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Abstriche bei der Produktsicherheit können Kopf und Kragen kosten

CE-Kennzeichnung: Gefahrenanalyse ist Pflicht und Chance zugleich
Abstriche bei der Produktsicherheit können Kopf und Kragen kosten

Kommen Personen durch unsichere Maschinen zu Schaden, so hat dies auch für den Hersteller verheerende Folgen. Im schlimmsten Fall droht ihm Insolvenz, wenn der Umsatz einbricht oder der Vertrieb verboten wird. Vorbeugend hilft nur eines: ein in die betrieblichen Abläufe integriertes Sicherheitskonzept, das Mängel rechtzeitig aufdeckt.

Von unserem Redaktionsmitglied Olaf Stauß olaf.stauss@konradin.de

Ein Betrunkener fährt mit seinem Auto auf einen Transporter auf. Der Tank des gerammten Fahrzeugs explodiert und fügt den Insassen schwere Verbrennungen zu. Ein US-Gericht verurteilt daraufhin den Hersteller General Motors (GM) zu 4,8 Mrd. US-$ Schadenersatz, weil sich herausstellt, dass der Tank fehlerhaft konstruiert war (und GM dies wusste, wie aus internen Papieren hervorging).
Solche Produkthaftungsfälle zeigen immer wieder, wie sehr Firmen in Bedrängnis kommen können, wenn die Sicherheit ihrer Produkte nicht ausreichend durchdacht ist oder sogar vernachlässigt wurde. Dass die Schadenssummen hierzulande wesentlich niedriger liegen als in den USA, bedeutet keine Entwarnung. Auch in Europa haften Hersteller nach dem harmonisierten Produkthaftungsrecht mit bis zu 85 Mio. Euro für Schäden, die ihr Produkt bei Privatpersonen anrichtet – eine Summe, die für manches Unternehmen das Aus bedeuten kann.
Das Produkthaftungsrecht verlangt vom Hersteller, dass sein Produkt „unter Berücksichtigung aller Umstände“ sicher ist, selbst wenn es (auf vorhersehbare Weise) falsch eingesetzt wird. Dem Gesetzgeber geht es hier vor allem um das Interesse des potenziell geschädigten Menschen. Einer Verurteilung entgeht der Hersteller daher nur, wenn er beweist, dass sein Produkt den Schaden nicht ausgelöst hat oder zum Zeitpunkt der Lieferung fehlerfrei war.
Trotz dieser Rechtslage ist die Produkthaftung nicht das größte Risiko, dem Hersteller durch potenziell unsichere Produkte ausgesetzt sind. „Die Produkthaftung füllt zur Zeit die Säle“, sagt der Paderborner Anwalt Dr. Thomas Klindt, spezialisiert auf Verwaltungsrecht und technische Produktsicherheit. „Viel einschneidender sind aber die leise agierenden Behörden. Die Gewerbeaufsichtsämter können vor einem Produkt warnen, einen Rückruf anordnen oder den Verkauf ganz untersagen. Damit können Sie einem Unternehmen mehr zusetzen als der schärfste Konkurrent.“
Klindt vertritt zur Zeit einen renommierten deutschen Maschinenbauer, durch dessen Produkt ein Mensch zu Tode gekommen ist. Im Betrieb der Maschine verklemmte sich eine Vorrichtung. Der Bediener versuchte vermutlich, die Verklemmung zu lösen, als die Maschine unerwartet wieder anlief und die arbeitenden Zargen in seinen Leib rammte. Eigentlich hätte dies nie passieren dürfen, weil die Maschinenrichtlinie einen Wiederanlaufschutz vorschreibt. Zur menschlichen Katastrophe kommt nun noch die Existenzbedrohung für das Unternehmen mit seinen rund 100 Mitarbeitern hinzu. „Der Tote ist ein Produkthaftungsfall, um den sich die Versicherung kümmern muss, das gestehe ich zu“, meint Rechtsanwalt Klindt. „Aber mein Mandant hat die baugleiche Maschine schon hunderte Mal in über 20 Länder exportiert. Ordnet die Behörde jetzt einen Rückruf an, kämpft er mit dem Rücken zur Wand gegen die Insolvenz.“ Das hätte sich vermeiden lassen, wenn die Maschinenrichtlinie beachtet worden wäre.
Hinzu kommt, dass in solchen Fällen mit Personenschäden immer der Staatsanwalt ermittelt. Wird dem Geschäftsführer grob fahrlässiges Handeln nachgewiesen, muss er mit strafrechtlichen Konsequenzen rechnen. Nehmen leitende Angestellte eine mindere Sicherheit billigend in Kauf, können sie ebenfalls belangt werden.
Produkthaftung, Handelsverbote, strafrechtliche Ermittlungen – wie kann sich der Hersteller vor diesen Konsequenzen schützen? Letztlich gibt es nur eine Lösung: Seine Maschine muss sicher sein – und das sollte er unbedingt dokumentieren können. Eine Hilfe bietet hier die europaweite Pflicht zur CE-Kennzeichnung. Das CE-Symbol ist das sichtbare Zeichen dafür, dass der Hersteller die Konformitätserklärung unterschrieben hat, seine Maschine also alle relevanten Sicherheitsvorgaben und -normen erfüllt. Zu diesen Vorgaben gehört prinzipiell die EG-Maschinenrichtlinie. In ihrem Anhang I heißt es wörtlich: „Der Hersteller ist verpflichtet, eine Gefahrenanalyse vorzunehmen, um alle mit seiner Maschine verbundenen Gefahren zu ermitteln; er muss die Maschine dann unter Berücksichtigung seiner Analyse entwerfen und bauen.“ Hilfestellung geben Gefährdungs- und Checklisten in Normen wie DIN EN 292 oder DIN 1050.
