermittelt Produktionslösungen, die Porsche Consulting entwickelt und erfolgreich angewendet hat – auch branchenübergreifend. Die Seminare sollen Unternehmen, die eine schlanke Produktion realisieren wollen, die dahinter stehende Philosophie näher bringen und ihnen Einsatzmöglichkeiten aufzeigen. Ziele sind, eine bessere Produktqualität, reduzierte Kosten und die höhere Reaktionsfähigkeit gegenüber den Kunden. Die Schulungen dauern drei Tage. Zielgruppen sind Operative Führungskräfte sowie Experten oder KVP-Trainer aus Produktion und Logistik.
Weitere Informationen:

Marktchancen
Schlanke Produktionssysteme, die Verschwendung vermeiden, haben den Fertigungsstandort Deutschland wieder attraktiv gemacht. Porsche hat das Prinzip konsequent weiterentwickelt. Trotz enormer Variantenvielfalt laufen die Modelle Panamera und Cayenne auf einer Linie. Lagerhaltung wurde weitestgehend eliminiert. Die Teile und Baugruppen werden direkt ans Band geliefert und innerhalb einer Stunde verbaut. Das Prinzip lässt sich auch auf andere Branchen übertragen.
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