Es sollte ein Weckruf an Politik und Wirtschaft sein: das vor zwei Jahren veröffentlichte „Standpunktpapier Industrie 4.0“ der Wissenschaftlichen Gesellschaft Produktionstechnik (WGP), die führende deutsche Professoren dieses Fachgebiets vereint. Zwar habe sich bis heute einiges getan, zieht WGP-Präsident Prof. Dr. Berend Denkena ein erstes Fazit. Doch immer noch würden wichtige Schritte fehlen, um die Produktion in Deutschland zukunftsfähig zu halten. Mittlerweile hätten sich die meisten Unternehmen des produzierenden Gewerbes mit der Digitalisierung auseinandergesetzt, meistens würden jedoch nur einzelne Projekte in Angriff genommen.
„Die digitale Transformation als Ganzes ist längst noch nicht umgesetzt. Das liegt daran, dass die alten Geschäftsmodelle, die seit vielen Jahren funktionieren, jetzt in der Sonderkonjunktur weiter sehr gut laufen“, schätzt Prof. Thomas Bauernhansl die Lage ein. „Ist diese Phase aber vorbei, werden diejenigen einen Wettbewerbsvorteil haben, die sich intensiv mit Industrie 4.0 beschäftigt haben“, so der Leiter des Stuttgarter Uni-Instituts IFF und des Fraunhofer IPA.
Dass die Politik das Thema Digitalisierung massiv aufgegriffen hat – darin sind sich die Autoren des Standpunktpapiers einig. Die von der WGP-geforderten Living Labs gibt es demnach noch immer nicht. Die Idee war, ganze Fabriken als eine Art reales Labor aufzubauen, um zu verstehen, wie Industrie 4.0 in der Praxis funktioniert. „Es hat sich aber eine sehr gute Projektlandschaft entwickelt und bundesweit sind Zentren entstanden, die Unternehmen bei der Umsetzung von Industrie-4.0-Projekten unterstützen“, sagt Prof. Gunther Reinhart, Institutsleiter des Münchener IWB. So sind in den letzten zwei Jahren bundesweit 22 öffentlich geförderte Mittelstand 4.0-Kompetenzzentren entstanden.
Dennoch soll es an grundlegenden Ecken haken. So fehlt es an Infrastruktur und Standards. Vor allem in ländlichen Gebieten hinkt Deutschland bei Mobilfunk und Internet weit hinterher. „Wir sollten Pilotregionen schaffen, wo man Dinge auf höchstem technischem Niveau ausprobieren kann“, regt Bauernhansl an. Benötigt würden förderliche gesetzliche Rahmenbedingungen, etwa beim Datenschutz.
Die WGP-Autoren warnen zudem davor, dass „wir in der Entwicklung von Zukunftstechnologien wie dem maschinellen Lernen in starker Konkurrenz zu Google und Co. stehen“, sagt Prof. Jörg Krüger, Institutsleiter des Berliner IWF. „Das heißt, wir benötigen auch aus diesem Grund jetzt dringend einen weiteren Schub und Unterstützung seitens der Politik, um unsere Stärken in der praxisorientierten Umsetzung von Industrie 4.0 mit neuen Technologien weiter ausbauen zu können.“ Denn „die Hochtechnologien finden nur schwer den Weg in den Mittelstand“, moniert Krüger. Auch wären neue Aus- und Weiterbildungskonzepte dringend notwendig, um die rasant fortschreitende Entwicklung in den I+K-Technologien in der Lehre abzubilden. (dk)