Diese Gefahrenanalyse ist für den Hersteller eine große Chance. Sie ermöglicht es ihm, Sicherheitsrisiken systematisch aufzuspüren und auszuschalten. Wird sie richtig durchgeführt, hebt sie das Sicherheits-Level an, im Schadensfall verbessert sie die Position vor Gericht. So eine Analyse empfiehlt sich auch bei anderen Vorschriften, die neben der Maschinenrichtlinie für ein Produkt gelten können, etwa die Niederspannungs-, EMV- oder Atex-Richtlinie.
Die Gefahrenanalyse ist zugleich aber auch eine Pflicht. Ohne sie ist das Anbringen des CE-Zeichens nicht zulässig. Vernachlässigt der Hersteller die Gefahrenanalyse oder führt sie oberflächlich durch, geht er ein hohes juristisches Risiko ein. Klindt warnt vor allem kleinere Maschinenbaubetriebe: „Bei vielen wäre ich schon froh, wenn die Ingenieure die Maschinenrichtlinie wenigstens gelesen hätten. Solche Betriebe gehören regelmäßig zu meinen Mandanten.“ Wegen ihrer geringen Personalstärke kann es für solche Firmen ratsam sein, einen Dienstleister mit der CE-Kennzeichung zu beauftragen. Bei mittleren Firmen hingegen sieht Klindt eher das Problem, dass Einkaufs- und Verkaufsabteilungen nicht ausreichend informiert sind und – an der Geschäftsleitung vorbei – gefährliche Kompromisse bei der Sicherheit machen.
Diese Einschätzung teilt auch Andreas Bräuninger, Chef eines auf die CE-Kennzeichung spezialisierten Ingenieurbüros in Weinstadt und zugleich Seminarleiter beim VDI. „Eine hundertprozentige Maschinensicherheit gibt es nicht“, räumt er ein. Durch den langjährigen Umgang mit dem Thema denkt er jedoch, dass er die potenziellen Gefahren „zu 95 Prozent ausschließen“ kann – ein Ziel, das sich auch jedes Unternehmen zu eigen machen sollte.
Bräuninger plädiert dafür, die Schritte zur CE-Kennzeichnung systematisch in die betrieblichen Abläufe zu integrieren. Jede Abteilung sollte konkrete Arbeitsanweisungen erhalten: Der Einkauf muss wissen, welche Anforderungen die Zulieferprodukte zu erfüllen haben, der Verkauf sollte Bescheid wissen über die nötigen Sicherheitseinrichtungen der eigenen Produkte, und die Konstruktion muss eine Gefahrenanalyse durchführen. Bräuninger: „Hält sich bei einem solchen System jede Abteilung an ihre Vorgaben, ist die CE-Kennzeichnung am Ende des Entwurfs- und Produktionsprozesses automatisch mit erledigt.“
Der erste Schritt auf dem Weg zum CE-Zeichen ist immer die Recherche nach den Richtlinien und Normen, die für ein Produkt gelten. Hier tritt schon die erste Schwierigkeit auf. Viele Entwickler halten die geltenden Vorschriften für einen undurchdringlichen Wust an Papier. Bräuningers Tipp: Einen CE-Dienstleister mit der Recherche beauftragen. „Das ist in zwei bis drei Tagen erledigt und besser, als das Problem endlos vor sich herzuschieben.“
Der zweite Schritt ist die beschriebene Gefahrenanalyse. Daran schließen sich das Erstellen der Betriebsanleitungen, der Aufbau der technischen Dokumentation und schließlich die CE-Kennzeichnung sowie die Auslieferung der Maschine an. Doch auch dann ist der Hersteller nicht der Verantwortung enthoben: Das Produkthaftungsgesetz verpflichtet ihn, den Markt zu beobachten, um bei bekannt werdenden Produktfehlern sofort reagieren zu können. Für diesen ungünstigen Fall hält Anwalt Klindt einen Tipp bereit, sozusagen eine zweite Absicherung: „Bauen Sie ein Krisenmanagement mit Rückrufplanung auf.“ Dazu gehört ein Raum, der mit allem Nötigen für das Tagen des Krisenstabs ausgestattet ist.
Dreh- und Angelpunkt für die Sicherheit ist und bleibt aber die Gefahrenanalyse. Sie sollte mit äußerster Sorgfalt durchgeführt werden. Es lohnt sich, sie so in den Konstruktionsablauf zu integrieren, dass Sicherheitsprobleme vom Konstrukteur automatisch erkannt und gelöst werden. Diesen Weg ist die Supfina Grieshaber GmbH & Co. KG, Wolfach, gegangen, die Werkzeugmaschinen für die Superfinish-Bearbeitung an drei Standorten produziert (siehe „Nachgefragt“). Supfina buchte Inhouse-Seminare bei der GFT GmbH in Schenkenzell. Der Dienstleister führte mit den Konstrukteuren exemplarisch die komplette Gefahrenanalyse einer Maschine durch, auf der sie aufbauen konnten. (GFT gibt unter anderem das Buch „Gefahrenanalyse und Risikobeurteilung“ aus dem Matthias Schulz Verlag heraus, das einen sehr guten Einstieg in die Thematik bietet) Dr. Claus Maack, Technischer Betriebsleiter von Supfina, zeigt sich mit dem Ergebnis sehr zufrieden: „Diese Vorgehensweise hat sich bewährt und ich würde sie auch anderen Firmen empfehlen.“
Rückrufaktion geht an die Substanz eines Maschinenbauers
Dreh- und Angelpunkt für die Sicherheit ist die Gefahrenanalyse

„Die Verantwortung des Konstrukteurs wurde klar“

Nachgefragt

Supfina Grieshaber baut Superfinish-Sondermaschinen. Um die Gefahrenanalyse in die Entwurfsarbeit zu integrieren, holte Technischer Betriebsleiter Dr. Claus Maack einen Dienstleister zu Hilfe.
Herr Dr. Maack, was ist das Gefährliche an Ihren Maschinen?
Wir liefern Sondermaschinen für die Superfinish-Bearbeitung an die Automobil- und die Wälzlagerindustrie. Durch ihren Automationsgrad und komplexen Aufbau haben sie ein großes Gefährdungspotenzial. Außerdem werden die Werkstücke mit einem Petroleum-haltigen Medium gespült. Bei einer ungünstigen Verwirbelung könnten zündfähige Gemische entstehen.
Warum haben Sie vor zwei Jahren die GFT GmbH als Dienstleister eingeschaltet?
Die EG-Richtlinien schreiben eine Gefahrenanalyse vor. Durch Schadensfälle bei Werkzeugmaschinen aufgeschreckt, legten die Kunden nun weit mehr Gewicht auf Maschinensicherheit. Bei uns gab es umfangreiche Checklisten, die aber aus meiner Sicht nur schematisch abgearbeitet wurden. Wir wollten eine systematische Lösung und mussten etwas zu tun.
Wie sah die Unterstützung aus?
Um die Konstrukteure zu schulen, begannen die GFT-Leute mit der Theorie und präsentierten Fallbeispiele. Teilweise entstanden heftige Diskussionen. Es wurde klar, welche Verantwortung der Konstrukteur hat. Im zweiten Teil führten wir mit GFT exemplarisch eine Gefahrenanalyse für ein Maschinenkonzept durch und dokumentierten sie. Natürlich blieben Fragen offen, die wir selbst klären mussten. Letztendlich hatten wir aber eine auf uns zugeschnittene Basis geschaffen, wie wir die Gefahrenanalyse anpacken können.
Hat sich die Zusammenarbeit gelohnt?
Um Gefahrenanalysen schnell und effizient durchzuführen, war es sehr hilfreich, das Thema mit Fachleuten aufzuarbeiten. Heute beginnt die Gefahrenanalyse schon bei der Entwicklung neuer Maschinenkonzepte.

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